Sitzung: 26.11.2015 Ausschuss für Soziales und Wohnen
Vorlage: 50/0978/XVI/2015
Protokoll:
Kreisdirektor Brügge berichtete mit der als Anlage beigefügten
Präsentation zum Thema Flüchtlinge.
Dezernent Mankowsky ergänzte den Vortrag um eine Darstellung aus
medizinischer Sicht:
Die ausschließliche Erstaufnahme für den Rhein-Kreis Neuss im Berufsbildungszentrum Grevenbroich habe
sowohl für die Ärzte des Kreisgesundheitsamtes aber auch für die Städte und
Gemeinden zu einer deutlichen Vereinfachung des Aufnahmeverfahrens geführt.
Es gebe aber Unwägbarkeiten. So stellen sowohl die zum Teil unbestimmbaren
Uhrzeiten als auch die unbestimmbare Anzahl der Flüchtlinge bei den Ankünften
immer wieder enorme Herausforderungen dar. Beispielhaft führte er aus, dass
Flüchtlinge für die Nachtstunden angekündigt seien, so dass eine entsprechende
Anzahl an Ärzten vor Ort präsent stünden, diese Flüchtlinge aber dann erst am
nächsten Morgen eintreffen würden. Bei der eigentlichen ärztlichen Versorgung
habe sich im Laufe der Wochen und Monate Routine eingestellt.
Er führte einige Möglichkeiten der Optimierung auf, welche man heute
dem Land NRW mitgeteilt habe. Dies betreffe zum Beispiel die Behandlung von zum
Teil schon im Rahmen der Erstuntersuchungen festgestellten Erkrankungen.
Durch die aufgrund der Erlasslage erforderliche klare Abtrennung von
Erstuntersuchung und Behandlung von festgestellten Erkrankungen wird die Arbeit,
nicht nur des ärztlichen Personals, unnötig erschwert. So sei es z. B.
notwendig, bei „einfachen“ Erkältungskrankheiten die betroffenen Personen mit
„Behandlungsscheinen“ auszustatten und an den kassenärztlichen Notdienst weiterzuleiten.
Im Falle von Kindern bedeutet dies häufig den notwendigen Transport ganzer
Familien und vor Ort dringend benötigter Dolmetscher in die kinderärztliche Notfallpraxis
nach Neuss.
Hier wäre die Befugnis zur Einleitung einer Behandlung durch die aufnehmenden
Ärzte eine wünschenswerte Verbesserung.
Dringend notwendig sei auch eine Berechtigung zur Behandlung, bzw. zur
Weiterleitung von Patienten mit sog. Alterkrankungen für die versorgenden Ärzte.
Sowohl im Bereich der Erstaufnahme als auch bei der Betreuung in den
Notunterkünften und der ZUE stellt sich die Versorgung mit Arzneimitteln als
problematisch dar. Aufgrund arzneimittelrechtlicher Bestimmungen in § 43 Abs. 1
Arzneimittelgesetz, sei es den Ärzten untersagt, Medikamente an Patienten
abzugeben. Lediglich die unmittelbare Anwendung von Arzneimitteln, d. h. das
Aushändigen z. B. einer einzelnen Tablette zur unmittelbaren Einnahme durch den
Patienten ist ihnen gestattet.
Das hat zur Folge, dass ein abends oder nachts eintreffendes Kind mit
Erkältungssymptomen samt Familie sowie einem - in der EAE ebenfalls dringend
benötigten - Dolmetscher zunächst zur etwa 20 km entfernten kinderärztlichen
Notfallpraxis nach Neuss und dann zur notdiensthabenden Apotheke gefahren
werden müsse.
In diesem Zusammenhang wäre es absolut sinnvoll, die Abgabe von Arzneimitteln
vor Ort zu erleichtern.
Des Weiteren sei aus epidemiologischer Sicht dringend die Durchführung
von Grippeimpfungen, bzw. deren Kostenübernahme durch das Land zu fordern.
Sollte es zu Fällen von Influenza innerhalb der Einrichtungen kommen, werde
diese sich, schon durch die z. T. sehr kurze Verweildauer der Bewohner in den
einzelnen Einrichtungen, rasend schnell ausbreiten. Da eine adäquate Versorgung
an Influenza erkrankter Personen in den Unterkünften nicht möglich sei, werde
es unmittelbar darauf zu massiver Überforderung der Krankenhäuser kommen.
Kreistagsmitglied Cöllen bat um Auskunft, ob weitere Notunterkünfte
errichtet werden müssen.
Kreisdirektor Brügge erklärte, dass das Land NRW zukünftig insgesamt
eigens eingerichtete 60.000 Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen Zentralunterbringungseinheiten
und Notunterkünfte vorhalten wolle.
Dies würde vom Land derzeit als ausreichend angesehen. Dabei solle die
Amtshilfe künftig zurück genommen werden. Kreisdirektor Brügge befürchtete
jedoch, dass diese Berechnungen nicht ausreichend diejenigen Flüchtlinge ohne
Bleibeperspektive berücksichtigen, welche nun nach neuer Gesetzeslage in den
Erstaufnahmeeinrichtungen bis zur Rückreise oder Abschiebung verbleiben sollen.
Kreistagsmitglied Bartsch bedankte sich für das hervorragende
Engagement durch die Mitarbeiter der
Kreisverwaltung, des TZG und besonders bei den ehrenamtlich Tätigen, welche
diese große Herausforderung bewältigen.
Er fragte nach, ob während der Sprachkurse auch eine Kinderbetreuung
gewährleistet sei.
Kreisdirektor Brügge teilte mit, dass hieran gearbeitet werde, um allen
Flüchtlingen, insbesondere auch den Frauen,
Zugang zu den Sprachkursen zu ermöglichen.
Kreistagsabgeordneter Carsten Thiel war erstaunt, dass durch das Land
keine Grippeschutzimpfung ermöglicht werde und fragte, welche Folgekosten
hierdurch möglicherweise entstünden.
Weiterhin bat er um Auskunft, wie die Arbeitserprobung praktisch
aussähe.
Kreisdirektor Brügge sprach den Erlass des Gesundheitsministeriums NRW
zur Versorgung der Flüchtlinge an, welchen er diesbezüglich sehr kritisch sehe.
Unter anderem sei die fehlende Grippeschutzimpfung ein großes Problem, da sich
in den Flüchtlingsunterkünften Infektionen sehr schnell verbreiten könnten und
dann zu einem großen Problem, wenn nicht sogar zu einer Überlastung der
Krankenhäuser führen könnte.
Kritisch sehe er darüber hinaus, dass wie in der Sozial- und
Gesundheitskonferenz berichtet in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes
notwendige Behandlungen, wie die einer Schussverletzung, nicht durchgeführt
werden können, da diese als Alterkrankung gelten.
Auf die Frage von Kreistagsmitglied Servos, wie vielen Asylanträgen
entsprochen werde, verwies Kreisdirektor Brügge auf die Präsentation. Die
Zahlen sind der Seite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
entnommen.
Unter www.bamf.de in der
Rubrik „ Migration nach Deutschland“, dem Thema „ Asyl und Flüchtlingsschutz“
stehen im Downloadbereich (rechts unten auf der Seite) aktuelle Zahlen zu Asyl
zur Verfügung.
Die Arbeitserprobungen sollen unter anderen in den Werkstätten der
Berufsbildungszentren in den Nachmittagsstunden außerhalb der Schulzeiten
stattfinden.
Ausschussmitglied Kresse ging davon aus, dass auch Ministerin Steffens
die Auffassung bezüglich der Gesundheitsfürsorge teile. So habe sie versucht,
durch die Einführung der Gesundheitskarte die Diskriminierung von Flüchtlingen
zu verhindern.
Leider sei die Gesundheitskarte durch die Städte und Gemeinden des
Rhein-Kreises Neuss nicht angenommen worden.
Bei der Versorgung der Flüchtlinge dürfe es kein Zuschieben von Zuständigkeiten
geben.
Kreisdirektor Brügge erläuterte, dass sich die Vorfälle von
Nicht-Behandlung von Erkrankungen keineswegs im Zuständigkeitsbereich des
Kreises oder der Städte und Gemeinden abgespielt haben. Hier werde alles getan,
um den Menschen zu helfen, unabhängig davon, ob die Kosten erstattet werden
oder nicht.
Die Vorfälle ereigneten sich jedoch in der Landeseinrichtung, in der die
Entscheidungen bezüglich der Behandlungen ausschließlich durch die
Bezirksregierung entsprechend der Erlasslage des Landes getroffen würden. Hierfür sei die
Gesundheitskarte nicht vorgesehen. Der Rhein-Kreis Neuss habe die zuständige
Landes- Gesundheitsministerin und den Innenminister NRW in dieser Sache
angeschrieben.
Die angesprochene Gesundheitskarte sei hier nicht weiter zu
diskutieren, da sie ausschließlich für die zugewiesenen Asylbewerber, welche
unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, ausgegeben werden könnte, nicht
aber für die Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen.
Bezüglich des Vorwurfes, es werden Zuständigkeiten zwischen Beteiligten
zugeschoben, betonte Kreisdirektor Brügge, dass es entgegen dieser Aussage
vielmehr eine sehr intensive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten geben
würde. So fänden intensive Gespräche und
eine konstruktive Zusammenarbeit
über alle Zuständigkeitsgrenzen hinweg zwischen IHK, Kreishandwerkerschaft,
Arbeitsagentur und Jobcenter sowie
Kolleginnen und Kollegen der Kreisverwaltung statt. Hierfür sei er sehr
dankbar.
Ausschussmitglied Dr. Leyhausen wies im Hinblick auf das vorgelegte
sog. Düsseldorfer Raster zur Erfassung von Qualifikationen von Flüchtlingen
darauf hin, dass man nicht von allzu hohen Qualifikationen ausgehen dürfe.
Viele seien womöglich Analphabeten. Weiterhin fragte sie nach Ruheräumen für
Kinder bzw. Schutzräume.
Kreisdirektor Brügge berichtete, dass die bisherige Erfassung über das
Düsseldorfer Raster ein breites Spektrum von nicht vorhandenen Qualifikationen
bis hin zu Ärzten und Ingenieuren ergeben habe.
Die Frage nach den Schutzräumen sei eher bezüglich der Einrichtungen
für zugewiesene Flüchtlinge in den Städten und Gemeinden zu beantworten. Er
werde hier nachfragen.
Auch in der Erstaufnahme des Rhein-Kreises Neuss habe man soweit
möglich abgetrennte Bereiche eingerichtet, welche insbesondere für Familien zur
Verfügung stünden.
Kreistagsmitglied Schulz bedankte sich bei der Verwaltung für die
geleistete Arbeit bei der Betreuung der
Flüchtlinge. Er fragte, ob bei der Erstuntersuchung auch psychische
Erkrankungen diagnostiziert werden.
Er bat weiter um Auskunft zur Anzahl der unbegleiteten Minderjährigen im
Rhein-Kreis Neuss.
Frau Dr. Eisenhuth erläuterte, dass bei der kurzen ersten Begutachtung
keine intensive Diagnostik bezüglich psychischer Erkrankungen möglich sei.
Offenkundige Fälle, z.B. bei Drogensucht,
würden jedoch in entsprechende Krankenhäuser eingewiesen.
Kreisdirektor Brügge ergänzte, dass man zur Frage der psychologischen
Betreuung von Flüchtlingen die Gesundheitsministerin angeschrieben habe. Die
Antwort, in welcher das Problem bestätigt werde und die Ressourcenprobleme
erläutert werden, werde zum Protokoll gegeben.
Eine Aufstellung bezüglich der unbegleiteten Minderjährigen werde ebenfalls dem
Protokoll beigefügt.
Kreistagsmitglied Servos wies auf ein Angebot des Landschaftsverbandes
Rheinland aus Juni 2015 hin, wonach Plätze in Landeseinrichtungen für
traumatisierte Flüchtlinge freigehalten würden.