Beschluss:

  1. Der Kreistag des Rhein-Kreises Neuss bekennt sich zu einer inklusiven Beschulung. Hierzu ist im Kreisgebiet das im Art. 24 UN-Behindertenrechtskonvention vorgesehene Wahlrecht zum Besuch einer Förderschule oder einer allgemeinbildenden Schule für Kinder mit Behinderung umzusetzen. Deshalb ist nach den Vorgaben des Landesgesetzgebers ein differenziertes Förderschulsystem im Kreisgebiet zu sichern und fortzuentwickeln.

  2. Die Landesregierung und der Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen werden nach der erneuten Aufschiebung der Einbringung eines Entwurfes zum 9. Schulrechtsänderungsgesetz gebeten, zum 1. August 2014 diejenigen gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für die schulische Inklusion zu schaffen, die erforderlich sind, damit sowohl für die Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung als auch für diejenigen ohne eine Behinderung ein verlässlicher Unterricht am selbst gewählten Förder- bzw. Schulort gewährleistet werden kann.

  3. Die Landesregierung und der Landtag werden weiterhin gebeten, nach Maßgabe des in der Landesverfassung verankerten Konnexitätsprinzips anzuerkennen, dass die Inklusion für die kommunalen Gebietskörperschaften eine neue kommunale Aufgabe darstellt, deren Umsetzung eine finanzielle Beteiligung des Landes fordert.

  4. Der Landrat des Rhein-Kreises Neuss wird gebeten, sich mit den Anliegen des Kreistages an die Landesregierung und den Landtag von Nordrhein-Westfalen zu wenden.



 


Protokoll:

Auf entsprechende Nachfrage des Vorsitzenden, ob der Antragsteller zum Antrag noch ausführen wolle, antwortete Frau Wienands, im Antrag seien in der Begründung ausführlich alle Argumente aufgeführt.

 

Herr Schmitz gab für die SPD an, seine Fraktion könne dem Antrag nicht folgen, da sie zwar den Beschlussvorschlag in den Punkten 1, 2 und 3 für stimmig, die Begründung jedoch für polemisch und unsachlich halte. Offensichtlich werde hier im Vorfeld Bundestagswahlkampf betrieben, dem könne die SPD nicht folgen.

 

Herr Demmer führte aus, für die Kreistagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen wolle er deren ausführliche Stellungnahme zum Antrag vortragen, die auch schriftlich für das Protokoll eingereicht wurde (Anlage 1). Besonders wichtig sei seiner Fraktion, dass es kein Elternrecht auf Förderschulen gebe und das Land nicht Schulen schließe, sondern diese bei entsprechendem Schülerrückgang aufgrund der gesetzlichen Vorgaben aufgelöst werden müssten. Auch wenn der Antrag der CDU-/FDP-Kreistagsfraktion abgelehnt werde, wolle die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Angebot machen, einen überfraktionellen gemeinsamen Inklusionsantrag zu erarbeiten.

 

Frau Wienands entgegnete, der vorgebrachte Unsachlichkeitsvorwurf sei falsch. Im Antrag werde nicht ausgeführt, dass die Inklusion gestoppt werde. Es gehe nicht um ein Elternrecht auf Förderschulen, sondern um das Wahlrecht der Eltern, da die Förderschulen die Alternative zum gemeinsamen Unterricht und zu integrativen Lerngruppen darstellten. Regelschulen könnten nicht alle Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufnehmen, solange nicht eine personelle Aufstockung durch das Land vorgenommen werde. Ziel des Antrages sei es, das Fehlen der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu thematisieren. Es bleibe Fakt, dass Frau Ministerin Löhrmann noch nicht die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen habe.

 

Herr Riedl führte aus, seine Fraktion interessiere die Situation im Rhein-Kreis Neuss und die weitere Zukunft der Förderschulen. Mit dem Antrag der CDU-/FDP-Fraktion werde auch die Sorge vieler Schulleiter zum Ausdruck gebracht, dass Voraussetzungen für Inklusion vor Ort nicht vorhanden seien. Ein Inklusionsprozess, der schlecht vorbereitet sei, schade dem Inklusionsgedanken und -bestreben als solchem.

 

Herr Lonnes führte für die Verwaltung aus, dass er wie Herr Demmer den Eindruck habe, dass nicht die Inklusion, sondern der entsprechende Gesetzesentwurf verschoben worden sei. Dies werfe gerade nach Auffassung aller kommunalen Spitzenverbände sowie der Interessenvertretungen der Lehrer (GEW, VBE, Philologenverband) die Probleme auf. Im Rhein-Kreis Neuss gebe es insgesamt 1.500 Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf, wovon zum Schuljahr 2013/2014 über 500 gemeinsam unterricht würden. Es herrsche große Unsicherheit, wie es nun insgesamt weitergehen solle. Leider habe die Landesregierung und der Landtag bisher die gesetzlichen Voraussetzungen für den Inklusionsprozess nicht geschaffen.

 

Die Schuld hierfür könne man seiner Ansicht nach entgegen der Auffassung von Herrn Demmer nicht bei der alten Landesregierung suchen. Die UN-Behindertenkonvention sei erst zu Beginn des Jahres 2010 in Kraft gesetzt worden. Im Sommer des Jahres 2010 habe es den Regierungswechsel gegeben, so dass nach dem Inkrafttreten lediglich einige Monate eine Verantwortung der schwarz-gelben Landesregierung für die Umsetzung bestanden habe. Fakt bleibe, dass der Inklusionsplan von der rot-grünen Landesregierung zweimal verschoben wurde und der Referentenentwurf für das 9. Schulrechtsänderungsgesetz zurückgenommen worden sei.

 

Die Aussage, die alte Landesregierung habe nicht genügend Stellen im gemeinsamen Unterricht in den Jahren 2005 – 2010 geschaffen, sei  seiner Meinung nach nicht richtig, was sich eindeutig aus der Entwicklung der Schülerzahlen im gemeinsamen Unterricht auch im Rhein-Kreis Neuss ergebe.

 

Der von Herrn Demmer zitierte „Löhrmann-Erlass“ von Dezember 2010, der die bisherige Rechtslage umkehren soll, könne nicht das Schulgesetz außer Kraft setzen, so dass die Regelungen des Schulgesetzes vorgehen. Ein Wahlrecht sieht das derzeit geltende Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen nicht vor. Dies zeige gerade, wie wichtig eine gesetzliche Regelung sei, die bisher leider immer noch nicht im Landtag beraten wurde.

 

Weiterhin erklärte Herr Lonnes, er stimme mit Herrn Demmer überein, dass die UN-Behindertenrechtskonvention kein „Elternrecht auf den Besuch einer Förderschule“ vorsehe. Allerdings räume die Konvention dem Landesgesetzgeber bei der Umsetzung der Inklusion ein erhebliches gesetzgeberisches Ermessen ein. Dies gehe von der vollständigen Abschaffung der Förderschule bis hin zur Einräumung eines Wahlrechts für die betroffenen Kinder. Damit für die Schulen auch im Rhein-Kreis Neuss Sicherheit und Verlässlichkeit geschaffen werde, sei es seiner Meinung nach drei Jahre nach Inkrafttreten der Konvention dringend geboten, dass der Gesetzgeber von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch mache und die Landesregierung einen Gesetzentwurf in den Landtag einbringe.

 

Grund für die zögerliche Umsetzung sei seiner Meinung nach die Sorge der Landesregierung, dass eine Änderung des Schulgesetzes entgegen aller Behauptungen konnexitätsrelevant ist. Die wesentliche Änderung von Aufgaben stelle in jedem Fall einen konnexitätsrelevanten Sachverhalt dar. Herr Lonnes führte weiter aus, dass die Kosten der Integrationshelfer bis heute enorm angestiegen seien. So seien die Kosten im Rhein-Kreis Neuss in den letzten fünfzehn Jahren von 0 € auf 3 Mio € jährlich gestiegen. Es sei wünschenswert, dass das Land unter Anerkennung des Konnexitätsprinzipes mit den Kommunen versuche, den Inklusionsprozess umzusetzen.

 

Herr Krützen entgegnete, ihn verwundere, dass wichtige Diskussionsbeiträge von der Verwaltung und nicht vom Antragsteller angeführt würden. Als Leiter einer Hauptschule wisse er, dass ein verändertes Anmeldeverfahren Fakt sei und so seitens der Eltern Druck auf die bestehenden Systeme ausgeübt werde.

 

Herr Lonnes führte aus, auch im Genehmigungsverfahren für Gesamt- und Sekundarschulen werde die Zielrichtung der Landesregierung deutlich. Obwohl es im Schulgesetz keine Vorgabe zur inklusiven Beschulung in diesen Schulformen gebe, bestehe das Land auf der Vorgabe, die Schulgebäude inklusionsgerecht auszubauen und auszustatten. Die erforderlichen finanziellen Mittel einer inklusiven Beschulung würden allerdings nicht anerkannt, so sei z. B. die Schulpauschale für diese Art der Beschulung nicht erhöht worden. Diese Vorgaben seien für Kommunen wie z. B. Jüchen ein enormes finanzielles Problem, so dass diese zu Recht forderten, auf ihre Belange einzugehen.

 

Herr Krützen erwiderte, seines Wissens sehe die Landesbauordnung schon seit langem eine barrierefreie Ausgestaltung öffentlicher Gebäude vor. Herr Lonnes antwortete, für die inklusive Beschulung sei nicht allein ein barrierefreier Zugang notwendig, es bestehe auch ein erhöhter Raumbedarf, z. B. für Differenzierungsräume.

 

Herr Schmitz fragte nach, ob bisher ein Antrag auf inklusive Beschulung an baulichen Gegebenheiten gescheitert sei. Frau Koblenz-Lüschow wies darauf hin, dass ihr kein Fall bekannt sei.

 

Herr Demmer verwies nochmals darauf, dass im Prozess die Betrachtung der Chronologie der Ereignisse wichtig sei, da die Landesregierung den Prozess direkt nach der Neuwahl eingeleitet habe. Für ihn sei wichtig, das gemeinsame Ziel der Inklusion auch im Rhein-Kreis Neuss zu verankern und einen gemeinsamen Prozess, wie ihn die Stadt Neuss schon gut begonnen habe, fortzusetzen. Aus seiner Sicht müsse nicht immer die Frage gestellt werden „was kostet es“, sondern auch die Frage „was sparen wir ein“.

 

Herr Ingenhoven beendete die Debatte und fasste zusammen, dass letztlich der notwendige Prozess der Inklusion von allen positiv gesehen werde.

 

Der Antrag der CDU-/FDP-Fraktion wurde mit 13 Ja-Stimmen und 7 Gegenstimmen angenommen.