Protokoll:

Vorsitzender Herr Markert begrüßt die Fachreferenten Herrn Dr. Lüttgens vom Rheinischen Landwirtschafts-Verband e. V. und Herrn Dr. Sorg vom Entomologischen Verein Krefeld e.V. Frau Hugo-Wissemann ergänzt, dass Herr Stevens von der Biologischen Station im Rhein-Kreis Neuss e. V. zugegen sei und ebenfalls als Sachverständiger zur Verfügung stünde.

Vorsitzender Herr Markert schlägt vor, dass zunächst die Referate vorgetragen werden und anschließend die Diskussionsrunde beginnen solle.

 

Herr Dr. Sorg referiert über die Bestandsrückgänge von Fluginsekten in Offenlandbiotopen der Kulturlandschaft, über Methoden, Biomassen und Artenspektren.


Anmerkung der Schriftführung: Dieser und der nachfolgende Vortrag sind aus Lesbarkeitsgründen der Niederschrift nicht angehängt, sondern auf der Homepage des Rhein-Kreises Neuss für alle verfügbar abgelegt worden (Pfad: Verwaltung und Politik/ Politik und Wahlen/ Bürgerinfoportal/Gremien/Planungs- und Umweltausschuss 20.02.2018/Informationen). Da der Vortrag von Herrn Dr. Sorg einige unveröffentlichte Arbeitsergebnisse enthält, ist dieser im Internet leicht gekürzt wiedergegeben.

 

Herr Dr. Sorg hebt hervor, dass in Deutschland ca. 33.000 Insektenarten existieren, wovon 31.000 Arten flugaktiv sind. Er informiert über normierte Fangmethoden, mit denen pro Jahr und Standort über 100.000 Insekten und bis zu 4.000 Arten erfasst werden. Herr Dr. Sorg stellt heraus, dass der Fang seit über 30 Jahren archiviert werde, sodass auch nachträglich noch Auswertungen erfolgen können, so z. B. über die Entwicklung der Fangmengen. Herr Dr. Sorg informiert über die jährlich gefangene Biomasse pro Station. Er zeigt vergleichende Zeitreihen zwischen 1989 und 2014, die dokumentieren, auf welch niedriges Niveau die Biomassen inzwischen gesunken sind. Herr Dr. Sorg berichtet über Untersuchungen zu möglichen Ursachen für die Bestandsrückgänge, z. B. über den Einfluss von Klima und Wetter und über verschiedene Pflanzengesellschaften als Nahrungsgrundlage. Deren Einflüsse haben sich allerdings allesamt als relativ gering erwiesen. Herr Dr. Sorg verweist auf Untersuchungsergebnisse aus Großbritannien, wo im südlichen England ähnlich hohe Rückgänge festgestellt worden seien, im nördlichen England sowie in Schottland mit weniger Ackerbau hingegen keine. Er hebt hervor, dass sich viele Messstellen zwar in Schutzgebieten befänden, doch meist in der Nähe von landwirtschaftlichen Nutzflächen. Selbst wenn diese Nutzflächen wie Inseln inmitten der Schutzgebiete lägen, seien dort Insektizidanwendungen im Rahmen der ordnungsgemäßen Landwirtschaft möglich und damit auch der direkte Kontakt der Insektizide mit den Insekten. Herr Dr. Sorg macht vor allem die neue Generation an hochwirksamen Insektiziden und deren ökotoxikologische Auswirkungen verantwortlich für das Insektensterben. Bis dato lägen allerdings keine Analyseergebnisse zu Pestizideinsätzen in den Schutzgebieten und auf benachbarten Ackerflächen vor.

Herr Dr. Sorg betont, dass nicht nur die Anzahl an Individuen drastisch zurückgehe, sondern auch viele Insektenarten ganz verschwänden.

Herr Dr. Sorg stellt fest, dass bis dato die Empfehlung des Umweltbundesamtes zum Pestizidverbot in Schutzgebieten nicht umgesetzt werde und erklärt, dass eine räumliche Staffelung in Pufferzonen entlang der Schutzgebietsgrenzen den Fluginsekten helfen würde. Er bedauert zudem, dass auch den Naturschutzbehörden im Regelfall keine Informationen zu Pestizideinsätzen in den Schutzgebieten vorlägen und daher bei der Maßnahmenplanung auch nicht berücksichtigt würden. Herr Dr. Sorg ergänzt, dass monotone Blühstreifen neben Zuckerrübenparzellen nicht dazu beitrügen, das Insektensterben zu reduzieren. Insekten benötigten verschiedene, benachbarte Lebensräume, sodass z.B. die Blühstreifen nur gemeinsam mit direkt angrenzenden Waldsäumen und/oder Ackerrandstreifen Sinn machen würden. Um gegen den Artenrückgang vorzugehen, hätten effiziente Maßnahmen in einem Schutzgebietsnetz die höchste Priorität. Nur so könne die Biodiversität, also die Artenvielfalt, erhalten bleiben.

Herr Dr. Sorg informiert über verschiedene Maßnahmen zum Schutz der Insektenpopulationen in den Schutzgebieten wie z. B.

-          Änderungen und Anpassungen der Schutzgebietsverordnungen inklusive ein Pestizidverbot in Schutzgebieten,

-          Zusätzliche wissenschaftliche Untersuchungen, z. B. zur Vervollständigung der rote Listen,

-          Einrichtung von Pufferzonen um die Schutzgebiete,

-          Datentransparenz für alle ökotoxikologisch relevanten Vorgänge in den Schutzgebieten und den Pufferzonen,

-          Ergänzung der Planungsgrundlagen und Integration der Ackernutzung in eine konstruktive Management- und Maßnahmenplanung.

 

Frau Hugo-Wissemann erkundigt sich zu Bienenuntersuchungen und Nahrungsmittelgrundlagen für Insekten. Herr Dr. Sorg betont, dass die Wildbienenbestände ebenfalls drastisch zurückgehen und verweist auf die Vielfältigkeit der Nahrungsmittelgrundlagen für Insekten, bedauert diesbezüglich aber auch die Degradierung der Biotope. Herr Wappenschmidt erkundigt sich unter anderem zum Einfluss des Klimas auf die Insektenpopulationen. Herr Dr. Sorg antwortet, dass die Untersuchungen aufzeigen, dass höhere Temperaturen förderlich für die Insektenbestände seien.

 

Herr Dr. Lüttgens referiert über das Thema aus Sicht der Landwirtschaft. Er betont, dass in den allgemeinen Agrarlandschaften der Schwerpunkt natürlich auf die Nahrungsmittelproduktion gelegt werde und nicht auf den Naturschutz. Er führt aus, dass Ursachen für das Insektensterben auch in den stetig steigenden Flächenversiegelungen durch Straßenbau, Gewerbe- und Wohngebieten zu suchen seien, ebenso moderne Baumaterialien und naturferne Privatgärten mit dazu beitrügen. Herr Dr. Lüttgens sagt, dass der Einsatz von Insektiziden in der Landwirtschaft natürlich kein Selbstzweck, sondern zur Sicherung und dem Schutz der Ernte vonnöten sei. Die Landwirtschaft müsse vermarktbare Qualitäten produzieren. Herr Dr. Lüttgens informiert über Behandlungshäufigkeiten und die Menge an Pflanzenschutzmitteln, die bei den unterschiedlichen Anbauprodukten eingesetzt werden. So werden beim Maisanbau in der Regel gar keine Insektizide benötigt. Das sehe dagegen in Apfelplantagen ganz anders aus, da die Konsumenten keine wurmstichigen Äpfel kaufen. Herr Dr. Lüttgens erklärt, dass der Landwirt im Durchschnitt nur 2/3 der zugelassenen Maximalmenge an Pflanzenschutzmitteln einsetze.

Herr Dr. Lüttgens führt aus, dass die Felder bis ca. 1980 kleinteiliger gewesen seien als heute, was für die Insektenpopulationen natürlich günstiger sei, allerdings sei die Fruchtfolge früher mit Zuckerrübe, Weizen und Gerste eintöniger gewesen. Heutzutage dagegen bestehe die Fruchtfolge aus Zuckerrübe, Kartoffel, Weizen, Raps, Mais, Gerste, Möhren und Erbsen, also wesentlich abwechslungsreicher für die Insekten. Herr Dr. Lüttgens fasst zusammen, dass die Landwirtschaft zum Insektenrückgang genauso beitrage wie die gesamte moderne Gesellschaft. Natürlich sei auch die Landwirtschaft in Sorge, da die Insekten wichtige Bestäuber für die angebauten Kulturen seien. Herr Dr. Lüttgens informiert über einige Projekte in der Landwirtschaft zum Schutze der Insekten. Er kritisiert aber eine ausufernde Bürokratie und Sanktionierung der Landwirte, die hinderlich seien, mehr für die Insekten machen zu können. Er betont, dass Naturschutz und Landwirtschaft gemeinsam versuchen sollen, Wege zu finden, nachhaltig ausreichende Mengen an gesunden Lebensmitteln zu produzieren und gemeinsam die Biodiversität zu fördern und zu erhalten. Herr Dr. Lüttgens setzt auf moderne, wissenschaftliche, auf Forschung und Weiterentwicklung bedachte Lösungen.

 

Herr Molzberger erkundigt sich zu den Insektenfallen, die der Landwirt einsetzt, um die Schadinsektenmenge zu ermitteln. Frau Eickler fragt zu den eingesetzten Maximalmengen.

Frau Hugo-Wissemann erkundigt sich zur Beize und fragt, ob im Freiland Nützlinge gegen Schadinsekten eingesetzt werden. Herr Schröder fragt, ob Insekten lernen können, nicht mehr in die Fallen zu fliegen. Herr Dr. Sorg verneint dieses. Er informiert, dass der gesamte Datensatz aus 1.500 ein- bis zweiwöchigen Leerungsintervallen bestehe und insgesamt 16.000 Tage umfasse. Herr Dr. Kalthoff fragt, ob es einen Plan B gebe für den Fall, dass die Insekten ausgerottet seien und es keine Bestäubung der Blüten mehr gebe. Er verweist diesbezüglich auch auf die Wichtigkeit der Insekten in der Nahrungskette, insbesondere für die Vögel. Herr Wappenschmidt sagt, dass das Thema Insektenrückgang erst seit kurzer Zeit und dann z. T. panikartig diskutiert werde. Herr Wappenschmidt benennt weitere Ursachen für den Insektenrückgang, z. B. die Abnahme von Feuchtgebietsflächen, die reduzierte Viehhaltung, das verringerte Ausbringen von Wirtschaftsdüngern. Herr Molzberger erkundigt sich zu alternativen Pflanzenschutzmitteln und fragt, ob es einen Kipppunkt gebe. Herr Dr. Lüttgens bemerkt, dass ein neu auf Insektenschutz gerichtetes Schutzgebietsmanagement auch mit finanziellen Ausgleichszahlungen verbunden werden müsse. Herr Dr. Sorg macht den Landwirten, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Landwirtschaft Insektizide einsetzen, keine Vorwürfe. Er sieht die Fehler im System. Er verweist darauf, dass es sich beim Insektenrückgang um einen schleichenden Prozess handle, der in allen Biotoptypen festgestellt werden könne. Frau Hugo-Wissemann fragt Herrn Stevens von der Biologischen Station, welche Erfahrungen er mit dem Insektensterben im Rhein-Kreis Neuss gemacht habe. Sie fragt, was man im Kreis konkret tun könne, um dem Insektensterben entgegen zu wirken. Frau Fayaz möchte wissen, ob es positive Beispiele für Maßnahmenbeispiele zum Insektenschutz gebe. Herr Schmitz fragt, ob ein Pestizidverbot in privaten Gärten einen relevanten positiven Einfluss habe. Herr Stevens sieht positive Aspekte durch das Kreiskultur- und Landschaftsprogramm. Er berichtet über die arten- und blütenreichen Wiesen in der Rheinaue. Diese können langfristig nur erhalten bleiben, wenn auch die landwirtschaftliche Nutzung erhalten bliebe. Herr Stevens verweist auf kleinere Maßnahmen, z. B. wenn Teile einer Wiese nicht gemäht werden.

Herr Dr. Sorg sagt, dass der Schutz vor dem Aussterben von Restpopulationen in den Schutzgebieten stattfinden müsse. Die Rettung vor dem Aussterben von Insektenarten habe höchste Priorität.

Herr Dr. Sorg informiert über Neurotoxine, insbesondere über die Neonicotinoide, die systemisch in die gesamte Pflanze gelangen und äußerst wirksam gegen Insekten seien. Würden diese etwa in einem Zuckerrübenfeld neben einem Blühstreifen eingesetzt, könne dieser Blühstreifen dann auch als Todesfalle für Insekten bezeichnet werden. Aufgrund der Persistenz, also der Langlebigkeit reichern sich Neonicotinoide im Boden an.

Herr Dr. Sorg spricht sich für eine Zonierung innerhalb der Schutzgebiete aus, analog der Wasserschutzgebiete. Er betont, dass 95 % der Pestizidmenge in der Landwirtschaft eingesetzt werden und in den Privatgärten lediglich 5 %. Herr Dr. Lüttgens bemerkt, dass es in Privatgärten allerdings sehr oft zu Fehlanwendungen komme, falsche Mittel, falsche Mengen, falscher Anwendungszeitpunkt. Er berichtet von Lichtverschmutzung und naturfernen Privatgärten. Herr Dr. Lüttgens schlägt vor, Gelder aus dem Topf der Ausgleichszahlungen, die im Rahmen der Eingriffsregelung gezahlt werden, in die Schutzgebiete z. B. für alternative Anbaumethoden und/oder für ein besseres Schutzgebietsmanagement zu lenken. Herr Dr. Kalthoff spricht sich für eine intensivere Beratung der Landwirte aus und regt an, vielleicht auch verstärkt zu kontrollieren. Herr Wappenschmidt erinnert daran, dass Pflanzenschutzmittel früher oft einer Giftklasse zugeordnet gewesen seien, heutzutage nur noch selten. Er erkundigt sich, ob bisherige Maßnahmen wie Waldvermehrung und Förderung von Streuobstwiesen einen positiven Einfluss für den Insektenschutz haben. Vorsitzender Herr Markert fragt, ob es Vergleichsstudien in großflächigen Gebieten wie dem Naturpark Eifel gebe, ohne Einfluss der Landwirtschaft. Herr Dr. Sorg sagt, dass persistente Pestizide insbesondere über Bäche und Flüsse auch in großflächige Naturschutzgebiete gelangen. Er verweist auf rechtliche Probleme, z. B. wenn in FFH-Gebieten durch Pestizide die Biodiversität geschädigt werde.

Herr Dr. Lüttgens betont, dass von Seiten der Landwirtschaft die Bereitschaft groß sei, in neue Techniken zu investieren. Er könne sich z. B. zukünftig Einsätze von Drohnen vorstellen, die nur die Schädlingsnester auf Teilflächen bekämpften, sodass eine großflächige Applikation vermieden werden könne. Herr Dr. Lüttgens ergänzt, dass die Landwirte alle 3 Jahre eine Schulung in Sachen Pflanzenschutzmittel machen. Herr Dr. Sorg betont, dass die neuen Hochleistungsinsektizide bis zu 5.000 mal toxischer für Insekten seien, als Insektizide früherer Generationen. Während früher die Pestizide auch Wirbeltiere geschädigt haben, sind die neuen Mittel zielgerichtet auf Insekten wirksam. Herr Dr. Sorg informiert über die hoch wirksame Beize der Zuckerrübensamen, die Neonicotinoide enthalten. Er sagt, dass die Gesamtmenge an Pestiziden in Deutschland nur geringfügig zugenommen habe, aufgrund der Effizienz der neuen Mittel gebe es allerdings eine immense Steigerung an toxischer Wirkung. Herr Dr. Sorg verweist darauf, dass es bis dato keine räumliche Differenzierung bei der Aufbringung der Pestizide gebe. Der Einsatz direkt an einem Schutzgebiet angrenzend sei der gleiche wie etliche km entfernt davon.

Herr Dr. Sorg kritisiert das Zulassungsverfahren für Pestizide. So werden keine Wirkungen auf Lebensgemeinschaften untersucht, sondern lediglich Einflüsse auf Einzelindividuen. Es werden auch nur die einzelnen Wirkstoffe untersucht, keine Mischungen. Auch gebe es keine Untersuchungen von Metaboliten, also Abbaustoffen, die beim Zerfall der Wirkstoffe entstehen. Er fasst zusammen, dass die Zulassungsverfahren angepasst werden müssen, ökologische Komponenten müssen dringend einbezogen werden.

Herr Stevens spricht sich dafür aus, den Insektenschutz in die Umweltbildung zu integrieren.

Herr Mankowsky fasst zusammen, dass es sich um ein Systemproblem handle. Daran könne auf Kreisebene natürlich nicht viel geändert werden. Er sagt zu, dass das, was auf Kreisebene leistbar ist, auch getan werde. Diesbezüglich benennt er einige Beispiele, wie der Kreis bereits in der Vergangenheit ökologische Aspekte zum Beispiel in den Schutzgebieten gefördert habe. Frau Hugo-Wissemann wünscht eine Übersicht über Förderprogramme, die dem Insektenschutz dienen. Herr Mankowsky sagt eine Beantwortung im Rahmen der Niederschrift zu.

 

Antwort der Verwaltung:

Förderprogramme, welche sich explizit auf den Insektenschutz beziehen,sind nicht bekannt. Folgende Programme beinhalten jeweils förderfähige Maßnahmen zur ökologischen Aufwertung von Flächen und damit der indirekten Förderung von Insekten sowie Maßnahmen zum allgemeinen und speziellen Artenschutz (auch von Insekten).

·         Förderrichtlinien Naturschutz – FöNa

·         Richtlinien investiver Naturschutz- Managementpläne

Ansprechpartner für diese Förderprogramme des Landes NRW sind die Bezirksregierungen. Die Richtlinien sind unter folgendem link http://www.brd.nrw.de/umweltschutz/natur/_landschaftsschutz_fischerei/Foerderung_von_Naturschutzmaßnahmenhtml) abrufbar.

Auch das Kreiskulturlandschaftsprogramm des Rhein-Kreis Neuss beinhaltet eine Vielzahl von Programmpaketen für den Insektenschutz und ist auf der Internetseite des Kreises eingestellt.

 

 

Herr Mankowsky und Vorsitzender Herr Markert bedanken sich für die ausgewogenen Vorträge und Diskussionsbeiträge. So habe es z. B. auch keine Schuldzuweisungen an die Landwirte gegeben, die ja schließlich von Instituten und Behörden getestete und zugelassene Mittel verwendeten.