Betreff
Antrag der Kreistagsfraktionen CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, UWG/FW RKN/Zentrum vom 13.12.2021 zum Thema "Appell zu einem vorgesehenen beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverstromung bereits 2030"
Vorlage
010/0998/XVII/2021
Art
Tischvorlage

Sachverhalt:

Ergänzende Stellungnahme der Verwaltung zum interfraktionellen Antrag vom 13.12.2021

 

Der anstehende Strukturwandel wird für die Menschen, die Unternehmen und auch für die Kreise, Städte und Gemeinden des Rheinischen Reviers zur größten Herausforderung der kommenden Jahrzehnte. Insbesondere für den Tagebau Garzweiler und die auch im Rhein-Kreis Neuss beheimateten Kraftwerke ergibt sich eine besondere Belastung durch die erhebliche Verkürzung der ursprünglich vereinbarten und genehmigten Planungshorizonte.

 

Die aktuellen Überlegungen im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, den Kohleausstieg „idealerweise“ bereits zum Jahr 2030 zu vollziehen, haben die Auswirkungen auf unsere Heimat nochmals verschärft und führen nicht nur bei den Umsiedlerinnen und Umsiedlern sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von RWE, deren Zulieferunternehmen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der energieintensiven Industrie ( z. B. Ernährungswirtschaft, insbesondere in Neuss und Grevenbroich, Aluminiumwirtschaft, insbesondere in Neuss und Grevenbroich, und der chemische Industrie, insbesondere in Dormagen) zu großer Verunsicherung.

 

Die anstehenden Entscheidungen haben zudem auch erheblichen Einfluss auf langfristige Planverfahren wie zum Beispiel die Braunkohleplanung und dort insbesondere die Tagebau- und Rekultivierungsplanung, die kommunale Mobilitäts- und Bauleitplanung, sowie die Klimawandelvorsorgestrategien. Von besonderer Bedeutung sind zudem die wasserwirtschaftlichen Auswirkungen eines vorgezogenen Ausstiegs aus er Braunkohlegewinnung und –verstromung. Dies betrifft besonders die langfristige Sicherung der Wasserversorgung, die Beschleunigung des Erftumbaus. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die langfristige Sicherung des Feuchtgebiets Maas-Schwalm-Nette und die Tagebauseen Garzweiler, Hambach, Inden einschließlich der zeitgerechte Realisierung der Rheinwassertransportleitung mit einem ausreichend dimensionierten Rheinwasserentnahmemanagement. Von diesen Planungen sind die Entwicklungsperspektiven der Städte und Gemeinden unmittelbar betroffen. Allein vor diesem Hintergrund müssen die ambitionierten Ziele kritisch hinterfragt und auf Realisierbarkeit überprüft werden.

 

Der Strukturwandel wird aus Sicht des Rhein-Kreises Neuss nur gelingen, wenn Arbeitsplätze vor Ort in den direkt betroffenen Kommunen der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie  erhalten und neue, sozialversicherungspflichtige und tarifgebundene geschaffen werden. Eine entsprechende Förderung muss zielgerichtet und rechtzeitig erfolgen. Bei verändertem Zeithorizont ist hierbei eine Neujustierung und Beschleunigung der Fördermodalitäten zwingend erforderlich.

Der Kreistag des Rhein-Kreises Neuss fordert daher die politischen Entscheidungsträger zu einer ergebnisoffenen Prüfung auf. Im Mittelpunkt der Betrachtung muss hierbei neben dem Klimaschutz auch die sichere Versorgung der heimischen und exportorientierten Industrie mit elektrischer Energie zu weltmarktwettbewerbsfähigen Preisen stehen. Darüber hinaus müssen in einem ersten Schritt belastbare Aussagen zu den geänderten Planungen erarbeitet werden.

Der Bund stellt für die Gestaltung des Strukturwandels in den Braunkohlereviere bis zu 45 Mrd. € bis 2038 zur Verfügung. Hiervon entfallen auf das Rheinische Revier bis zu 15. Mrd. €. Anders als von den Revieren und den Tagebauländern gefordert stellt der Bund diese Mittel über den normalen Bundeshaushalt und nicht als Sondervermögen zur Verfügung. Bereits jetzt zeigt sich, dass dies die Gestaltung des Strukturwandels wesentlich erschwert, als in den insbesondere im Bundesprogramm STARK in 2021 nicht ausreichend Mittel zur Verfügung standen um strukturwandelrelevante Projekte zu bewilligen. Durch die Umwandlung der Mittel in ein Sondervermögen kann diese unnötige Erschwernis für eine stark in Anspruch genommene Region vermieden werden. Der Rhein-Kreis Neuss fordert den Bund daher dringlich auf, die Strukturwandelmittel im einen Sondervermögen und ohne Tranchen bereitzustellen.

 

 

Aus Sicht des Rhein-Kreises Neuss sind darüber hinaus folgende Punkte von besonderer Bedeutung:

 

1.   Verkippung des Tagebaus Garzweiler I / Restloch Ost

In den vergangenen Jahren unterlag die Verfüllung des östlichen Restlochs einer stetigen Verzögerung, die insbesondere durch eine priorisierte Herstellung der A 44 n bedingt war. Für die Stadt Jüchen bedeutete dies eine längere Belastung der Bevölkerung in den tagebaunahen Ortslagen sowie eine zeitliche und räumliche Einschränkung der städtischen Entwicklungsziele. Wasserwirtschaftlich ist die vollständige Verfüllung zwingend erforderlich, da ansonsten ein erhebliches Gefährdungspotenzial durch Kippenabströmungen besteht. Vor dem Hintergrund des früheren Kohleausstiegs ist eine möglichst zeitnahe Verfüllung des östlichen Restlochs nunmehr dringend erforderlich. Der Rhein-Kreis Neuss fordert daher die ordnungsgemäße und vollständige Verfüllung und Rekultivierung bis zum Jahr 2030 sicherzustellen.

 

2.   Sicherstellung der öffentlichen Wasserversorgung nach Beendigung des Tagebaus Garzweiler

Den Kreiswerken Grevenbroich obliegt die öffentliche Wasserversorgung in einem wesentlichen Teil des Gebiets, das durch den Braunkohletagebau Garzweiler wasserwirtschaftlich beeinflusst wird. Der Braunkohlenplan Garzweiler II von 1995 enthält umfangreiche Vorgaben zur Sicherstellung der öffentlichen Wasserversorgung. Insbesondere schreibt der Braunkohlenplan vor, dass der Bergbautreibende die beeinträchtigten Wasserversorger so zu stellen hat, als ob es eine Beeinträchtigung durch den Bergbautreibenden nicht gäbe.

Diese Vorgabe des Braunkohleplans wird innerhalb des Rahmenbetriebsplans nicht ausreichend umgesetzt. Die Kreiswerke haben daher gegenüber der Bezirksregierung Arnsberg als zuständiger Bergbehörde eine Ergänzung des Rahmenbetriebsplans Garzweiler I/II gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 Bundesberggesetz gefordert. Darüber hinaus haben die Kreiswerke die Bezirksregierung Arnsberg ersucht, im Rahmen eines solchen Verfahrens dafür Sorge zu tragen, dass RWE Power als Bergbautreibender umfassend und dauerhaft dazu verpflichtet wird, die öffentliche Wasserversorgung in Menge und Güte für die Dauer der bergbaulichen Auswirkung auf das Grundwasser zu gewährleisten und insbesondere die beeinträchtigten Wasserentnehmer so zu stellen, als ob es keine Beeinträchtigung gäbe. Dazu heißt es im Schreiben der Kreiswerke

„Durch den Rahmenbetriebsplan und die Ersatzwasserlieferungsverträge ist keine vollständige und dauerhafte Umsetzung der Vorgaben des Braunkohlenplans zur Sicherstellung der öffentlichen Wasserversorgung erfolgt. Erst recht sind die Kreiswerke Grevenbroich GmbH nicht so gestellt, wie sie ohne den Tagebau stünden; dies aus folgenden Gründen:

1.    Die (derzeitige) Sicherstellung des Wasserbedarfs der Kreiswerke durch Ersatzwasser des Bergbautreibenden, wie sie im Rahmenbetriebsplan vorgesehen ist, ist schon grundsätzlich nicht geeignet, uns als öffentlichen Wasserversorger so zu stellen, wie wir ohne den Bergbau stünden. Ohne den Bergbau hätten wir weiterhin die Möglichkeit, nach eigenen Vorstellungen Wassergewinnungsanlagen zu betreiben und unsere Kundinnen und Kunden ausschließlich mit Wasser aus diesen Anlagen zu beliefern.

Der Ort und die Art der Förderung sowie ggf. die Aufbereitung sind die entscheidenden Faktoren für die Qualität und den Preis von Trinkwasser. Die örtliche Gemeinschaft soll hierüber entscheiden können. Daher ist die öffentliche Trinkwasserversorgung als Teil des kommunalen Selbstverwaltungsrechts den Kommunen verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich zugeordnet (§ 50 Abs. 1 WHG, § 38 Abs. 1 LWG, Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 78 LV – hierzu ausführlich auch Reinhardt, in: Czychowski/Reinhardt, Wasserhaushaltsgesetz, 12. Aufl. 2019, § 50 Rn. 11 ff.). Uns, den Kommunen, die unsere Gesellschafter sind und deren Versorgungsauftrag wir wahrnehmen, und damit auch den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Versorgungsgebiet sind diese Gestaltungsmöglichkeiten zu einem nicht unerheblichen Teil dadurch genommen, dass wir in einem erheblichen Umfang mit fremd produziertem Ersatzwasser vorliebnehmen muss.

2.    Das Rohwasser, das durch die Wassergewinnungsanlagen des Wasserwerks Fürth gewonnen wird, wird nach heutiger Prognose in rd. zehn Jahren durch Sulfatabströme, die aus dem Kippkörper des Braunkohletagebaus aussickern, nicht mehr als solches brauchbar sein. Die RWE Power AG dürfte zwar in der Lage sein, den Wegfall dieses Ersatzwassers durch anderweitig gefördertes bzw. anfallendes Ersatzwasser zu kompensieren. Wir meinen jedoch, dass es weder mit dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht noch mit dem Braunkohlenplan in Einklang steht, uns in einem wesentlichen Umfang dauerhaft auf Ersatzwasser zu verweisen.“

Um die Vorgabe des Braunkohlenplans im Rahmenbetriebsplan ausreichend umzusetzen, schlagen die Kreiswerke Grevenbroich gegenüber der Bezirksregierung Arnsberg vor, die bestehenden Ersatzwasserlieferungen des Bergbautreibenden zumindest teilweise durch eigene Wassergewinnungsanlagen zu kompensieren. Dazu heißt es im Schreiben der Kreiswerke

„Es ist möglich, die Kreiswerke Grevenbroich GmbH hinsichtlich einer eigenständigen Grundwasserförderung in eine Position zu versetzen, die derjenigen, die ohne den Braunkohletagebau bestünde, nahekommt. Hierdurch ließe sich die öffentliche Wasserversorgung – soweit es die bergbaubedingten Rahmenbedingungen zulassen –in einem weitaus größeren Umfang als es bisher der Fall ist, dauerhaft und autonom sicherstellen.

Die aufgrund des Bergbaus weggefallenen Fördermöglichkeiten von 3,28 Mio. m³/a ließen sich zumindest zu einem wesentlichen Teil wie folgt kompensieren:

·         Einrichtung einer neuen Wassergewinnungsanlage im Korschenbroicher Feld, mögliches Fördervolumen 1 Mio. m³/a;

·         Erwerb der Wassergewinnungsanlage Chorbusch (Dormagen) von einem anderen Versorger; mögliches Fördervolumen 1,5 Mio. m³/a.

Vergleichbare anderweitige Optionen gibt es angesichts der durch den Bergbau äußerst beschränkten Rahmenbedingungen nicht. Die Verwirklichung dieser Optionen würde Kosten für Erwerb, Bauarbeiten, Planungsleistung (Studien und Gutachten zur Realisierbarkeit) sowie Verwaltungsverfahren (Wasserrechtsanträge, Verfahren zur Wasserschutzgebietsausweisung etc.) auslösen. Die RWE Power GmbH hat ihre Bereitschaft, freiwillig diese Kosten zu übernehmen verneint.“ Die Bezirksregierung Arnsberg hat den Kreiswerken Grevenbroich mitgeteilt, dass Sie das Anliegen einer Ergänzung des Rahmenbetriebsplanes ausführlich geprüft habe, diesem jedoch nicht stattgeben könne.

Die Vorgaben des Braunkohlenplans Garzweiler II seien – insbesondere durch Ersatzmaßnahmen, Ersatzwasser- und Sümpfungswasserlieferungen des Bergbautreibenden – umgesetzt und verweist auf verschiedene Nebenbestimmungen im Rahmenbetriebsplan.

Eine unvollständige oder mangelhafte Umsetzung der Vorgaben des Braunkohlenplans sei nicht erkennbar daher werde keine Veranlassung für eine Änderung des Rahmenbetriebsplanes gesehen.

 

Der Rhein-Kreis Neuss macht sich die oben dargestellte Bewertung der Kreiswerke Grevenbroich vollständig zu eigen und fordert die RWE Power GmbH, den Braunkohleausschuss und die Landesregierung auf, die Kreiswerke in dem oben dargestellten Sinne so zustellen, als ob es den Braunkohletagebau nicht gegeben hätte. 

 

           

3.   Rheinwasser

Die Leitentscheidung sieht die Nutzung von Rheinwasser für die Befüllung der Restseen von Garzweiler und Hambach vor. Die Restseebefüllung und das Infiltrationswasser bestehen nach Tagebauende aus Rheinwasser und dürfen nicht zu einer Gefährdung der öffentlichen Trinkwasserversorgung führen. Seitens der Kreiswerke Grevenbroich GmbH wurde bereits in der Vergangenheit die Sorge vorgebracht, dass durch die Restseebefüllung und die Einleitung von Infiltrationswasser mit Rheinwasser Stoffe (z. B. Arzneimittelwirkstoffe und Kontrastmittel) in das Grundwasser gelangen, die dessen Qualität negativ beeinflussen und die Wiedernutzung des Grundwassers für die öffentliche Trinkwasserversorgung durch die Kommunen gefährdet werden.

Es ist daher sicherzustellen, dass die Wasserqualität für die öffentliche Trinkwasserversorgung durch die vorgesehene Rheinwassernutzung nicht beeinträchtigt wird.