Sachverhalt:
Antwort auf Anfrage der
SPD-Kreistagsfraktion
vom 07.09.2016 zu 22 Abs. 10 SGB II
Der
Gesetzgeber hat zum 01.08.2016 durch das 9. SGB II-Änderungsgesetz in § 22 SGB
II einen neuen Absatz 10 eingeführt, der folgenden Wortlaut hat:
Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für
Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer
Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für
Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung
der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für
Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen
wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.
Die
Einführung der Neuregelung wurde wie folgt begründet (BT-Drs. 18/8041 vom 06.04.2016,
Seite 41 f.):
Nach
bisheriger Rechtsauslegung ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze
(Bruttowarmmiete) unter Berücksichtigung sowohl des Unterkunfts- als auch des
Heizungsbedarfs bei der Prüfung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auf
ihre Angemessenheit nicht zulässig (siehe BSG, Urteil vom 2. Juli 2009, B 14 AS
36/08 R). Bislang war dies nur im Rahmen der Bestimmung der Angemessenheit
durch eine kommunale Satzung nach § 22b Absatz 1 Satz 3 SGB II möglich.
Die
Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im
Rahmen einer Gesamtangemessenheitsgrenze kann im Zuständigkeitsbereich einiger
kommunaler Träger eine deutliche Vereinfachung bedeuten. Insbesondere stehen
dadurch insgesamt mehr angemessene Wohnungen zur Verfügung, weil höhere
Aufwendungen für die Unterkunft durch geringere Aufwendungen für die Heizung
ausgeglichen werden können und umgekehrt. Damit entfallen für die
Leistungsberechtigten belastende und für die Verwaltung aufwändige
Kostensenkungsaufforderungen.
Dies
soll deshalb künftig auch dann ermöglicht werden, wenn die Angemessenheit der
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nicht im Rahmen einer kommunalen
Satzung bestimmt, sondern durch den zuständigen kommunalen Träger festgelegt
wird.
Eine
Gesamtangemessenheitsgrenze besteht aus den Summanden „angemessene Aufwendungen
für die Unterkunft“ und „angemessene Aufwendungen für die Heizung“. Während das
Bundessozialgericht für die Beurteilung der abstrakten Angemessenheit der
Aufwendungen für die Unterkunft das so genannte schlüssige Konzept entwickelt
hat, ist die abstrakte Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die
Heizung bislang praktisch nicht möglich (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom
12. Juni 2013, B 14 AS 60/12 R, Rz. 21).
Die
Prüfung der Angemessenheit der Aufwendungen für Heizung erfolgt deshalb derzeit
getrennt von den Aufwendungen für Unterkunft und allein orientiert an den
Verhältnissen des Einzelfalles. Übersteigen die Aufwendungen für Heizung einen
bestimmten Grenzwert, wird dies als Indiz für unangemessen hohe Aufwendungen
angesehen. Es liegt dann an der leistungsberechtigten Person, Gründe
vorzutragen, warum die Aufwendungen gleichwohl als angemessen anzusehen sind
(BSG a. a. O., Rz. 23). Der maßgebliche Grenzwert wird dabei in der Regel den
„Kommunalen Heizspiegeln“ bzw. dem „Bundesweiten Heizspiegel“ entnommen.
Die
Heranziehung dieses Grenzwertes als Summand für eine abstrakte
Gesamtangemessenheitsgrenze wurde vom Bundessozialgericht als ungeeignet
betrachtet, weil die Überschreitung des Grenzwerts nur im Einzelfall indiziere,
dass Aufwendungen für die Heizung unangemessen sind, und die Heranziehung die
Leistungsberechtigten begünstige (Urteil vom 4. Juni 2014, B 14 AS 53/13 R).
Satz
2 lässt künftig die Heranziehung des in der Praxis von Behörden und Gerichten
für die Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Heizung bereits
herangezogenen Grenzwertes auch für die Bildung einer
Gesamtangemessenheitsgrenze ausdrücklich zu. Das führt zu einem Gleichklang der
getrennten Prüfung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der
Aufwendungen für Heizung mit der Prüfung im Rahmen einer
Gesamtangemessenheitsgrenze. Diese Kalkulation führt grundsätzlich zu einer
Begünstigung der Leistungsberechtigten, da etwas höhere Aufwendungen noch als
angemessen angesehen werden können. Sie ist aus Gründen der
Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt.
Satz 3 stellt klar, dass die Grundsätze des Absatzes 1
auch bei der Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze anzuwenden sind.
Insbesondere steht es dadurch Leistungsberechtigten im Einklang mit der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts offen, im Einzelfall darzulegen, dass
die Aufwendungen für Heizung bzw. die Gesamtaufwendungen angemessen sind, wenn
die Gesamtaufwendungen die abstrakte Gesamtangemessenheitsgrenze übersteigen.
Die
Kreisverwaltung hat die gesetzliche Änderung nicht nur zur Kenntnis genommen,
sondern sich bereits mit der Neufassung der Richtlinien zur Bemessung der
angemessenen Kosten der Unterkunft vom 11.08.2016, die zum 01.09.2016 in Kraft
getreten sind und sowohl das Integrationsgesetz als auch das 9. SGB
II-Änderungsgesetz berücksichtigen, gegen die Anwendung des § 22 Abs. 10 SGB II
entschieden.
Die
Entscheidung fiel deswegen gegen die Anwendung des § 22 Abs. 10 SGB II aus,
weil eine vergleichbare Regelung nicht zeitgleich auch im SGB XII verankert
wurde. Aus den aktuellen dem Rhein-Kreis Neuss bekannten Gesetzes- oder
Referentenentwürfen zur Änderung des SGB XII (u.a. PSG III, BTHG, RBEG)
geht auch nicht hervor, dass der Gesetzgeber zukünftig beabsichtigt, eine sog.
Bruttowarmmiete auch im SGB XII zur möglichen Anwendung kommen zu lassen.
Solange
jedoch die Bruttowarmmiete nicht sowohl im SGB II als auch im SGB XII
ermöglicht wird, kommt eine ausschließliche Einführung nur in der
Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Rhein-Kreis Neuss nicht in Frage. Die
Kreisverwaltung betrachtet es als äußerst bedenklich, die übernahmefähigen
Unterkunftskosten in beiden Rechtskreisen unterschiedlich zu regeln. Dies
insbesondere auch, weil in Mischfällen (SGB II-SGB XII) in nicht
nachvollziehbarer Weise 2 unterschiedliche Mietobergrenzen gelten würden. In
Pendelfällen, also in Fällen, die aufgrund ihrer Erwerbs(un-)fähigkeit je nach
Verlauf der Genesung zwischen den 2 Sicherungssystemen pendeln, wäre eine
Kostensenkung zudem nahezu ausgeschlossen.
Die
Kreisverwaltung wird sich daher erst mit der Einführung einer Bruttowarmmiete
auseinandersetzen, sobald diese auch im Leistungssystem der Sozialhilfe mit den
dem § 22 Abs. 10 SGB II gleichenden Tatbestandsvoraussetzungen ermöglicht wird.
Die
Kreisverwaltung hat sowohl das MAIS NRW als auch den LKT NRW auf die
vorgenannte Problematik und eine entsprechende Anpassung beider
Leistungssysteme hingewiesen.