Beschlussempfehlung:
Der Jugendhilfeausschuss stimmt dem Konzept zur Einführung des Jugendkreistages im Rhein-Kreis Neuss zu.
Sachverhalt:
A. Antragstellung
Die
Kreistagsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben in der Kreistagssitzung
am 30.06.2021 ihren Antrag: „Jugendkreistag im Rhein-Kreis Neuss einrichten“
eingereicht. Insoweit wird folgendes vorgeschlagen:
„Der Kreistag
beschließt, dass ein Jugendparlament im Rhein-Kreis Neuss eingerichtet werden
soll, welches über ein Antragsrecht für den Kreistag sowie ein Anfragerecht an
die Kreisverwaltung verfügen soll.
Der
Kreistag beauftragt die Verwaltung, ein Konzept für die Umsetzung eines
Jugendparlaments im Rhein-Kreis Neuss zu entwerfen und dem zuständigen
Ausschuss zur Verfügung zu stellen. Die Verwaltung wird dazu gebeten, die
Wünsche und Rückmeldungen aus einem breiten und vielfältigen Spektrum für die
Jugendarbeit zuständigen Institutionen aller Schulen sowie der Kinder,
Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Rhein-Kreis Neuss im Alter zwischen 12
und 21 Jahren abzufragen und bei der Konzeptentwicklung zu berücksichtigen.“
In der
Sitzung fasste der Kreistag folgenden Beschluss:
Der
Kreistag beschließt die Einrichtung eines Jugendkreistages und beauftragt die
Verwaltung zur Konzepterstellung. Das Konzept soll dem Fachausschuss zur
Beratung vorgelegt werden.
Der
Antrag und der Auszug aus der Niederschrift des Kreistages sind als Anlagen der
Sitzungsvorlage beigefügt.
B. Allgemeines
Die
vorliegende Stellungnahme befasst sich mit den rechtlichen Möglichkeiten zur
Einrichtung eines Jugendkreistages, den tatsächlichen Gegebenheiten im
Rhein-Kreis Neuss sowie der Umsetzung unter den rechtlichen, wirtschaftlichen
und tatsächlichen Voraussetzungen. Hierbei wird insbesondere untersucht, was
praktikabel erscheint:
C. Rechtliche
Möglichkeiten
a.
Was ist schwierig, bedenklich oder
rechtlich nicht möglich?
Zunächst wird aufgezeigt, wo die
rechtlichen Grenzen für die Teilhabe eines Jugendkreistages für den Rhein-Kreis
Neuss liegen.
1.
Durchführung
freier, allgemeiner, gleicher und geheimer Wahlen für einen Jugendkreistag
In der Kreistagssitzung am 30.6.2021
forderte Kreistagsabgeordneter Ackburally (Bündnis90/ Die Grünen), die
Besetzung des Jugendkreistags aufgrund von freien, allgemeinen, gleichen und
geheimen Wahlen vorzunehmen. Unabhängig von den hierdurch entstehenden Kosten
wäre es Voraussetzung für eine solche Wahl, dass der Rhein-Kreis Neuss eine
Wählerliste mit den wahlberechtigten Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen
12 und 21 Jahren mit erstem Wohnsitz im Rhein-Kreis Neuss erstellt. Diese Daten
liegen nicht dem Rhein-Kreis Neuss, sondern den Einwohnermeldeämter der Städte
und der Gemeinde Rommerskirchen vor. Eine Weitergabe der Daten an den
Rhein-Kreis Neuss ist datenschutzrechtlich nicht möglich (§ 4-6 LDSchG). Es
handelt sich um personenbezogene Daten, die aufgrund des Rechtes auf
informationelle Selbstbestimmung verfassungsrechtlich geschützt sind. Die für
die Weitergabe notwendige Aufgabenkompetenz ist für den Rhein-Kreis Neuss nicht
gegeben. Eine vergleichbare Bestimmung zur Beteiligung von spezifischen
Interessensgruppen an der lokalen politischen Willensbildung (§ 27 a GO) ist in
der Kreisordnung nicht vorgesehen.
2.
Antragsrecht
des Jugendkreistags im Kreistag
Der Kreistag des Rhein-Kreises Neuss
kann dem Jugendkreistag kein Antragsrecht für den Kreistag einräumen. Er ist
kein gesetzgebendes Organ, das in der Lage wäre, Gesetze des Landtages von
Nordrhein-Westfalen zu verändern. Für die Antragstellung im Kreistag hat der
Landtag in § 33 Abs. 1 der Kreisordnung folgendes bestimmt:
„Der Landrat setzt die Tagesordnung
fest. Er hat dabei Vorschläge aufzunehmen, die ihm innerhalb einer in der
Geschäftsordnung zu bestimmenden Frist von einem Fünftel der
Kreistagsmitglieder oder einer Fraktion vorgelegt werden.“
Die Möglichkeit in § 27 a
Gemeindeordnung, auf Ebene der Kommunen zur Wahrnehmung der spezifischen
Interessen von Jugendlichen besondere Vertretungen zu bilden, hat keinen
Eingang in der KreisO gefunden.
3.
Anfragerecht
des Jugendkreistags
Auch ein gesondertes Anfragerecht im
Kreistag hat der Landtag von NRW Jugendlichen zur Wahrnehmung spezifischer
Interessen nicht eingeräumt.
4.
Wirkungskreis
des Rhein-Kreises Neuss
Der Rhein-Kreis Neuss verfügt anders als
die Kommunen vor Ort nicht über eine Allzuständigkeit für örtliche
Angelegenheiten. Nach Maßgabe von § 2 GO sind die Gemeinden, nicht aber der
Kreis, in ihrem Gebiet ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der
öffentlichen Verwaltung.
Demgegenüber ist der Rhein-Kreis Neuss
nur zur Wahrnehmung auf seinem Gebiet begrenzten überörtlichen Aufgaben
zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. Insbesondere fehlt dem
Kreis die Zuständigkeit für
-
das
Bauplanungsrecht,
-
die
Schulträgeraufgaben für die allgemeinbildenden Schulen,
-
die
örtlichen Parkanlagen und Freizeiteinrichtungen,
-
die
Jugendhilfe für Neuss, Grevenbroich, Dormagen, Kaarst und Meerbusch,
-
die
Schaffung und Unterhaltung von Sportanlagen im Breitensport,
-
der
Musikschulunterricht für Neuss, Dormagen und Meerbusch,
-
die
Verkehrssicherheit sowie etwa der Ausbau von Radwegen auf Gemeindestraßen,
-
die
Volkshochschule,
-
etc.
Anregungen und Beschwerden
sowie Anträge in diesen Politikfeldern können mangels Zuständigkeit des Kreises
nicht in einem Jugendkreistag beraten und beschlossen werden.
Gerade die begrenzte
Zuständigkeit des Rhein-Kreise Neuss auf überörtliche Angelegenheiten kann zu
starken Frusterlebnissen von Kindern und Jugendliche in einem Jugendkreistag
führen.
b.
Was ist möglich?
Auch wenn der vom Landtag
gesetzte rechtliche Rahmen der Beteiligung eines Jugendkreistags viele Grenzen
setzt, sollte man auch einen Blick auf die Möglichkeiten werfen:
1.
Die
Selbstverpflichtung des Kreistages
Der Kreistag des
Rhein-Kreises Neuss beschließt nach Maßgabe von § 26 Abs 1 KreisO über die
Angelegenheiten des Kreises, die ihrer Bedeutung nach einer solchen
Entscheidung bedürfen oder die er sich vorbehält, soweit nicht in diesem Gesetz
etwas anderes bestimmt ist. Insoweit ist der Kreistag berechtigt sich durch
allgemeinen Beschluss eine Selbstverpflichtung aufzuerlegen, wonach er über
alle Beschlüsse des Jugendkreistags berät.
2.
Anregungen
und Beschwerden
Die
Mitglieder des Jugendkreistages können sich, wie alle anderen Einwohner auch,
einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Anregungen oder
Beschwerden in Angelegenheit des Kreises an den Kreistag wenden (§ 21 KreisO
NW). Die Einzelheiten hierzu ergeben sich aus § 18 der Hauptsatzung. Danach ist
die Verwaltung zur Beantwortung der Anregungen und Beschwerden im Rahmen der
Zuständigkeit des Kreises verpflichtet.
3.
Die
Zuständigkeiten des Rhein-Kreises Neuss
Im
Jugendkreistag können insbesondere folgende Themen beraten werden:
-
Auswirkungen
des Klima- und Strukturwandels auf das Kreisgebiet
-
Regionalplanung,
-
Angelegenheiten
der beruflichen Bildung,
-
Inklusion,
-
Wirtschaftsförderung,
-
Naturschutz
und Landschaftspflege,
-
Integration,
-
Förderung
des Leistungssports,
-
Gesundheitsaspekte,
-
Bildungsnetzwerk,
-
etc.
D. Die
Sonderstellung des Jugendamtes mit der Zuständigkeit für Korschenbroich, Jüchen
und Rommerskirchen
Häufig
wird bei der Teilhabe von Jugendlichen am Gemeinwesen behauptet, „wir haben ein
Jugendamt, damit ist alles geregelt“. Für das Jugendamt des Rhein-Kreises Neuss
stimmt diese verbreitet vorherrschende Meinung nicht. Denn das Jugendamt ist zuständig
für die örtlichen Angelegenheiten der Kommunen Korschenbroich, Jüchen und
Rommerskirchen. Es nimmt gerade nicht, wie der Kreis sonst, überörtliche
Aufgaben war.
Für
die örtlichen Angelegenheiten der Jugendhilfe gibt es einen klaren gesetzlichen
Auftrag zur Beteiligung. Nach Maßgabe von § 6 Abs. 2 des dritten Gesetzes zur
Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (3.AG-KJHG-KJ-FÖG) sollen
Kinder und Jugendliche an allen ihre Interessen berührenden Planungen,
Entscheidungen und Maßnahmen, insbesondere bei der Wohnumfeld- und
Verkehrsplanung, der bedarfsgerechten Anlage und Unterhaltung von Spielflächen
sowie der baulichen Ausgestaltung öffentlicher Einrichtungen in angemessener
Weise beteiligt werden.
Das Jugendamt des Rhein-Kreises Neuss
hat verschiedene Beteiligungsformate je nach Situation und Struktur,
bedürfnisorientiert in einzelnen Kommunen umgesetzt- so z. B.
Ortsteilgespräche, direkte Beteiligung bei Projekten, Spielplatz / Skatanlage
oder den Bau von Spielgeräten.
Die jahrelange Erfahrung zeigt, dass je
konkreter ein Projekt ist, auch die Beteiligung größer ist. Hierbei spielen
Zeit, Geld, Personal und das Verfahren eine große Rolle, um junge Menschen
nicht zu enttäuschen.
In den vergangenen drei Jahren haben
sich für das Jugendamt die Jugendkonferenzen als gutes Format bewährt. Kinder
und Jugendliche ab elf Jahren werden regelmäßig vom Bürgermeister eingeladen
und können ihre Anliegen vortragen. Rederecht haben hierbei die Kinder und
Jugendlichen. Die Ergebnisse der Jugendkonferenzen werden in einem Protokoll
festgehalten und anschließend von den entsprechenden politischen Ausschüssen
aufgenommen. Je nach Anliegen werden Arbeitsgruppen gebildet, die von der
Verwaltung begleitet werden. Die Ergebnisse werden bei der nächsten
Jugendkonferenz vorgestellt.
Folgende örtliche Projekte sind bisher
aus den Jugendkonferenzen hervorgegangen:
-
Gestaltung
und Aufbau besonderer Mülleimer,
-
Temporärer
Bauspielplatz,
-
Graffiti-Aktion,
-
Planung
einer BMX-Strecke,
-
Instagram
Seite „K’broich4ju“
-
Gardening
4you,
-
Planung
und Gestaltung einer Skateranlage
-
Planung
und Aufbau einer Fitnessanlage.
In
Vorbereitung sind außerdem ein Schwarzlicht-Jugendevent im November und die
Vorstellung einer Taschengeldbörse. Weiterhin wird der Einsatz eines/einer
Botschafter/in für die Jugendkonferenz und deren Projekte in den Schulen
geplant.
Diese Zuständigkeiten sind wegen der
überörtlichen Zuständigkeit des Rhein-Kreises Neuss nicht auf den
Jugendkreistag übertragbar.
E. Die
Ausgestaltung des Jugendkreistags
a. Rechtsakt
Die
konkrete Ausgestaltung des Jugendkreistags mit der Zusammensetzung, der
Amtszeit und der Zuständigkeit erfolgt durch eine vom Kreistag zu beschließende
Satzung.
b. Amtszeit
des Jugendkreistages
Die
Amtszeit des Jugendkreistages richtet sich nach der Wahlperiode des Kreistages.
c. Die
Zusammensetzung des Jugendkreistages
Der
Jugendkreistag selbst kann mangels Wahlen über keine unmittelbare demokratische
Legitimation verfügen. Dennoch sollte sich das Ergebnis der Kommunalwahl auf
seine Zusammensetzung auswirken. Aus diesem Grund wird vorgeschlagen, dass jede
Kreistagsabgeordnete und jeder Kreistagsabgeordneter ein Kind oder einen
Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 21 Jahren als Vertretung für den
Jugendkreistag benennt.
d. Vorsitz
Vorsitzender
des Jugendkreistages sollte der jeweilige Landrat des Rhein-Kreises Neuss als
unmittelbar gewählter Vertreter der Bürgerinnen und Bürger des Rhein-Kreises
Neuss sein. Dies unterstreicht die Bedeutung des Jugendkreistags für die
politische Teilhabe garantiert eine professionelle Sitzungsleitung.
e. Organisatorische
Aspekte
1. Geschäftsstelle
Damit
ein Jugendkreistag, der aus ehrenamtlichen Mitgliedern besteht, wirkungsvoll
arbeiten kann, bedarf er professioneller Unterstützung. Insoweit ist eine
Geschäftsstelle einzurichten, die folgende Aufgabe hat:
Feststellung der
Teilnahmeberechtigten vor jeder Sitzung,
Sitzungsvorbereitung,
Erstellung einer Tagesordnung,
Protokollführung,
Bewirtschaftung der
Aufwandsentschädigungen,
Fortbildung,
etc.
2. Aufwandsentschädigung
Für
die Wahrnehmung der Aufgabe sollte den Kindern und Jugendlichen ein
Sitzungsgeld gewährt werden, mit dem sie ihren Reiseaufwand finanzieren könne
3. Geschäftsordnung
Dem
Jugendkreistag wird das Recht eingeräumt, sich selbst eine Geschäftsordnung zu
geben.
F. Ergebnis
Im Ergebnis wird folgendes
vorgeschlagen:
Der Rhein-Kreis Neuss richtet für die
Dauer seiner Wahlperiode einen Jugendkreistag ein. Die Ausgestaltung wird in
einer Satzung festgelegt:
Die Besetzung des Jugendkreistages
erfolgt durch die Benennung einer Vertretung von jedem Mitglied im Kreistag.
Der Landrat ist nicht berechtigt, eine Vertretung zu benennen.
Das Mindestalter der Mitglieder des
Jugendkreistages beträgt 12 Jahre, die Mitglieder dürfen das 22. Lebensjahr
nicht vollendet haben.
Vorsitzender des Jugendkreistags ist der
jeweils amtierende Landrat des Rhein-Kreises Neuss mit Sitz- und Stimmrecht.
Die Zuständigkeit des Jugendkreistags
ergibt sich aus den überörtlichen kommunalen Zuständigkeiten des Rhein-Kreises
Neuss.
Der Jugendkreistag erhält eine
Geschäftsstelle.
Der Jugendkreistag gibt sich eine
Geschäftsordnung.
Die Mitglieder des Jugendkreistages
erhalten eine Aufwandsentschädigung.
Der Kreistag des Rhein-Kreises Neuss verpflichtet
sich, die Beschlüsse des Jugendkreistages in seiner Kreistagssitzung zeitnah zu
beraten.