Beschlussempfehlung:
Der Sozial- und
Gesundheitsausschuss nimmt die regionale Bestandsaufnahme zur Volkskrankheit
Depression zur Kenntnis und befürwortet die weitreichenden Bemühungen, das
Krankheitsbild noch stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen sowie
die Versorgung der betroffenen PatientInnen zu optimieren. In Anlehnung an das
bundesweite etablierte Bündnis gegen Depression sollte eine analoge regionale
Initiative unter Federführung des Zentrums für Seelische Gesundheit Neuss auf
den Weg gebracht werden.
Sachverhalt:
Die Mitglieder der Konferenz für Gesundheit, Pflege und Alter haben
sich in ihrem Treffen am 4. Juni 2014
mit dem Düsseldorfer Bündnis gegen Depression befasst, einer Initiative die aus
einem Modellprojekt in Nürnberg hervorgegangen war. Bei dem Modellprojekt in
Nürnberg konnte die Suizidrate bereits nach zwei Jahren um 25 % gesenkt werden.
Das Düsseldorfer Bündnis gegen Depression ist Teil des Deutschen
Bündnisses gegen Depression und eines von fast 70 regionalen Bündnissen in
Deutschland, die sich zur Aufgabe gemacht haben, die Öffentlichkeit über diese
psychiatrische Erkrankung aufzuklären und die Versorgungsstruktur zu
verbessern. Dafür hat sich in Düsseldorf ein eingetragener Verein gegründet,
der mit dem Deutschen Bündnis gegen Depression (dieses ist auch ein
eingetragener Verein unter der Dachorganisation „Stiftung Deutsche
Depressionshilfe“) einen Kooperationsvertrag über die Nutzung vorhandener
Materialien, wie Flyer, Poster, etc. sowie die Beratung beim Gründungsprozess und
bei der Kampagnenplanung gegen Zahlung einer Aufwandsentschädigung
abgeschlossen hat. Die Laufzeit beträgt zunächst drei Jahre. Ein solches
Bündnis ist im vergangenen Jahr im Übrigen ebenfalls im Kreis Wesel geschlossen
worden. Die Kosten für eine Region mit Einwohnern zwischen 250.000 und 500.000
Einwohnern betragen einmalig 7.800 EUR, die Mitgliedschaft als natürliche
Person (ein Vertreter) oder juristische Person (z.B. als Verein) im Deutschen
Bündnis gegen Depression ist notwendige Voraussetzung für den Abschluss einer
solchen Kooperationsvereinbarung. Der Mitgliedsbeitrag beträgt 50 EUR pro Jahr.
Die Mitglieder der Konferenz für Gesundheit, Pflege und Alter des
Rhein-Kreises Neuss haben in ihrer Juni-Sitzung den Beschluss gefasst, ein
Vorhaben zur Gründung eines Bündnisses gegen Depression im Rhein-Kreis Neuss zu
unterstützen. Voraussetzung dafür soll eine enge Kooperation mit den Fachleuten
und den in die Thematik eingebundenen Institutionen im Kreisgebiet sein.
Depressive Störungen treten häufig zusammen mit anderen psychischen und
körperlichen Erkrankungen auf. Sie haben, selbst bei einer leichten Ausprägung,
einen bedeutsamen Krankheitswert und sind behandlungsbedürftig. Insbesondere
wenn sie einen chronifizierenden Verlauf nehmen, beeinträchtigen sie die
Lebensqualität und verursachen z.B. Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit
genauso wie schwerer ausgeprägte Erkrankungen.
Das Thema Depression begleitet uns im Rhein-Kreis Neuss bereits seit
einigen Jahren. Im Psychiatriebericht 2008, S. 27 ff, finden wir Ausführungen
über die Erkrankung sowie Daten für den Rhein-Kreis Neuss. Im
Klassifikationssystem der ICD-10 werden depressive Störungen innerhalb der
diagnostischen Kategorie „Affektive Störungen“ subsumiert, die sowohl „Manie“
als auch „Depression“ als Pole des Gesamtspektrums umfasst. „Depressive sind
durch ihre Erkrankung meist in ihrer gesamten Lebensführung beeinträchtigt; es
gelingt ihnen nur schwer, alltägliche Aufgaben zu bewältigen, sie leiden unter
starken Selbstzweifeln und haben auch das Interesse an Dingen verloren, die
ihnen früher wichtig waren… Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen
Krankheiten.
Die 12-Monats-Prävalenz liegt bei 8,3% (Quelle: onmeda.de). Davon
ausgehend leben im Kreisgebiet ca. 37.000 Menschen mit einer Depression.
Im Bereich der Eingliederungshilfe spielen Depressionen ebenfalls eine
Rolle. Menschen mit Depression gehören zu den Empfängern der Hilfen zum
betreuten Wohnen.
Unter der Regie von Psychonomics und unter Mitwirkung der Mitglieder
der Steuergruppe Sucht und Psychiatrie hat es im Jahr 2010 eine ausführliche
Studie zur Versorgung von Patienten mit Depression (und / oder Schizophrenie)
im Rhein-Kreis Neuss gegeben. Durch diese Studie hat sich unter anderem
herausgestellt, dass es zwischen den Versorgungssystemen (behandelnder Arzt,
Betreuer, Reha-Einrichtungen etc.) gravierende Mängel in der Kooperation gibt.
Mehr als die Hälfte der Versorger orientiert sich nicht an den Leitlinien der
Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN). Auch ist das
Versorgungssystem nicht transparent für den Patienten. Des Weiteren ist
seinerzeit die Etablierung eines Patientenlotsen vorgeschlagen worden.
Problematisch waren die Wartezeiten für Patienten für eine Terminvergabe beim
niedergelassenen Psychotherapeuten und auch in der Psychiatrischen Tagesklinik;
diese dauerten in der Regel länger als ein halbes Jahr.
Im Jahr 2010 ist die gerontopsychiatrische Beratungs- und
Koordinationsstelle (BEKO) für den Rhein-Kreis Neuss in der Stadt Neuss in
Trägerschaft der St. Augustinus Kliniken etabliert worden, die Menschen im
höheren Lebensalter mit vorwiegend einer Demenzerkrankung aber auch mit
Depression oder einer Suchterkrankung berät und in weitere Versorgungsangebote
vermittelt. Die Klienten und Angehörigen kommen zu einem Großteil aus Neuss,
aber auch aus den anderen Städten und Gemeinden im Kreisgebiet. Die Vernetzung
und Kooperation mit anderen Leistungserbringern waren dabei ein wichtiger
Bestandteil, der besonders in Bezug auf das Krankheitsbild Demenz umgesetzt
worden ist. Das Angebot der BEKO hat sich mittlerweile auch aufgrund der
Öffentlichkeits- und Vernetzungsarbeit des Trägers im Rhein-Kreis Neuss sehr
gut etabliert. Rund 65% der Klienten kommen mit der Diagnose Demenz, 15% der
Patienten mit einer Depression, weitere 15 % haben eine Demenz und eine
Depression; weitere kommen mit einer Suchterkrankung oder Parkinson, Psychose,
einer Angststörung oder mit suizidalen Gedanken (Tätigkeitsbericht der BEKO,
2012).
Der Landschaftsverband Rheinland hatte für die Etablierung der
Gerontopsychiatrischen Beratungsstelle der St. Augustinus Kliniken GmbH eine
Anschubfinanzierung in Höhe von insgesamt 157.500 EUR zur Verfügung gestellt.
Auch in den Seniorenberatungsstellen der Träger, die sich in der AG
„Beratung über Hilfen im Alter“ zusammengeschlossen hatten, ist das Thema
Depression angekommen, hier allerdings als gesellschaftliches Thema, nämlich -
Depression als Folge von Armut. Wenn die Rente nicht reicht, um an kulturellen
Veranstaltungen teilnehmen zu können, droht Isolation / Vereinsamung -
besonders bei alleinstehenden Frauen (Tätigkeitsbericht Beratung im Alter,
2010). Rund 66 % der Klienten waren alleinstehend, 68% weiblich).
Aktuell wird im Rhein-Kreis Neuss in Kooperation zwischen dem
Gesundheitsamt und dem St. Josef / St. Alexius Krankenhaus eine Studie zur
Erfassung der Gründe für einen Suizid durchgeführt. Es wird geschätzt, dass
45-70% aller Suizidopfer zuvor an einer Depression gelitten haben (Lejoyeux
& Rouillon 1996; Wolfersdorf 2000). Weitere mögliche Ursachen für einen Selbstmord
können Psychosen (Schizophrenie), Suchterkrankungen, traumatische Erlebnisse,
die zu einer Lebenskrise führen (Liebeskummer, Geldprobleme….), oder starke
Schmerzen z.B. bei einer Krebserkrankung sein.
Depressionen treten auch bei Kindern und Jugendlichen auf sowie bei
Erwachsenen – Männern und Frauen- im erwerbsfähigen Alter, dementsprechend also
nicht nur in der älteren Bevölkerung.
Durch die BELLA-Studie des Robert-Koch-Instituts (2003-2006 in
Deutschland, Teil der KIGGS-Studie) wurde nachgewiesen, dass bei 21,9% der
Kinder und Jugendlichen zwischen 7 und 17 Jahren Hinweise für psychische
Auffälligkeiten vorliegen. Bei 10% der Studienteilnehmer gab es Hinweise auf
Angststörungen, bei 7,6% Hinweise auf Störungen des Sozialverhaltens und 5,4%
auf eine Depression. Von den Kindern und Jugendlichen mit Hinweisen auf
psychische Erkrankungen sind jedoch nur etwa die Hälfte in psychiatrischer /
psychotherapeutischer Behandlung.
Das Thema Depression ist sehr komplex und sollte in jedem Fall im Kreisgebiet besser verankert werden. Nach inzwischen erfolgtem fachlichen Austausch trägt der Ärztliche Direktor und Geschäftsführer des Zentrums für Seelische Gesundheit Neuss, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Martin Köhne zum Themenkomplex vor.