Protokoll:

Beiratsmitglied Klauth erklärte, dass Landwirtschaft und Landschaftsschutz viele gemeinsame Zielsetzungen hätten. Man habe Herrn Dr. Bernd Lüttgens vom Rheinischen Landwirtschaftsverband für einen Vortrag über moderne Landwirtschaft gewinnen können. Zudem seien auch der Kreislandwirt, Herr Wappenschmidt, und der Geschäftsführer der Kreisbauernschaft, Herr Herzogenrath, anwesend, um auch für Fragen und Diskussion zur Verfügung zu stehen.

 

Herr Dr. Lüttgens dankte für die Gelegenheit zum heutigen Vortrag. Es sei eher die Ausnahme, dass ein Landschaftsbeirat sich intensiv dem Thema der Landwirtschaft widme.

Sein Vortrag wurde durch eine Präsentation verdeutlicht. Die Folien sind dieser Niederschrift als Anlage beigefügt.

Herr Dr. Lüttgens stellte zunächst den allgemeinen politischen Rahmen dar und ging anschließend auf die einzelnen Handlungsfelder ein.

Der größte Einschnitt in die Entwicklung der Landwirtschaft sei vor etwa 20 Jahren erfolgt. 1992 seien bestimmte Rahmenbedingungen gesetzt worden, die noch heute bestimmend seien. Damals seien so bezeichnete Milchseen, die Vernichtung von Tomaten in Spanien, Überproduktion aller Orten diskutiert worden. Aus dieser Fehlentwicklung heraus sei es erforderlich gewesen, dass sich die europäische Agrarpolitik neu formierte. Parallel dazu habe man in GAT-Verhandlungen, heute WTO, diskutiert. Insgesamt seien Eckpunkte gesetzt worden, die die Landwirtschaft prägten und weiter verstetigt worden seien: Landwirtschaft als weltmarktorientiert und umweltorientiert, um auch den gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Reform 1992 habe ein Stilllegungssystem eingeführt. Die weitere Marktliberalisierung sei im Rahmen der Agenda 2000 erfolgt. Geprägt habe auch der Abschluss der WTO-Verhandlungen 1994. Das heutige Ergebnis in der landwirtschaftlichen Förderpolitik sei also bereits in der Mitte der 90er Jahre entstanden. Die Landwirtschaft könne sich nur in dem Korsett bewegen, in dem sie heute stecke. Dies gelte auch für die europäische Agrarpolitik, der die WTO-Ergebnisse nur einen engen Förderrahmen gestatteten. Man sei in einem Bereich, in dem die interne Stützung zurückgeführt werde und die Exportförderung zurückgehe. Die derzeitigen bilateralen Verhandlungen seien geeignet, das System weiter zu unterhöhlen. Man finde sich im Wettbewerb mit amerikanischen Landwirten wieder. Der Verbraucher in Europa stelle jedoch andere Ansprüche an die Landwirtschaft. Dies sei nicht ausgleichbar. Hierin liege die Gefahr bilateraler Verhandlungen, die Marktöffnungen auf Wenige beschränke und kein generelles System zugrunde lege.

Das heute praktizierte umweltorientierte Prämiensystem solle wieder in ein Stilllegungssystem umgewandelt werden, das interessanter Weise 1992 von den Umweltverbänden wegen der befürchteten Intensivierung an anderer Stelle kritisiert worden sei. Die Frage sei daher, wie man ein Greening konzipieren könne, das einerseits den Umweltansprüchen gerecht werde, gleichzeitig aber auch bäuerliche Existenzen sichere.

Netto sei Deutschland im Agraraußenhandel in der Summe nach wie vor ein Importland, bezogen auf die Wertschöpfung. Es sei nicht so, dass die Agrarproduktion ausschließlich und um jeden Preis auf Produktion setze. Leider sei vielfach die mediale Darstellung eine andere.

Die Tierhaltung in Deutschland sei tendenziell rückläufig. Bei den Rindern präge dies das europäische Milchquotensystem. Die Schweinehaltung sei ansteigend, ebenso wie die Geflügelhaltung. Die so oft beschriebene Steigerung der Tierhaltung ins Unermessliche finde tatsächlich also nicht statt.

Kritisch in der Öffentlichkeit diskutiert werde insbesondere die Schweine- und Geflügelhaltung. Man stelle sich dieser Diskussion. Die Bestände seien ansteigend, weil möglichst nah an der Weiterverarbeitung produzieren und möglichst Transporte vermeiden wolle. Zudem sei dies eine Frage des Know-hows bei den Landwirten in Spezialbetrieben. Daher resultierten die sinkenden Zahlen in anderen Bundesländern und die wachsende Zahlen im hiesigen Raum. Es gebe kein absolutes Wachstum, sondern eine Verschiebung zwischen den Betrieben, von den kleineren Tierhaltungen zu den größeren, die auch den Anforderungen an Tierschutz gerecht werden könnten. Die Diskussion werde jedoch sehr emotional geführt. Er wolle nicht verschweigen, dass in den Hot-Spot-Regionen, außerhalb des Rhein-Kreises Neuss und des südlichen Rheinlandes, Probleme z. B. im Bereich Gewässerschutz bestünden. Daher gebe es die überbetriebliche Verbringung von Nährstoffen.

Mit Blick auf die seinerzeitige Diskussion über Wirtschaftdünger aus den Niederlanden erläuterte Herr Dr. Lüttgens, dass man nach wie vor auf den hiesigen Hochertragsstandorten eine steigende Entwicklung bei den Getreideerträgen habe. Parallel dazu müsse man die Nährstoffzufuhr sehen. Erkennbar sei, dass die Überschüsse zurückgeführt würden, der Stickstoff also effizienter ausgenutzt werde. Der Erlass von zwei Düngeverordnungen habe sicherlich auch Auswirkungen gehabt; es sei jedoch auch im eigenen Interesse, da man nicht beabsichtige, das Wasser zu belasten.

Wenn ein Landwirt seine Düngewerte einstelle, sei das Ertragsziel zu berücksichtigen, die Getreidesorte und die Qualität, da z. B. der Eiweißgehalt sich über den Stickstoff reguliere, die Nährstoffzufuhr, die Art des Düngers, die Bodenqualität u. v. m. Darüber hinaus seien z. B. Wasserschutzgebiete, die Düngeverordnung und evtl. Vorgaben eines Abnehmers zu berücksichtigen. Hieraus ergebe sich Zeitpunkt und Umfang der Düngung für eine bestimmte Getreidesorte. Hinzu komme noch das Wetter. Derzeit habe man sehr wenig Niederschlag. Der Landwirt müsse seine erste Düngeentscheidung bereits im Februar treffen, die letzte im Juni. Dazwischen gebe es nur noch gewisse Stellgrößen, um auf momentane Lagen zu reagieren. Erkennbar sei, wie komplex ein solches biologisches System zu handhaben sei, um ein Optimum anzustreben.

Am Beispiel von Phosphat verdeutliche Herr Dr. Lüttgens, dass im Rhein-Kreis Neuss deutlich mehr Phosphat entzogen als zugeführt werde. Der Bedarf in NRW liege bei etwa 70 kg/ha, im Rhein-Kreis Neuss auf Grund der Kulturen eigentlich bei 83 kg/ha. Aus dem Bereich Phosphat aus der organischen Schiene ergebe sich ein Anfall von rund 37 kg/ha. Klärschlamm in der landwirtschaftlichen Verwertung sei stark rückläufig.

Über die organische Schiene liege daher in der Summe kein Problem vor. Die Landwirte handelten nachhaltig. Bei der organischen Düngung gehe es auch um Humusaufbau und -erhalt, Nährstoffverfügbarkeit und -nachlieferungsvermögen. Das Thema werde stark aufgebauscht und emotional geführt. Er hoffe, dass der erwartete Umweltbericht des Umweltministers die abgeleiteten Zahlen in etwa bestätige. Dies werde zur Versachlichung der Diskussion beitragen.

Ein weiteres kritisches Thema sei der Pflanzenschutz in der Landwirtschaft, hier dargestellt an einem Beispiel aus dem Raum Grevenbroich. Landwirte setzten heute in aller Regel computergestützte Entscheidungshilfen ein. Berücksichtigt würden Wetter, Infektionsbedingungen und Getreidesorte. Es werde errechnet, wie hoch das Infektionsrisiko in der Region sei. Es ergebe sich eine Prognose für die nächsten Tage. Danach würden die Behandlungsmittel eingesetzt. Es sei eine ökonomische und ökologische Entscheidung: So wenig wie möglich, so viel wie nötig, so geringe negative Umweltbeeinflussung wie möglich. Der Landwirt müsse nach den errechneten Daten das konkrete Risiko abwägen. Der Einsatz sei keine Spontanentscheidung, sondern erfolge sehr bewusst.

An einem Beispiel erläuterte er den computergestützten Einsatz der modernen Pflanzenschutztechnologie im Betrieb. Die Pflanzenschutzspritze müsse alle drei Jahre zur technischen Untersuchung. Werde dies vernachlässigt, werde die Prämie um 20 % reduziert. Es stehe also ein enormer Druck dahinter.

Der Landwirt müsse heute, im Gegensatz zu vielen anderen Berufsgruppen, alle drei Jahre eine qualifizierte Weiterbildung durchlaufen. Dies werde elektronisch registriert und gespeichert und bei allen Kontrollen des Betriebes überprüft. Verstöße würden sanktioniert. So seien alle drei Jahre aus den 50.000 Betrieben mehr als 70.000 Landwirte zu schulen. Dies sei eine Herkulesaufgabe. Man versuche, den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden. Im Lichte dessen sei jeder Pressebericht, der dies ignoriere, ärgerlich.

Vielfach werde eine Reduzierung des Pflanzenschutzeinsatzes gefordert. Dies könne aber nicht alleiniges Ziel sein, da eine Reduzierung sinnlos sei, wenn hierdurch Resistenzen erzeugt würden, die zu mehr Einsatz führten. Dies sei auch regierungsseitig eingesehen worden, daher sei vor Jahren der so genannte Behandlungsindex eingeführt worden. Hierbei werde statistisch die Einsatzmenge im Vergleich zur zugelassenen Menge bei der Behandlung einer Fläche erfasst. Der Landwirt wende nur so viel an, wie nötig. Dies liege regelmäßig bei etwa 75 %. Hierdurch werde versucht, die Kosten zu reduzieren. Die Daten würden nach Potsdam gesandt und dort ausgewertet. Ziel sei eine Optimierung. Wichtig sei, dass der Verbraucher erkenne, dass hier nichts Verbotswidriges geschehe.

Zum Tierwohl führte Herr Dr. Lüttgens aus, dass dies ein Thema in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion sei.

Seitens des Landwirts sei die Nutztierhaltung nicht von der Leistung zu trennen. Daneben gebe es aber noch viele weitere Tierwohlkriterien wie z. B. Fruchtbarkeit oder Nutzbarkeit. Man schenke den Tierwohlkriterien Beachtung und sei so offen, zuzugeben, dass hier oder da etwas aus dem Ruder gelaufen sei. Hier bemühe man sich, die Bedingungen zu verbessern, wie in der Geflügelhaltung und in der Schweinemast. Hier hinein strahle auch der Einsatz von Antibiotika. Nicht jede Tierschutzmaßnahme bringe automatisch auch Vorteile. Auch Medikamenteneinsatz könne kontraproduktiv sein. Manche Ställe seien unter hygienischen und Leistungsaspekten optimal; dies bedeute aber nicht, dass das Tier seiner Art entsprechend so sauber leben könne. Man erwarte manchmal zu viel zu früh. In vielen Fällen seien auch die Ursachen von Problemen nicht bekannt. So dürften ab 2016 in Niedersachsen die Schwänze der Schweine nicht mehr kupiert werden. Die Ursache des Verbeißens der Schwänze sei jedoch nicht bekannt. Den Effekt gebe es sowohl bei Strohhaltung, als auch bei wenig strukturierten Ställen. Man brauche Zeit, hier zu forschen.

Ähnlich sei die Diskussion im Geflügelbereich. In Euskirchen gebe es einen Betrieb, der 160.000 Hühner halte und kaum Antibiotika verwende, weil sehr viel gesunde Luft eingesetzt werde und der Betrieb eine bestimmte Lage habe.

 

Beiratsmitglied Klauth dankte Herrn Dr. Lüttgens für diesen umfangreichen und informativen Vortrag. Er wies ergänzend darauf hin, dass mehr als 40 % der praktizierenden Landwirte ein Hochschul- oder Fachhochschulstudium absolviert hätten und sehr gut ausgebildet seien.  Die Berücksichtigung des Umweltschutzes sei ihnen beigebracht worden.

 

Auf die Frage von Beiratsmitglied Grimbach nach multiresistenten Keimen in der Mast antwortete Herr Dr. Lüttgens, dass dies den Erzeuger betreffe, nicht den Verbraucher, da es praktisch nie einen Übergang in das Endprodukt gebe. Richtig sei, dass in der Landwirtschaft rund 1.400 t Antibiotika eingesetzt würden. Dies erscheine viel, es müsse jedoch berücksichtigt werden, welcher Produktionsumfang mit u. a. Hunderttausenden Kühen und Millionen von Schweinen dahinter stehe. Im Übrigen würden keine Reserveantibiotika, sondern ältere Stämme eingesetzt, dies mit höheren Gaben. Im internationalen Vergleich würden anderenorts bereits sehr spezielle Antibiotika eingesetzt. Erklärtes Ziel sei natürlich, so wenige Antibiotika wie möglich einzusetzen. Der Weg dahin gehe auch über die Haltungsbedingungen. Man müsse Lösungen finden.

 

Auf die Frage von Beiratsmitglied Bachmann nach Zusammenhängen von intensiver Landwirtschaft und Artensterben verwies Herr Dr. Lüttgens auf die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft, LANUV und Rhein-Kreis Neuss zur Sicherung einer Hamsterpopulation u. a. bei Rommerskirchen, weiterhin auf ein Artenschutzprojekt für die Uferschnepfe bei Kranenburg, bei dem im Anschluss an eine belastbare Bestandskartierung während der Setzzeit intensiv genutzte Grünlandflächen aus der Bewirtschaftung ausgegrenzt würden, um Störungen des Vogels zu vermeiden. Man müsse weg von kleinsträumigen Betrachtungen und hin zur großräumigen Sichtweise. In den Niederlanden werde dies, oft auf Vertragsbasis, mit den Landwirten bereits praktiziert.

Mit Blick auf Prädatoren, die kleine Populationen erheblich schädigen oder vernichten könnten, müsse sich aber auch der Naturschutz bewegen. Ihm seien Naturschutzprojekte bekannt, in denen abgestimmt auch in Richtung einer verstärkten Bejagung vorgegangen werde.

 

Beiratsmitglied Klauth dankte Herrn Dr. Lüttgens und schlug vor, nach dieser umfassenden Information zu einzelnen Themen im Detail mit Blick auf die Bewirtschaftungspraxis nochmals einen Termin zu machen.