Betreff
Versorgungssituation junger Pflegebedürftiger
Vorlage
50/1287/XVI/2016
Art
Bericht

Beschlussvorschlag:

Der Ausschuss nimmt den Bericht zur Versorgungssituation junger Pflegebedürftiger zur Kenntnis.


Sachverhalt:

Gemäß § 7 des Alten- und Pflegegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen sind die Kreise und kreisfreien Städte für die örtliche Planung der pflegerischen Infrastruktur zuständig. Dabei sind auch die Bedürfnisse spezieller Zielgruppen zu berücksichtigen. Eine besondere Zielgruppe in diesem Sinne sind junge Menschen mit Pflegebedarf.

 

Eine einheitliche Definition für „junge Pflegebedürftige“ existiert nicht. Sehr unterschiedlich sind auch die Gründe, die bei jüngeren Menschen zur Pflegebedürftigkeit geführt haben. Diese reichen von einer seit Geburt an bestehenden Pflegebedürftigkeit über eine Pflegebedürftigkeit als Folge von Erkrankungen, wobei hier zwischen langsamen Entwicklungen wie bei einer MS-Erkrankung oder aber den Folgen eines Schlaganfalls unterschieden werden muss, bis hin zu einem plötzlich gegebenen Pflegebedarf nach einem Unfall.

 

Hieraus folgen unterschiedliche Bedarfsentwicklungen. Beispielsweise nimmt der Pflegebedarf bei einer an MS erkrankten Person über Jahre hinweg langsam zu, hingegen können bei entsprechender Therapie und Rehabilitation die Auswirkungen von Pflegebedürftigkeit nach einem Unfall oder nach einem Schlaganfall mit der Zeit wieder abnehmen. Aus solch unterschiedlichen Ursachen für Pflegebedürftigkeit leiten sich nicht nur völlig unterschiedliche Bedarfe bei den Betroffenen im Hinblick auf die pflegerische Versorgung an sich ab, sondern auch im Hinblick auf die benötigte oder gewünschte Wohnform. Dies ist auch der wesentliche Unterschied zu den Bedürfnissen pflegebedürftiger älterer Menschen, da hier die Ursachen der Pflegebedürftigkeit sowie die Verläufe sehr ähnlich sind.

 

Während man somit die Bedarfe älterer Pflegebedürftiger auf Grundlage der vorhandenen statistischen Daten und entsprechenden Berechnungsparametern, z.B. dem sogenannten Altersquotienten oder dem Pflegequotienten, relativ gut vorausberechnen kann, ist dies beim Personenkreis der jungen Pflegebedürftigen aus den oben dargestellten Gründen nicht möglich. Entsprechend schwierig gestalten sich Prognosen zum zukünftigen Bedarf an Pflegeleistungen und Wohnformen. Als Alternative kann man aus der tatsächlichen Inanspruchnahme von Pflegeleistungen Rückschlüsse auf der Verhalten der Betroffenen ziehen, und hieraus Maßnahmen für die Zukunft ableiten.

 

Der derzeit aktuellste, verfügbare Datensatz zum Themenkomplex wurde der Verwaltung von IT NRW am 12.04.2016 zur Verfügung gestellt. Dieses Datenmaterial stammt aus dem Jahr 2013 (die Daten werden alle 2 Jahre erfasst, die Ergebnisse für 2015 sind noch nicht abrufbar). Zur Verfügung gestellt hat IT NRW die Zahl der Menschen mit Pflegebedarf, die professionelle Pflegeleistungen (also ambulante Pflegedienste sowie teilstationäre und stationäre Pflege) in den Altersegmenten „unter 20“, 20 - 30, 30 - 40, 40 - 50, 50 - 60 sowie „60 und mehr“ in Anspruch genommen haben. Nicht erhoben wurde die Anzahl der sogenannten „Pflegegeldempfänger“. Dies sind die Menschen, die ambulant zu Hause betreut werden aber ohne dabei einen  durch Versorgungsvertrag zugelassenen ambulanten Pflegedienst ergänzend oder vollumfänglich zu nutzen. Dieser Datensatz wurde seitens der Verwaltung bewusst nicht angefordert, denn er würde die relativ hohe Anzahl von Menschen mit Behinderung beinhalten, die in einer Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderung leben. Somit wäre die Zahl für die Betrachtung der Versorgungssituation junger Pflegebedürftiger, wie sie hier vorgenommen wird, nicht sinnvoll.

 

Von den seitens IT NRW gelieferten Datensätzen waren in den unteren Altersegmenten die Zahlen so gering, dass diese aufgrund von § 16 Bundesstatistikgesetz nur gerundet zur Verfügung gestellt wurden. Dennoch lassen auch diese gerundeten Werte eine Schlussfolgerung zur Inanspruchnahme der Pflegeangebote durch die von Pflegebedürftigkeit betroffenen Menschen zu.

 

 

ambulante Pflege

stationäre Pflege

gesamt

unter 20

3

-

3

20 - 30

6

-

6

30 - 40

9

9

18

40 - 50

21

15

36

50 - 60

75

42

117

60 und mehr

2.079

3.102

5.181

 

Aus diesen Daten ist erkennbar, dass insgesamt im Jahr 2013 aus dem Rhein-Kreis Neuss nur 63 Menschen bis 50 Jahre professionelle Pflegeleistungen in Anspruch genommen haben, davon nur 24 in einer stationären Pflegeform. Aus den Daten von IT NRW wird deutlich, dass Kurzzeitpflege oder Tagespflege gar nicht in Anspruch genommen worden ist. Ein deutlicher Anstieg in den Zahlen erfolgt dann ab dem Alterssegment 50 bis 60 Jahre.

 

Die Verwaltung verfügt über einen weiteren Datenbestand von IT NRW aus dem Jahr 2009. Seinerzeit nahmen insgesamt 68 Menschen bis 50 Jahren professionelle Pflegeleistungen in Anspruch, davon 18 Personen in einer stationären Wohnform. Hieraus wird die Schwierigkeit deutlich, aus den Daten eine präzise Zukunftsprognose abzuleiten: obwohl im Jahr 2013 insgesamt 5 Pflegebedürftige weniger registriert wurden, nahmen 6 Personen mehr als 2009 eine stationäre Pflege in Anspruch.

 

Der oben dargestellten Inanspruchnahme steht das tatsächliche Angebot gegenüber. Im ambulanten Bereich verfügt der Kreis mit seinen rund 50 ambulanten Pflegediensten über ein flächendeckendes Angebot. Im stationären Bereich halten die beiden nachfolgend genannten Einrichtungen seit dem Jahr 2011 insgesamt 32 Plätze vor, deren Leistungsangebot auf jüngere Menschen mit Pflegebedarf ausgerichtet ist:

 

Malteserstift St. Stephanus, Meerbusch, Bereich Wachkoma und Beatmungspflege, 15 Plätze

 

Malteserstift St. Katharina, Dormagen, Bereich Junge Pflege, 17 Plätze

 

Aus der Gegenüberstellung von Angebot und tatsächlicher Nachfrage lässt sich somit derzeit kein Bedarf für eine weitere stationäre Einrichtung mit speziellem Leistungsangebot erkennen. Auch eine Umwandlung bestehender Plätze ist - trotz des vorhandenen Überangebotes an Pflegeplätzen im Rhein-Kreis Neuss - nicht sinnvoll. Dabei spielen neben wirtschaftlichen Fragen für einen potentiellen Betreiber auch inhaltliche Aspekte eine große Rolle, z.B. das benötigte Raumangebot, ein größeres Fachlichkeitsspektrum beim Personal und die inhaltlichen Herausforderungen an spezielle Bedürfnisse jüngerer Menschen.

 

Aus Sicht der Verwaltung sollte daher auch für den Personenkreis der jungen Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren der gesetzliche Grundsatz „ambulant vor stationär“ im Rhein-Kreis Neuss verfolgt werden. Die Verwaltung hat bereits erste Sondierungsgespräche mit zwei Leistungsanbietern aus dem Rhein-Kreis Neuss geführt, um an verschiedenen Standorten ambulant betreute Wohnangebote zu schaffen, die auf den besonderen Bedarf jüngerer Menschen mit Pflegebedürftigkeit ausgerichtet sind.