Sitzung: 28.01.2013 Schul- und Bildungsausschuss
Vorlage: 40/2298/XV/2013
Beschluss:
- Der Kreistag des Rhein-Kreises Neuss bekennt sich zu einer
inklusiven Beschulung. Hierzu ist im Kreisgebiet das im Art. 24
UN-Behindertenrechtskonvention vorgesehene Wahlrecht zum Besuch einer
Förderschule oder einer allgemeinbildenden Schule für Kinder mit
Behinderung umzusetzen. Deshalb ist nach den Vorgaben des Landesgesetzgebers
ein differenziertes Förderschulsystem im Kreisgebiet zu sichern und fortzuentwickeln.
- Die Landesregierung und der Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen
werden nach der erneuten Aufschiebung der Einbringung eines Entwurfes zum
9. Schulrechtsänderungsgesetz gebeten, zum 1. August 2014 diejenigen
gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für die schulische
Inklusion zu schaffen, die erforderlich sind, damit sowohl für die
Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung als auch für diejenigen
ohne eine Behinderung ein verlässlicher Unterricht am selbst gewählten
Förder- bzw. Schulort gewährleistet werden kann.
- Die Landesregierung und der Landtag werden weiterhin gebeten, nach
Maßgabe des in der Landesverfassung verankerten Konnexitätsprinzips
anzuerkennen, dass die Inklusion für die kommunalen Gebietskörperschaften
eine neue kommunale Aufgabe darstellt, deren Umsetzung eine finanzielle
Beteiligung des Landes fordert.
- Der Landrat des Rhein-Kreises Neuss wird gebeten, sich mit den
Anliegen des Kreistages an die Landesregierung und den Landtag von
Nordrhein-Westfalen zu wenden.
Protokoll:
Auf entsprechende Nachfrage des Vorsitzenden, ob der Antragsteller zum
Antrag noch ausführen wolle, antwortete Frau Wienands, im Antrag seien in der
Begründung ausführlich alle Argumente aufgeführt.
Herr Schmitz gab für die SPD an, seine Fraktion könne dem Antrag nicht
folgen, da sie zwar den Beschlussvorschlag in den Punkten 1, 2 und 3 für
stimmig, die Begründung jedoch für polemisch und unsachlich halte.
Offensichtlich werde hier im Vorfeld Bundestagswahlkampf betrieben, dem könne
die SPD nicht folgen.
Herr Demmer führte aus, für die Kreistagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
wolle er deren ausführliche Stellungnahme zum Antrag vortragen, die auch
schriftlich für das Protokoll eingereicht wurde (Anlage 1). Besonders wichtig sei seiner Fraktion, dass es kein
Elternrecht auf Förderschulen gebe und das Land nicht Schulen schließe, sondern
diese bei entsprechendem Schülerrückgang aufgrund der gesetzlichen Vorgaben
aufgelöst werden müssten. Auch wenn der Antrag der CDU-/FDP-Kreistagsfraktion
abgelehnt werde, wolle die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Angebot machen, einen
überfraktionellen gemeinsamen Inklusionsantrag zu erarbeiten.
Frau Wienands entgegnete, der vorgebrachte Unsachlichkeitsvorwurf sei
falsch. Im Antrag werde nicht ausgeführt, dass die Inklusion gestoppt werde. Es
gehe nicht um ein Elternrecht auf Förderschulen, sondern um das Wahlrecht der
Eltern, da die Förderschulen die Alternative zum gemeinsamen Unterricht und zu
integrativen Lerngruppen darstellten. Regelschulen könnten nicht alle Kinder
mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufnehmen, solange nicht eine personelle
Aufstockung durch das Land vorgenommen werde. Ziel des Antrages sei es, das
Fehlen der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu thematisieren. Es bleibe Fakt,
dass Frau Ministerin Löhrmann noch nicht die entsprechenden Rahmenbedingungen
geschaffen habe.
Herr Riedl führte aus, seine Fraktion interessiere die Situation im
Rhein-Kreis Neuss und die weitere Zukunft der Förderschulen. Mit dem Antrag der
CDU-/FDP-Fraktion werde auch die Sorge vieler Schulleiter zum Ausdruck
gebracht, dass Voraussetzungen für Inklusion vor Ort nicht vorhanden seien. Ein
Inklusionsprozess, der schlecht vorbereitet sei, schade dem Inklusionsgedanken
und -bestreben als solchem.
Herr Lonnes führte für die Verwaltung aus, dass er wie Herr Demmer den
Eindruck habe, dass nicht die Inklusion, sondern der entsprechende
Gesetzesentwurf verschoben worden sei. Dies werfe gerade nach Auffassung aller
kommunalen Spitzenverbände sowie der Interessenvertretungen der Lehrer (GEW, VBE,
Philologenverband) die Probleme auf. Im Rhein-Kreis Neuss gebe es insgesamt
1.500 Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf, wovon zum Schuljahr 2013/2014
über 500 gemeinsam unterricht würden. Es herrsche große Unsicherheit, wie es
nun insgesamt weitergehen solle. Leider habe die Landesregierung und der
Landtag bisher die gesetzlichen Voraussetzungen für den Inklusionsprozess nicht
geschaffen.
Die Schuld hierfür könne man seiner Ansicht nach entgegen der
Auffassung von Herrn Demmer nicht bei der alten Landesregierung suchen. Die
UN-Behindertenkonvention sei erst zu Beginn des Jahres 2010 in Kraft gesetzt
worden. Im Sommer des Jahres 2010 habe es den Regierungswechsel gegeben, so
dass nach dem Inkrafttreten lediglich einige Monate eine Verantwortung der
schwarz-gelben Landesregierung für die Umsetzung bestanden habe. Fakt bleibe,
dass der Inklusionsplan von der rot-grünen Landesregierung zweimal verschoben
wurde und der Referentenentwurf für das 9. Schulrechtsänderungsgesetz zurückgenommen
worden sei.
Die Aussage, die alte Landesregierung habe nicht genügend Stellen im
gemeinsamen Unterricht in den Jahren 2005 – 2010 geschaffen, sei seiner Meinung nach nicht richtig, was sich
eindeutig aus der Entwicklung der Schülerzahlen im gemeinsamen Unterricht auch
im Rhein-Kreis Neuss ergebe.
Der von Herrn Demmer zitierte „Löhrmann-Erlass“ von Dezember 2010, der
die bisherige Rechtslage umkehren soll, könne nicht das Schulgesetz außer Kraft
setzen, so dass die Regelungen des Schulgesetzes vorgehen. Ein Wahlrecht sieht
das derzeit geltende Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen nicht vor. Dies
zeige gerade, wie wichtig eine gesetzliche Regelung sei, die bisher leider
immer noch nicht im Landtag beraten wurde.
Weiterhin erklärte Herr Lonnes, er stimme mit Herrn Demmer überein,
dass die UN-Behindertenrechtskonvention kein „Elternrecht auf den Besuch einer
Förderschule“ vorsehe. Allerdings räume die Konvention dem Landesgesetzgeber
bei der Umsetzung der Inklusion ein erhebliches gesetzgeberisches Ermessen ein.
Dies gehe von der vollständigen Abschaffung der Förderschule bis hin zur
Einräumung eines Wahlrechts für die betroffenen Kinder. Damit für die Schulen
auch im Rhein-Kreis Neuss Sicherheit und Verlässlichkeit geschaffen werde, sei
es seiner Meinung nach drei Jahre nach Inkrafttreten der Konvention dringend
geboten, dass der Gesetzgeber von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch mache und
die Landesregierung einen Gesetzentwurf in den Landtag einbringe.
Grund für die zögerliche Umsetzung sei seiner Meinung nach die Sorge
der Landesregierung, dass eine Änderung des Schulgesetzes entgegen aller
Behauptungen konnexitätsrelevant ist. Die wesentliche Änderung von Aufgaben
stelle in jedem Fall einen konnexitätsrelevanten Sachverhalt dar. Herr Lonnes
führte weiter aus, dass die Kosten der Integrationshelfer bis heute enorm
angestiegen seien. So seien die Kosten im Rhein-Kreis Neuss in den letzten
fünfzehn Jahren von 0 € auf 3 Mio € jährlich gestiegen. Es sei wünschenswert,
dass das Land unter Anerkennung des Konnexitätsprinzipes mit den Kommunen
versuche, den Inklusionsprozess umzusetzen.
Herr Krützen entgegnete, ihn verwundere, dass wichtige Diskussionsbeiträge
von der Verwaltung und nicht vom Antragsteller angeführt würden. Als Leiter
einer Hauptschule wisse er, dass ein verändertes Anmeldeverfahren Fakt sei und
so seitens der Eltern Druck auf die bestehenden Systeme ausgeübt werde.
Herr Lonnes führte aus, auch im Genehmigungsverfahren für Gesamt- und
Sekundarschulen werde die Zielrichtung der Landesregierung deutlich. Obwohl es
im Schulgesetz keine Vorgabe zur inklusiven Beschulung in diesen Schulformen
gebe, bestehe das Land auf der Vorgabe, die Schulgebäude inklusionsgerecht
auszubauen und auszustatten. Die erforderlichen finanziellen Mittel einer
inklusiven Beschulung würden allerdings nicht anerkannt, so sei z. B. die
Schulpauschale für diese Art der Beschulung nicht erhöht worden. Diese Vorgaben
seien für Kommunen wie z. B. Jüchen ein enormes finanzielles Problem, so dass
diese zu Recht forderten, auf ihre Belange einzugehen.
Herr Krützen erwiderte, seines Wissens sehe die Landesbauordnung schon
seit langem eine barrierefreie Ausgestaltung öffentlicher Gebäude vor. Herr
Lonnes antwortete, für die inklusive Beschulung sei nicht allein ein
barrierefreier Zugang notwendig, es bestehe auch ein erhöhter Raumbedarf, z. B.
für Differenzierungsräume.
Herr Schmitz fragte nach, ob bisher ein Antrag auf inklusive Beschulung
an baulichen Gegebenheiten gescheitert sei. Frau Koblenz-Lüschow wies darauf
hin, dass ihr kein Fall bekannt sei.
Herr Demmer verwies nochmals darauf, dass im Prozess die Betrachtung
der Chronologie der Ereignisse wichtig sei, da die Landesregierung den Prozess
direkt nach der Neuwahl eingeleitet habe. Für ihn sei wichtig, das gemeinsame
Ziel der Inklusion auch im Rhein-Kreis Neuss zu verankern und einen gemeinsamen
Prozess, wie ihn die Stadt Neuss schon gut begonnen habe, fortzusetzen. Aus
seiner Sicht müsse nicht immer die Frage gestellt werden „was kostet es“,
sondern auch die Frage „was sparen wir ein“.
Herr Ingenhoven beendete die Debatte und fasste zusammen, dass
letztlich der notwendige Prozess der Inklusion von allen positiv gesehen werde.
Der Antrag der CDU-/FDP-Fraktion wurde mit 13 Ja-Stimmen und 7 Gegenstimmen
angenommen.