Beschlussempfehlung:
1. Der Kreistag beauftragt die Verwaltung, für das Schuljahr 2011/2012 beim Land Nordrhein-Westfalen die Einrichtung einer Regionalen Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien zu beantragen.
2. Der Kreistag bittet das Schulamt für den Rhein-Kreis Neuss darüber hinaus vorsorglich, die bisher eingerichtete Schulberatungsstellen nach Möglichkeit im Schuljahr 2011/2012 aus nicht verbrauchten Rundungsgewinnen fortzuführen.
Sachverhalt:
A.
Allgemeines
Im Land Nordrhein-Westfalen sind in 27 kreisfreien Städten und Kreisen Regionale Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) eingerichtet worden. Die RAA beraten unter anderem Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern in allen Fragen der Bildung und Ausbildung.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat in seinem Haushalt 2011 die Möglichkeit für die Einrichtung von vier weiteren RAA’ s geschaffen. Für den Rhein-Kreis Neuss bestehen berechtigte Chancen, die Errichtung einer solchen Einrichtung vom Land gefördert zu erhalten, da im Kreisgebiet überproportional viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund beschult werden.
Der Rhein-Kreis Neuss ist seit langem bemüht, Menschen mit Migrationshintergrund eine Heimat im Rhein-Kreis Neuss zu bieten, auch um Handwerk und Industrie bei stark abnehmenden Schülerzahlen qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund hat der Rhein-Kreis Neuss gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden das Projekt „Integration von Zuwanderern im Rhein-Kreis Neuss“ aufgelegt, ein Migrantenstipendium eingeführt sowie in den Jahren 2010 und 2011 einen Integrationsworkshop durchgeführt.
Diese Initiativen haben in der Öffentlichkeit Anerkennung, zuletzt im Buch von Rita Süssmuth „Migration und Integration: „Testfall für unsere Gesellschaft“ gefunden.
Mit Einführung einer RAA besteht gezielt die Möglichkeit, gerade Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die neu in den Rhein-Kreis Neuss ziehen, erfolgreich in unsere Gesellschaft zu integrieren.
B.
Aufgaben
Zu den Aufgaben einer RAA gehören:
1. Schulberatung neuer Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund,
2. Beratung von Jugendlichen und Eltern im Rahmen des Übergangs von Schule und Beruf,
3. Betreuung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, insbesondere von Empfängern von Leistungen nach dem SGB II und XII,
4. Beratung von Eltern, Kindern und Schulen,
5. Konfliktberatungsprogramme in Schulen,
6. Schulsozialarbeit, insbesondere im Hinblick auf Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund,
7. Bausteine für die Aus- und Fortbildung von Erzieherinnen,
8. Konzepte für Mehrsprachigkeit und für Deutsch als Zweitsprache,
9.
Konzepte zur Beratung und Förderung von
Seiteneinsteigern.
Nach Besuch und Auswertung der Arbeit der RAA im Kreis Düren, der Stadt Mönchengladbach und der Stadt Dortmund ist nach Auffassung der Verwaltung mit folgenden Aufgabenschwerpunkten zu rechnen:
· Beratung neu hinzugezogener Schülerinnen und Schüler durch die Lehrer (ca. 80 % Einsatz der Lehrerstellen),
· Fortbildung und Beratung von Kollegen mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in ihren Klassen (ca. 20 % Einsatz der Lehrerstellen),
· Einzelfallberatung von besonders schwierigen Fällen der Eingliederung (ca. 70 % Einsatz der sozialpädagogischen Stellen),
· Koordination von Schulsozialarbeit (ca. 10 % Einsatz der sozialpädagogischen Stellen).
Die Zusammenarbeit mit Einrichtungen und Anstalten der Städte und Gemeinden könnte möglicher Weise wie folgt gestaltet werden:
· Mitarbeit und Koordinierung des Arbeitskreises für Schulsozialarbeit;
· Unterstützung in Einzelfällen der Schulsozialarbeit, insbesondere für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, deren Eltern Bezieher von Leistungen des SGB II bzw. SGB XII sind sowie Eltern, die für ihre Kinder Kinderzuschlag oder Wohngeld erhalten (§ 6b BKGG);
· Entwicklung einer Fortbildungsreihe für Sprachförderkräfte in den Kindertagesstätten in Zusammenarbeit mit den örtlichen Jugendämtern;
· Mitarbeit und Koordinierung eines Arbeitskreises Sprachförderkräfte in Kindertagesstätten;
· Coachingangebote für einzelne Kindertagesstätten in Zusammenarbeit mit den örtlichen Jugendämtern;
· Konzeptentwicklung Sprachförderung und Coachingangebote in der Offenen Ganztagsschule in Zusammenarbeit mit den Grundschulen vor Ort;
· Zusätzliche Sprachförderung in Brennpunktgrundschulen im Rhein-Kreis Neuss im Vor- und Nachmittagsbereich;
· Unterstützung in Einzelfällen beim Übergang Schule – Beruf in Zusammenarbeit mit Schule und der Bundesagentur für Arbeit.
Die Schwerpunkte sind von den Mitarbeitern der RAA zu entwickeln und mit den Städten und Gemeinden abzustimmen.
Die Personalauswahl in der RAA soll so erfolgen, dass folgende Fremdsprachen abgedeckt werden können: Russisch, Türkisch, Arabisch, Französisch und Englisch. Im Bedarfsfall sollen die Kräfte die Schulen vor Ort z. B. bei Elterngesprächen betreuen.
C.
Bedarf
Zum Stichtag 31.12.2009 waren im Rhein Kreis Neuss insgesamt 443.112 Einwohner gemeldet, hiervon hatten 44.892 eine ausländische Staatsangehörigkeit. Der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund liegt noch darüber hinaus. Besonders viele Ausländer leben in den Städten Neuss und Dormagen. Das Schulamt für den Rhein-Kreis Neuss rechnet damit, dass jährlich über 200 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund aus dem Ausland in den Rhein-Kreis Neuss ziehen und entsprechend ihrer Begabung und Leistungsmöglichkeiten eine für sie entsprechende Schule finden müssen. Für die Zukunft ist mit weiteren Zuzügen auf Grund der Öffnung der Grenzen zu Osteuropa zu rechnen.
Entsprechend hoch ist der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in den Schulen des Rhein-Kreises Neuss. Spezielle Brennpunkte sind die Neusser Stadtteile Erfttal, Derikum, Weckhoven und Nordstadt, sowie die Dormagener Stadtteile Hackenbroich und Horrem. In der Regel kommen die Schüler aus überwiegend bildungsfernen Familien und erhalten Leistungen nach dem SGB II oder XII. Sie haben häufig Verzögerungen in der Schullaufbahn, Probleme beim Erwerb von Schulabschlüssen und damit verringerte Chancen für einen erfolgreichen beruflichen Start.
D.
Diskussionsstand
Die Einrichtung einer regionalen Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien wurde in der Sitzung des Schulausschusses am 08.11.2010 beraten. Der Schulausschuss bat Herrn Landrat Petrauschke, die Bildung einer RAA auf Kreisebene vorzuschlagen. Herr Landrat Petrauschke setzte das Thema auf die Tagesordnung der Bürgermeisterkonferenz am 29.11.2010. Dort wurde vereinbart, dass sich zunächst die Schuldezernenten mit dem Thema befassen und zu einem Votum kommen sollten. Zur Vorbereitung der Schuldezernentenkonferenz haben Mitarbeiter des Schulamtes für den Rhein-Kreis Neuss die RAA in Dortmund und Mönchengladbach besucht, um einen umfassenden Einblick in die personelle und finanzielle Ausstattung einer RAA zu gewinnen.
Den Schuldezernenten der kreisangehörigen Kommunen wurde am 20.01.2011 eine Kosten-Nutzen-Analyse für die Einrichtung einer RAA vorgestellt. Die Dezernenten vertraten die Auffassung, dass die Integrationsarbeit in den Kommunen vor Ort bereits jetzt qualitativ gut und erfolgreich sei. Einer weiteren Vernetzung bzw. Konzentration der Aufgabe in einer RAA bedürfe es in der derzeitigen Haushaltssituation nicht. Demgegenüber begrüßte der Schulausschuss in seiner Sitzung am 14.02.2011 aus schulischer Sicht mit großer Mehrheit grundsätzlich die Einrichtung einer RAA.
Der Finanzausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 10.03.2011 mit der Einrichtung eines Sachkontos „Einrichtung einer RAA“. Der Finanzausschuss kam überein, den Betrag zunächst wegen bestehender Vorbehalte in den Städten und Gemeinden nicht zu etatisieren. Der Schulausschuss des Rhein-Kreises Neuss hat in seiner Sitzung am 30.05.2011 die Fortführung der geleisteten Arbeit auf der Grundlage des Schulausschussbeschlusses vom 14.02.2011 zur RAA nochmals begrüßt.
Das Schulamt für den Rhein-Kreis Neuss hat mit Schreiben vom 07.02.2011 die Bürgermeister der kreisangehörigen Städte und Gemeinden darauf hingewiesen, dass die Fortführung der bisherigen Schulberatungsstelle beim Rhein-Kreis Neuss aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei. Auf entsprechende Anfrage der Stadt Neuss an die Bezirksregierung Düsseldorf teilte diese mit, dass eine Fortführung der RAA aus Integrationsmitteln nicht möglich sei. Die Sicherstellung der Schulberatungsstelle durch Rundungsgewinne sei zwar möglich, aber mit großen Risiken behaftet, da die Rundungsgewinne in jedem Jahr neu festgesetzt würden.
Nach Beratung der Einrichtung einer RAA in der Bürgermeisterkonferenz am 23. Februar 2011 ist das Bildungs- und Teilhabegesetz am 30. März 2011 in Kraft getreten. Dieses Gesetz hat zum Ziel, Benachteiligungen von Schülerinnen und Schülern, deren Eltern Sozialhilfeleistungen empfangen, auszugleichen, indem insbesondere die Schulsozialarbeit gefördert werden soll.
Die Schuldezernentenkonferenz hat sich am 24. Mai 2011 erneut mit der Einrichtung einer RAA befasst. Von ihr wurde der Bedarf einer allgemeinen Anlaufstelle für neu hinzugezogene Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund anerkannt. Mehrheitlich sprach sich die Schuldezernentenkonferenz dafür aus, aus Kostengründen das Schulamt für den Rhein-Kreis Neuss zu bitten, aus möglichen Rundungsgewinnen die zentrale Schulberatungsstelle im Schuljahr 2011/2012 fortzuführen. Weiterhin wurde die Verwaltung gebeten zu prüfen, ob eine RAA befristet eingerichtet werden könnte.
Im Workshop Integration, der beim Rhein-Kreis Neuss stattfand, wurde die Einrichtung einer RAA befürwortet.
E.
Finanzierung
Das Land gewährt nach Maßgabe der Richtlinien für die Förderung der RAA gemäß Runderlass des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration und des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 19.02.2009 Zuwendungen an Gemeinden und Gemeindeverbände. Die RAA sind organisatorische Einheiten in alleiniger Trägerschaft der Gemeinden und Gemeindeverbände. Gegenstand der Förderung sind die Personalkostenzuschüsse für die Aktivitäten der RAA, hierbei handelt es sich um eine Festbetragszuweisung.
Bei der Stellenbesetzung ist eine Parität der Fachkräfte für die schulische und außerschulische Arbeit zu beachten. Für die außerschulische Arbeit sollen nach den Richtlinien zwei Stellen eingerichtet werden, die durch sozialpädagogische Fachkräfte zu besetzen sind. Hinzu kommt eine halbe Bürofachkraft. Das Land ordnet darüber hinaus zwei Lehrkräfte für den Einsatz in der RAA ab.
Die jährlichen Kosten für die sozialpädagogischen Kräfte und die Bürofachkraft betragen rund 140.000 € (incl. ca. 12.000 € Sachkosten). Der Jahresfestbetrag des Landes beträgt ca. 57.000 €. Damit verblieben Eigenkosten für den Rhein-Kreis in Höhe von 83.000 €.
Die Kosten für die sozialpädagogischen Fachkräfte können möglicher Weise in Höhe des Zuschussbedarfes durch den Rhein-Kreis Neuss aus dem Bildungs- und Teilhabepaket getragen werden. Weiterhin können bestehende Stellen von Sozialpädagogen und Sozialarbeitern an Schulen des Rhein-Kreises Neuss umgewidmet werden, solange mit diesen Stellen aus anderen Programmen keine Zweckbindungen eingegangen wurden. Für den Kreishaushalt verblieben dann ca. 20.000 € an Personalkosten für die Bürokraft. Diese Stelle muss aus dem vorhandenen Personal besetzt werden, so dass es zu keinem Mehraufwand kommt.
F.
Zeitdauer
Bei der Landesförderung der RAA’s handelt es sich um eine Festbetragszuweisung, die jährlich erbracht wird. Die weitere Förderung der RAA’s wurde im Koalitionsvertrag der Landesregierung festgeschrieben. Auch ist bisher die Förderung der RAA’ s von allen Landesregierungen fortgeführt worden. Die tatsächliche Landesförderung ist jedoch jeweils auf ein Haushaltsjahr beschränkt. Eine Einrichtung der RAA unter dem Vorbehalt einer positiven Evaluation ist somit möglich. Seitens der Verwaltung ist beabsichtigt, eine Evaluation der RAA bis Ende 2013 durchzuführen, da ab dem Jahr 2014 der Aufwand aus dem Bildungs- und Teilhabepaket kommunal zu tragen ist.
G. Durchführung
der Schulberatung für das Schuljahr 2011/2012
Das Schuljahr 2011/2012 beginnt am 01.08.2011. Ob das Schulamt ab diesem Zeitpunkt die Schulberatung wie bisher aufrechterhalten kann, steht nicht fest. Eine solche Möglichkeit besteht nur, wenn dem Schulamt bei der Lehrerzuweisung ungebundene Rundungsgewinne entstehen. Da die Lehrerzuweisung erst zum Ende der Sommerferien erfolgt, ist dieser Termin abzuwarten.
Die Entscheidung, die ungebundenen Rundungsgewinne für eine RAA einzusetzen, obliegt als schulfachliche Angelegenheit ausschließlich dem Schulrätekollegium als Landesbedienstete sowie deren Aufsichtsbehörden. Hierzu gehört der Rhein-Kreis Neuss nicht.
Sollten für das Schuljahr 2011/2012 keine ungebundenen Rundungsgewinne vorliegen oder sollte das Schulamt entscheiden, diese Rundungsgewinne anderweitig einzusetzen, sind die Eltern von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund als Seiteneinsteiger gehalten, Kontakt mit einer Schule ihrer Wohnortgemeinde aufzunehmen und ihr Kind anzumelden.
Die Verantwortung für die Einhaltung der Schulpflicht obliegt den Eltern (§ 41 Abs. 1 SchulG NW). Die Eltern können von der Schulaufsichtsbehörde durch Zwangsmittel zur Erfüllung ihrer Pflichten angehalten werden.