Beschlussempfehlung:
1.
Der
Kreisjugendhilfeausschuss begrüßt das Bestreben der Jugendämter im Rhein-Kreis
Neuss zur Einrichtung einer gemeinsamen Fachstelle für die Verfahrenslotsen und
die Einbindung der Fachstelle in das Familienbüro des Jugendamtes des
Rhein-Kreises Neuss.
2.
Der
Kreisjugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung, eine öffentlich-rechtliche
Vereinbarung zu entwickeln und die entsprechenden Personalkosten einzuplanen.
Sachverhalt:
Das am 10.06.2021 in Kraft getretene Kinder- und
Jugendstärkungsgesetz (KJSG) hat die Grundlage für eine Zusammenführung aller
Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit einer Behinderung in
der Kinder- und Jugendhilfe geschaffen. Die bisherige Aufteilung zwischen dem
Träger der öffentlichen Jugendhilfe und dem Träger der Eingliederungshilfe soll
damit ab dem 01.01.2028 entfallen. Allerdings muss vorab für die nähere
Ausgestaltung der sog. „inklusiven Lösung“ noch ein Bundesgesetz verabschiedet
werden.
Auf dem Weg zu einer inklusiven Lösung sieht das
KJSG ein Stufenmodell vor:
Erste
Stufe ab dem 10.06.2021: Mit
der bereits am 10.06.2021 in Kraft getretenen ersten Stufe ist durch
verschiedene Änderungen im SGB VIII die inklusive Ausrichtung der Kinder- und
Jugendhilfe verankert und sind Schnittstellen zur Eingliederungshilfe im SGB IX
bereinigt worden.
Zweite
Stufe ab dem 01.01.2024: Mit
der zweiten Stufe werden ab 2024 in § 10b SGB VIII die Verfahrenslotsen
eingeführt, die zunächst bis zum 31.12.2027 befristet sind. Möglichweise
erfolgt eine Fortführung über das Jahre 2028 hinaus.
Dritte
Stufe ab dem 01.01.2028: Die
dritte und letzte Stufe des KJSG bildet die Gesamtzuständigkeit der Kinder- und
Jugendhilfe für alle junge Menschen; der Vorrang des SGB IX für junge Menschen
mit einer (drohenden) geistigen, körperlichen oder Sinnesbehinderung entfällt
(§ 10 Abs. 4 SGB VIII).
Die mit der zweiten Stufe 01.01.2024 neu
eingeführten Verfahrenslotsen haben
im Wesentlichen zwei Aufgaben: Zum einen unterstützen und begleiten sie junge
Menschen sowie deren Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigte
bei der Antragstellung, Verfolgung und Wahrnehmung von Leistungen der
Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII und dem SGB IX (§ 10b Abs. 1 SGB VIII).
Zum anderen unterstützen sie den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe
bei der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge
Menschen in dessen Zuständigkeit (§ 10b Abs. 2 SGB VIII).
Nach § 10b
Abs. 1 SGB VIII haben die Verfahrenslotsen somit folgende Aufgaben:
§ Sie
unterstützen und begleiten junge Menschen sowie deren Mütter, Väter,
Personensorge- und Erziehungsberechtigte bei der Antragsstellung, Verfolgung
und Wahrnehmung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII.
§ Sie
lotsen die Zielgruppe durch das gesamte Verfahren von Leistungen der
Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII und dem SGB IX.
§ Die
Verfahrenslotsen sollen die Leistungsberechtigten bei der Verwirklichung von
Ansprüchen auf Leistungen der Eingliederungshilfe unabhängig unterstützen sowie
auf die Inanspruchnahme von Rechten hinwirken.
§ Die
Aufgaben beziehen sich auf das gesamte Verfahren von der Antragsstellung bis
zur Beendigung.
§ Die
Verfahrenslotsen können auch während der gewährten Hilfe die Antragssteller
begleiten und weiterhin als Vertrauenspersonen fungieren.
§ Sie
können bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres in Anspruch genommen werden.
§ Im
gesamten Prozess haben die Verfahrenslotsen ausnahmslos eine beratende
Funktion.
Zu den wesentlichen Aufgaben der Verfahrenslotsen
nach § 10b Abs. 2 SGB VIII gehören:
§ Unterstützung
des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe bei der Zusammenführung der
Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen in dessen Zuständigkeit;
§ Halbjährliche
Berichterstattung gegenüber dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe,
insbesondere über Erfahrungen der strukturellen Zusammenarbeit mit anderen
Stellen und öffentlichen Einrichtungen sowie mit anderen Jugendhilfeträgern;
§ Zusammenarbeitsverpflichtung
mit anderen öffentlichen Einrichtungen, dem Schulsystem, anderen
Rehabilitationsträgern und sämtlichen Stellen der Eingliederungshilfe.
Insbesondere im Zusammenhang mit der
Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe können folgende Tätigkeiten
der Verfahrenslotsen erforderlich sein:
§ Anstreben
von Kooperationsvereinbarungen mit allen unterschiedlichen Akteuren;
§ Beschreibung
von Schnittstellen;
§ Beschreibung
von Geschäftsprozessen innerhalb der Ablauforganisation;
§ Informationsvermittlung
an die Mitarbeitenden des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe;
§ Beratung
von anderen Fachkräften zu strukturellen Fragen;
§ Entwurf
eines Organisationsentwicklungskonzeptes;
§ Initiierung
von Netzwerktreffen für die Eingliederungshilfe;
§ Einrichtung
von regionalen Arbeitsgemeinschaften nach § 25 Abs. 2 SGB IX;
§ Enge
Kooperation mit der Jugendhilfeplanung.
Für eine organisatorische
Zuordnung der Verfahrenslotsen sind folgend Kriterien maßgeblich:
§ Die
Verfahrenslotsen sind ein eigenständiges Beratungs- und Unterstützungsangebot
der örtlichen Jugendhilfe mit Fokus auf alle Eingliederungsleistungen junger
Menschen.
§ Die
Federführung liegt laut Gesetzesbegründung in der örtlichen Jugendhilfe; eine
Übertragung an Träger der freien Jugendhilfe scheidet daher aus.
§ Als
Organisationseinheit des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe fallen sie unter
die Regelungen des § 79 SGB VIII und müssen sowohl sachlich ausreichend als
auch personell bedarfsgerecht ausgestattet sein.
§ Es
muss eine organisatorische Unabhängigkeit von Verwaltungsverfahren der
Eingliederungshilfe bestehen.
§ Die
Beratungsarbeit erfolgt weisungsungebunden.
§ Die
Verfahrenslotsen haben im Gegenzug keine Weisungsbefugnis gegenüber den
fallführenden Fachkräften der Eingliederungshilfe.
§ Verbindliche
und strukturierte Kommunikationswege zu den Entscheidungsgremien und –ebenen
des örtlichen Trägers der Jugendhilfe müssen sichergestellt sein.
§ Die
Einrichtung einer gebietskörperschaftsübergreifenden Organisationseinheit mit
mehreren örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe ist möglich (69 Abs. 4
SGB VIII).
Ausgehend von der Möglichkeit einer gebietskörperschaftsübergreifenden
Organisationseinheit haben die Jugendämter im Rhein-Kreis Neuss einen
Arbeitskreis gegründet, der sich mit einer gemeinschaftlichen Einführung der
Verfahrenslotsen für das Kreisgebiet befasst. Konkret bedeutet dieses, dass
nicht jedes Jugendamt im Rhein-Kreis Neuss eigene Verfahrenslotsen mit dem
damit verbunden Organisations- und Kostenaufwand einstellt, sondern diese in
einen gemeinsamen Dienst für alle Jugendämter im Rhein-Kreis Neuss angesiedelt
werden.
In einem gemeinsamen Dienst oder einer Fachstelle
können die vielfältigen Aufgaben der Verfahrenslotsen hinsichtlich der
Erfahrungen und Kompetenzen, des Berichtwesens, der Netzwerkarbeit, der Öffentlichkeitsarbeit,
der Qualitätsentwicklung u. v. m. wesentlich effektiver, arbeitsteiliger und
qualifizierter erbracht werden. Auch unter dem Gesichtspunkt der Kosten ist
diese Variante günstiger als Einzellösungen. In anderen Bereichen, z. B. der Adoptionsvermittlungsstelle,
hat sich eine solche Kooperation der Jugendämter im Rhein-Kreis Neuss bereits
bewährt.
Die Eckpunkte
einer gemeinsamen Umsetzung sind:
1.
Die Verfahrenslotsen im Rhein-Kreis Neuss werden
zentral in einer gemeinsamen interkommunal agierenden Fachstelle angesiedelt.
2.
Die Fachstelle nimmt sowohl die Unterstützung und
Begleitung der jungen Menschen und deren Mütter, Väter, Personensorge- und
Erziehungsberechtigte war als auch die Unterstützung der Jugendämter bei der
Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen.
3.
Eine organisatorische Anbindung an die jeweiligen
Jugendämter muss für eine Anpassung der Organisationsstrukturen und Verfahren
in den Jugendämtern sichergestellt sein. Insbesondere eine Verzahnung mit der
Jugendhilfeplanung ist für Entwicklung von entsprechenden Angeboten bedeutsam.
4.
Eingerichtet und organisatorisch angebunden werden
kann die Fachstelle im Familienbüro des Jugendamtes des Rhein-Kreises Neuss.
Dieses ist für alle Kommunen im Rhein-Kreis Neuss zuständig, verfügt über ein
kreisweites Netzwerk, nimmt bereits eine Lotsenfunktion für Familien ein und
wird über die Kreisumlage finanziert.
5.
Für die Arbeit der Fachstelle soll aufgrund des
weit gesteckten Aufgabenfeldes und der verschiedenen Arbeitsschwerpunkte der
Verfahrenslotsen ein Team aus mehreren Fachrichtungen gegründet werden.
6.
Die personelle Ausstattung der Fachstelle soll
schrittweise erfolgen, da derzeit nicht abgeschätzt werden kann, wie hoch der
tatsächliche Bedarf an Unterstützung und Beratung für die Leistungsberechtigten
ist. In Abhängig von der Entwicklung muss die Möglichkeit einer zeitnahen
personellen Anpassung bestehen.
7.
Für den Start der Fachstelle sollte daher die
personelle Ausstattung zunächst drei Vollzeitäquivalenz umfassen, bestehend aus zwei VZÄ für
pädagogische Fachkräfte und eine VZÄ für Verwaltungskräfte.
8.
Die Aufteilung der Personal- und Sachkosten auf
die Jugendämter erfolgt nach der Anzahl der Einwohner pro Kommune.
9.
Eine aus den Jugendämtern bestehende Steuergruppe
nimmt konzeptionelle und koordinierende Aufgaben wahr, die im Zusammenhang mit
der Tätigkeit der Fachstelle stehen. Die Steuergruppe evaluiert auch die Arbeit
der Fachstelle im Hinblick auf die personelle Ausstattung und macht
entsprechende Vorschläge.
10.
Grundlage für die Einrichtung einer gemeinsamen
Fachstelle für die Verfahrenslotsen ist eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung
mit den Jugendämtern im Rhein-Kreis Neuss und darauf aufbauend ggf. eine
Geschäftsordnung für die Arbeit der Fachstelle.
Eine
überschlägige Berechnung der anteiligen
Kosten mit einer möglichen Eingruppierung nach S12/E9a oder S14/E9b und
einer prozentualen Verteilung auf die Jugendämter im Rhein-Kreis Neuss ergibt
für das Jugendamt des Rhein-Kreises Neuss bei drei VZÄ jährliche Personalkosten
in Höhe von ca. 44.000 €. Noch nicht eingerechnet sind die zusätzlichen
Verwaltungskosten für das Familienbüro.