Betreff
Anfrage der SPD-Kreistagsfraktion vom 07.09.2016 zu Kosten der Unterkunft
Vorlage
50/1587/XVI/2016
Art
Tischvorlage

Sachverhalt:

Antwort auf Anfrage der SPD-Kreistagsfraktion
vom 07.09.2016 zu 22 Abs. 10 SGB II

 

 

Der Gesetzgeber hat zum 01.08.2016 durch das 9. SGB II-Änderungsgesetz in § 22 SGB II einen neuen Absatz 10 eingeführt, der folgenden Wortlaut hat:

 

Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

 

Die Einführung der Neuregelung wurde wie folgt begründet (BT-Drs. 18/8041 vom 06.04.2016, Seite 41 f.):

 

Nach bisheriger Rechtsauslegung ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze (Bruttowarmmiete) unter Berücksichtigung sowohl des Unterkunfts- als auch des Heizungsbedarfs bei der Prüfung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auf ihre Angemessenheit nicht zulässig (siehe BSG, Urteil vom 2. Juli 2009, B 14 AS 36/08 R). Bislang war dies nur im Rahmen der Bestimmung der Angemessenheit durch eine kommunale Satzung nach § 22b Absatz 1 Satz 3 SGB II möglich.

Die Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Rahmen einer Gesamtangemessenheitsgrenze kann im Zuständigkeitsbereich einiger kommunaler Träger eine deutliche Vereinfachung bedeuten. Insbesondere stehen dadurch insgesamt mehr angemessene Wohnungen zur Verfügung, weil höhere Aufwendungen für die Unterkunft durch geringere Aufwendungen für die Heizung ausgeglichen werden können und umgekehrt. Damit entfallen für die Leistungsberechtigten belastende und für die Verwaltung aufwändige Kostensenkungsaufforderungen.

Dies soll deshalb künftig auch dann ermöglicht werden, wenn die Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nicht im Rahmen einer kommunalen Satzung bestimmt, sondern durch den zuständigen kommunalen Träger festgelegt wird.

Eine Gesamtangemessenheitsgrenze besteht aus den Summanden „angemessene Aufwendungen für die Unterkunft“ und „angemessene Aufwendungen für die Heizung“. Während das Bundessozialgericht für die Beurteilung der abstrakten Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft das so genannte schlüssige Konzept entwickelt hat, ist die abstrakte Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Heizung bislang praktisch nicht möglich (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Juni 2013, B 14 AS 60/12 R, Rz. 21).

Die Prüfung der Angemessenheit der Aufwendungen für Heizung erfolgt deshalb derzeit getrennt von den Aufwendungen für Unterkunft und allein orientiert an den Verhältnissen des Einzelfalles. Übersteigen die Aufwendungen für Heizung einen bestimmten Grenzwert, wird dies als Indiz für unangemessen hohe Aufwendungen angesehen. Es liegt dann an der leistungsberechtigten Person, Gründe vorzutragen, warum die Aufwendungen gleichwohl als angemessen anzusehen sind (BSG a. a. O., Rz. 23). Der maßgebliche Grenzwert wird dabei in der Regel den „Kommunalen Heizspiegeln“ bzw. dem „Bundesweiten Heizspiegel“ entnommen.

Die Heranziehung dieses Grenzwertes als Summand für eine abstrakte Gesamtangemessenheitsgrenze wurde vom Bundessozialgericht als ungeeignet betrachtet, weil die Überschreitung des Grenzwerts nur im Einzelfall indiziere, dass Aufwendungen für die Heizung unangemessen sind, und die Heranziehung die Leistungsberechtigten begünstige (Urteil vom 4. Juni 2014, B 14 AS 53/13 R).

Satz 2 lässt künftig die Heranziehung des in der Praxis von Behörden und Gerichten für die Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Heizung bereits herangezogenen Grenzwertes auch für die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze ausdrücklich zu. Das führt zu einem Gleichklang der getrennten Prüfung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung mit der Prüfung im Rahmen einer Gesamtangemessenheitsgrenze. Diese Kalkulation führt grundsätzlich zu einer Begünstigung der Leistungsberechtigten, da etwas höhere Aufwendungen noch als angemessen angesehen werden können. Sie ist aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt.

Satz 3 stellt klar, dass die Grundsätze des Absatzes 1 auch bei der Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze anzuwenden sind. Insbesondere steht es dadurch Leistungsberechtigten im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts offen, im Einzelfall darzulegen, dass die Aufwendungen für Heizung bzw. die Gesamtaufwendungen angemessen sind, wenn die Gesamtaufwendungen die abstrakte Gesamtangemessenheitsgrenze übersteigen.

 

Die Kreisverwaltung hat die gesetzliche Änderung nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern sich bereits mit der Neufassung der Richtlinien zur Bemessung der angemessenen Kosten der Unterkunft vom 11.08.2016, die zum 01.09.2016 in Kraft getreten sind und sowohl das Integrationsgesetz als auch das 9. SGB II-Änderungsgesetz berücksichtigen, gegen die Anwendung des § 22 Abs. 10 SGB II entschieden.

 

Die Entscheidung fiel deswegen gegen die Anwendung des § 22 Abs. 10 SGB II aus, weil eine vergleichbare Regelung nicht zeitgleich auch im SGB XII verankert wurde. Aus den aktuellen dem Rhein-Kreis Neuss bekannten Gesetzes- oder Referentenentwürfen zur Änderung des SGB XII (u.a. PSG III, BTHG, RBEG) geht auch nicht hervor, dass der Gesetzgeber zukünftig beabsichtigt, eine sog. Bruttowarmmiete auch im SGB XII zur möglichen Anwendung kommen zu lassen.

 

Solange jedoch die Bruttowarmmiete nicht sowohl im SGB II als auch im SGB XII ermöglicht wird, kommt eine ausschließliche Einführung nur in der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Rhein-Kreis Neuss nicht in Frage. Die Kreisverwaltung betrachtet es als äußerst bedenklich, die übernahmefähigen Unterkunftskosten in beiden Rechtskreisen unterschiedlich zu regeln. Dies insbesondere auch, weil in Mischfällen (SGB II-SGB XII) in nicht nachvollziehbarer Weise 2 unterschiedliche Mietobergrenzen gelten würden. In Pendelfällen, also in Fällen, die aufgrund ihrer Erwerbs(un-)fähigkeit je nach Verlauf der Genesung zwischen den 2 Sicherungssystemen pendeln, wäre eine Kostensenkung zudem nahezu ausgeschlossen.

 

Die Kreisverwaltung wird sich daher erst mit der Einführung einer Bruttowarmmiete auseinandersetzen, sobald diese auch im Leistungssystem der Sozialhilfe mit den dem § 22 Abs. 10 SGB II gleichenden Tatbestandsvoraussetzungen ermöglicht wird.

 

Die Kreisverwaltung hat sowohl das MAIS NRW als auch den LKT NRW auf die vorgenannte Problematik und eine entsprechende Anpassung beider Leistungssysteme hingewiesen.