Betreff
Corona-Pandemie: Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements - Antrag der Kreistagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 4. Juni 2020
Vorlage
50/3981/XVI/2020
Art
Tischvorlage

Sachverhalt:

Die Kreistagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Ausschussvorsitzende Frau Brand gebeten, den als Anlage beigefügten Antrag vom 4. Juni 2020 auf die Tagesordnung des Sozial- und Gesundheitsausschusses am 15. Juni 2020 zu setzen.

 

Mit dem Antrag soll die Kreisverwaltung beauftragt werden, in Zusammenarbeit mit den Kommunen systematisch Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie im Bereich bürgerschaftlichen Engagements zu erfassen. Dadurch soll erreicht werden, dass Stärken weiter ausgebaut und verstetigt, eventuelle Schwächen und Unterstützungsbedarfe erfasst sowie Strategien und Perspektiven erkannt werden, um notwendige Veränderungen einzuleiten.

 

Die Verwaltung nimmt zu dem Antrag wie folgt Stellung:

 

Während der bisherigen CoviD19-Lage hat das Kreisgesundheitsamt fast 4.000 Menschen vorübergehend unter Quarantäne stellen müssen. Die Menschen durften ihre privaten Wohnräume quasi nicht verlassen, in manchen Fällen für mehr als 2 Wochen. Der Rhein-Kreis Neuss hat bereits in einer frühen Phase der Lage ein Konzept verabschiedet und umgesetzt, damit unter Quarantäne gestellte Personen im Bedarfsfall Hilfe und Unterstützung erhalten: sei es die Erledigung von Einkäufen, sei es das Ausführen eines Hundes oder ein vergleichbarer Bedarf. Bislang wurden diese Hilfeleistungen von 38 Menschen angefragt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die weit überwiegende Mehrheit der von einer Quarantäne betroffenen Personen alle notwendigen Hilfen aus dem familiären oder sozialen Umfeld erhalten haben muss.

 

Die durch die Kreisverwaltung entwickelten Hilfsangebote und Maßnahmen sowie die im Rahmen ihrer Umsetzung und Inanspruchnahme gewonnenen Erfahrungen werden - auch mit Blick auf die Zukunft - nachfolgend im Einzelnen dargestellt:

 

1. Hilfsangebote und Maßnahmen im Bereich bürgerschaftlichen Engagements

 

1.1 Online Portal für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer

 

Seit dem 19.03.2020 bietet der Rhein-Kreis Neuss ein Online-Portal an, über das sich ehrenamtliche Helferinnen und Helfer melden können, um in Zeiten der Corona Krise andere im Kreisgebiet zu unterstützen. In dem Formular können die Hilfsangebote

 

·         Versorgung mit Lebensmitteln,

·         telefonische Kontaktaufnahme,

·         medizinische / gesundheitliche Unterstützung

·         pflegerische Unterstützung und

·         sonstige Hilfsangebote

ausgewählt werden.

 

Personen, die haushaltsnahe Dienstleistungen wie Einkaufsdienste anbieten, werden an die Wohlfahrtsverbände[1] vermittelt. Diese koordinieren die Einsätze der Freiwilligen. Zum Zeitpunkt der Einrichtung des Online-Portals lieferten die Wohlfahrtsverbände bereits Care-Pakete für in Quarantäne befindliche Personen. Dabei teilten sich die Verbände das Kreisgebiet auf: Der Caritasverband übt diese Tätigkeit in Dormagen, Grevenbroich, Rommerskirchen und Kaarst aus und die Diakonie in Jüchen, Korschenbroich, Meerbusch und Neuss. Auch die Daten der Freiwilligen für die pflegerische Unterstützung wurden an die Wohlfahrtsverbände zwecks Vermittlung weitergegeben.

 

Bis zum 18.05.2020 gingen insgesamt 172 Meldungen über das Portal ein.

 


Kommune

ehrenamtliche Meldungen

Dormagen

19

Grevenbroich

23

Jüchen

7

Kaarst

10

Korschenbroich

11

Meerbusch

21

Neuss

65

Rommerskirchen

1

außerhalb RKN

15

insgesamt

172

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


*Bei den Meldungen sind Mehrfachnennungen der Hilfsangebote möglich.

 

Angebote in %

Versorgung mit Lebensmitteln

telefonische Kontaktaufnahme

medizinische / gesundheitliche Unterstützung

pflegerische Unterstützung

sonstiges

72 %

53 %

26 %

19 %

38 %

 

Die Personen, die eine medizinische / gesundheitliche Unterstützung anbieten, wurden in eine Datenbank für die Gestellung von Personal für das geplante Behelfskrankenhaus aufgenommen. Neben den über das Ehrenamtsportal gemeldeten Personen wurden weitere 35 Freiwillige in einen Personalpool aufgenommen, die dem Rhein-Kreis Neuss ihre Hilfe über andere Kanäle, bspw. Mail, angeboten haben.

 

Bei einer potentiellen zweiten Viruswelle kann auf die bisher erhobenen Daten der Freiwilligen zurückgegriffen werden.

 

Auf der Internetseite des Kreises wurde zusätzlich auf die Plattformen für Saisonarbeit und Erntehelfer sowie für Beschäftigungssuchende auf die Bundesagentur für Arbeit verwiesen.

 

1.2 Online-Portal für Hilfesuchende

 

Am 24.03.2020 ging auch ein Online-Portal für Hilfesuchende online. Hier können in Quarantäne befindliche oder zu Risikogruppen gehörende Menschen ihre Bedarfe anmelden. Bisher gingen über dieses Portal zwei Hilfegesuche ein. Daneben bestand für genannten Personenkreis die Möglichkeit, telefonisch Hilfe im Alltag anzufordern. Bis zum 04.06.2020 konnten 38 dieser Personen über die ebenfalls in die Öffentlichkeit kommunizierte Rufnummer 02181 601 5738 Hilfe bzw. Unterstützung vermittelt werden.

 

 

 

 

Kommune

Anzahl der Hilfesuchenden

Dormagen

3

Grevenbroich

12

Jüchen

1

Kaarst

4

Korschenbroich

1

Meerbusch

3

Neuss

14

Rommerskirchen

0

insgesamt

38

 

 

 

Davon wurden folgende Hilfsangebote ersucht:

Versorgung mit Lebensmitteln

pflegerische Unterstützung

Hund ausführen

33

4

1

 

 

1.3 Finanzielle Unterstützung von Freiwilligen-Organisationen

 

Das Land Nordrhein-Westfalen stellt zur Unterstützung ehrenamtlicher Aktivitäten zur Bewältigung der Folgen der Corona-Krise über eine Million Euro bereit. Damit sollen insbesondere die Arbeit und Hilfsangebote der Freiwilligenagenturen, Nachbarschafts-initiativen und Vereine vor Ort unterstützt werden, damit diese ihre Aktionen vor allem für Seniorinnen und Senioren, erkrankte und in Quarantäne befindliche Menschen einfacher oder besser umsetzen können. Dem Rhein-Kreis Neuss stehen hierfür 25.000 Euro zur Verfügung. Die Mittel sollen mit möglichst wenig bürokratischem Aufwand zur Verfügung gestellt werden.

 

Je Organisation/Institution werden maximal 200 Euro ausgeschüttet, um möglichst viele Förderfähige zu unterstützen. Anträge können bis zum 05.07.2020 unter http://rkn.nrw/uea eingereicht werden.

 

Förderfähige Auslagen sind z. B.:

       Material für das Nähen von Behelfsmasken (u. a. Anschaffung oder Anmietung von Nähmaschinen, Stoff, Nähgarn, Befestigungsbänder, etc.)

       Anschaffung/Kauf von Schutzbekleidung (Handschuhe, Mundschutz, Desinfektionsmittel)

       Einrichtung von Videokonferenzen (Lizenzgebühren), Website-Gestaltung, Hosting

       Erstattung von Fahrtkosten bei Nutzung von PKWs und Lieferwagen oder des ÖPNVs

       Öffentlichkeitsarbeit

Am 26.05.2020 machte der Rhein-Kreis Neuss diese Aktion publik. Darüber hinaus wurden die kreisangehörigen Städte und Gemeinde, sowie Wohlfahrtsverbände, Kirchen und andere anerkannte Religionsgemeinschaften hierüber informiert, verbunden mit der Bitte auf diese Fördermöglichkeit bei ihren Untergliederungen hinzuweisen.

 

2. Erfahrungsberichte zu Hilfsangeboten

 

Mit der Vermittlung der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer war in Person eine der beiden Pflegesachverständigen des Kreissozialamtes betraut. Zu ihrem Aufgabenbereich zählten:

 

1.    Vermitteln von Einkaufshilfen inklusive der Weitergabe von Kontaktdaten der ehrenamtlichen Kräfte, die sich über die Hotline angeboten haben, zu helfen

2.    Vermitteln von Hilfe für Menschen, die zuhause pflegerische Unterstützung benötigen

3.    Eine Bedarfserhebung für die Station UA: Was wird benötigt, falls der Rhein- Kreis Neuss sich entscheidet, die Station zu öffnen?

 

Ausgehend von den im Antrag aufgeführten Leitfragen hat die Kollegin ihre im Rahmen dieser drei Aufgabenbereiche gesammelten Erfahrungen aus persönlicher Sicht dargestellt:

 

2.1 Einkaufshilfe

 

1.    Was lief gut, wo gibt es Optimierungsbedarf?

Die Zusammenarbeit der beteiligten Ämter der Kreisverwaltung untereinander ist sehr gut gelaufen. Die Wohlfahrtsverbände CaritasSozialdienste Rhein-Kreis Neuss GmbH und Diakonie Rhein-Kreis Neuss haben sich das Kreisgebiet räumlich aufgeteilt, um die Hilfe effizienter zu gestalten. Die Inanspruchnahme der durch den Kreis vermittelten ehrenamtlichen Kräfte sei jeweils unterschiedlich hoch ausgefallen. Die Caritas hat von den vermittelten Ehrenamtlern drei Personen eingesetzt, bei der Diakonie waren sechs durch den Kreis vermittelte Personen im Einsatz. Zur ergänzenden Unterstützung und Vorbeugung von Versorgungslücken im Bereich „Einkaufshilfe“ ist die Pflegesachverständige für die betroffenen Städte auf ehrenamtliche Gruppen zugegangen.

 

Hervorzuheben ist das große ehrenamtliche Engagement. Binnen kurzer Zeit gab es kreisweit Gruppen, die ehrenamtlich Einkäufe erledigt haben und zwar meist binnen 24 h. Das hat den Menschen, die plötzlich unter Quarantäne standen, sehr geholfen. Dabei haben viele Gruppen ihr Angebot auf ältere Menschen generell erweitert, damit diese erst gar nicht der Gefahr einer Infektion beim Einkauf ausgesetzt sind. Beispiel: „keincoronafürdieoma“- dort engagiert sich unter anderem auch eine Mitarbeiterin des Kreisordnungsamtes.

 

2.    Welche Erkenntnisse können daraus für die Zukunft gewonnen werden?

Als erste Erkenntnis nennt die Pflegesachverständige, dass die frühe und konsequente Entscheidung, im Rhein- Kreis Neuss Dinge zu organisieren und vorzubereiten, allen Beteiligten geholfen habe, als es dann „losging“. Dadurch habe der Kreis in manchen Bereichen einen „Vorsprung“ zu anderen Kreisen und kreisfreien Städten gehabt, der sich ausgezahlt hat.

 

Die zweite Erkenntnis ist, dass es eine hohe Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung gab. Die geringe Zahl an Einkaufsanfragen zeigt, dass vielen Personen, die sich in Quarantäne befunden haben, innerhalb der Nachbarschaft geholfen wurde.

 

Für ihren Bereich könne die Organisation auch in der Zukunft so Bestand haben.

 

3.    Wo kann und muss auf kommunaler Ebene ein Beitrag geleistet werden?

Auf Kreisebene nennt sie die Bereiche wie dargestellt, in denen die Kreisverwaltung bereits tätig geworden ist. Einen darüber hinausgehenden Handlungsbedarf habe sie nicht erkennen können.

 

2.2 Hilfe für pflegebedürftige Personen und deren Angehörige

 

1.    Was lief gut, wo gibt es Optimierungsbedarf?

Die Zusammenarbeit mit den zwei eingesetzten Ehrenamtlern sei sehr gut gelaufen. Aktuell ist kein Einsatz mehr erforderlich. Sie habe stets eine zeitnahe Rückmeldung erhalten, wenn sie um Unterstützung angefragt habe. Die betreuten Personen hätten ihr ebenfalls ein positives Feedback gegeben, dass die ehrenamtlichen Kräfte zuverlässig, pünktlich, höflich etc. waren.

 

2.    Welche Erkenntnisse können daraus für die Zukunft gewonnen werden?

Wie oben erwähnt, gibt es eine hohe Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. Am Anfang der Pandemie gab es einige Anfragen, in denen es um eine pflegerische Unterstützung ging. Teilweise haben ambulante Pflegedienste ihre Versorgung auch bei Verdachtsfällen eingestellt, mit der Begründung, nicht über entsprechende Schutzausrüstung zu verfügen. Ungeachtet der Tatsache, dass dies aus vertragsrechtlichen Gründen nicht so ohne weiteres geht, war es ein Problem, mit dem die Betroffenen erstmal alleine da standen.

 

Nach ihrer Einschätzung sollte den ambulanten Pflegediensten auferlegt werden, zukünftig ein gewisses Kontingent an Schutzausrüstung vorzuhalten, welches über den Versorgungsvertrag refinanziert werden könne. Die WTG-Behörde des Kreises wurde hierüber informiert und wird diesen Vorschlag prüfen und weiterverfolgen. Aktuell erhalten alle Anbieter entsprechende Materialien über den Rhein-Kreis Neuss, doch es sei die ureigene Aufgabe der einzelnen Anbieter, sich entsprechend auszustatten und zwar zukünftig bevor es Lieferengpässe gibt.

 

Teilweise fielen Pflegepersonen aus, weil sie erkrankt oder unter Quarantäne standen und die Pflege neu organisiert werden musste. Hier kamen die ehrenamtlichen Kräfte in den Einsatz.

 

Für ihren Bereich könne die Organisation auch in der Zukunft so Bestand haben.

 

3.    Wo kann und muss auf kommunaler Ebene ein Beitrag geleistet werden?

Wie dargestellt.

 

2.3 Station UA

 

Für den Fall, dass die Versorgung von Menschen in häuslicher Quarantäne über Familienangehörige, Freunde oder nachbarschaftliche Hilfe an ihre Grenzen stößt, hat der Rhein-Kreis Neus im Rahmen der Vorausplanung zur Bewältigung der CoVid19-Pandemie eine Reihe von Konzepten zur Unterstützung der Bevölkerung erstellt. Hierzu zählt u.a. die Station UA, die der Rhein-Kreis Neuss für diesen Personenkreis in Kooperation mit dem Rheinlandklinikum Neuss Krankenhaus Grevenbroich und dem Malteser Hilfsdienst (Belegung durch maximal 34 Personen) eingerichtet hat. In diesem Zusammenhang wurde frühzeitig ein Zuweisungskonzept entwickelt, welches für den Bedarfsfall zur Verfügung gestanden hätte. Aufgrund der moderaten Infektionsrate im Rhein- Kreis Neuss ist die Station UA nie zum Einsatz gekommen.

 

1.    Was lief gut, wo gibt es Optimierungsbedarf?

Die Zusammenarbeit mit dem Malteser Hilfsdienst ist sehr gut gelaufen.

 

2.    Welche Erkenntnisse können daraus für die Zukunft gewonnen werden?

Siehe oben.

 

3.    Wo kann und muss auf kommunaler Ebene ein Beitrag geleistet werden?

Siehe Antwort zu Frage 2.

 

3. Konzeptentwicklung

 

Für die Entwicklung konkreter Quartiers- oder Nachbarschaftskonzepte sieht die Kreisverwaltung nach wie vor die Zuständigkeit bei den kreisangehörigen Kommunen, auch für den Fall von Krisen oder außergewöhnlichen Ereignissen. Konzepte, die in den urbanen Strukturen der Stadt Neuss funktionieren, können für das ländlich geprägte Rommerskirchen unwirksam sein. Des Weiteren benötigen die Konzepte „Macher“ und „Kümmerer“ vor Ort und sind auch aus diesem Grund oft schwer übertragbar.

 

Hinzu kommt, dass größere oder langandauernde Krisenlagen in der Vielzahl der denkbaren Szenarien kaum vorhersehbar sind, was selbst für die staatlichen und professionellen Akteure im Krisenmanagement und im Bevölkerungsschutz konkrete Vorausplanungen nahezu unmöglich macht. Dies gilt umso mehr für den Einsatz ehrenamtlicher Kräfte oder von Spontanhelfern. Wichtig ist, dass dieses Potential als mögliche Hilfsquelle gesehen und beachtet wird. Der Krisenstab des Rhein-Kreises Neuss hat sich in mehreren Übungen speziell mit diesem Thema auseinandergesetzt und hätte auf die gewonnen Erkenntnisse und Kontakte auch in der derzeitigen Lage beim Aufbau eines Behelfskrankenhauses zurückgreifen können. Hierzu wird auf die Tischvorlage zur Sondersitzung des Kreisausschusses am 06.05.2020 verwiesen.



[1] Hintergrund der Entscheidung mit den Wohlfahrtsverbänden zu kooperieren war, keine neue, zusätzliche Struktur zu schaffen. Vielmehr sollte auf bereits vorhandene Ansprechpartner zurückgegriffen werden.