Sitzung: 05.06.2018 Planungs-, Klimaschutz- und Umweltausschuss
Vorlage: 68/2691/XVI/2018
Protokoll:
Herr Mankowsky verweist auf die Sitzungsunterlagen mit den
von der Verwaltung zusammengefassten, detaillierten und aktuellen Informationen
über antibiotikaresistente Keime in Oberflächengewässern. Herr Mankowsky berichtet, dass die Verunsicherung in der
Bevölkerung teilweise recht groß sei und sich so mancher frage, ob er überhaupt
noch in einem See schwimmen könne. Aufgrund der engen Verbindung von Gesundheit
und Umwelt habe sich die Verwaltung daher entschlossen, hier im Planungs- und
Umweltausschuss über den aktuellen Sachstand zu informieren.
Amtsarzt Herr Dr. Dörr referiert diesbezüglich über drei
Schwerpunktfelder:
·
Bakterien,
insbesondere über antibiotika- bzw. multiresistente Keime
·
Oberflächengewässer
(Bäche, Flüsse und Seen)
·
Antibiotika.
Aus seinem Vortrag ist folgendes festzuhalten: In der Öffentlichkeit
habe die aktuelle Diskussion über antibiotikaresistente Keime in
Oberflächengewässern Anfang 2017 begonnen, ausgelöst durch einen Fernsehbericht
über den Tod eines Mannes in Hessen. Der Mann habe beim Schwimmen in einem
Fluss wahrscheinlich größere Mengen Wasser verschluckt und verstarb dann kurze
Zeit später, trotz Antibiotikaeinsatz, an einer nicht heilbaren Infektion. Er
informiert über eine unlängst durchgeführte Studie, die ergeben habe, dass
antibiotikaresistente Keime in Bächen, Flüssen und Seen teilweise auch in
größeren Mengen existieren.
Amtsarzt Herr Dr. Dörr erinnert an Alexander Flemming, der 1928 per
Zufall die wachstumshemmende Wirkung des Schimmelpilzes Penicillium entdeckt
und damit die Antibiotika-Forschung eingeleitet habe. Er stellt heraus, dass in Krankenhäusern lediglich 15 % der
Gesamtmenge an Antibiotika verordnet werde, von den niedergelassenen Ärzten im
häuslichen Bereich dagegen 85 %. Er
sagt, dass bundesweit pro 1000 Einwohner durchschnittlich 14,5 Einheiten
(Dosen) täglich an Antibiotika verordnet werden. Im Rhein-Kreis Neuss seien es
13,9 Einheiten, in Mönchengladbach 17,9. Erwähnenswert seien auch die
Unterschiede zwischen Stadt und Land. Im Rhein-Kreis Neuss führten Grevenbroich
mit 16,8 und Neuss mit 16,0 die Statistik an, in Jüchen seien es dagegen nur
10,2 Einheiten.
Amtsarzt Herr Dr. Dörr erklärt, wie diese Keime in die
Oberflächengewässer gelangen können, nämlich schwerpunktmäßig über die Abwässer
aus Krankenhäusern, aber natürlich auch aus Privathaushalten. Im Endeffekt
gelangen diese Bakterien über die kommunalen Kläranlagen in die Flüsse. Aber
auch tierische Ausscheidungen wie die Gülle, die z. B. nach Starkregenereignissen
gemeinsam mit dem Boden in die Gewässer gespült werden, tragen zur Verbreitung
bei. Er betont diesbezüglich, dass es noch keine offizielle Bewertung gebe,
welche antibiotikaresistente Keime in welcher Menge überhaupt gefährlich für
die menschliche Gesundheit seien. Diese wesentliche Fragestellung sei bis dato
überhaupt noch nicht geklärt.
Amtsarzt Herr Dr. Dörr berichtet, dass Antibiotika häufig verordnet
werden, weil Patienten ihren Hausarzt aus verschiedenen Gründen dazu drängeln.
Beispielsweise um schneller wieder arbeiten zu können oder aus Angst, andere
Menschen anzustecken. Besser sei es allerdings, zunächst einmal den
Krankheitsverlauf abzuwarten. So verschreiben einige Hausärzte neuerdings den
Patienten sicherheitshalber Antibiotika nur noch mit dem Hinweis, diese nur bei
Bedarf einzunehmen, etwa, wenn der Krankheitsverlauf sich verschlechtere.
Er betont, dass der Einsatz von Antibiotika unbedingt reduziert werden
müsse. Ansonsten wachse die Gefahr, dass es für bestimmte resistente Keime
zukünftig keine Reserve-Antibiotika mehr gebe, mit all den ernsten Konsequenzen
für die Betroffenen. Für dieses Ziel der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes
müssen allerdings auch die Leitlinien für die Ärzteschaft neu konzipiert
werden. Aktuell führen diese Leitlinien nämlich noch zu einem verstärkten
Einsatz dieser Medikamente.
Er hebt hervor, dass auch verbesserte Hygienemaßnahmen zu einer
Reduzierung der eingesetzten Antibiotikamengen beitragen. Diesbezüglich
verweist er auf eine Internetinfo des Kreisgesundheitsamtes zum Thema, die bis
dato bereits ca. 18.000 mal abgerufen worden sei.
Amtsarzt Herr Dr. Dörr fasst zusammen: Der Antibiotikaeinsatz könne
nur reduziert werden durch
·
Fach-Informationen
für die Ärzteschaft,
·
Beratung
und Information der Patienten
·
eine
gute Diagnostik
·
verbesserte
Hygienemaßnahmen
Er stellt schließlich fest,
dass die beiden Badeseen des Rhein-Kreises Neuss in Kaarst und in Straberg bis
dato immer das Qualitätssiegel mit der Bewertung „ausgezeichnet“ erhalten
haben. Er verweist auf das in den Sitzungsunterlagen beschriebene
Forschungsvorhaben des Bundes über antibiotikaresistente Keime in klinischen,
landwirtschaftlichen und kommunalen Abwässern. Dieses Forschungsprojekt werde
Ende im Januar 2019 beendet, dann wisse man mehr.
Frau Hugo-Wissemann erkundigt sich zum Einsatz von Antibiotika
in der Viehhaltung. Sie interessiere einen Mengenvergleich zwischen Mensch und
Tier. Herr Kaisers fragt, wie groß
der Anteil einer Dosis Antibiotika sei, der ausgeschieden werde und somit nicht
im Körper verarbeitet werde. Herr
Schmitz fragt, ob für das Qualitätssiegel in Badegewässern speziell auch
resistente Antibiotikakeime untersucht werden. Amtsarzt Herr Dr. Dörr informiert, dass das Erlangen von
Zahlenmaterial im Veterinärbereich viel aufwendiger und komplizierter sei als
in der Humanmedizin. Er gehe jedoch von erheblichen Mengen aus, von denen ca.
20 % der Reinsubstanz den Körper wieder verlassen. Er betont, dass aber die
eingesetzte Gesamtmenge der entscheidende Faktor sei. Als Beispiel führt er an,
dass es früher strikte Vorgaben gegeben habe, z. B. bei Scharlach genau 10 Tage
lang ein bestimmtes Antibiotikum einzunehmen. Erst allmählich setze es sich
durch, dass je nach Krankheitsverlauf geringere Einnahmezeiten vollkommen
ausreichen. Das Umsetzen in der Ärzteschaft setze allerdings erst allmählich
ein. Aber man wisse inzwischen, dass bestimmte Bakterienpopulationen bis zu 30
% Multiresistenzen aufweisen.
Frau Edelburg und
Herr Dr. Kalthoff verweisen auf den Einfluss der Landwirtschaft als eine
Ursache für die Verbreitung der multiresistenten Keime. Herr Dr. Kalthoff betont, dass in Gebieten mit großen
Tiermastbetrieben bis zu 20 % der Bevölkerung Träger von multiresistenten
Keimen seien. Er ergänzt, dass diese Keime sich auch über den Luftpfad verteilen
und somit die Luft ein weiterer Infektionsweg darstelle. Frau Fayaz bemerkt, dass auch Haustiere mit Antibiotika behandelt
werden.
Amtsarzt Herr Dr. Dörr betont, dass im Regelfalle die resistenten
Keime bei gesunden Menschen durch das eigene Immunsystem in Schach gehalten
werden. In Krankenhäusern dagegen, wo vermehrt Patienten mit Infektionen
behandelt werden, können sich die resistenten Keime rasend vermehren, da durch
den erhöhten Antibiotikaeinsatz die normalen Bakterienstämme vernichtet werden
und so erst Platz machen für die resistenten Populationen.
Herr Boestfleisch erkundigt sich zur Belastung des
Regenwassers, Herr Heyner zur
Belastung von Fischen und Herr
Wappenschmidt zum Gefährdungspotential für Wassersporttreibende. Herr Wappenschmidt betont, dass der
Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft in den letzten 10 Jahren um über
50 % gesenkt worden sei. Seit 2006 dürfen diese Mittel auch nicht mehr zu
Mastverstärkung eingesetzt werden. Er schlägt vor, dass das Kreisveterinäramt
dazu Zahlen und Fakten liefern solle und bietet an, dass die
Landwirtschaftskammer sich daran beteilige. Die Ergebnisse sollen dann der
Niederschrift beigefügt werden.
Herr Mankowsky betont die
Wichtigkeit des Themas „Antibiotikaeinsatz in der Tiermast und dessen Einfluss
auf die Entstehung von multiresistenten Keimen“. Er schlägt vor, dieses ähnlich
intensiv und sorgfältig aufzubereiten wie das Thema Insektensterben. Dazu könne
in der nächsten Sitzung des Planungs- und Umweltausschusses auch ein Expertengespräch
stattfinden.
Vorsitzender Herr Markert und Herr
Wappenschmidt unterstützen diesen Vorschlag.
Amtsarzt Herr Dr. Dörr verweist darauf, dass bis dato keine
speziellen Untersuchungen auf antibiotikaresistente Keime in
Oberflächengewässern erfolgen und auch gar nicht vorgesehen seien. Dies könne
sich vielleicht ändern, je nachdem, welche Ergebnisse die Bundesuntersuchungen Anfang
2019 erbringen. Aktuell könne man jedoch nur anlassbezogen vorgehen. Sollten z.
B. erhöhte Werte bei den coliformen Keimen in einem Badesee festgestellt
werden, könne man weitere Spezialuntersuchungen durchführen. Er führt aus, dass Keime aus den Gewässern
natürlich auch an und in die Fische gelangen, ebenfalls aus der Luft und somit
ins Regenwasser. Herr Dr. Kalthoff
belegt dies mit früheren, ähnlich gelagerten Untersuchungen des
Landesumweltamtes.
Vorsitzender Herr Markert regt an, schon vor der Präsentation der
Ergebnisse der Bundesuntersuchungen auf antibiotikaresistente Keime im Frühjahr
2019, stichprobenhaft die Seen im Rhein-Kreis Neuss untersuchen zu lassen. Er berichtet von einer Pilotanlage in
Gelsenkirchen, wo durch Hintereinanderschaltung verschiedener Filtertechniken
hervorragende Reinigungsleitungen in Krankenhausabwässern erzielt worden seien.
Er plädiert dafür, solche Techniken auch im Rhein-Kreis Neuss zu etablieren. Herr Mankowsky spricht sich gegen
stichprobenhafte Untersuchungen auf multiresistente Keime in
Oberflächengewässern aus, weil man ja zurzeit noch gar wisse, was man mit den
Ergebnissen anfangen solle. Es gebe ja noch immer keine verläßlichen
Bewertungsverfahren. Herr Wappenschmidt und Herr Schröder schließen sich dieser Meinung
an.
Herr Mankowsky verweist auf die Zuständigkeiten beim Betrieb
von Kläranlagen. Vorsitzender Herr
Markert betont, dass sich bei Vorklärung von Krankenhausabwässern mittels
bereits vorhandener Hightech-Anlagen ggfs. kostenintensive Investitionen bei
den kommunalen Kläranlagen vermeiden lassen. Herr Heyner spricht sich für eine Kontaktaufnahme mit dem
Erftverband aus.
Herr Wappenschmidt merkt an, dass Krankenhäuser nicht die
einzigen Einleiter von multiresistenten Keimen ins Abwasser seien. Er verweist
auch auf die Kosten für zusätzliche Reinigungsstufen an den Kläranlagen. Vorsitzender Herr Markert sieht die
Einleitungen von Krankenhausabwässern ohne Vorklärung kritisch, zumal sie alle
Bürger finanziell belasten. Er spricht sich ebenfalls für einen Informationsaustausch
mit dem Erftverband aus.