Beschlussempfehlung:
Der Ausschuss für Soziales und Wohnen empfiehlt dem Kreistag gemäß § 7 Abs. 6 APG NRW die Verbindliche Pflegebedarfsplanung für das Jahr 2024 zu beschließen.
Sachverhalt:
Gemäß § 7 Abs. 6 des Alten- und Pflegegesetzes NRW ist die „Verbindliche Bedarfsplanung“ jährlich durch Beschluss der Vertretungskörperschaft festzustellen und öffentlich bekannt zu machen. Seit 2019 wird die „Verbindliche Bedarfsplanung“ „kommunenscharf“, also unter Betrachtung der einzelnen kreisangehörigen Kommunen bzw. von Sozialräumen innerhalb des Kreisgebietes vorgenommen.
Im Hinblick auf die gesetzliche Vorgabe der „jährlichen Beschlussfassung“ muss sichergestellt werden, dass das gesamte Jahr 2025 mit einer Verbindlichen Bedarfsplanung auf Basis eines entsprechenden Beschlusses abgedeckt wird, damit keine zeitliche Lücke entsteht, in denen Neubauvorhaben ohne Bedarfsbestätigung der Kreisverwaltung auf den Weg gebracht werden könnten. Mit dem nunmehr vorliegenden Beschlussvorschlag wird dies sichergestellt.
Die verbindliche Bedarfsplanung für das Jahr 2025 erfolgt auf Basis folgender Daten:
· Pflegestatistik von IT.NRW (Stand 31.12.2021, veröffentlicht 31.10.2022)
- Prognosedaten der ALP-Institut für Stadtentwicklung GmbH
- Daten der WTG-Behörde über derzeit insgesamt vorhandene Pflegeplätze (Stand 01.11.2024)
- Daten der WTG-Behörde über nicht belegte Pflegeplätze im Kreisgebiet (Stand 15.08.2024)
1. Darstellung
der Grundlagen
1.1. Bedarfsplanung im
Rhein-Kreis Neuss auf Grundlage des APG NRW seit 2014
Im Oktober 2014 ist das Gesetz zur Entwicklung und Stärkung einer demographiefesten, teilhabeorientierten Infrastruktur und zur Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Wohn- und Betreuungsangeboten für ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen (GEPA NRW) in Kraft getreten. Dieses Gesetz besteht aus dem Alten- und Pflegegesetz NRW (APG NRW) sowie dem Wohn- und Teilhabegesetz (WTG).
Mit Inkrafttreten des durch das APG NRW novellierten Landespflegerechtes haben die Kreise und kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen das Instrument der Pflegebedarfsplanung zurückerhalten. In der Sitzung des Kreistages am 16.12.2014 hat der Rhein-Kreis Neuss mit dem einstimmigen Beschluss für eine „Verbindliche Bedarfsplanung“ diese Möglichkeit schnell aufgegriffen, um einem weiteren unkontrollierten Wachstum des Angebotes im Bereich der vollstationären Pflegeeinrichtungen Einhalt zu gebieten. Seitdem wird die Verbindliche Bedarfsplanung jährlich vorgenommen.
1.2. Rechtsgrundlagen für die
„Verbindliche Bedarfsplanung“
Gemäß § 7 Abs. 1 des Alten- und Pflegegesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (APG NRW) haben die Kreise und kreisfreien Städte eine „Örtliche Planung“ zu erstellen. Nach § 7 Abs. 6 APG NRW besteht die Option, die „Örtliche Planung“ zur Grundlage einer verbindlichen Entscheidung über eine bedarfsgerechte Förderung zusätzlicher teil- oder vollstationärer Pflegeeinrichtungen nach dem APG zu machen. Die „Örtliche Planung“ soll in diesem Jahr planmäßig fortgeschrieben und im Kreistag am 11.12.2024 beschlossen werden.
Der Bau von neuen Pflegeeinrichtungen wird durch die Verbindliche Pflegebedarfsplanung nicht vollständig durch den Rhein-Kreis Neuss unterbunden. Allerdings hat eine ohne Bedarfsbestätigung errichtete Einrichtung keinen Anspruch auf Zahlung von Investitionskosten nach den Vorschriften des APG NRW gegenüber den Trägern der Sozialhilfe.
Die „Verbindliche Bedarfsplanung“ muss zukunftsorientiert einen Zeitraum von drei Jahren ab der Beschlussfassung umfassen und anhand nachvollziehbarer Parameter darstellen, ob das Angebot an vollstationären Pflegeeinrichtungen den örtlichen Bedarf abdeckt oder in welcher Höhe zur Bedarfsdeckung zusätzliche Kapazitäten erforderlich sind. Die Aussagen können auf verschiedene Sozialräume innerhalb eines Kreises bezogen sein. Eine Bedarfsdeckung kann angenommen werden, wenn einer zu erwartenden Nachfrage nach den jeweiligen Pflege- und Betreuungsangeboten ein mindestens deckungsgleiches Angebot gegenübersteht und auch Wahlmöglichkeiten in angemessenem Umfang gesichert sind.
Sofern die „Verbindliche Bedarfsplanung“ einen Bedarf ausweist, ist zwingend gemäß § 27 der Durchführungsverordnung zum Alten- und Pflegegesetz NRW (APG DVO) innerhalb eines Monats nach dem Beschluss der Vertretungskörperschaft eine Bedarfsausschreibung zu veröffentlichen. Trägerinnen und Träger (also nicht Investoren oder Bauträger), die Interesse an der Schaffung neuer zusätzlicher Plätze haben, zeigen dieses Interesse unter Vorlage einer Konzeption zur Schaffung der neuen Plätze innerhalb einer in der Veröffentlichung festgelegten Frist von mindestens zwei und maximal sechs Monaten dem örtlichen Träger der Sozialhilfe an. Die weiteren Absätze des § 27 APG DVO regeln zahlreiche weitere Details dieses komplexen Ausschreibungsverfahrens.
1.3 Gewähltes Szenario für
die verbindliche Bedarfsplanung im Rhein-Kreis Neuss
Wie bereits im Jahr 2017 wurde die „ALP Institut für Wohnen und Stadtentwicklung GmbH“ auch im Jahr 2023 mit der Erstellung eines Gutachtens zur Örtlichen Planung beauftragt. Im Rahmen dieses Gutachtens wurde auch ein Berechnungs-Tool zur Ermittlung des Bedarfs an vollstationären Pflegeplätzen entwickelt, um die jährliche „Verbindliche Bedarfsplanung“ auf Basis nachvollziehbarer Parameter durchführen zu können.
Zur Ermittlung des Bedarfs an vollstationären Pflegeplätzen kann zwischen den folgenden vier Szenarien gewählt werden:
· Basisszenario (Status Quo)
· Ambulantisierung
· Mixed-Szenario aus Basis und Ambulantisierung
· Professionalisierung
Auf Empfehlung des ALP-Institutes hat sich die Kreisverwaltung in der Vergangenheit für das Mixed-Szenario entschieden. Nach gemeinsamer Erörterung in der Kommission Silberner Plan in der Sitzung 11/2023 und erneuter Analyse der von ALP aufbereiteten Daten kommt die Kreisverwaltung seit dem vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, das Basisszenario als Grundlage für die kommende Bedarfsplanung zu nutzen, da auch in diesem Szenario den von der Kreisverwaltung gewünschten Entwicklungen Rechnung getragen wird.
Im Vergleich der Basisszenarien von 2017 und 2023 war bereits erkennbar, dass zwar weiterhin ein deutlicher Ausbau der vollstationären Kapazitäten im Kreisgebiet erforderlich ist, allerdings nicht mehr in dem 2017 noch angenommenen Umfang. Diese leicht rückläufige Tendenz war auch schon in den vergangenen Jahren erkennbar und wurde von der Kreisverwaltung bereits in den vergangenen Beschlussvorlagen immer wieder herausgestellt.
Gründe für diese Entwicklung sind u. a.
- die Berechnung des jeweiligen Bedarfs anhand der jeweils aktuelleren Pflegestatistiken von IT.NRW (wodurch es allerdings lediglich zu marginalen Veränderungen kommt),
- der Ausbau der teilstationären und ambulanten Versorgungsstrukturen im Kreisgebiet,
- aber vor allem die Regelungen der Pflegestärkungsgesetze aus den Jahren 2015-2017, deren Einfluss seit Inkrafttreten erst jetzt richtig deutlich wird.
Dies hat zu einer erhöhten Inanspruchnahme ambulanter Pflegeleistungen bzw. des Pflegegeldes geführt.
Da ALP bei den Berechnungen jeweils die aktuellsten Pflegequoten zugrunde gelegt hat, kommt es ebenfalls zu Veränderungen der prognostizierten Inanspruchnahme stationärer Pflegeplätze.
Wie bereits im Vorjahr ausgeführt, hat sich an den absoluten Zahlen prognostizierter pflegebedürftiger Personen für das Jahr 2030 im Zeitraum von 2017-2024 nur wenig geändert, allerdings an der prognostizierten relativen Verteilung bei der Inanspruchnahme ambulanter und vollstationärer Angebote sowie des Pflegegeldes.
Die einzelnen Szenarien wurden bereits im Rahmen der Vorstellung des Gutachtens zur Örtlichen Planung umfassend dargestellt. Daher wird an dieser Stelle darauf verzichtet.
Wie bereits im vergangenen Jahr wird in diesem Jahr das Basis-Szenario für die Bedarfsplanung zugrunde gelegt.
Die Entwicklung des Bedarfs wird daher anhand dieses Szenarios dargestellt.
Unabhängig vom gewählten Szenario ist aber maßgeblich, dass auch die personellen Ressourcen vorhanden sind, um diesen Bedarf auf einem pflegerisch angemessenen Niveau bedienen zu können.
1.4. Prognosedaten für den Rhein-Kreis und die kreisangehörigen
Kommunen
Für die einzelnen Kommunen ergibt sich in der Prognose folgendes Bild (Erläuterung: Negative Zahlen weisen einen Bedarf an Plätzen aus, positive Zahlen einen Platzüberhang):
Stationäre
Pflegeplätze |
2025 |
2026 |
2027 |
2030 |
2040 |
|
Dormagen |
548 |
-86 |
-99 |
-105 |
-138 |
-181 |
Grevenbroich |
692 |
+111 |
+95 |
+87 |
+49 |
-23 |
Jüchen |
191 |
-26 |
-34 |
-37 |
-55 |
-92 |
Kaarst |
366 |
-124 |
-137 |
-146 |
-168 |
-165 |
Korschenbroich |
321 |
-8 |
-21 |
-26 |
-54 |
-109 |
Meerbusch |
554 |
-47 |
-58 |
-67 |
-90 |
-98 |
Neuss |
1.225 |
-113 |
-141 |
-163 |
-215 |
-299 |
Rommerskirchen |
160 |
+35 |
+31 |
+27 |
+17 |
-12 |
Rhein-Kreis
Neuss |
4.057 |
-258 |
-364 |
-430 |
-655 |
-980 |
Tabelle 1:
Aktuelle Prognose anhand des Basisszenarios auf Basis der Daten von ALP und
IT.NRW
Kommune |
Stationäre Pflegeplätze |
2025 |
2026 |
2027 |
2030 |
2040 |
Dormagen |
548 + 40 |
-46 |
-59 |
-65 |
-98 |
-141 |
Grevenbroich |
692 |
+111 |
+95 |
+87 |
+49 |
-23 |
Jüchen |
191 |
-26 |
-34 |
-37 |
-55 |
-92 |
Kaarst |
366 |
-124 |
-137 |
-146 |
-168 |
-165 |
Korschenbroich |
321 |
-8 |
-21 |
-26 |
-54 |
-109 |
Meerbusch |
554 |
-47 |
-58 |
-67 |
-90 |
-98 |
Neuss |
1.225 + 120 |
+7 |
-21 |
-43 |
-95 |
-179 |
Rommerskirchen |
160 |
+35 |
+31 |
+27 |
+17 |
-12 |
Rhein-Kreis Neuss |
4.057 + 160 |
-98 |
-204 |
-270 |
-495 |
-820 |
Tabelle 2:
Bereinigte Prognosedaten anhand des Basisszenarios
In Tabelle 2 sind die bereits zur Bedarfsdeckung ausgeschriebenen und vergebenen Plätze aus den vergangenen Jahren für die Städte Neuss (120 Plätze in Planung) sowie Dormagen (40 Plätze in Planung) berücksichtigt worden.
Interessant ist, dass der Bedarf in Kaarst aufgrund der dortigen Altersstruktur bis zum Jahr 2040 bereits wieder leicht abnimmt und auch in Meerbusch nur noch leicht zunimmt (Siehe Tabellen 1 und 2).
1.5. Betrachtung der tatsächlichen Situation auf
dem Pflegemarkt im Rhein-Kreis Neuss
Die Kreisverwaltung erhebt von den stationären Pflegeeinrichtungen auf freiwilliger Basis einmal pro Quartal Daten zur tatsächlichen Belegung der Heimplätze.
Stichtag |
nicht
belegte Pflegeplätze im Kreisgebiet |
15.08.2021 |
217 |
15.11.2021 |
234 |
15.02.2022 |
228 |
15.05.2022 |
242 |
15.08.2022 |
234 |
15.11.2022 |
258 |
15.02.2023 |
220 |
15.05.2023 |
246 |
15.08.2023 |
250 |
15.11.2023 |
247 |
15.02.2024 |
244 |
15.05.2024 |
249 |
15.08.2024 |
248 |
Tabelle 3:
freie Pflegeplätze im Rhein-Kreis Neuss (Stand 15.08.2024)
Die kommunale Verteilung dieser freien Kapazitäten am letzten erhobenen Stichtag stellte sich wie folgt dar:
Kommune |
nicht
belegte Pflegeplätze am 15.08.2024 |
Dormagen |
13 |
Grevenbroich |
40 |
Rommerskirchen |
2 |
Jüchen |
3 |
Kaarst |
27 |
Korschenbroich |
24 |
Meerbusch |
123 |
Neuss |
17 |
Gesamt |
248 |
Tabelle 4: freie Kapazitäten am
15.08.2024 in den Kommunen
Schon auf den ersten Blick besteht zwischen dem ermittelten Bedarf und den tatsächlich leerstehenden Pflegeplätzen ein Widerspruch. Dies belegt ein Auseinanderfallen der Prognosedaten mit der tatsächlichen Situation.
Der größte Teil des
dargestellten Leerstandes ist darauf zurückzuführen, dass die
Pflegeheimbetreiber auf dem Arbeitsmarkt nicht das notwendige Pflegepersonal
generieren können. Sowohl freiwillige Aufnahmeverzichte der Betreiber als auch
in Einzelfällen Auflagen durch den Rhein-Kreis Neuss als WTG-Behörde sind die
Folge. Baulich vorhandene Plätze stehen
damit de facto am Markt nicht zur Verfügung und tragen somit auch nicht zur
Bedarfsdeckung bei.
In Bezug auf die Schaffung
neuer „Kapazitäten“ von Pflegeeinrichtungen ist dieser Aspekt von größter
Bedeutung. Es stünden mehr als drei komplette Pflegeeinrichtungen á 80 Plätzen
sofort zur Verfügung und die entsprechenden Plätze könnten unverzüglich zur
Deckung des Bedarfs eingesetzt werden, sofern ausreichendes Personal zur
Verfügung stünde. Somit ist nicht
lediglich die Schaffung weiterer Gebäude der Schlüssel für eine bedarfsgerechte
Angebotsstruktur, sondern die gleichzeitige Rekrutierung von Pflegekräften.
Bei der Bewertung eines prospektiven Bedarfs durch den Rhein-Kreis
Neuss muss daher der Faktor „Personalressource“ zwingend berücksichtigt werden,
um nicht erneut eine Fehlentwicklung mit mittel- und langfristigen Folgen
zuzulassen.
Die abrupte Zunahme von Pflegeeinrichtungen zwischen 2011-2016 führte zu einem Auseinanderfallen der Personalstrukturen in den bestehenden Einrichtungen. Die Qualität der pflegerischen Versorgung hatte sich flächendeckend spürbar reduziert, berechtigte Beschwerden bei der WTG-Behörde waren über mehrere Jahre an der Tagesordnung. Dieser Effekt ist in den letzten Jahren langsam wieder zurückgegangen, nach Ansicht der WTG-Behörde ist eine grundsätzlich zufriedenstellende Versorgungsqualität in einem Großteil der Einrichtungen gewährleistet. Gleichzeitig stehen die Pflegeeinrichtungen bei der Personalakquise auch in direkter Konkurrenz zu Leiharbeitsfirmen, die die Pflegekräfte mit besseren Konditionen abwerben. Einrichtungen mit einem erhöhten Einsatz von Zeitarbeitspersonal weisen in den meisten Fällen eine deutlich schlechtere Pflegequalität auf.
Darüber hinaus kann es nicht sinnvoll sein, dass die Kreisverwaltung zunächst die formellen Voraussetzungen für den Bau zusätzlicher Pflegeplätze schafft, um dann nach der Inbetriebnahme gegenüber der Einrichtung wegen des nicht vorhandenen Personals als WTG-Behörde (Heimaufsicht) des Rhein-Kreises Neuss einen Belegungsstopp anzuordnen. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass ordnungsbehördliche Maßnahmen, die letztlich auch in der Untersagung von Heimbetrieben gipfeln können, für alle Beteiligten, insbesondere aber für die Bewohnerinnen, Bewohner und deren Angehörige eine enorme psychische Belastung darstellen. Es ist somit Aufgabe der Kreisverwaltung, durch umsichtige und vorausschauende Planung und Berücksichtigung aller maßgebenden Faktoren solche Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen.
1.6. Betrachtung der
allgemeinen Marktlage und Entwicklung
Eine weitere Entwicklung ist zukünftig ebenfalls bei der verbindlichen
Bedarfsplanung zu berücksichtigen. In den vergangenen beiden Jahren wurden
jeweils Bedarfe an vollstationären Pflegeplätzen für die Städte Kaarst,
Dormagen und Neuss festgestellt und ausgeschrieben. Auf diese Ausschreibungen
gab es lediglich für die Deckung des Bedarfs im Stadtgebiet Neuss eine
Bewerbung.
Dies ist neben der angespannten Marktlage in Sachen Pflegepersonal auch
auf die demographische Entwicklung zurückzuführen.
Zwar ist kurz- und mittelfristig mit einer Fortsetzung einer dynamischen
Bedarfsentwicklung zu rechnen, aufgrund der demografischen Entwicklung
(insbesondere in den hochalten Altersgruppen) ist langfristig aber eine
nachlassende Bedarfsentwicklung im stationären Segment zu erwarten.
Bereits im Zeitraum 2030 bis 2040 wird im RKN lediglich ein leichter
Anstieg der stationären Bedarfe erwartet. Im Stadtgebiet Kaarst ist der Bedarf
bereits Mitte der 2030er wieder rückläufig.
Mit dem Nachrücken der geburtenstarken Jahrgänge in Altersgruppen mit
einer hohen Sterblichkeit ist auch im RKN eine Trendumkehr bei der
Bedarfsentwicklung (stagnierende bzw. rückläufige Bedarfe) ab den 2040er Jahren
anzunehmen.
Vor allem in den kommenden Jahren wird eine Ausweitung/Weiterentwicklung
des stationären Platzangebotes notwendig sein. Bei der Weiterentwicklung des
stationären Angebotes ist aber auch der langfristige Trend von Relevanz, da lange
Amortisierungszeiträume und allgemein hohe investive Kosten im Segment der vollstationären
Pflege einen langfristigen Betrachtungshorizont notwendig machen. Es gilt daher
auch, langfristig potenzielle Überkapazitäten zu vermeiden.
Hatte das Instrument der Verbindlichen Bedarfsplanung ursprünglich das
Ziel, Überkapazitäten und einen Wildwuchs an Pflegeeinrichtungen zu vermeiden,
wird es zukünftig eher den Zweck haben, lokale Defizite an vollstationären
Pflegeplätzen zu identifizieren und diese in Absprache mit den jeweiligen
Kommunen sowie den im Rhein-Kreis tätigen Akteuren gezielt bedienen zu können.
Dabei ist auch eine wirtschaftliche Betriebsführung über den kurz- und
mittelfristigen Betrachtungshorizont sicherzustellen.
2. Inhaltliche Betrachtung der Teilaspekte
2.1. Betrachtung der
derzeitigen Datenbasis von IT.NRW
Die Berechnung der Daten der prospektiven Bedarfsplanung geht von den Daten der Vergangenheit aus. Sowohl die quantitativen Werte, d.h. die Anzahl der Pflegebedürftigen, als auch deren Nachfrageverhalten am Pflegemarkt bilden zusammen mit den Daten der Bevölkerungsentwicklung die Basis für die vom ALP-Institut gelieferten Bedarfszahlen. Dies ist die klassische Methode der Bedarfsermittlung mittels Pflegequoten, die auch in früheren Bedarfsplanungen für den Rhein-Kreis Neuss genutzt worden ist. Dem errechneten Bedarf wird das vorhandene Platzangebot gegenübergestellt.
Bei dieser anerkannten und in der Breite angewandten Berechnungsmethodik können folgende Aspekte nicht bzw. nicht im eigentlich erforderlichen Umfang berücksichtigt werden:
Ø schnelle, größere Veränderungen beim Angebot an pflegerischen Diensten und Einrichtungen
Ø Änderungen im Nachfrageverhalten der Pflegebedürftigen
Ø baulich vorhandene, aber tatsächlich nicht ausgelastete Kapazitäten
Die derzeit aktuellsten verfügbaren Daten der Pflegestatistik von IT.NRW datieren vom 31.12.2021. Dieser Datenbestand wurde der Verwaltung durch IT.NRW im Oktober 2022 zur Verfügung gestellt. IT.NRW stellt die Pflegestatistik immer alle zwei Jahre zur Verfügung. Leider ist es in diesem Jahr zu Verzögerungen bei der Erstellung der Statistik gekommen, sodass mit mittlerweile drei Jahre alten Zahlen gerechnet werden muss. Die Kreisverwaltung geht allerdings nur von marginalen Differenzen zwischen der alten und noch nicht vorliegenden aktuellen Pflegestatistik aus, die keinen Einfluss auf die Bedarfsfeststellung in den einzelnen kreisangehörigen Kommunen haben werden.
Sobald die aktuelle Pflegestatistik vorliegt, wird der Bedarf anhand dieser erneut berechnet und dem Ausschuss zur Kenntnis gegeben.
2.2. Entwicklung der allgemeinen Pflegeinfrastruktur im Kreisgebiet
Angebotsform
|
2017 (Plätze) |
2024 (Plätze) |
Differenz |
Vollstationäre Pflegeplätze |
4.018 |
4.057 |
+ 39 |
Kurzzeitpflegeplätze
gesamt |
218 |
287 |
+69 |
Kurzzeitpflegeplätze
fix/solitär |
10 |
42 |
+32 |
Tagespflegeplätze |
193 |
431 |
+238 |
Plätz in Wohngemeinschaften |
25 |
116 |
+109 |
Ambulante Dienste |
64 |
71 |
+7 |
Apartments Servicewohnen |
465 |
504 |
+39 |
Tabelle 5: Übersicht
Pflegeinfrastruktur im Rhein-Kreis Neuss (Stand 31.10.2024)
Wie diese Übersicht zeigt, konnte in den vergangenen Jahren in allen Pflegesegmenten
(vollstationär, teilstationär, ambulant) ein teils enormer Ausbau der
vorhandenen Kapazitäten verzeichnet werden. Diesen
Trend gilt es fortzusetzen, um auch zukünftig eine bedarfsgerechte und
nachfrageorientierte Angebotsstruktur vorhalten zu können und gleichzeitig den
tatsächlichen zukünftigen Bedarf an vollstationären Pflegeplätzen reduzieren zu
können.
2.3. Derzeitige Planungen im Rhein-Kreis Neuss
In der folgenden Übersicht soll kurz dargestellt werden, wie viele Plätze sich in den einzelnen Angebotsformen derzeit bereits im Bau oder in der Planungsphase befinden. Die Schaffung dieser Plätze wird nach Fertigstellung ebenfalls einen Einfluss auf die Bedarfsplanung haben.
Kommune |
Vollst. Pflege |
KZP |
TaPf |
Amb. WG |
Servicewohnen |
Amb. Pflege |
Dormagen |
40 |
11 |
|
20 |
21 Wohneinheiten |
1 |
Neuss |
80+40 |
30 |
15 |
56 |
45 Wohneinheiten |
|
RKN |
160 |
41 |
15 |
76 |
66 |
1 |
Tabelle 6: Derzeitige
Planungen im Rhein-Kreis Neuss (Stand 31.10.2024)
Für die weiteren Kommunen gibt es derzeit keine konkreten
Planungen bzgl. des Ausbaus von Wohn- und Betreuungsangeboten.
3. Gesamtbewertung der
Ergebnisse
3.1. Bewertung der
statistischen Daten
Die von ALP ermittelten Bedarfswerte, die als Basis für die „Verbindliche Pflegebedarfsplanung“ zur Verfügung stehen, sind sowohl 2017 als auch in diesem Jahr nach jeweils schlüssigen und transparenten Systemen berechnet worden. Sie basierten 2017 jedoch u.a. auf statistischen Daten, die aufgrund tatsächlich eingetretener Entwicklungen (u.a. Corona) und den seinerzeit noch nicht abzuschätzenden positiven Auswirkungen der Pflegestärkungsgesetze nach Ansicht der Verwaltung einen zu hohen Bedarf an stationären Pflegeplätzen prognostizieren bzw. den Überhang an Pflegeplätzen etwas zu niedrig quantifizieren.
3.2. Bewertung der
tatsächlichen Situation auf dem Pflegemarkt
Nicht die Schaffung neuer Pflegeplätze führt zu einer Bedarfsdeckung. Für
eine Bedarfsdeckung sind funktionstüchtige Einrichtungen erforderlich, die
neben den baulichen Voraussetzungen insbesondere das quantitativ und qualitativ
notwendige Personal dauerhaft vorhalten müssen.
Die Planung und Schaffung neuer Kapazitäten sollte unabhängig von den derzeitigen Entwicklungen weiterhin nur dort erfolgen, wo die Prognosedaten eindeutig einen hohen Handlungsdruck aufzeigen. Bei einem punktuellen Ausbau der Pflegeinfrastruktur ist nach derzeitigem Datenbestand davon auszugehen, dass dann auch das notwendige Pflegepersonal bei Fertigstellung einer Planungs- und Baumaßnahme tatsächlich zur Verfügung steht.
Des Weiteren ist auch der Quartiersgedanke zu fördern und zu berücksichtigen. Es erscheint daher insgesamt sinnvoller und wichtiger, mehrere kleinteilige Angebote in gewachsenen Quartieren zu schaffen und Angebote an bereits vorhandenen Standorten auszudehnen, als eine komplett neue und große Einrichtung ohne jeden Bezug zur Ortsgemeinschaft auf einem freiem Grundstück zu platzieren. Die Quartiersarbeit und die Umsetzung schlüssiger Quartierskonzepte wird daher den Handlungsempfehlungen der Örtlichen Planung folgend seitens der Kreisverwaltung proaktiv gestaltet und begleitet.
3.3. Subsumierung der Bewertungen
unter § 7 Abs. 6 Alten- und Pflegegesetz
§ 7 Abs. 6 APG NRW formuliert, dass eine Bedarfsdeckung angenommen werden kann, wenn einer zu erwartenden Nachfrage nach den jeweiligen Betreuungsangeboten ein mindestens deckungsgleiches Angebot gegenübersteht. Das APG spricht somit nicht von Gebäuden bzw. baulich errichteten Pflegeplätzen, sondern setzt ein tatsächlich nutzbares Angebot voraus.
Daneben gibt das APG NRW vor, dass die „Verbindliche Bedarfsplanung“ darzustellen hat, in welcher Höhe zur Bedarfsdeckung zusätzliche Kapazitäten erforderlich sind. Zusätzliche Kapazitäten sind jedoch im Hinblick auf die Bedarfsdeckung erst dann sinnvoll, wenn die bereits vorhandenen Angebote auch tatsächlich einen Beitrag zur Bedarfsdeckung leisten können – von Einzelfällen wegen Sanktionen der WTG-Behörde, z.B. bei schlechter Pflege oder einem vorübergehendem Personaldefizit abgesehen.
Von einem tatsächlichen Beitrag zur Bedarfsdeckung durch die bestehenden Angebote ist nicht auszugehen, wenn sich im gesamten Kreisgebiet über längere Zeit Einrichtungen einem freiwilligen Aufnahmestopp unterwerfen und zusätzlich weiteren Einrichtungen durch ordnungsbehördliche Anordnung die weitere Aufnahme von Bewohnerinnen und Bewohnern untersagt werden muss und hierfür insgesamt das auf dem Arbeitsmarkt nicht vorhandene Pflegepersonal die Ursache ist. Pflegeplätze können und sollten daher auch nur geschaffen werden, wenn das notwendige Pflegepersonal zur Verfügung steht.
3.4. Kommunenscharfe Betrachtung
Das APG NRW sieht für die Verbindliche
Bedarfsplanung einen Betrachtungshorizont von drei Jahren vor. Dies entspricht
in etwa der Dauer der Fertigstellung einer Pflegeeinrichtung von Beginn des
Genehmigungsverfahren bis zur Inbetriebnahme. Daher ist für die Kreisverwaltung
für die Verbindliche Pflegebedarfsplanung 2025 der sich für das Jahr 2027
ergebende Bedarf an vollstationären Pflegeplätzen in den kreisangehörigen
Kommunen maßgeblich.
Korschenbroich
Für die Stadt Korschenbroich wird derzeit lediglich ein geringer Bedarf an vollstationären Pflegeplätzen für das Jahr 2027 prognostiziert. Daher wird momentan kein Bedarf einer zusätzlichen vollstationären Einrichtung gesehen. Im Stadtgebiet Korschenbroich wäre ein Ausbau teilstationärer und ambulanter Angebote, bspw. in den Ortsteilen Liedberg/Steinhausen und Glehn zu begrüßen.
Kaarst
Die Stadt Kaarst weist die mit Abstand älteste Bevölkerungsstruktur im Kreisgebiet auf, weshalb weiterhin ein Bedarf von 80 Pflegeplätzen festgestellt wird. Dieser Bedarf soll durch eine vollstationäre Pflegeeinrichtung mit gerontopsychiatrischem Schwerpunkt sowie begleitenden ambulanten und teilstationären Begleitangeboten gedeckt werden.
Jüchen, Rommerskirchen, Grevenbroich
Diese drei Kommunen werden weiterhin als sozialräumliche Einheit betrachtet, in welcher der Stadt Grevenbroich eine Versorgungsfunktion zukommt. Daher wird für diesen Sozialraum derzeit kein weiterer Bedarf festgestellt. Ein Ausbau teilstationärer und ambulanter Strukturen sollte auch in Grevenbroich forciert werden.
Dormagen
Für die Stadt Dormagen wird in diesem Jahr weiterhin ein Bedarf von 40 vollstationären Plätzen festgestellt, die von ambulanten und teilstationären Angeboten begleitet werden sollten.
Neuss
Für die Stadt Neuss wurden in den Jahren 2016, 2021 und 2023 jeweils 40 Plätze genehmigt. Diese wurden bisher noch nicht realisiert. Es sind somit noch 120 Plätze in der Planung zu berücksichtigen. Daher wird für das Stadtgebiet Neuss momentan kein zusätzlicher Bedarf festgestellt.
Meerbusch
Für das Stadtgebiet Meerbusch wird ein Bedarf von 40 vollstationären Plätzen festgestellt, die von ambulanten und teilstationären Angeboten begleitet werden sollten. Hier erscheint die Schaffung eines entsprechenden Angebots an der Stadtgrenze zu Kaarst als sinnvoll.
3.5. Zusammenfassung der Erläuterungen:
Auf Grundlage der ausführlichen Erläuterungen spricht die
Verwaltung folgenden Beschlussvorschlag aus:
Der Kreistag beschließt gemäß § 7 Abs. 6 APG NRW die Verbindliche Pflegebedarfsplanung für das Jahr 2024 vorzunehmen.
Auf Grundlage
· der Daten von IT.NRW (Pflegestatistik 2022),
· der aktuellen Prognosedaten des ALP-Institutes,
· der Daten der WTG-Behörde zur personellen Ausstattung der im Betrieb befindlichen Pflegeeinrichtungen sowie
· der Daten über die derzeit vorhandenen, jedoch nicht tatsächlich dem Pflegemarkt zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehenden Pflegeplätze im Kreisgebiet,
wird der Bedarf für zusätzliche, vollstationäre Pflegeplätze in den kreisangehörigen Kommunen bzw. Sozialräumen anhand des von ALP zur Verfügung gestellten Basis-Szenarios wie folgt festgestellt:
Dormagen
Für die Stadt Dormagen wird auf Grundlage der Prognosedaten ein Bedarf an 40 zusätzlichen Pflegeplätzen festgestellt.
Kaarst
Für die Stadt Kaarst wird auf Grundlage der Prognosedaten ein Bedarf von 80 vollstationären Pflegeplätzen mit einem gerontopsychiatrischen Schwerpunkt festgestellt.
Korschenbroich
Für die Stadt Korschenbroich wird kein Bedarf ausgewiesen.
Jüchen,
Rommerskirchen, Grevenbroich,
Für die Kommunen Jüchen, Grevenbroich und Rommerskirchen wird bei Betrachtung als gemeinsamer Sozialraum kein Bedarf festgestellt.
Neuss
Für die Stadt Neuss wird auf Grundlage der Prognosedaten derzeit kein Bedarf festgestellt.
Meerbusch
Für die Stadt Meerbusch wird auf Grundlage der Prognosedaten ein Bedarf an 40 zusätzlichen Pflegeplätzen festgestellt.
Rhein-Kreis Neuss
Für den Rhein-Kreis Neuss wird derzeit insgesamt ein Bedarf von 160 vollstationären Pflegeplätzen festgestellt.
Gemäß § 11 Abs. 7 APG NRW ist eine Förderung für vollstationäre Pflegeeinrichtungen im Sinne des § 14 APG NRW, die innerhalb des Rhein-Kreises Neuss neu entstehen und zusätzliche Plätze zur Bedarfsdeckung schaffen, davon abhängig, dass auf der Grundlage dieses Beschlusses durch die Verwaltung eine Bedarfsbestätigung ausgesprochen wird.
Die Verwaltung wird beauftragt, diesen Beschluss des Kreistages gemäß § 7 Abs. 6 APG NRW in Verbindung mit § 11 Abs. 7 Satz 2 APG NRW öffentlich bekannt zu machen.