Betreff
Kurzbericht zur Arbeit der Heimaufsicht im Jahr 2010
Vorlage
50/0650/XV/2010
Art
Bericht

Sachverhalt:

Kurzbericht zur Arbeit der Heimaufsicht im Jahr 2010

 

I          Einleitung

 

Vor einigen Wochen sorgten Berichte über mangelhafte Versorgung alter Menschen in Pflegeeinrichtungen in Mönchengladbach für ein breites Medienecho, da der Verdacht besteht, dass Bewohner aufgrund schlechter Pflege zu Tode gekommen sind. Die Verwaltung hat dies zum Anlass genommen, die Situation in den stationären Einrichtungen der Altenpflege im Rhein-Kreis Neuss in den Medien darzustellen, um einer verallgemeinernden Darstellung der Pflege entgegenzuwirken. In diesem Kurzbericht sollen die wesentlichen Fakten und Aspekte der Situation im Rhein-Kreis Neuss aus Sicht der Heimaufsicht nochmals erläutert werden.

 

 

II         Zahlen und Daten

 

Im Rhein-Kreis Neuss existieren derzeit 35 Einrichtungen der stationären Altenpflege mit Versorgungsvertrag nach SGB XI, die insgesamt über 3178 Plätze verfügen. Die Einrichtungen bieten Arbeitsplätze für 3000 Menschen.

 

Der Zuständigkeitsbereich der Heimaufsicht erstreckt sich zusätzlich auf 2 Hospize mit je 8 Plätzen, 1 Einrichtung für ältere Männer mit besonderen sozialen Schwierigkeiten mit 29 Plätzen sowie auf die 38 Einrichtungen für Menschen mit Behinderung mit insgesamt 944 Plätzen. Insgesamt umfasst der Überwachungsbereich der Heimaufsicht somit 76 Einrichtungen mit 4.167 Plätzen im Rhein-Kreis Neuss.

 

Bis August 2010 sind der Heimaufsicht im Bereich der Altenpflegeeinrichtungen 14 Sachverhalte in Form von Beschwerden angezeigt worden. Die Heimaufsicht hat 25 Prüfungen in Pflegeeinrichtungen durchgeführt. Über Einrichtungen der Eingliederungshilfe hat es bislang 1 Beschwerde gegeben. In diesem Arbeitsfeld hat die Heimaufsicht 3 Prüfungen im Jahr 2010 vorgenommen.

 

Neben den anlassbezogenen oder routinemäßigen Überprüfungen gab es rund 30 Beratungstermine in den Einrichtungen, die aufgrund von Anfragen der Einrichtungsträger oder Einrichtungsleitungen zustande gekommen sind. Die Träger und Leitungskräfte haben einen gesetzlich normierten Anspruch auf Beratung durch die Behörde.

 

 

III       Rechtsgrundlage

 

Mit Inkrafttreten des Wohn- und Teilhabegesetzes (WTG) für das Land Nordrhein-Westfalen wurde die Arbeit der Heimaufsichtsbehörden im Dezember 2008 auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt. Mit der Einführung einer Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung wurde der bürokratische Aufwand für die Heimaufsicht im Rhein-Kreis Neuss erhöht. Wesentliche Neuerungen inhaltlicher Art, z.B. bei den Kontrollmöglichkeiten oder einer Möglichkeit zur Personalbemessung durch die Aufsichtsbehörde, sind jedoch durch das WTG nicht eingeführt worden.

 

Für die Prüfungen vor Ort wurde vom Land ein Rahmenprüfkatalog vorgegeben. Dieser Katalog wurde im Rhein-Kreis Neuss erst 2-mal eingesetzt. Diese ersten Erfahrungen machten den gestiegenen Verwaltungsaufwand deutlich und zeigten, dass die Heimaufsicht über eine eigene Ressource für pflegefachliches Wissen auf dem Stand der Wissenschaft verfügen muss. Ab dem Jahr 2011 soll daher ein Budget zur Verpflichtung externer  Pflegefachkräfte eingerichtet werden, um den gesetzlichen Auftrag erfüllen zu können.

 

Im Übrigen hat sich die Heimaufsicht bei den Prüfungen vor Ort auf die inhaltliche Arbeit konzentriert, da dies insbesondere bei der Bearbeitung von Beschwerden oder Hinweisen zu einzelnen Bewohnern effektiver ist.

 

Die neue Vorgabe des WTG, dass landesweit unangekündigte Kontrollen durch die Heimaufsicht stattfinden müssen, wird im Rhein-Kreis Neuss bereits seit 1998 umgesetzt.

 

 

IV        Überprüfung der Personalstruktur

 

Zum Stichtag 01.03.2010 wurde die Personalstruktur aller Pflegeeinrichtungen geprüft. Dabei wurde gemäß WTG auf Grundlage der Orientierungswerte der Kostenträger sowohl die Quantität des Personals untersucht, als auch die Einhaltung der vorgeschriebenen Fachkraftquote von 50 Prozent der mit betreuenden Tätigkeiten beauftragten Beschäftigten. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Fachkraftquote in allen Einrichtungen erfüllt wird. Im Durchschnitt aller Einrichtungen lag die Fachkraftquote im Rhein-Kreis Neuss bei fast 59 Prozent.

 

Zum Stichtag 01.03.2010 wurde in 6 Einrichtungen festgestellt, dass das seitens der Kostenträger bewilligte Personalbudget nicht voll ausgeschöpft war. Dieser Mangel wurde in den betroffenen Einrichtungen durch den Einsatz von Zeitarbeitsfirmen ausgeglichen. Somit bestand unter ordnungsrechtlichen Aspekten kein Handlungsbedarf. Erneute Überprüfungen in diesen Einrichtungen zeigten des weiteren, dass die Träger durch Neueinstellungen oder erfolgreiche Wiedereingliederung langzeitkranker Mitarbeiter die fehlenden Stellenanteile ausgleichen konnten.

 

In der Öffentlichkeit wird oftmals der globale Vorwurf erhoben, die Pflegeeinrichtungen würden nicht genug Personal beschäftigen. Daher bedarf dieser Punkt einer genaueren Betrachtung. Gemäß den Orientierungswerten der Kostenträger bekommen die Einrichtungen für eine bestimmte Anzahl von Bewohnern in einer Pflegestufe Vollzeitstellen in der Pflege zuerkannt, und zwar in

 

Pflegestufe 0            1:8

Pflegestufe I            1:4

Pflegestufe II           1,25    und in

Pflegestufe III                   1:1,8

 

Durch Veränderungen in der Bewohnerstruktur oder durch Änderungen des Pflegebedarfs bei einzelnen Bewohnern ändert sich somit der Personalschlüssel kontinuierlich. Sterben zum Beispiel Bewohner in Pflegestufe III, und es ziehen dann Bewohner in der Pflegestufe I ein, sinkt der Personalschlüssel. Verändert sich der Pflegebedarf mehrerer Bewohner von II nach III, steigt der Personalschlüssel an. Die Träger sind in der Praxis nicht in der Lage, auf diese Veränderungen unmittelbar zu reagieren. Durch Arbeitsverträge gebundene Mitarbeiter können schließlich nicht beliebig eingestellt oder entlassen werden. Die Träger sind daher gemäß den Vereinbarungen mit den Kostenträgern verpflichtet, den Personalschlüssel im Jahresmittel zu erfüllen. Diese Systematik spiegelt also nicht immer den vor Ort tatsächlichen Bedarf an Personal wider. Gleiches gilt für die Tatsache, dass die Einrichtung vertraglich verpflichtet ist, alle für einen Bewohner notwendigen Leistungen zu erbringen, auch wenn diese tatsächliche Leistung nicht der dem Bewohner zuerkannten Pflegestufe entspricht. Die Höherstufung eines Bewohners durch die Pflegekasse erfolgt demnach immer erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt, als das Eintreten des Hilfe- und Unterstützungsbedarfs und somit des Eintritts der Leistungspflicht durch die Pflegeeinrichtung.

 

Grundproblem im Personalbereich sind darüber hinaus Krankheitsausfälle von Mitarbeitern. Eine schnelle Kompensation derartiger Ausfälle ist in der Personalbemessung nicht vorgesehen. Fällt also beispielsweise im Frühdienst ein Mitarbeiter durch Krankheit aus, müssen die verbleibenden Mitarbeiter diesen Ausfall kompensieren. Das sich dies auf die Leistungserbringung negativ auswirken muss ist eine logische Folge. Der Einrichtungsträger kann erst dann budgetneutral auf einen Krankheitsausfall durch eine Neueinstellung oder durch den Einsatz einer Zeitarbeitsfirma reagieren, wenn ein erkrankter Mitarbeiter aus der Lohnfortzahlung heraus fällt, also frühestens nach 6 Wochen! In dieser Zeit muss ein Ausfall mit dem bestehenden Personalkörper, also durch Überstunden, aufgefangen werden.

 

Die Orientierungswerte der Kostenträger haben sich seit Einführung der Pflegeversicherung nicht verändert. Die bürokratischen Anforderungen in der Pflege hingegen sind in den letzten Jahren kontinuierlich und deutlich angestiegen. Auch die Bewohnerstruktur in den Pflegeeinrichtungen war in den letzten 10 bis 15 Jahren einem dramatischen Wandel unterzogen. Durch die verbesserten Möglichkeiten in der ambulanten Pflege und Versorgung ziehen die Menschen heute mit einem deutlich höheren Pflegebedarf in die Einrichtungen ein und haben durchschnittlich eine kürzere Verweildauer. All diese Faktoren führen dazu, dass die personelle Ausstattung der Pflegeeinrichtungen nicht mehr mit dem zu leistenden Aufwand im Gleichgewicht ist. Von politischen Gremien und auch vielen Medien wird jedoch trotz der verschlechterten Rahmenbedingungen von Seiten der in der Pflege tätigen Menschen ein Höchstmaß an Zuwendung für die Bewohner, an Professionalität und Einsatzbereitschaft verlangt. Dieser gesellschaftliche Konflikt wird somit zu Lasten des heute arbeitenden Pflegepersonals ausgetragen und ist aus deren Sicht unerträglich. Diese Situation geht somit in der Folge auch zu Lasten der alten Menschen - und auch der Angehörigen!

 

Der Rhein-Kreis Neuss hat festgestellt, dass die gesetzlichen Anforderungen an die personelle Ausstattung durch die Einrichtungen erfüllt werden, eine Lösung der beschriebenen Spannungsfelder liegt jedoch nicht im Einflussbereich der Behörde. Eine Reform der gesetzlichen Regelungen wäre dringend erforderlich, wenn auch zukünftig die Pflege und Betreuung der heute alternden Menschen für die kommenden Jahre sichergestellt sein soll.

 

 

V          Ergebnisse der Überprüfungen vor Ort

 

Im Rahmen der Prüfungen in den Pflegeeinrichtungen hat die Heimaufsicht keine gravierenden Mängel festgestellt. In 2 Einrichtungen gab es Handlungsbedarf, da durch eine hohe Fluktuation von Personal und bei den Leitungskräften keine festen Strukturen etabliert waren. Klare Strukturen sind für einen reibungslosen Ablauf im Pflegealltag jedoch unerlässlich. Bislang ist die Heimaufsicht in diesen Einrichtungen beratend tätig, und begleitet die Entwicklung in diesen Häusern sehr eng. In einer anderen Einrichtung gab es Beschwerden bezüglich der Speisenversorgung. Durch eine Überprüfung vor Ort konnten in diesem Bereich einige kleinere Schwachstellen analysiert und gemeinsam mit dem Träger der Einrichtung abgestellt werden.

 

VI        Transparenzberichte des MDK

 

Im Auftrag der Landesverbände der Pflegekassen führt der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in eigener Zuständigkeit Qualitätsprüfungen auf Grundlage des SGB XI durch. Die Ergebnisse dieser Prüfungen finden inzwischen ihren Niederschlag in den sogenannten Transparenzberichten. Hier werden die überprüften Pflegeeinrichtungen nach dem Schulnotensystem benotet. Die Noten können im Internet abgerufen werden und sollen zur Transparenz beim Verbraucher beitragen.

 

Qualitätsprüfungen sind seit Einführung der Pflegeversicherung ein probates und bewährtes Mittel, um die Struktur und die Qualität einer Pflegeeinrichtung zu beurteilen. Der MDK hat mit seiner guten und soliden Arbeit aus Sicht der Kreisverwaltung seit Einführung der Pflegeversicherung wesentlich zur Sicherung und Steigerung der Versorgungsqualität der Pflegeeinrichtungen beigetragen. Zwischen MDK und Rhein-Kreis Neuss gab und gibt es eine gute Zusammenarbeit.

 

Das Benotungssystem wird jedoch auch aus Sicht der Heimaufsicht kritisiert, da der Ansatz „Transparenz für den Verbraucher“ nicht erreicht wird. Zum Beispiel können gute Noten für einwandfreie Qualitätshandbücher schlechte Noten für einen nicht gut versorgten Bewohner ausgleichen. Für den Verbraucher ist die tatsächliche Leistungserbringung von vorrangigem Interesse, nicht deren schriftliche Aufzeichnung oder deren konzeptionelle Grundlage. Für Fachleute ist die Ergebnisdarstellung des MDK ein guter Ansatz, um Verbesserungspotentiale in einer Pflegeeinrichtung schnell zu erkennen. Für den „normalen Verbraucher“ jedoch wird durch das derzeitige System das sich vor Ort tatsächlich bietende Bild oft verzerrt.

 

Die 18 im Rhein-Kreis Neuss benoteten Einrichtungen hatten Endnoten zwischen 1,1 (Augustinus-Haus Dormagen) und 3,2 (Seniorenwohnpark Meerbusch). Die Befragung der Bewohner durch den MDK brachte in allen Einrichtungen ein „sehr gut“.

 

Die Pflegekonferenz im Rhein-Kreis Neuss wird sich in ihrer Sitzung am 16.09.2010 mit dieser Thematik erneut auseinandersetzen. Der zuständige Referatsleiter des MDK Nordrhein, Herr Dr. Friedrich Schwegler, wird an der Sitzung teilnehmen und hierzu berichten.