Betreff
Jugendkreistag im Rhein-Kreis Neuss
Vorlage
51/0862/XVII/2021
Art
Beschlussvorlage

Beschlussempfehlung:

Der Jugendhilfeausschuss stimmt dem Konzept zur Einführung des Jugendkreistages im Rhein-Kreis Neuss zu.

 


Sachverhalt:

A.   Antragstellung

 

Die Kreistagsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben in der Kreistagssitzung am 30.06.2021 ihren Antrag: „Jugendkreistag im Rhein-Kreis Neuss einrichten“ eingereicht. Insoweit wird folgendes vorgeschlagen:

 

„Der Kreistag beschließt, dass ein Jugendparlament im Rhein-Kreis Neuss eingerichtet werden soll, welches über ein Antragsrecht für den Kreistag sowie ein Anfragerecht an die Kreisverwaltung verfügen soll.

 

Der Kreistag beauftragt die Verwaltung, ein Konzept für die Umsetzung eines Jugendparlaments im Rhein-Kreis Neuss zu entwerfen und dem zuständigen Ausschuss zur Verfügung zu stellen. Die Verwaltung wird dazu gebeten, die Wünsche und Rückmeldungen aus einem breiten und vielfältigen Spektrum für die Jugendarbeit zuständigen Institutionen aller Schulen sowie der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Rhein-Kreis Neuss im Alter zwischen 12 und 21 Jahren abzufragen und bei der Konzeptentwicklung zu berücksichtigen.“

 

In der Sitzung fasste der Kreistag folgenden Beschluss:

 

Der Kreistag beschließt die Einrichtung eines Jugendkreistages und beauftragt die Verwaltung zur Konzepterstellung. Das Konzept soll dem Fachausschuss zur Beratung vorgelegt werden.

 

Der Antrag und der Auszug aus der Niederschrift des Kreistages sind als Anlagen der Sitzungsvorlage beigefügt.

 

B.   Allgemeines

 

Die vorliegende Stellungnahme befasst sich mit den rechtlichen Möglichkeiten zur Einrichtung eines Jugendkreistages, den tatsächlichen Gegebenheiten im Rhein-Kreis Neuss sowie der Umsetzung unter den rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Voraussetzungen. Hierbei wird insbesondere untersucht, was praktikabel erscheint:

 

C.   Rechtliche Möglichkeiten

 

a.    Was ist schwierig, bedenklich oder rechtlich nicht möglich?

 

Zunächst wird aufgezeigt, wo die rechtlichen Grenzen für die Teilhabe eines Jugendkreistages für den Rhein-Kreis Neuss liegen.

 

 

1.    Durchführung freier, allgemeiner, gleicher und geheimer Wahlen für einen Jugendkreistag

 

In der Kreistagssitzung am 30.6.2021 forderte Kreistagsabgeordneter Ackburally (Bündnis90/ Die Grünen), die Besetzung des Jugendkreistags aufgrund von freien, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen vorzunehmen. Unabhängig von den hierdurch entstehenden Kosten wäre es Voraussetzung für eine solche Wahl, dass der Rhein-Kreis Neuss eine Wählerliste mit den wahlberechtigten Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 21 Jahren mit erstem Wohnsitz im Rhein-Kreis Neuss erstellt. Diese Daten liegen nicht dem Rhein-Kreis Neuss, sondern den Einwohnermeldeämter der Städte und der Gemeinde Rommerskirchen vor. Eine Weitergabe der Daten an den Rhein-Kreis Neuss ist datenschutzrechtlich nicht möglich (§ 4-6 LDSchG). Es handelt sich um personenbezogene Daten, die aufgrund des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung verfassungsrechtlich geschützt sind. Die für die Weitergabe notwendige Aufgabenkompetenz ist für den Rhein-Kreis Neuss nicht gegeben. Eine vergleichbare Bestimmung zur Beteiligung von spezifischen Interessensgruppen an der lokalen politischen Willensbildung (§ 27 a GO) ist in der Kreisordnung nicht vorgesehen.

 

2.    Antragsrecht des Jugendkreistags im Kreistag

 

Der Kreistag des Rhein-Kreises Neuss kann dem Jugendkreistag kein Antragsrecht für den Kreistag einräumen. Er ist kein gesetzgebendes Organ, das in der Lage wäre, Gesetze des Landtages von Nordrhein-Westfalen zu verändern. Für die Antragstellung im Kreistag hat der Landtag in § 33 Abs. 1 der Kreisordnung folgendes bestimmt:

 

„Der Landrat setzt die Tagesordnung fest. Er hat dabei Vorschläge aufzunehmen, die ihm innerhalb einer in der Geschäftsordnung zu bestimmenden Frist von einem Fünftel der Kreistagsmitglieder oder einer Fraktion vorgelegt werden.“

 

Die Möglichkeit in § 27 a Gemeindeordnung, auf Ebene der Kommunen zur Wahrnehmung der spezifischen Interessen von Jugendlichen besondere Vertretungen zu bilden, hat keinen Eingang in der KreisO gefunden.

 

3.    Anfragerecht des Jugendkreistags

 

Auch ein gesondertes Anfragerecht im Kreistag hat der Landtag von NRW Jugendlichen zur Wahrnehmung spezifischer Interessen nicht eingeräumt.

 

4.    Wirkungskreis des Rhein-Kreises Neuss

 

Der Rhein-Kreis Neuss verfügt anders als die Kommunen vor Ort nicht über eine Allzuständigkeit für örtliche Angelegenheiten. Nach Maßgabe von § 2 GO sind die Gemeinden, nicht aber der Kreis, in ihrem Gebiet ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung.

 

Demgegenüber ist der Rhein-Kreis Neuss nur zur Wahrnehmung auf seinem Gebiet begrenzten überörtlichen Aufgaben zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. Insbesondere fehlt dem Kreis die Zuständigkeit für

 

-       das Bauplanungsrecht,

-       die Schulträgeraufgaben für die allgemeinbildenden Schulen,

-       die örtlichen Parkanlagen und Freizeiteinrichtungen,

-       die Jugendhilfe für Neuss, Grevenbroich, Dormagen, Kaarst und Meerbusch,

-       die Schaffung und Unterhaltung von Sportanlagen im Breitensport,

-       der Musikschulunterricht für Neuss, Dormagen und Meerbusch,

-       die Verkehrssicherheit sowie etwa der Ausbau von Radwegen auf Gemeindestraßen,

-       die Volkshochschule,

-       etc.

 

Anregungen und Beschwerden sowie Anträge in diesen Politikfeldern können mangels Zuständigkeit des Kreises nicht in einem Jugendkreistag beraten und beschlossen werden.

 

Gerade die begrenzte Zuständigkeit des Rhein-Kreise Neuss auf überörtliche Angelegenheiten kann zu starken Frusterlebnissen von Kindern und Jugendliche in einem Jugendkreistag führen.

 

b.    Was ist möglich?

 

Auch wenn der vom Landtag gesetzte rechtliche Rahmen der Beteiligung eines Jugendkreistags viele Grenzen setzt, sollte man auch einen Blick auf die Möglichkeiten werfen:

 

 

1.    Die Selbstverpflichtung des Kreistages

 

Der Kreistag des Rhein-Kreises Neuss beschließt nach Maßgabe von § 26 Abs 1 KreisO über die Angelegenheiten des Kreises, die ihrer Bedeutung nach einer solchen Entscheidung bedürfen oder die er sich vorbehält, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Insoweit ist der Kreistag berechtigt sich durch allgemeinen Beschluss eine Selbstverpflichtung aufzuerlegen, wonach er über alle Beschlüsse des Jugendkreistags berät.

 

 

2.    Anregungen und Beschwerden

 

Die Mitglieder des Jugendkreistages können sich, wie alle anderen Einwohner auch, einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Anregungen oder Beschwerden in Angelegenheit des Kreises an den Kreistag wenden (§ 21 KreisO NW). Die Einzelheiten hierzu ergeben sich aus § 18 der Hauptsatzung. Danach ist die Verwaltung zur Beantwortung der Anregungen und Beschwerden im Rahmen der Zuständigkeit des Kreises verpflichtet.

 

3.    Die Zuständigkeiten des Rhein-Kreises Neuss

 

Im Jugendkreistag können insbesondere folgende Themen beraten werden:

 

-       Auswirkungen des Klima- und Strukturwandels auf das Kreisgebiet

-       Regionalplanung,

-       Angelegenheiten der beruflichen Bildung,

-       Inklusion,

-       Wirtschaftsförderung,

-       Naturschutz und Landschaftspflege,

-       Integration,

-       Förderung des Leistungssports,

-       Gesundheitsaspekte,

-       Bildungsnetzwerk,

-       etc.

 

D.   Die Sonderstellung des Jugendamtes mit der Zuständigkeit für Korschenbroich, Jüchen und Rommerskirchen

 

Häufig wird bei der Teilhabe von Jugendlichen am Gemeinwesen behauptet, „wir haben ein Jugendamt, damit ist alles geregelt“. Für das Jugendamt des Rhein-Kreises Neuss stimmt diese verbreitet vorherrschende Meinung nicht. Denn das Jugendamt ist zuständig für die örtlichen Angelegenheiten der Kommunen Korschenbroich, Jüchen und Rommerskirchen. Es nimmt gerade nicht, wie der Kreis sonst, überörtliche Aufgaben war.

 

Für die örtlichen Angelegenheiten der Jugendhilfe gibt es einen klaren gesetzlichen Auftrag zur Beteiligung. Nach Maßgabe von § 6 Abs. 2 des dritten Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (3.AG-KJHG-KJ-FÖG) sollen Kinder und Jugendliche an allen ihre Interessen berührenden Planungen, Entscheidungen und Maßnahmen, insbesondere bei der Wohnumfeld- und Verkehrsplanung, der bedarfsgerechten Anlage und Unterhaltung von Spielflächen sowie der baulichen Ausgestaltung öffentlicher Einrichtungen in angemessener Weise beteiligt werden.

Das Jugendamt des Rhein-Kreises Neuss hat verschiedene Beteiligungsformate je nach Situation und Struktur, bedürfnisorientiert in einzelnen Kommunen umgesetzt- so z. B. Ortsteilgespräche, direkte Beteiligung bei Projekten, Spielplatz / Skatanlage oder den Bau von Spielgeräten.

Die jahrelange Erfahrung zeigt, dass je konkreter ein Projekt ist, auch die Beteiligung größer ist. Hierbei spielen Zeit, Geld, Personal und das Verfahren eine große Rolle, um junge Menschen nicht zu enttäuschen.

In den vergangenen drei Jahren haben sich für das Jugendamt die Jugendkonferenzen als gutes Format bewährt. Kinder und Jugendliche ab elf Jahren werden regelmäßig vom Bürgermeister eingeladen und können ihre Anliegen vortragen. Rederecht haben hierbei die Kinder und Jugendlichen. Die Ergebnisse der Jugendkonferenzen werden in einem Protokoll festgehalten und anschließend von den entsprechenden politischen Ausschüssen aufgenommen. Je nach Anliegen werden Arbeitsgruppen gebildet, die von der Verwaltung begleitet werden. Die Ergebnisse werden bei der nächsten Jugendkonferenz vorgestellt.

Folgende örtliche Projekte sind bisher aus den Jugendkonferenzen hervorgegangen:

-       Gestaltung und Aufbau besonderer Mülleimer,

-       Temporärer Bauspielplatz,

-       Graffiti-Aktion,

-       Planung einer BMX-Strecke,

-       Instagram Seite „K’broich4ju“

-       Gardening 4you,

-       Planung und Gestaltung einer Skateranlage

-       Planung und Aufbau einer Fitnessanlage.

 

In Vorbereitung sind außerdem ein Schwarzlicht-Jugendevent im November und die Vorstellung einer Taschengeldbörse. Weiterhin wird der Einsatz eines/einer Botschafter/in für die Jugendkonferenz und deren Projekte in den Schulen geplant.

 

Diese Zuständigkeiten sind wegen der überörtlichen Zuständigkeit des Rhein-Kreises Neuss nicht auf den Jugendkreistag übertragbar.

 

E.    Die Ausgestaltung des Jugendkreistags

 

a.    Rechtsakt

 

Die konkrete Ausgestaltung des Jugendkreistags mit der Zusammensetzung, der Amtszeit und der Zuständigkeit erfolgt durch eine vom Kreistag zu beschließende Satzung.

 

b.    Amtszeit des Jugendkreistages

 

Die Amtszeit des Jugendkreistages richtet sich nach der Wahlperiode des Kreistages.

 

c.    Die Zusammensetzung des Jugendkreistages

 

Der Jugendkreistag selbst kann mangels Wahlen über keine unmittelbare demokratische Legitimation verfügen. Dennoch sollte sich das Ergebnis der Kommunalwahl auf seine Zusammensetzung auswirken. Aus diesem Grund wird vorgeschlagen, dass jede Kreistagsabgeordnete und jeder Kreistagsabgeordneter ein Kind oder einen Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 21 Jahren als Vertretung für den Jugendkreistag benennt.

 

d.    Vorsitz

 

Vorsitzender des Jugendkreistages sollte der jeweilige Landrat des Rhein-Kreises Neuss als unmittelbar gewählter Vertreter der Bürgerinnen und Bürger des Rhein-Kreises Neuss sein. Dies unterstreicht die Bedeutung des Jugendkreistags für die politische Teilhabe garantiert eine professionelle Sitzungsleitung.

 

e.    Organisatorische Aspekte

 

1.    Geschäftsstelle

Damit ein Jugendkreistag, der aus ehrenamtlichen Mitgliedern besteht, wirkungsvoll arbeiten kann, bedarf er professioneller Unterstützung. Insoweit ist eine Geschäftsstelle einzurichten, die folgende Aufgabe hat:

 

            Feststellung der Teilnahmeberechtigten vor jeder Sitzung,

            Sitzungsvorbereitung,

            Erstellung einer Tagesordnung,

            Protokollführung,

            Bewirtschaftung der Aufwandsentschädigungen,

            Fortbildung,

            etc.

 

 

 

2.    Aufwandsentschädigung

 

Für die Wahrnehmung der Aufgabe sollte den Kindern und Jugendlichen ein Sitzungsgeld gewährt werden, mit dem sie ihren Reiseaufwand finanzieren könne

 

3.    Geschäftsordnung

 

Dem Jugendkreistag wird das Recht eingeräumt, sich selbst eine Geschäftsordnung zu geben.

 

 

F.    Ergebnis

 

Im Ergebnis wird folgendes vorgeschlagen:

 

Der Rhein-Kreis Neuss richtet für die Dauer seiner Wahlperiode einen Jugendkreistag ein. Die Ausgestaltung wird in einer Satzung festgelegt:

 

Die Besetzung des Jugendkreistages erfolgt durch die Benennung einer Vertretung von jedem Mitglied im Kreistag. Der Landrat ist nicht berechtigt, eine Vertretung zu benennen.

 

Das Mindestalter der Mitglieder des Jugendkreistages beträgt 12 Jahre, die Mitglieder dürfen das 22. Lebensjahr nicht vollendet haben.

 

Vorsitzender des Jugendkreistags ist der jeweils amtierende Landrat des Rhein-Kreises Neuss mit Sitz- und Stimmrecht.

 

Die Zuständigkeit des Jugendkreistags ergibt sich aus den überörtlichen kommunalen Zuständigkeiten des Rhein-Kreises Neuss.

 

Der Jugendkreistag erhält eine Geschäftsstelle.

 

Der Jugendkreistag gibt sich eine Geschäftsordnung.

 

Die Mitglieder des Jugendkreistages erhalten eine Aufwandsentschädigung.

 

Der Kreistag des Rhein-Kreises Neuss verpflichtet sich, die Beschlüsse des Jugendkreistages in seiner Kreistagssitzung zeitnah zu beraten.