Protokoll:

Herr Kolmorgen erklärte, dass die Kreisfraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag vom 02.09.2010 den Kulturausschuss darum gebeten habe, dafür Sorge zu tragen, dass der von dem Künstler gefertigte Stolperstein für Ernst Junghans an der vorgesehenen Stelle in Dormagen verlegt werden könne. In diesem Zusammenhang wurde auch um Stellungnahme des Kreisarchivars gebeten. Die Stadt Dormagen habe die Verlegung des Stolpersteines wegen der Stellungnahme des Kreisarchivars gestoppt. Es stelle sich die Frage, ob die Einwände des Rhein-Kreises Neuss gegen die Verlegung stichhaltig genug seien.

 

Hierzu verlas Herr Lonnes folgende Stellungnahme des Rhein-Kreises Neuss:

 

„1.      Verantwortlichkeit für das Verwaltungshandeln des Archivs für den Rhein-Kreis Neuss

 

Nach Maßgabe von § 42 a der Kreisordnung obliegt dem Landrat des Rhein-Kreises Neuss die Führung der Geschäfte der laufenden Verwaltung. Dies gilt auch für die Geschäfte des Archivs für den Rhein-Kreis Neuss, selbst wenn der Landrat kein ausgebildeter Archivar ist und er auch nicht von Anfang an über den Schriftverkehr zwischen Herrn Dr. Emsbach als Kreisarchivar und der Stadt Dormagen zur Verlegung des Stolpersteins für Ernst Junghans informiert gewesen ist. Die heute hier abgegebene Stellungnahme gilt somit für das Kreisarchiv als Ganzes.

 

2.       Verantwortung für die Verlegung des Stolpersteins für Ernst Junghans

 

Der Stolperstein soll im öffentlichen Straßenraum von Zons, also auf einer Straße verlegt werden, die im Eigentum der Stadt Dormagen steht, im Stadtgebiet liegt und für die sie als Straßenbaulastträger zuständig ist. Die Entscheidung über die Verlegung des Stolpersteins ist somit keine Entscheidung des Rhein-Kreises Neuss und seiner Gremien, sondern eine Entscheidung der Stadt Dormagen und ihrer Gremien.

 

3.       Ist Ernst Junghans ein Widerstandskämpfer?

 

Herr Dr. Emsbach hat als Archivar des Archivs im Rhein-Kreis Neuss mit Schreiben des Rhein-Kreises Neuss vom 4. Mai 2010 gegenüber Herrn Bürgermeister Hoffmann Bedenken gegen die Verlegung eines Gedenksteins für den „Widerstandskämpfer“ Ernst Junghans geäußert. Diese geäußerten Bedenken basieren auf einer sorgfältigen Analyse der im Archiv im Rhein-Kreis Neuss vorhandenen Quellen sowie im Nachgang dieser Analyse der sorgfältigen Suche von weiteren Quellen im Landesarchiv NRW und im Landesarchiv Rheinland-Pfalz. Letztendlich beruhen die Bedenken von Herrn Dr. Emsbach nicht auf einer Sachverhaltsermittlung, sondern auf einer historischen Bewertung.

 

Die Kreisverwaltung teilt die Auffassung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht, dass sich Herr Dr. Emsbach in der öffentlichen Diskussion nebulös verhalten hätte und nicht in der Lage war, seine Bedenken substantiiert vorzutragen oder wissenschaftlich fundiert darzulegen.

 

Im Gegenteil ist die Kreisverwaltung der Auffassung, dass aufgrund der Quellenanalyse von Herrn Dr. Emsbach von folgenden Ereignissen ausgegangen werden kann: Zwei Tage nach Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler ist es am 3. Februar 1933 in Dormagen zu einer Schießerei zwischen Mitgliedern der KPD, darunter Ernst Junghans, sowie Mitgliedern der SA bzw. der SS gekommen. Auch zwei Polizeibeamte haben von der Schusswaffe Gebrauch gemacht. Im Verlaufe dieser Auseinandersetzung ist Ernst Junghans an einem Unterleibsschuss gestorben.

 

Ob diese Auseinandersetzung Ernst Junghans zu einem Widerstandskämpfer macht, insbesondere ob die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei bzw. die gewalttätige politische Auseinandersetzung für eine Klassifizierung eines Menschen zum Widerstandskämpfer ausreicht, obliegt einer Bewertung, die abschließend von den Gremien der Stadt Dormagen getroffen werden muss. Bei dieser Entscheidung kann das Kreisarchiv nur beratend tätig sein.

 

Bei der Beurteilung des Sachverhaltes will die Kreisverwaltung nicht verschweigen, dass insbesondere nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933 viele Mitglieder der KPD verhaftet, in Strafanstalten gefangen gesetzt wurden und wegen ihrer politischen Überzeugung den Tod erlitten. In diesen Fällen wird nach Auffassung der Kreisverwaltung zu Recht von Widerstandskämpfern gesprochen.

 

Ein solcher Sachverhalt konnte jedoch für die Ereignisse am Todestag von Ernst Junghans gerade nicht ermittelt werden. Vielmehr ist er bei einer bewaffneten politischen Auseinandersetzung von zwei rivalisierenden antidemokratischen Parteiorganisationen und erklärten Gegnern der Weimarer Reichsverfassung, der ersten demokratischen Verfassung für Deutschland, gestorben, noch bevor die nationalsozialistische Verfolgung der KPD begonnen hat. Aus diesem Grund hat Herr Kreisarchivar Emsbach bei seiner Beurteilung des Sachverhaltes Bedenken geäußert, die nicht zu beanstanden sind.

 

4.       Umkehr der Beweislast

 

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sagt in ihrem Schreiben vom 2. September 2010, dass die Kreisverwaltung den Grundsatz: „Im Zweifel für den Angeklagten“ umkehrt und für sie offenbar das Gegenteil Geltung hat.

 

Nach Auffassung der Kreisverwaltung verwendet die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in unzulässiger Weise Grundsätze, die für ein Strafverfahren gelten, auf Sachverhalte an, die einer historischen Exegese unterliegen. Wenn man die Geschichte als erlebte Vergangenheit begreift, muss man akzeptieren, dass vor jeder Bewertung eines historischen Sachverhaltes eine Quellenanalyse steht. Soweit die Quellenlage, was häufig vorkommt, nicht vollständig ermittelt werden kann, können auch nur solche Schlüsse gezogen werden, die sich an Hand von Quellen belegen lassen.

 

5.                  Quellenlage

 

Die von Herrn Dr. Emsbach ermittelte Quellenlage wird dem Protokoll beigefügt.“

 

Herr Kolmorgen bat, dass das Schreiben des Herrn Dr. Emsbach dem Protokoll ebenfalls beigefügt werde (Anmerkung: Die Quellenlage sowie das Schreiben des Rhein-Kreises Neuss vom 04.05.2010 wurden dem nicht öffentlichen Teil der Sitzung angehängt – Anlage.) Er führte aus, dass Familienangehörige des Ernst Junghans anwesend seien. Die Tochter von Ernst Junghans habe gesehen, dass ihr Vater das Haus alleine verlassen habe. Das Andenken der Familie an Ernst Junghans sei beschmutzt worden, da im Schreiben des Rhein-Kreises Neuss ein Vergleich des Herrn Junghans mit Herrn Mielke angestellt wurde. Zwar sei der Kulturausschuss des Rhein-Kreises Neuss aus formalen Gründen nicht für die Entscheidung über die Verlegung des Stolpersteines zuständig, gleichwohl solle jedoch auf eine Lösung hingearbeitet werden, da auch der Kulturausschuss der Stadt Dormagen bereits am 24.11.2010 über die Verlegung verhandele.

 

Herr Idler verwies auf die Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der bei der Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa ausführte, dass wir als Deutsche das Andenken des Widerstandes ehren sollten und dieser Widerstand nicht teilbar sei. Darunter falle auch der Widerstand der Kommunisten. Auch könnte der antinationalsozialistische Widerstand nicht erst zu einem bestimmten Datum eintreten.

 

Herr Radmacher führte aus, dass Herr Dr. Emsbach sein Fachwissen kundgetan und zur Sachverhaltsaufklärung beigetragen habe. Er könne jedoch keine Empfehlung aussprechen, dem Beschlussvorschlag zuzustimmen, da die Sachlage unklar und auch nicht mehr zu klären sei. Die Informationen seien für eine sachgerechte Entscheidung nicht ausreichend, zudem sei der Rhein-Kreis Neuss für diese Entscheidung nicht zuständig.

 

Herr Lonnes erklärte, dass eine schwierige Situation entstanden sei. Es stelle sich die Frage, ob die aufgrund der bestehenden Quellenlage zu ermittelnden historischen Tatsachen ausreichen, Ernst Junghans als Widerstandskämpfer einzustufen. Herr Dr. Emsbach habe die Stadt Dormagen beraten. Die Entscheidung könne aber nur die Stadt treffen.

 

Frau Kalthoff wies darauf hin, dass eine Diskussion darüber im Kulturausschuss des Rhein-Kreises Neuss fehl am Platze sei.

 

Frau Wenzel erfragte, ob Herr Dr. Emsbach seine Wertung als Privatperson abgegeben habe. Vorsitzender Rehse führte dazu aus, dass Herr Dr. Emsbach in seiner Funktion als Archivar diese Wertung für das Archiv im Rhein-Kreis Neuss, das auch die Archivarien der Stadt Dormagen verwalte, abgegeben habe.

 

Herr Kolmorgen stellte klar, dass es hier im vorliegenden Fall nicht um die Person des Herrn Dr. Emsbach ginge. Die Stadt Dormagen habe wegen der Stellungnahme des Archivs im Rhein-Kreis Neuss die Verlegung des Stolpersteines abgesagt. Man sei jedoch der Familie zur Aufklärung verpflichtet. Eine Einzelfallprüfung sei hier nicht möglich, da es keine weiteren Unterlagen mehr gebe. Dies sollte im Zweifel für eine Verlegung des Steines sprechen.

 

Herr Rosellen stellte fest, dass die Vorgehensweise im vorliegenden Fall sehr unglücklich war. Der Stolperstein war schon fast verlegt, als der Termin abgesagt wurde. Das vom Kreisarchivar abgegebene Werturteil könne man teilen oder auch nicht. Dies müsse von der Politik nicht geprüft werden. Allein die Stadt Dormagen sei für diese Entscheidung zuständig.

 

Vorsitzender Rehse erklärte, dass der Kulturausschuss der Stadt Dormagen bereits am 24.11.2010 erneut in der Angelegenheit beraten werde.

 

Herr Kolmorgen zog den Antrag seiner Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zurück, in der Hoffnung, dass die Stadt Dormagen einer Verlegung des Steines zustimmen werde.

 

Herr Geroneit und Herr Ingenhoven sprachen sich dafür aus, die Angelegenheit nicht weiter im Kulturausschuss zu bewerten. Herr Bäumken beantragte Schluss der Debatte.

 

Vorsitzender Rehse betonte, dass der Antrag ernsthaft behandelt wurde. Der Kulturausschuss werde keine Wertung abgeben, da der Antrag aus formalen Gründen nicht Gegenstand der Beratung sein könne. Die Stadt Dormagen sei für die Entscheidung zuständig.