Betreff
Anfrage der Kreistagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Trinkwasserversorgung im Rhein-Kreis Neuss
Vorlage
68/3288/XVII/2023
Art
Tischvorlage

Sachverhalt:

 

Die Kreistagsfraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben mit Datum vom 07.08.2023 die in der Sitzung des Ausschusses für Strukturwandel und Arbeit am 10.08.2023 behandelte Anfrage zur Trinkwasserversorgung im Rhein-Kreis Neuss vorgelegt. In dem Protokoll über die Ausschusssitzung wurde, festgehalten, dass die Beantwortung der Anfrage zur nächsten Sitzung am 20.11.2023 erfolgt.

Die Prozesse sowohl innerhalb der Arbeitsgremien zum Monitoring der Tagebaue als auch in zahlreichen anderen Gremien sind ständig im Fluss. Aus diesem Grunde sollen die  Kreistagsmitglieder zeitnah möglichst aktuelle Informationen zu Entwicklungen und Auswirkungen des Braunkohltagebaus auf die Wasserwirtschaft zu erhalten. Entsprechend der Bitte des Ausschusses für Strukturwandel und Arbeit stellt die Verwaltung nunmehr für die Sitzung des Kreisausschusses am 20.09.2023 eine Tischvorlage zur Verfügung.

 

Vorbemerkung:

Im Oktober 2022 haben der Bund, das Land NRW und die RWE AG vor dem Hintergrund der Klimakrise eine Eckpunktevereinbarung über einen Kohlenausstieg bis zum Jahr 2030 getroffen. Bereits durch den beschleunigten Braunkohleausstieg bis zum Jahr 2038 mussten jegliche Planungen und deren Umsetzung vorgezogen werden. In Anbetracht des noch früheren Kohleausstieges im Jahr 2030 ist der Zeit- und damit in Verbindung stehende Handlungsdruck noch größer geworden, um auftretende Grundwasserbelastungen durch versauerungsfähige, pyrithaltige Kippen oder  die notwendige Rheinwassernutzung vorzubeugen

Damit eine nachhaltige und zukunftsorientierte Wasserwirtschaft vor dem Hintergrund des kurzfristigen Braunkohleausstieges gewährleistet werden kann, widmen sich die Planenden derzeit einer Vielzahl von Fragestellungen rund um den Einflussbereich des Tagebaus Garzweiler. Da es unstrittig ist, die fehlenden Sümpfungsmengen perspektivisch durch Rheinwasser zu ersetzen, wird derzeit auch am weiteren Verständnis der auftretenden Kippenabströme und an dem Ziel gearbeitet, mit welchen Methoden die schutzgutverträgliche Nutzung des Rheinwassers in der gesamten Region sichergestellt werden kann.

In die nachfolgende Beantwortung der Fragen hat die Untere Wasserbehörde den Erftverband und die Kreiswerke Grevenbroich GmbH eingebunden.

1. Welche zusätzlichen Maßnahmen zu den bekannten Maßnahmen gegen die Kippenversauerung werden getroffen, um den Kippenabstrom in die angrenzenden Grundwasserkörper zu verhindern?

Maßnahmen gegen eine Kippenversauerung wurden frühzeitig berücksichtigt. Neben den bekannten Maßnahmen, den sogenannten A1, A2 und A6 Maßnahmen werden keine zusätzlichen Maßnahmen vorgenommen. Die bekannten Maßnahmen sind:

A1 Maßnahme:
Versauerungsfähiger, pyrithaltiger Abraum wird an der Kippenbasis und
nicht versauerungsfähiger, pyritarmer Abraum wird im oberen Kippenbereich eingelagert, um die Bildung von Sulfat aus dem oxidierbaren Pyrit vorzubeugen.

A2 Maßnahme:
Oberflächennahe Abraumhalden werden gezielt in pyritarme Bereiche gelegt.

A6 Maßnahme:
Es erfolgt eine gezielte Zugabe von säurepufferndem Kalk in den pyrithaltigen Abraum.

Der Sulfatabstrom in die angrenzenden Grundwasserleiter ist nicht zu verhindern, wird jedoch über ein Grundwassermessstelllennetz überwacht. Es wird darauf hingewiesen, dass im Grundwasserabstrom der Kippe ein Sulfatabstrom noch nicht messbar ist. Dies wird sich voraussichtlich erst mit Beginn der Seebefüllung ändern. 

     

2. Welche Maßnahmen werden getroffen, um das über die RWTL eingepumpte Rheinwasser vorzuklären? Soll es vier Klärungsstufen geben?

Bei der Entnahme aus dem Rhein soll – neben der Abschirmung größerer, im Rhein transportierter Gegenstände durch einen Grobrechen – ebenfalls eine Siebung über einen Passiv-Rechen zur Verhinderung eines Eindringens von im Rhein vorkommenden invasiven Fischarten sowie von „höheren“ Pflanzen (Makrophyten) und größeren adulten Invertebraten (wirbellose Tiere) erfolgen.

Finden Grundwasseranreicherungsmaßnahmen über Infiltrationsanlagen wie zum Beispiel Infiltrationsbrunnen statt oder es erfolgen Direkteinleitungen in oberirdische Gewässer zur Sicherung des Abflusses, wird das Rheinwasser mindestens vorher in den Ökowasserwerken Jüchen und Wanlo durch eine Belüftung und Kiesfiltration aufbereitet. Dieser Aufbereitungsprozess erfolgt heute bereits beim Einsatz von Sümpfungswasser.

Zusätzlich wird eine Strategie zur Sicherung und größtmöglichen Vermeidung von Spurenstoffen an Wassergewinnungsanlagen durch den Erftverband erarbeitet (Spurenstoffvermeidungsstrategie). Dafür wurde bereits im Vorfeld berechnet, wie viel Infiltrationswasser (Rheinwasser) an den jeweiligen Gewinnungsstandorten ankommt (Verdünnungsprozesse) und welche Standorte signifikant betroffen sein können. Derzeit werden für die betroffenen Standorte in Zusammenarbeit mit den Wasserwerksbetreibern Optionen geprüft, wie die Sicherstellung einer guten Wasserqualität gelingt. Ob Reinigungskomponenten aus der Abwasseraufbereitungstechnik, die während der sogenannten vierten Klärungsstufe eingesetzt werden (z.B. Ozonierung, UV-Bestrahlung oder Aktivkohle), zum Tragen kommen, ist Diskussionsgegenstand in Fachkreisen.

 

3. Welche Grundwasserköper sind in welchen Grundwasserstockwerken nach Beendigung der Sümpfungsmaßnahmen und der Befüllung von Garzweiler II von mutmaßlichen Verunreinigungen betroffen?

Nach jetzigem Kenntnisstand ist weder hinsichtlich der resultierenden Kippenabströme, noch des mit Spurenstoffen belasteten Rheinwassers eine konkrete Antwort auf die Frage möglich. Sicher ist jedoch, dass alle Grundwasserkörper und alle Grundwasserstockwerke (GWK 247_03, GWK 286_08, GWK 27_18, GWK 286_07, GWK 274_02 bzw. das oberste Grundwasserstockwerk sowie der Horizont 6B (z.B. bei Gierath und Odenkirchen), die im Kontakt mit dem Rheinwasser stehen werden oder in die ein Kippenabstrom erfolgen wird, letztendlich einer Beeinflussung unterliegen werden. Die Größenordnung der Beeinflussung ist derzeit jedoch nicht quantifizierbar. Die Ausfällung von Eisenmineralen in den Abraum-kippen führt zu einer signifikanten Verminderung der organischen Spurenstoffe aus dem Rheinwasser.
Für weitere Informationen wird auf das bestehende 
Hintergrundpapier Braunkohle (nrw.de) des MULNV (heute MUNV) vom 09.02.2022 verwiesen, in dem der aktuelle Wissensstand dargelegt ist.

4. Welche Stoffeinträge abgesehen von Sulfaten werden noch in die Grundwasserkörper erwartet?

Hinsichtlich des Kippenabstroms können neben Sulfat weiterhin Säure und Schwermetalle (insbesondere Eisen und untergeordnet Nickel, Kobalt, Zink und Arsen) erwartet werden. Zudem kommt es in Kippen, in denen Braunkohlereste vorzufinden sind, partiell zur Bildung von Ammonium. Darüber hinaus steigt auch die Härte des Wassers durch erhöhte Calcium- und Magnesiumkonzentrationen an.

Die Belastung mit Schwermetallen, Ammonium-Stickstoff und Eisen sowie die Versauerung bleiben im Wesentlichen auf die Kippe selbst bzw. den unmittelbaren Kippenausstrombereich begrenzt. Lediglich das Sulfat, als in der Untergrundpassage nicht rückhaltbarer Stoff, führt voraussichtlich ab dem Zeitpunkt der Seebefüllung auch im weiteren Grundwasserabstrombereich der Abraumkippen zu einer erhöhten Sulfatbelastung und damit auch dort zu einer negativen Veränderung der Grundwasserqualität. Die Belastung durch Sulfat wird ab Bergbauende jedoch in Folge der sukzessiv geringer werdenden Verfügbarkeit von Sauerstoff im Untergrund, sich auf die vorbergbaulichen Verhältnisse zurückentwickeln. Der genaue Zeitpunkt, wann keine Belastung mehr von abströmendem Sulfat zu erwarten ist, ist noch nicht bekannt.

Hinsichtlich des Rheinwassers werden Sulfat und Chlorid mit circa 50 mg/l sowie Nitrat mit circa 10 mg/l voraussichtlich nicht problematisch sein. Die initial im Rheinwasser enthaltenen Spurenstoffe sind abhängig von den im Oberlauf kurzfristig erfolgten Einleitungen und somit temporär.

Die derzeit im Rhein enthaltenen Stoffe und deren Abbauprodukte (Metabolite) setzen sich nach dem öffentlich zugänglichen Rheinwassergüteberichtes vom 08.11.2022 insbesondere aus den folgenden Stoffen zusammen:

  • Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS)
  • Arzneimittelwirkstoffe (u. a. Schmerzmittel, Antibiotika, Antiepileptika, Betablocker)
  • Röntgenkontrastmittel (RKM)
  • Pflanzenbehandlungs- und Schädlingsbekämpfungsmittel
  • Leichtflüchtige Halogenierte Kohlenwasserstoffe (LHKW)
  • Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK)
  • Künstliche Süßstoffe

5. Wird die Trinkwasserversorgung in Mönchengladbach und Korschenbroich auch in Mitleidenschaft gezogen?

Einige Jahre nach Bergbauende und dem Beginn der Seefüllung ist ein Zustrom sulfatreichen Grundwassers zum Wasserwerk Fürth zu erwarten, nach heutigem Kenntnisstand frühestens um 2035 bis 2040. Um die entfallenden Wassermengen zu kompensieren, bestehen verschiedene Optionen wie z.B. die Ausschöpfung der Wasserrechte im Korschenbroicher Feld oder die Erschließung einer Trinkwasserferntrasse über die WVN (Wasserverbund Niederrhein GmbH in Moers), die sich derzeit im Verhandlungs- bzw. Prüfprozess befinden.

Mehrere Gewinnungsstandorte der NEW NiederrheinWasser GmbH sind darüber hinaus von einem Infiltrationswasserzustrom (der aktuell aus Sümpfungswasser besteht) betroffen, was heute in der Regel zu einer deutlichen Verbesserung der Wasserqualität führt, aber zukünftig unter dem Aspekt der Spurenstoffeinträge zu betrachten sein wird (vgl. hierzu auch Antwort zu Frage 2).

6. Welche Auswirkungen haben die Verunreinigungen langfristig für die Oberflächengewässer?

Es kann grundsätzlich festgestellt werden, dass eine Verunreinigung von Oberflächengewässern mit bergbaubedingten stofflichen Belastungen des Grundwassers aus der Kippe (vorrangig mit dem sich konservativ verhaltenden Stoff Sulfat) ausschließlich für solche Gewässer Relevanz erlangen wird, die nach dem Wiederanstieg des Grundwassers mit diesem in Kontakt stehen werden. Der Anteil am Abflussgeschehen, z.B. der Erft, wird allerdings als so gering erachtet, dass keine größeren Veränderungen in der Wasserqualität zu erwarten sind. Ein relevanter Kippenwassereinstrom in die oberirdischen Fließgewässer findet nicht auf direktem Wege statt.

Der Tagebausee Garzweiler wird nach seiner vollständigen Füllung die Quelle der Niers darstellen, so dass die Seewasserqualität zunächst die Nierswasserqualität bestimmen wird. Nach Abschluss des Füllprozesses wird der See zunehmend vom Grundwasser angeströmt und seine Zusammensetzung dementsprechend ändern.

Der Prozess, in dem geprüft wird, welche Oberflächengewässer im Rhein-Kreis Neuss nach Reduzierung bzw. Beendigung der Sümpfungsmaßnahmen und der Einstellung des Kraftwerkbetriebs zukünftig Rheinwasser zwecks Stützung des Abflusses erhalten, ist noch nicht abgeschlossen.  Aus diesem Grunde können derzeit keine belastbaren Aussagen über Auswirkungen von Rheinwasser auf die Oberflächengewässer im Kreisgebiet getroffen werden.

Schlussbemerkung:
Der dargelegte, aktuelle Kenntnisstand ist aus heutiger Sicht etwa 7 Jahre vor Fertigstellung der Rheinwasserleitung und circa 12 Jahre vor Beginn der Seebefüllung des Tagebaus Garzweiler verfasst worden. Es ist somit zu vermuten, dass sich sowohl die Wasserqualität des Rheins als auch die Bewertungsgrundlagen in den nächsten Jahren ändern können. Perspektivisch neu vorliegende Bewertungsgrundlagen sollen stets berücksichtigt werden. Eine Konkretisierung mit einer vollständigen Detailprüfung wird Gegenstand der Einleiterlaubnis und der zugehörigen Genehmigungsverfahren sein (vgl. Zusammenfassung Rheinwassergütebericht für die Wasserverwendung im Rheinischen Revier v. 08.11.2022). Hierfür werden im Vorfeld die Grundlagen innerhalb der Arbeitsgruppen des Garzweiler II Monitorings erarbeitet.