Betreff
Behandlung im Voraus Planen (BVP) – Konzept für eine regionale Implementierung im Rhein-Kreis Neuss
Vorlage
50/1169/XVII/2022
Art
Bericht

Beschlussvorschlag:

Der Ausschuss für Soziales und Wohnen empfiehlt die Beschlussfassung folgender Punkte:

 

Der Rhein-Kreis Neuss bekräftigt seine Unterstützung des Projektes einer regionalen Implementierung von „Behandlung im Voraus planen“.

 

Um die Corona bedingten Schwierigkeiten in den Jahren 2020 und 2021 zu kompensieren, beschließt der Kreisausschuss eine Verlängerung der Projektlaufzeit um zwei Jahre, so dass auch für die Jahre 2025 und 2026 eine Kreisförderung erfolgt.

 

Auf Grundlage der in den ersten beiden Jahren gemachten Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse der als Koordinierungsstelle fungierenden Technologiezentrum Glehn GmbH wird der jährliche Kreiszuschuss ab dem Jahr 2022 für den Rest der Projektlaufzeit um den Betrag von 5.000,-€ erhöht, um die festgestellten Defizite aus der gesetzlichen Finanzierung des § 132g SGB V aufzufangen.

 

Der Kreisausschuss beschließt zudem, dass das Angebot von „Behandlung im Voraus planen“ schnellstmöglich auch Menschen mit Behinderung zuteilwerden soll, die in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe im Rhein-Kreis Neuss leben. Um die notwendigen organisatorischen und inhaltlichen Voraussetzungen aufzubauen, wird der Stellenanteil des bei der Technologiezentrum Glehn GmbH implementierten Koordinators entsprechend um 0,2 Vollzeitäquivalente erhöht.

 

Der Kreiszuschuss beträgt damit für die folgenden Jahre:

 

2022: 83.724,-€;

2023: 86.267,-€;

2024: 88.849,-€;

2025: 91.471,-€;

2026: 94.133,-€

 

Haushaltsmittel stehen bei PSP 1.100.050.351.010 / Kostenart 52911310 zur Verfügung.

 

 


Sachverhalt:

In der Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses am 11.09.2019 hat die Verwaltung ein Konzept zur regionalen Implementierung von „Behandlung im Voraus planen (BVP)“ vorgelegt. Der Ausschuss hat in der vorgenannten Sitzung den Beschluss gefasst, das Projekt finanziell zu fördern.

 

Über die Fortschritte des Projektes, die erreichten Ziele und die gewonnenen Erfahrungen berichtet die Verwaltung wie folgt. Hierzu wird auf das von Prof. Jürgen in der Schmitten gemeinsam mit dem Kreissozialamt erstellte Konzept verwiesen, welches Grundlage für die politischen Beschlussfassungen im Sozial- und Gesundheitsausschuss war.

 

I. Sachstand der Aufbauarbeit

 

1. Aufbau der Koordinierungsstelle am TZG

 

Auf Grundlage des Kreistagsbeschlusses zur Förderung der regionalen Implementierung von BVP wurde durch das Kreissozialamt am 20.11.2019 ein entsprechender Förderbescheid an die Technologiezentrum Glehn GmbH (TZG) erstellt. Das TZG war in vorangegangenen Gesprächen als Kooperationspartner gewonnen worden und fungiert seither als Koordinierungsstelle für BVP im Rhein-Kreis Neuss.

 

2. Teilnahme von Einrichtungen am Projekt

 

Im nächsten Schritt wurden Anfang 2020 schriftliche Kooperationsvereinbarungen zwischen dem TZG und den folgenden vier stationären Pflegeeinrichtungen abgeschlossen:

 

Ø  Haus Nordpark, Neuss

Ø  Caritashaus St. Elisabeth, Rommerskirchen

Ø  Caritashaus St. Theresienheim, Neuss

Ø  Johanniter-Stift Kaarst, Kaarst

 

Mitte 2021 kam das Johanniter-Haus in Kaarst hinzu. Diese kleine Einrichtung für dementiell veränderte Menschen befindet sich am gleichen Standort wie das Johanniter-Stift Kaarst.

 

Die Auswahl der Einrichtungen war vorab mit allen interessierten Pflegeeinrichtungen abgestimmt worden. Den weiteren interessierten Einrichtungen sind Perspektiven eröffnet, um dem Projekt sukzessive beizutreten. Diese zeitliche Staffelung ist erforderlich und im Konzept vorgesehen, um den Aufwand der Implementierungsphasen in den einzelnen Einrichtungen angemessen durch die Koordinierungsstelle begleiten zu können.

 

Auf Basis der ersten vier Kooperationsvereinbarungen wurden Arbeitsverträge mit zwei für BVP qualifizierten Gesprächsbegleitern abgeschlossen, die die operative Aufgabenwahrnehmung sicherstellen können. Insgesamt stehen seither 1,5 Vollzeitstellen hierfür zur Verfügung.

 

3. Vereinbarung mit dem zuständigen Landesverband der Pflegekassen

 

Bei der Knappschaft Bochum, dem für das Gebiet des Rhein-Kreises Neuss zuständigen Landesverband der Pflegekasse, wurde für die o.g. Einrichtungen eine Vereinbarung nach § 132g SGB V beantragt. Die erforderlichen Unterlagen wurden zur Verfügung gestellt. Erst Mitte 2020 wurde seitens der Landesverbände der Pflegekassen die erforderliche Vereinbarung unterzeichnet. Diese ist Voraussetzung für die Zahlbarmachung der den Pflegeeinrichtungen zustehenden Leistungen durch die Pflegekassen. Das TZG erhielt somit über einen längeren Zeitraum de facto keine Zahlungseingänge. Mittlerweile laufen die Zahlungen durch die Kassen reibungslos. Ab dem 01.10.2021 wurden die Vergütungsvereinbarung nach entsprechenden Verhandlungen zwischen TZG und der Knappschaft Bochum angepasst, um die tarifbedingten Lohnkostensteigerungen abzubilden. Die nächste Verhandlungsrunde wird durch das TZG im Sommer 2022 mittels eines entsprechenden Antrags an die Knappschaft Bochum eingeleitet werden. 

 

II. Erfahrungen mit dem Projekt

 

1. Corona Lage

 

Während der ersten Monate des Projektes, die für den Aufbau von Strukturen entscheidend sind, begann die Corona-Pandemie. Diese hatte massiven Einfluss auf die Projektarbeit, da in den Einrichtungen der Pflege, den Krankenhäusern, den Arztpraxen und im Rettungsdienst alle Ressourcen für die Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie gebündelt werden mussten.

 

Für längere Zeit gab es Besuchsbeschränkungen in den Pflegeeinrichtungen und entsprechend große Verunsicherung, ob die Gesprächsbegleiter ihre operative Tätigkeit überhaupt würden ausführen können.

 

Für die regionale Implementierung ist es zwingende Voraussetzung, mit den o.g. Akteuren ins Gespräch zu kommen. Dies war vor dem Hintergrund der beschriebenen und auch bekannten Situation nicht möglich. Die Auswirkungen der Corona Lage dauern bis heute an und hemmen massiv den Aufbau regionaler Strukturen zur Implementierung von BVP.

 

Hierzu trug auch der Umstand bei, dass die Kreisverwaltung ihre Prioritäten auf die Corona-Pandemie verlagern musste und somit als wichtige Schnittstelle in der Implementierungsphase fast vollständig ausfiel. Dadurch konnte auch der Aufbau der im Konzept vorgesehenen Steuerungsgruppe nicht in der angedachten Form realisiert werden.

 

Auch vor dem Hintergrund der Corona bedingten Belastung des Pflegesektors mussten alle Überlegungen zur Einbindung weiterer Einrichtungen in das Projekt verschoben werden.

 

Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass die eingestellten Gesprächsbegleiter und die Koordinatorin am TZG angesichts der Pandemie nicht etwa untätig oder freigestellt waren, sondern alles darangesetzt haben, im begrenzten Rahmen des pandemie-bedingt Möglichen und allen resultierenden Widrigkeiten zum Trotz eine BVP-Implementierung zu realisieren.

 

Ungeachtet dessen muss im Ergebnis festgehalten werden, dass die Auswirkungen der Corona Lage das Projekt in seiner Zielsetzung einer regionalen Vernetzung und im Aufbau von Strukturen während der Jahre 2020 und 2021 massiv beeinträchtigt und eingebremst haben.

 

2. Erfahrungen der beteiligten Pflegeeinrichtungen

 

Glücklicherweise konnte die operative Arbeit der Gesprächsbegleiter in den bereits am Projekt teilnehmenden Einrichtungen auch während der Pandemie fortgeführt und zwischen den Hochphasen der Pandemie immer wieder weiter vorangebracht werden. Hiermit ging die Aufbauarbeit von Strukturen und Prozessen in den beteiligten Pflegeeinrichtungen einher.

 

In einer Informationsveranstaltung für alle interessierten Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe, die am 01.02.2022 auf Einladung der WTG-Behörde in digitalem Format stattgefunden hat, haben die fünf derzeit beteiligten Pflegeeinrichtungen ihre Erfahrungen mit der Implementierung von BVP geschildert. Diese Schilderungen von Einrichtungsleitungen, Pflegekräften und Kräften der Sozialen Dienste waren beeindruckend. Die von BVP angedachten Verbesserungspotentiale sowie die im Konzept benannten Zielsetzungen für das Zustandekommen von validen Vorausverfügungen wurden erkennbar in einem relevanten Ausmaß erreicht. Die professionelle Arbeit der Gesprächsbegleiter, die gemäß den Vorgaben von BVP qualifiziert sind, wurde durch die Einrichtungsvertreter klar bestätigt. Somit wurde deutlich, dass das erarbeitete und zugrunde liegende Konzept auf dem richtigen Weg ist.

 

Beklagt wurde, dass Corona bedingt die regionale Implementierung noch nicht den gewünschten Stand erreichen konnte.

 

Weitere Pflegeeinrichtungen haben ihre Bereitschaft und ihr Interesse mitgeteilt, dem Projekt beizutreten. Dies soll in den nächsten Monaten realisiert werden.

 

3. Einbezug von Menschen mit Behinderung / Einrichtungen der Eingliederungshilfe

 

Seitens der Eingliederungshilfe besteht weiterhin großes Interesse an einer Teilhabemöglichkeit. Leider standen der Koordinierungsstelle jedoch keine Ressourcen zur Verfügung, um die besonderen Bedarfe von Menschen mit Behinderung zu berücksichtigen, die im Rahmen eines Gesprächsprozesses zur Erstellung einer validen Vorausverfügung erforderlich wären.

 

Als Beispiel kann dienen, dass derartige Gespräche mit vielen Menschen nur durch den Einsatz einfacher Sprache erleichtert würden. Hierzu haben die wissenschaftlichen Projektpartner des Kreises erst im laufenden Jahr Materialien entwickelt, die künftig Eingang in die Arbeit der Eingliederungshilfe finden können.

 

Um neben den bestehenden Aufgaben des Koordinators im Bereich der Pflegeeinrichtungen auch die entsprechenden Maßnahmen für die Eingliederungshilfe mit dem für den dortigen Personenkreis zusätzlichen Entwicklungsaufwand effektiv und zielgerichtet zu planen und auf den Weg zu bringen, würde eine zusätzliche personelle Ressource benötigt. Dies könnte durch eine Aufstockung des Stellenanteils des Koordinators erfolgen. Die Kreisverwaltung und ihre wissenschaftlichen Projektpartner schätzen auf der Grundlage von Erfahrungen an anderen Orten, dass eine Aufstockung um 0,2 Vollzeitäquivalente zur Erreichung dieses Ziels angemessen wäre.

 

Dem Beschluss des Sozial- und Gesundheitsausschusses vom 11.09.2019 lag der Betrag eines Jahresarbeitgeberbruttos von 70.000,-€ zugrunde. Eine Aufstockung um 0,2 Vollzeitäquivalente hätte somit eine Steigerung des Zuschusses von 14.000,-€ (Basiszahl 2020) zur Folge, die gemäß der Systematik des Kreiszuschusses um 2,5 v.H. jährlich fortgeschrieben würde.

 

4. Erfahrungen des TZG

 

Der Aufbau der formell erforderlichen Strukturen, z.B. der Verträge und Vereinbarungen, ist abgeschlossen und bildet eine solide Grundlage für die weitere Arbeit. Das TZG bietet einen guten Rahmen, um auch weiterhin als Koordinierungsstelle zu fungieren.

Die Kreisverwaltung hat unter Beteiligung von Prof. in der Schmitten (Forschungsschwerpunkt Advance Care Planning, Universitätskliniken Düsseldorf / Essen) am 05.01.2022 eine Prüfung der Ein- und Ausgaben beim TZG vorgenommen. Unregelmäßigkeiten wurden dabei nicht festgestellt. Das TZG bewirtschaftet und verwendet die zur Verfügung stehenden Mittel ordnungsgemäß.

 

Der Rhein-Kreis Neuss ist eine der wenigen Regionen in Deutschland, die versuchen, eine regionale Implementierung von BVP so aufzubauen, dass langfristig eine gesicherte Finanzierung über die den Pflegeeinrichtungen zustehende Finanzierung auf Basis des § 132g SGB V entsteht. Gleichzeitig werden durch die Bildung eines zentralen BVP-Gesprächsbegleiter-Teams am TZG („Pool-Lösung“) strukturelle Voraussetzungen für die perspektivisch dringend wünschenswerte Ausweitung dieser Leistung erstmals geschaffen. Die bisherigen Erfahrungen des TZGs zeigen allerdings, dass der in der gesetzlichen Grundlage vorgesehene Finanzierungsanteil des „Overhead“ in einer Anlauf- und Projektphase nicht auskömmlich bemessen ist.

 

Dem TZG entstehen, trotz Ausschöpfung der gesetzlichen Finanzierung und unter Berücksichtigung des Kreiszuschusses aktuell ungedeckte Kosten von rund 5.000,-€ pro Jahr. Grund sind die internen Kosten, die dem TZG durch die Übernahme der Aufgabe der Funktion als Zentraler Anstellungsträger entstehen und die aus dem entsprechenden Personalaufwand des TZG resultieren, der über die für die im Konzept für inhaltliche Aufgaben der regionalen Implementierung vorgesehene Koordinatorenstelle hinausgehen, z.B. anteilige Kosten für Finanzbuchhaltung, Personalsachbearbeitung, EDV-Administration oder Kosten für die notwendige Beteiligung der Geschäftsführung.

 

Es bleibt abzuwarten, ob sich dieses Delta mit zunehmender Dauer des Projektes verkleinert, sobald mehr Einrichtungen in das Projekt einsteigen und somit mehr Einnahmen durch steigende Pflegekassenleistungen zu verzeichnen sind.

 

Die vorgenannten Aspekte aus der praktischen Umsetzung des Konzeptes sind neben den inhaltlichen Erkenntnissen wichtige Erfahrungen für Umsetzungsvorhaben einer regionalen Implementierung von BVP. Das Team der wissenschaftlichen Projektbegleitung um Prof. in der Schmitten hat die Aufgabe übernommen, diese Erkenntnisse und Erfahrungen dem zuständigen Bundesgesundheitsministerium sowie dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung zu schildern, damit ggf. eine Anpassung der bundesgesetzlichen Regelung im Hinblick auf eine erforderliche Regelfinanzierung erfolgen kann.

 

5. Weiterführung des Projektes

 

Die Kreisverwaltung, das TZG und die beteiligten Pflegeeinrichtungen sind darin einig, dass das Projekt inhaltlich den richtigen Weg beschreitet und daher fortgesetzt wird.

Um einen erfolgreichen Projektverlauf sicherzustellen und die gewünschten Ergebnisse liefern zu können, regt die Verwaltung daher an, dass der Ausschuss für Soziales und Wohnen dem nachfolgenden Beschlussvorschlag folgen möge.

Diesem Beschlussvorschlag liegt die folgende Kalkulation zugrunde.