Betreff
Bündnis gegen Depression im Rhein-Kreis Neuss
Vorlage
53/0158/XVI/2014
Art
Beschlussvorlage

Beschlussempfehlung:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss nimmt die regionale Bestandsaufnahme zur Volkskrankheit Depression zur Kenntnis und befürwortet die weitreichenden Bemühungen, das Krankheitsbild noch stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen sowie die Versorgung der betroffenen PatientInnen zu optimieren. In Anlehnung an das bundesweite etablierte Bündnis gegen Depression sollte eine analoge regionale Initiative unter Federführung des Zentrums für Seelische Gesundheit Neuss auf den Weg gebracht werden.  


Sachverhalt:

Die Mitglieder der Konferenz für Gesundheit, Pflege und Alter haben sich in ihrem Treffen am  4. Juni 2014 mit dem Düsseldorfer Bündnis gegen Depression befasst, einer Initiative die aus einem Modellprojekt in Nürnberg hervorgegangen war. Bei dem Modellprojekt in Nürnberg konnte die Suizidrate bereits nach zwei Jahren um 25 % gesenkt werden.

 

Das Düsseldorfer Bündnis gegen Depression ist Teil des Deutschen Bündnisses gegen Depression und eines von fast 70 regionalen Bündnissen in Deutschland, die sich zur Aufgabe gemacht haben, die Öffentlichkeit über diese psychiatrische Erkrankung aufzuklären und die Versorgungsstruktur zu verbessern. Dafür hat sich in Düsseldorf ein eingetragener Verein gegründet, der mit dem Deutschen Bündnis gegen Depression (dieses ist auch ein eingetragener Verein unter der Dachorganisation „Stiftung Deutsche Depressionshilfe“) einen Kooperationsvertrag über die Nutzung vorhandener Materialien, wie Flyer, Poster, etc. sowie die Beratung beim Gründungsprozess und bei der Kampagnenplanung gegen Zahlung einer Aufwandsentschädigung abgeschlossen hat. Die Laufzeit beträgt zunächst drei Jahre. Ein solches Bündnis ist im vergangenen Jahr im Übrigen ebenfalls im Kreis Wesel geschlossen worden. Die Kosten für eine Region mit Einwohnern zwischen 250.000 und 500.000 Einwohnern betragen einmalig 7.800 EUR, die Mitgliedschaft als natürliche Person (ein Vertreter) oder juristische Person (z.B. als Verein) im Deutschen Bündnis gegen Depression ist notwendige Voraussetzung für den Abschluss einer solchen Kooperationsvereinbarung. Der Mitgliedsbeitrag beträgt 50 EUR pro Jahr.

Die Mitglieder der Konferenz für Gesundheit, Pflege und Alter des Rhein-Kreises Neuss haben in ihrer Juni-Sitzung den Beschluss gefasst, ein Vorhaben zur Gründung eines Bündnisses gegen Depression im Rhein-Kreis Neuss zu unterstützen. Voraussetzung dafür soll eine enge Kooperation mit den Fachleuten und den in die Thematik eingebundenen Institutionen im Kreisgebiet sein.

 

Depressive Störungen treten häufig zusammen mit anderen psychischen und körperlichen Erkrankungen auf. Sie haben, selbst bei einer leichten Ausprägung, einen bedeutsamen Krankheitswert und sind behandlungsbedürftig. Insbesondere wenn sie einen chronifizierenden Verlauf nehmen, beeinträchtigen sie die Lebensqualität und verursachen z.B. Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit genauso wie schwerer ausgeprägte Erkrankungen.

Das Thema Depression begleitet uns im Rhein-Kreis Neuss bereits seit einigen Jahren. Im Psychiatriebericht 2008, S. 27 ff, finden wir Ausführungen über die Erkrankung sowie Daten für den Rhein-Kreis Neuss. Im Klassifikationssystem der ICD-10 werden depressive Störungen innerhalb der diagnostischen Kategorie „Affektive Störungen“ subsumiert, die sowohl „Manie“ als auch „Depression“ als Pole des Gesamtspektrums umfasst. „Depressive sind durch ihre Erkrankung meist in ihrer gesamten Lebensführung beeinträchtigt; es gelingt ihnen nur schwer, alltägliche Aufgaben zu bewältigen, sie leiden unter starken Selbstzweifeln und haben auch das Interesse an Dingen verloren, die ihnen früher wichtig waren… Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Krankheiten.

Die 12-Monats-Prävalenz liegt bei 8,3% (Quelle: onmeda.de). Davon ausgehend leben im Kreisgebiet ca. 37.000 Menschen mit einer Depression.

Im Bereich der Eingliederungshilfe spielen Depressionen ebenfalls eine Rolle. Menschen mit Depression gehören zu den Empfängern der Hilfen zum betreuten Wohnen.

 

Unter der Regie von Psychonomics und unter Mitwirkung der Mitglieder der Steuergruppe Sucht und Psychiatrie hat es im Jahr 2010 eine ausführliche Studie zur Versorgung von Patienten mit Depression (und / oder Schizophrenie) im Rhein-Kreis Neuss gegeben. Durch diese Studie hat sich unter anderem herausgestellt, dass es zwischen den Versorgungssystemen (behandelnder Arzt, Betreuer, Reha-Einrichtungen etc.) gravierende Mängel in der Kooperation gibt. Mehr als die Hälfte der Versorger orientiert sich nicht an den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN). Auch ist das Versorgungssystem nicht transparent für den Patienten. Des Weiteren ist seinerzeit die Etablierung eines Patientenlotsen vorgeschlagen worden. Problematisch waren die Wartezeiten für Patienten für eine Terminvergabe beim niedergelassenen Psychotherapeuten und auch in der Psychiatrischen Tagesklinik; diese dauerten in der Regel länger als ein halbes Jahr.

 

Im Jahr 2010 ist die gerontopsychiatrische Beratungs- und Koordinationsstelle (BEKO) für den Rhein-Kreis Neuss in der Stadt Neuss in Trägerschaft der St. Augustinus Kliniken etabliert worden, die Menschen im höheren Lebensalter mit vorwiegend einer Demenzerkrankung aber auch mit Depression oder einer Suchterkrankung berät und in weitere Versorgungsangebote vermittelt. Die Klienten und Angehörigen kommen zu einem Großteil aus Neuss, aber auch aus den anderen Städten und Gemeinden im Kreisgebiet. Die Vernetzung und Kooperation mit anderen Leistungserbringern waren dabei ein wichtiger Bestandteil, der besonders in Bezug auf das Krankheitsbild Demenz umgesetzt worden ist. Das Angebot der BEKO hat sich mittlerweile auch aufgrund der Öffentlichkeits- und Vernetzungsarbeit des Trägers im Rhein-Kreis Neuss sehr gut etabliert. Rund 65% der Klienten kommen mit der Diagnose Demenz, 15% der Patienten mit einer Depression, weitere 15 % haben eine Demenz und eine Depression; weitere kommen mit einer Suchterkrankung oder Parkinson, Psychose, einer Angststörung oder mit suizidalen Gedanken (Tätigkeitsbericht der BEKO, 2012).

Der Landschaftsverband Rheinland hatte für die Etablierung der Gerontopsychiatrischen Beratungsstelle der St. Augustinus Kliniken GmbH eine Anschubfinanzierung in Höhe von insgesamt 157.500 EUR zur Verfügung gestellt.

 

Auch in den Seniorenberatungsstellen der Träger, die sich in der AG „Beratung über Hilfen im Alter“ zusammengeschlossen hatten, ist das Thema Depression angekommen, hier allerdings als gesellschaftliches Thema, nämlich - Depression als Folge von Armut. Wenn die Rente nicht reicht, um an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen zu können, droht Isolation / Vereinsamung - besonders bei alleinstehenden Frauen (Tätigkeitsbericht Beratung im Alter, 2010). Rund 66 % der Klienten waren alleinstehend, 68% weiblich).

 

Aktuell wird im Rhein-Kreis Neuss in Kooperation zwischen dem Gesundheitsamt und dem St. Josef / St. Alexius Krankenhaus eine Studie zur Erfassung der Gründe für einen Suizid durchgeführt. Es wird geschätzt, dass 45-70% aller Suizidopfer zuvor an einer Depression gelitten haben (Lejoyeux & Rouillon 1996; Wolfersdorf 2000). Weitere mögliche Ursachen für einen Selbstmord können Psychosen (Schizophrenie), Suchterkrankungen, traumatische Erlebnisse, die zu einer Lebenskrise führen (Liebeskummer, Geldprobleme….), oder starke Schmerzen z.B. bei einer Krebserkrankung sein.

 

Depressionen treten auch bei Kindern und Jugendlichen auf sowie bei Erwachsenen – Männern und Frauen- im erwerbsfähigen Alter, dementsprechend also nicht nur in der älteren Bevölkerung.

Durch die BELLA-Studie des Robert-Koch-Instituts (2003-2006 in Deutschland, Teil der KIGGS-Studie) wurde nachgewiesen, dass bei 21,9% der Kinder und Jugendlichen zwischen 7 und 17 Jahren Hinweise für psychische Auffälligkeiten vorliegen. Bei 10% der Studienteilnehmer gab es Hinweise auf Angststörungen, bei 7,6% Hinweise auf Störungen des Sozialverhaltens und 5,4% auf eine Depression. Von den Kindern und Jugendlichen mit Hinweisen auf psychische Erkrankungen sind jedoch nur etwa die Hälfte in psychiatrischer / psychotherapeutischer Behandlung.

 

Das Thema Depression ist sehr komplex und sollte in jedem Fall im Kreisgebiet besser verankert werden. Nach inzwischen erfolgtem fachlichen Austausch trägt der Ärztliche Direktor und Geschäftsführer des Zentrums für Seelische Gesundheit Neuss, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Martin Köhne zum Themenkomplex vor.