Sachverhalt:
Ergänzende Stellungnahme der Verwaltung
zum interfraktionellen Antrag vom 13.12.2021
Der anstehende Strukturwandel wird für die
Menschen, die Unternehmen und auch für die Kreise, Städte und Gemeinden des
Rheinischen Reviers zur größten Herausforderung der kommenden Jahrzehnte.
Insbesondere für den Tagebau Garzweiler und die auch im Rhein-Kreis Neuss
beheimateten Kraftwerke ergibt sich eine besondere Belastung durch die
erhebliche Verkürzung der ursprünglich vereinbarten und genehmigten Planungshorizonte.
Die aktuellen Überlegungen im Koalitionsvertrag
der neuen Bundesregierung, den Kohleausstieg „idealerweise“ bereits zum Jahr
2030 zu vollziehen, haben die Auswirkungen auf unsere Heimat nochmals
verschärft und führen nicht nur bei den Umsiedlerinnen und Umsiedlern sowie den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von RWE, deren Zulieferunternehmen und den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der energieintensiven Industrie ( z. B.
Ernährungswirtschaft, insbesondere in Neuss und Grevenbroich, Aluminiumwirtschaft,
insbesondere in Neuss und Grevenbroich, und der chemische Industrie,
insbesondere in Dormagen) zu großer Verunsicherung.
Die anstehenden Entscheidungen haben zudem auch
erheblichen Einfluss auf langfristige Planverfahren wie zum Beispiel die
Braunkohleplanung und dort insbesondere die Tagebau- und
Rekultivierungsplanung, die kommunale Mobilitäts- und Bauleitplanung, sowie die
Klimawandelvorsorgestrategien. Von besonderer Bedeutung sind zudem die
wasserwirtschaftlichen Auswirkungen eines vorgezogenen Ausstiegs aus er
Braunkohlegewinnung und –verstromung. Dies betrifft besonders die langfristige
Sicherung der Wasserversorgung, die Beschleunigung des Erftumbaus. Von
besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die langfristige Sicherung
des Feuchtgebiets Maas-Schwalm-Nette und die Tagebauseen Garzweiler, Hambach,
Inden einschließlich der zeitgerechte Realisierung der
Rheinwassertransportleitung mit einem ausreichend dimensionierten
Rheinwasserentnahmemanagement. Von diesen Planungen sind die
Entwicklungsperspektiven der Städte und Gemeinden unmittelbar betroffen. Allein
vor diesem Hintergrund müssen die ambitionierten Ziele kritisch hinterfragt und
auf Realisierbarkeit überprüft werden.
Der
Strukturwandel wird aus Sicht des Rhein-Kreises Neuss nur gelingen, wenn
Arbeitsplätze vor Ort in den direkt betroffenen Kommunen der Energiewirtschaft
und der energieintensiven Industrie
erhalten und neue, sozialversicherungspflichtige und tarifgebundene
geschaffen werden. Eine entsprechende Förderung muss zielgerichtet und
rechtzeitig erfolgen. Bei verändertem Zeithorizont ist hierbei eine
Neujustierung und Beschleunigung der Fördermodalitäten zwingend erforderlich.
Der Kreistag
des Rhein-Kreises Neuss fordert daher die politischen Entscheidungsträger zu
einer ergebnisoffenen Prüfung auf. Im Mittelpunkt der Betrachtung muss hierbei
neben dem Klimaschutz auch die sichere Versorgung der heimischen und
exportorientierten Industrie mit elektrischer Energie zu
weltmarktwettbewerbsfähigen Preisen stehen. Darüber hinaus müssen in einem
ersten Schritt belastbare Aussagen zu den geänderten Planungen erarbeitet
werden.
Der Bund
stellt für die Gestaltung des Strukturwandels in den Braunkohlereviere bis zu
45 Mrd. € bis 2038 zur Verfügung. Hiervon entfallen auf das Rheinische Revier
bis zu 15. Mrd. €. Anders als von den Revieren und den Tagebauländern gefordert
stellt der Bund diese Mittel über den normalen Bundeshaushalt und nicht als
Sondervermögen zur Verfügung. Bereits jetzt zeigt sich, dass dies die Gestaltung
des Strukturwandels wesentlich erschwert, als in den insbesondere im
Bundesprogramm STARK in 2021 nicht ausreichend Mittel zur Verfügung standen um
strukturwandelrelevante Projekte zu bewilligen. Durch die Umwandlung der Mittel
in ein Sondervermögen kann diese unnötige Erschwernis für eine stark in
Anspruch genommene Region vermieden werden. Der Rhein-Kreis Neuss fordert den
Bund daher dringlich auf, die Strukturwandelmittel im einen Sondervermögen und
ohne Tranchen bereitzustellen.
Aus Sicht des
Rhein-Kreises Neuss sind darüber hinaus folgende Punkte von besonderer
Bedeutung:
1. Verkippung
des Tagebaus Garzweiler I / Restloch Ost
In
den vergangenen Jahren unterlag die Verfüllung des östlichen Restlochs einer
stetigen Verzögerung, die insbesondere durch eine priorisierte Herstellung der
A 44 n bedingt war. Für die Stadt Jüchen bedeutete dies eine längere Belastung
der Bevölkerung in den tagebaunahen Ortslagen sowie eine zeitliche und
räumliche Einschränkung der städtischen Entwicklungsziele. Wasserwirtschaftlich
ist die vollständige Verfüllung zwingend erforderlich, da ansonsten ein
erhebliches Gefährdungspotenzial durch Kippenabströmungen besteht. Vor dem
Hintergrund des früheren Kohleausstiegs ist eine möglichst zeitnahe Verfüllung
des östlichen Restlochs nunmehr dringend erforderlich. Der Rhein-Kreis Neuss
fordert daher die ordnungsgemäße und vollständige Verfüllung und Rekultivierung
bis zum Jahr 2030 sicherzustellen.
2. Sicherstellung
der öffentlichen Wasserversorgung nach Beendigung des Tagebaus Garzweiler
Den Kreiswerken Grevenbroich obliegt
die öffentliche Wasserversorgung in einem wesentlichen Teil des Gebiets, das
durch den Braunkohletagebau Garzweiler wasserwirtschaftlich beeinflusst wird.
Der Braunkohlenplan Garzweiler II von 1995 enthält umfangreiche Vorgaben zur
Sicherstellung der öffentlichen Wasserversorgung. Insbesondere schreibt der
Braunkohlenplan vor, dass der Bergbautreibende die beeinträchtigten
Wasserversorger so zu stellen hat, als ob es eine Beeinträchtigung durch den
Bergbautreibenden nicht gäbe.
Diese Vorgabe des Braunkohleplans wird
innerhalb des Rahmenbetriebsplans nicht ausreichend umgesetzt. Die Kreiswerke
haben daher gegenüber der Bezirksregierung Arnsberg als zuständiger Bergbehörde
eine Ergänzung des Rahmenbetriebsplans Garzweiler I/II gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2
Bundesberggesetz gefordert. Darüber hinaus haben die Kreiswerke die
Bezirksregierung Arnsberg ersucht, im Rahmen eines solchen Verfahrens dafür
Sorge zu tragen, dass RWE Power als Bergbautreibender umfassend und dauerhaft dazu
verpflichtet wird, die öffentliche Wasserversorgung in Menge und Güte für die
Dauer der bergbaulichen Auswirkung auf das Grundwasser zu gewährleisten und
insbesondere die beeinträchtigten Wasserentnehmer so zu stellen, als ob es
keine Beeinträchtigung gäbe. Dazu heißt es im Schreiben der Kreiswerke
„Durch den
Rahmenbetriebsplan und die Ersatzwasserlieferungsverträge ist keine
vollständige und dauerhafte Umsetzung der Vorgaben des Braunkohlenplans zur
Sicherstellung der öffentlichen Wasserversorgung erfolgt. Erst recht sind die
Kreiswerke Grevenbroich GmbH nicht so gestellt, wie sie ohne den Tagebau
stünden; dies aus folgenden Gründen:
1.
Die (derzeitige) Sicherstellung des
Wasserbedarfs der Kreiswerke durch Ersatzwasser des Bergbautreibenden, wie sie
im Rahmenbetriebsplan vorgesehen ist, ist schon grundsätzlich nicht geeignet,
uns als öffentlichen Wasserversorger so zu stellen, wie wir ohne den Bergbau
stünden. Ohne den Bergbau hätten wir weiterhin die Möglichkeit, nach eigenen
Vorstellungen Wassergewinnungsanlagen zu betreiben und unsere Kundinnen und Kunden
ausschließlich mit Wasser aus diesen Anlagen zu beliefern.
Der
Ort und die Art der Förderung sowie ggf. die Aufbereitung sind die
entscheidenden Faktoren für die Qualität und den Preis von Trinkwasser. Die
örtliche Gemeinschaft soll hierüber entscheiden können. Daher ist die
öffentliche Trinkwasserversorgung als Teil des kommunalen
Selbstverwaltungsrechts den Kommunen verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich
zugeordnet (§ 50 Abs. 1 WHG, § 38 Abs. 1 LWG, Art. 28 Abs. 2 GG, Art.
78 LV – hierzu ausführlich auch Reinhardt, in: Czychowski/Reinhardt,
Wasserhaushaltsgesetz, 12. Aufl. 2019, § 50 Rn. 11 ff.). Uns, den
Kommunen, die unsere Gesellschafter sind und deren Versorgungsauftrag wir
wahrnehmen, und damit auch den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Versorgungsgebiet
sind diese Gestaltungsmöglichkeiten zu einem nicht unerheblichen Teil dadurch
genommen, dass wir in einem erheblichen Umfang mit fremd produziertem
Ersatzwasser vorliebnehmen muss.
2.
Das Rohwasser, das durch die
Wassergewinnungsanlagen des Wasserwerks Fürth gewonnen wird, wird nach heutiger
Prognose in rd. zehn Jahren durch Sulfatabströme, die aus dem Kippkörper des
Braunkohletagebaus aussickern, nicht mehr als solches brauchbar sein. Die RWE
Power AG dürfte zwar in der Lage sein, den Wegfall dieses Ersatzwassers durch
anderweitig gefördertes bzw. anfallendes Ersatzwasser zu kompensieren. Wir
meinen jedoch, dass es weder mit dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht noch mit
dem Braunkohlenplan in Einklang steht, uns in einem wesentlichen Umfang dauerhaft
auf Ersatzwasser zu verweisen.“
Um die Vorgabe des Braunkohlenplans im
Rahmenbetriebsplan ausreichend umzusetzen, schlagen die Kreiswerke Grevenbroich
gegenüber der Bezirksregierung Arnsberg vor, die bestehenden
Ersatzwasserlieferungen des Bergbautreibenden zumindest teilweise durch eigene
Wassergewinnungsanlagen zu kompensieren. Dazu heißt es im Schreiben der
Kreiswerke
„Es
ist möglich, die Kreiswerke Grevenbroich GmbH hinsichtlich einer eigenständigen
Grundwasserförderung in eine Position zu versetzen, die derjenigen, die ohne
den Braunkohletagebau bestünde, nahekommt. Hierdurch ließe sich die öffentliche
Wasserversorgung – soweit es die bergbaubedingten Rahmenbedingungen zulassen
–in einem weitaus größeren Umfang als es bisher der Fall ist, dauerhaft und
autonom sicherstellen.
Die
aufgrund des Bergbaus weggefallenen Fördermöglichkeiten von 3,28 Mio. m³/a
ließen sich zumindest zu einem wesentlichen Teil wie folgt kompensieren:
·
Einrichtung einer neuen Wassergewinnungsanlage
im Korschenbroicher Feld, mögliches Fördervolumen 1 Mio. m³/a;
·
Erwerb der Wassergewinnungsanlage Chorbusch
(Dormagen) von einem anderen Versorger; mögliches Fördervolumen 1,5 Mio. m³/a.
Vergleichbare anderweitige Optionen gibt es angesichts
der durch den Bergbau äußerst beschränkten Rahmenbedingungen nicht. Die
Verwirklichung dieser Optionen würde Kosten für Erwerb, Bauarbeiten,
Planungsleistung (Studien und Gutachten zur Realisierbarkeit) sowie
Verwaltungsverfahren (Wasserrechtsanträge, Verfahren zur
Wasserschutzgebietsausweisung etc.) auslösen. Die RWE Power GmbH hat ihre
Bereitschaft, freiwillig diese Kosten zu übernehmen verneint.“ Die Bezirksregierung Arnsberg hat den
Kreiswerken Grevenbroich mitgeteilt, dass Sie das Anliegen einer Ergänzung des
Rahmenbetriebsplanes ausführlich geprüft habe, diesem jedoch nicht stattgeben
könne.
Die Vorgaben des Braunkohlenplans
Garzweiler II seien – insbesondere durch Ersatzmaßnahmen, Ersatzwasser- und
Sümpfungswasserlieferungen des Bergbautreibenden – umgesetzt und verweist auf
verschiedene Nebenbestimmungen im Rahmenbetriebsplan.
Eine unvollständige oder mangelhafte
Umsetzung der Vorgaben des Braunkohlenplans sei nicht erkennbar daher werde
keine Veranlassung für eine Änderung des Rahmenbetriebsplanes gesehen.
Der
Rhein-Kreis Neuss macht sich die oben dargestellte Bewertung der Kreiswerke
Grevenbroich vollständig zu eigen und fordert die RWE Power GmbH, den
Braunkohleausschuss und die Landesregierung auf, die Kreiswerke in dem oben
dargestellten Sinne so zustellen, als ob es den Braunkohletagebau nicht gegeben
hätte.
3. Rheinwasser
Die Leitentscheidung sieht die Nutzung
von Rheinwasser für die Befüllung der Restseen von Garzweiler und Hambach vor.
Die Restseebefüllung und das Infiltrationswasser bestehen nach Tagebauende aus
Rheinwasser und dürfen nicht zu einer Gefährdung der öffentlichen
Trinkwasserversorgung führen. Seitens der Kreiswerke Grevenbroich GmbH wurde
bereits in der Vergangenheit die Sorge vorgebracht, dass durch die
Restseebefüllung und die Einleitung von Infiltrationswasser mit Rheinwasser
Stoffe (z. B. Arzneimittelwirkstoffe und Kontrastmittel) in das Grundwasser
gelangen, die dessen Qualität negativ beeinflussen und die Wiedernutzung des
Grundwassers für die öffentliche Trinkwasserversorgung durch die Kommunen
gefährdet werden.
Es ist daher sicherzustellen, dass die
Wasserqualität für die öffentliche Trinkwasserversorgung durch die vorgesehene
Rheinwassernutzung nicht beeinträchtigt wird.