Beschlussvorschlag:
Der Sozial- und Gesundheitsausschuss nimmt den Bericht zur Kenntnis.
Sachverhalt:
Seit dem 01.01.2020 ist die dritte Reformstufe des
Bundesteilhabegesetzes in Kraft. Die Eingliederungshilfe ist aus dem Recht der
Sozialhilfe (SGB XII) als Teil 2 in das SGB IX eingeführt worden und die
Trennung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den existenzsichernden
Leistungen ist vollzogen.
Im Rhein-Kreis Neuss werden nun bei den örtlichen Sozialämtern rd. 870
neue Fälle geführt, denen Regelleistungen zum Lebensunterhalt einschließlich
Unterkunftskosten gewährt werden (Stichtag 31.12.2019). Eingegangen waren über
1.100 Fälle; über 150 Fälle mussten an andere Sozialhilfeträger abgegeben
werden, da der letzte maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt vor Aufnahme in die
seinerzeit stationäre Unterbringung nicht im Rhein-Kreis Neuss lag.
Die Sozialämter haben es hinbekommen, rechtzeitig zum 12.12.2019 rd. 80
% der Fälle zu bearbeiten, so dass zum 01.01.2020 die Zahlungen auf den Konten
der Leistungsberechtigten waren. Fälle, die erst im Januar oder später die
erste Zahlung erhalten, sind mit zu später Antragstellung erst Ende November
oder im Dezember 2019 und unzureichender Mitwirkung zumeist seitens der
Betreuer begründet. Besondere Auffälligkeiten oder Problemfälle sind aber von
den örtlichen Sozialämtern nicht gemeldet worden.
Nach aktueller Information der
Sozialämter gestaltet sich die weitere Bearbeitung der noch nicht
abgeschlossenen Fälle routinemäßig und sukzessive. Den Mitarbeitenden der
Sozialämter wird daher für ihren guten Einsatz gedankt.
Nachfolgend werden die Berichte und Hinweise der Sozialämter der
kreisangehörigen Kommunen zur Kenntnis gegeben.
Existenzsichernde Leistungen
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Fallübergabe / Fallzahlen
Die Fallübergabe durch den LVR ist abgeschlossen. Nach wie vor gehen weitere Anträge ein. Es hat sich herausgestellt, dass die niedrigschwellige Antragsbearbeitung in den meisten Fällen nicht umsetzbar war. Einige benötigte Angaben fehlten ganz; teilweise hat der LVR bestimmte Voraussetzungen nicht oder nicht hinreichend geprüft (z.B. dauerhafte Erwerbsminderung oder Vermögensverhältnisse) oder bestimmte Angaben in den Listen falsch vermerkt. Die zuständigen Mitarbeiter in den Kommunen standen und stehen jedoch in gutem Kontakt zu den Antragstellern / Angehörigen / Betreuern und haben in den meisten Fällen fehlende Angaben oder Informationen kurzfristig nachträglich einholen können.
Nach Abfrage Anfang Januar: ca. 870 Fälle nach Abgabe der Fälle wg. Unzuständigkeit
Davon nicht im Rechnungslauf: ca. 184, davon entfallen 160 auf Neuss
Gründe:
- verspätete Antragstellung
- verspätete oder keine Nachreichung von benötigten Unterlagen / Nachweisen
Im Einzelnen:
Neuss
577 eingegangene Fälle
In 157 davon keine eigene Zuständigkeit
In 420 zuständig
4 wurden zurückgezogen
6 wurden abgelehnt
255 wurden bewilligt
Kaarst
60 Fälle
In 50 Fällen konnte eine Zahlung zum 01.01.2020 erfolgen
5 Fälle noch ungeklärt
2 Fälle werden vom LVR betreut
(hierbei handelt es sich um Sonderfälle von Jugendlichen in Einrichtungen, die sich in einer Maßnahme befinden und im Laufe der Maßnahme volljährig werden; diese verbleiben in der Einrichtung und erhalten bis zum Ende der Maßnahme Leistungen des LVR)
3 wurden abgelehnt
Fallzahl reduziert sich ab Februar auf 44 aufgrund übersteigendem Einkommen oder Vermögen
Meerbusch
77 Fälle
In 3 Fällen keine Zahlung, da wesentliche Unterlagen fehlen
(in einem Fall lag kein Antrag vor; die zwei weiteren Fälle gingen erst nach dem Zahllauf ein)
Korschenbroich
21 Fälle
2 Fälle sind noch einzugeben
In 2 Fällen fehlen noch Unterlagen
Jüchen
49 Fälle, die auch im Rechnungslauf berücksichtigt wurden
1 Fall wird demnächst wegen Vermögensverbrauch hinzukommen
Dormagen
108 Fälle
5 noch nicht bearbeitet (später Eingang)
Rommerskirchen
20 Fälle
1 Fall nicht im Rechenlauf
In 4 Fällen wurden 100% Unterkunftskosten bewilligt
Grevenbroich
123 Fälle
4 Fälle noch nicht bearbeitet /
beschieden wg. verspätetem Eingang im Januar bzw. fehlende Unterlagen
Kreis
Etwa 60 Anträge wurden beim Kreissozialamt eingereicht und mussten von diesem an die jeweils zuständige Kommune weitergeleitet werden.
Zu den Fällen, in denen weder Mietvertrag noch Mietbescheinigung vorgelegen haben, haben die Kommunen folgendes zurückgemeldet:
Dormagen und Korschenbroich konnten keinen dieser Fälle verzeichnen. Kaarst hat entgegen der Rundverfügung keine Unterkunftskosten übernommen, wenn die Höhe der Unterkunftskosten nicht nachgewiesen werden konnte. Zwischenzeitlich ist jedoch in allen Fällen nachgezahlt worden. Rommerskirchen meldet 4 solcher Fälle. Meerbusch meldet einen solchen Fall.
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Probleme bei der Antragsbearbeitung
- Bezüglich der Rentenüberleitung wurden aus allen Kommunen Unstimmigkeiten gemeldet, sodass Kontakt zum LVR aufgenommen wurde; per Mail wurde seitens von Frau von Berg bestätigt, dass die Renten, die im Dezember für Januar überwiesen wurden, noch vom LVR einbehalten wurden; erst die Renten, die Ende Januar für Februar ausgezahlt werden, werden auf die Existenzsicherung für Februar angerechnet; die dadurch entstandene sog.
Rentenlücke für den Januar, wird durch Nichtanrechnung der Renten auf die existenzsichernden Leistungen gefüllt; ansonsten habe der LVR rechtzeitig die Erstattungsansprüche auf die Rentenzahlungen ab 2020 freigegeben; für den Fall, dass noch Renten beim LVR eingehen, auf die dieser keinen Anspruch hat, werden
diese zeitnah an den Rententräger zurückgezahlt, welcher sodann die Auszahlung an den Berechtigten vornimmt
- Aufwändige Klärungen der Zuständigkeiten
- Angaben im Kurzantrag haben sich als nicht ausreichend erwiesen; es fehlt eine konkrete Nachfrage beispielsweise zum Wohngeld oder Kindergeld; hierüber bestehen bei den Antragstellern / Betreuern häufig keine Kenntnisse
- Kurzantrag wurde häufig nicht vollständig ausgefüllt
- Angaben /Unterlagen mussten nachgefordert werden
- Verzögerte Rückmeldung der Betreuer / Eltern bei Nachfragen
- Keine aktuellen Einkommens- und Vermögensunterlagen im webshare des LVR
- Verspäteter Zugang zum webshare (Mitte Dezember 2019)
- Fallzahlen und Listen des LVR waren unvollständig und fehlerhaft
- Erwerbsminderung wurde durch LVR nicht geprüft (z.B. wurde Grundsicherung gezahlt, obwohl nur befristete Erwerbsminderung vorlag)
- Vom LVR nachgeforderte Unterlagen wurden von dort nicht zur Verfügung gestellt oder nur nicht benötigte Unterlagen wie z.B. EGH-Bescheide
- Es wird ein Anstieg der Widersprüche verzeichnet
- Falsche Information, bei wem die Anträge einzureichen sind
- Unkenntnis der Betreuer / Eltern bzgl. der Einkommens- und Vermögensverhältnisse
- Verspätete Vorlage von Mietbescheinigungen oder Mietverträgen; Änderung der Miethöhe im laufenden Verfahren
- Verspätete Antragstellung
- Verspätete Rundverfügungen durch verspätete Gesetzesverkündung
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Rechtsfragen und praktische Umsetzung
Rundverfügungen des
Kreises im Zusammenhang mit der Umsetzung des BTHG
Durch bisher 6 Rundverfügungen wurden seitens des Kreises Hinweise zu Rechtsgrundlagen und zur praktischen Umsetzung gegeben. Bezüglich der Rechtsgrundlagen ist zu berücksichtigen, dass zu den Gesetzesänderungen erst verzögert Rundverfügungen ergehen konnten, da sich auch die entsprechenden Gesetzgebungsverfahren erheblich verzögert haben (Reparaturgesetz wurde am 05.12.2019 verkündet; Angehörigen-Entlastungsgesetz wurde am 12.12.2019 verkündet). Teils sind auch erwartete Rundschreiben der Ministerien (z.B. zur gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung), die bereits im August angekündigt wurden, erst Ende Oktober in Umlauf gebracht worden.
RV 14/2019 vom 07.08.2019 Bedarfe für Unterkunft und Heizung
RV 15/2019 vom 04.09.2019 Verfahrensweise bei Antragstellung mit Verweis auf Erlass MAGS vom 20.08.2019
RV 18/2019 vom 19.11.2019 Mehrbedarf bei gemeinschaftlicher Mittagsverpflegung in Werkstätten für behinderte Menschen mit Verweis auf RS des BMAS vom 28.10.2019; vor dem Erlass der RV sind Gespräche mit Vertretern der Werkstätten zwecks Abstimmung geführt worden
RV 19/2019 vom 04.12.2019 Verfahrensweise zur Bearbeitung der Anträge
RV 20/2019 vom 06.12.2019 Verfahrensweise zur Bearbeitung der Anträge II; hier: Verfahrensweise gem. § 140 SGB XII (Nichtanrechnung von Renten) mit Verweis auf Schreiben des BMAS vom 04.12.2019
RV 1/2020 vom 08.01.2020 Änderung der Sozialhilfe durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz
Schulung /
Informationsaustausch
Am 17.10.2019 fand in Neuss ein Workshop unter der Leitung des Herrn Dr. Krause statt, welches von allen Teilnehmern als sehr informativ bezeichnet wurde. Zu diversen Rechtsfragen, die sich teilweise erst im Zuge der Antragsbearbeitung ergeben, findet derzeit noch ein reger Informationsaustausch mit Herrn Dr. Krause statt.
Die Grundsatzsachbearbeitung des Kreises steht in ständigem Kontakt zu den zuständigen Mitarbeitern in den Kommunen. Diverse Auslegungsfragen oder Rechtsanwendungsfragen werden jeweils seitens der Kommunen an den Kreis herangetragen und hiernach einheitlich geklärt.
Bevor die Rundverfügung 18/2019 zur gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung in Umlauf gebracht wurde, fand ein Treffen mit Vertretern der Werkstätten für behinderte Menschen statt, in welchem der Inhalt der Rundverfügung vorab erläutert wurde. Es konnte auf diese Weise unter anderem bewirkt werden, dass die Werkstätten von sich aus den Sozialämtern die erforderlichen Informationen zu dem zu berechnenden Mehrbedarf der Antragsteller zukommen lassen.
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Eingliederungshilfe Kreis und Frühförderung
Auch hier sind die Fallübergaben vollzogen und die Fälle in jeweils
neuer Zuständigkeit übernommen. Für die Bedarfsfeststellung ist bei der
Eingliederungshilfe seit Jahresbeginn verpflichtend das sog.
Gesamtplanverfahren durchzuführen. Der Gesamtplan dient der Steuerung,
Wirkungskontrolle und Dokumentation des Teilhabeprozesses. Zum
Gesamtplanverfahren gehört als wesentlicher Bestandteil und Basis der Hilfe die
Bedarfsermittlung. Das BTHG sieht im reformierten Eingliederungshilferecht vor,
dass die Ermittlung des individuellen Bedarfs durch ein Instrument erfolgen
muss, das sich an der ICF orientiert. Die Internationale Klassifikation der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll eine international einheitliche
Kommunikation über die Auswirkungen von Gesundheitsproblemen unter Beachtung
des gesamten Lebenshintergrunds eines Menschen ermöglichen. Die ICF ist gemäß
BTHG insbesondere Bezugspunkt der Bedarfsermittlung im Eingliederungshilferecht
und Grundlage des neu definierten Behinderungsbegriffs. In diesem Zusammenhang
erarbeiten die Träger der Eingliederungshilfe bzw. die Bundesländer derzeit
neue Bedarfsermittlungsinstrumente oder passen bestehende Instrumente an die
Neuregelungen des BTHG an.
Beim Rhein-Kreis Neuss ist für diesen Prozess im Kreissozialamt eine
sozialpädagogische Fachkraft eingestellt worden, die in persönlichen
Gesprächen, hauptsächlich in Hausbesuchen, die Bedarfsermittlung vornehmen
wird. Auch beim Sozialamt der Stadt Neuss, die für Neusser Fälle zuständig
sind, ist entsprechende Fachkompetenz vorhanden. Für die Sachbearbeitung wurde
für diesen neuen speziellen Aufgabenteil bereits eine Prozessbeschreibung als
Leitfaden entwickelt; neue Vordrucke sind in Arbeit. In Gesamtplankonferenzen
ist, wenn mehrere Reha-Stellen Leistungen erbringen müssen, die Abstimmung der
Hilfegewährung vorzunehmen.
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Informationsaustausch mit LVR zu Fällen, in denen die
Unterkunftskosten über 125% liegen
Es laufen derzeit noch Verhandlungen des LVR mit den Anbietern über deren Entgelte. Hierzu ist eine Kommission eingesetzt mit verschiedenen Arbeitsgruppen, in der auch der Landkreistag vertreten ist. Die Leistungsanbieter haben Verträge vorgelegt, die derzeit vom LVR geprüft werden. Die Verbände der Anbieter haben sich damit einverstanden erklärt, bis zum Abschluss der Verhandlungen die Unterkunftskosten über 125 % nicht einzufordern. Es darf mithin kein Druck auf die Antragsteller zwecks Zahlung der überschreitenden Kosten ausgeübt werden. Diese müssen seitens der Antragsteller nicht vorgeschossen werden.
Der LVR hat im Gegenzug zugesagt, die ausgehandelten Entgelte dann rückwirkend beginnend ab dem 01.01.2020 nachzuzahlen.
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Kooperationsvereinbarung
Erste Gespräche mit dem Landschaftsverband wurden bereits geführt. Als eine noch zu lösende Herausforderung stellt sich bei den Kreisen heraus, wie sich die vom Gesetzgeber geforderte „inklusiven Sozialraumorientierung“ auf die Entwicklung und den Ausbau der Dienstleistungen auswirken wird, da strukturelle Veränderungen und Prozesse auch immer räumliche, ortsbezogene Entscheidungen (Standortfrage) betreffen. Hier stellen sich also Fragen zur Beteiligung der kreisangehörigen Kommunen. Gleiches gilt auch für die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege. Außerhalb der Kooperationsvereinbarung konnte vereinbart werden, dass die behinderten Pflegekinder, jetzt in der Zuständigkeit des LVR, auch weiterhin vom Pflegekinderdienst der örtlichen Jugendämter persönlich begleitet werden. Diese Unterstützung soll bis zum Aufbau eigener Strukturen beim LVR geleistet werden; Kosten werden erstattet. Über die weitere Entwicklung wird berichtet.