Betreff
Bundesteilhabegesetz
Vorlage
50/1867/XVI/2017
Art
Bericht

Beschlussvorschlag:

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss nimmt den Bericht zur Kenntnis.


Sachverhalt:

Das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, kurz Bundesteilhabegesetz (BTHG), ist am 23.12.2016 erlassen worden (BGBl. I S. 3234).

Als Artikelgesetz ist es sehr umfangreich und tritt in mehreren Stufen in Kraft. Es verschiebt alle Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung aus der Sozialhilfe in das Recht der Rehabilitation und regelt die Leistungen der Eingliederungshilfe auch inhaltlich neu.

In der Kurz-Zusammenfassung stellen sich die wichtigsten Änderungen wie folgt dar:

  • Mit dem Bundesteilhabegesetz wird das Wunschrecht des Leistungsempfängers gestärkt, Einkommens- und Vermögensschongrenzen werden erhöht und Leistungsausweitungen vorgenommen.
  • Erste Leistungsverbesserungen treten zum 01.01.2017 in Kraft, weitere Änderungen zum 01.01.2018 und die neue Eingliederungshilfe zum 01.01.2020.
  • Der Bundesrat hat in einer Entschließung einen Ausgleich der Kostensteigerungen nach erfolgter Evaluation gefordert. Der Bund beteiligt sich derzeit nur teilweise an Mehraufwendungen der Kommunen.
  • Die heutige Definition des leistungsberechtigen Personenkreises wird 2023 abgelöst.
  • Statt eines Aufbaus inklusiver Strukturen in den Schulen wird weiterhin an Leistungen der Eingliederungshilfe festgehalten, diese werden ausgeweitet.
  • Leistungen der Eingliederungshilfe gehen weiterhin der gesetzlichen Pflegeversicherung vor.
  • Die Länder sind verpflichtet, bis 01.01.2018 einen neuen Sozialleistungsträger zu bestimmen.

 

Nach der Verabschiedung durch den Deutschen Bundestag am 01.12.2016 hat auch der Bundesrat, dessen Zustimmung erforderlich war, am 16.12.2016 dem Bundesteilhabegesetz zugestimmt und dabei zugleich eine Entschließung zu den Finanzfolgen des Bundesteilhabegesetzes gefasst.

Das Gesetz sei zwar hinsichtlich der finanzpolitischen Forderungen der Länder nachgebessert worden. Die Zusage des Bundes, dass keine zusätzlichen Ausgaben für Länder und Kommunen erwachsen dürfen und die Reform einen Beitrag dazu leiste, die bestehende Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe zu stoppen, werde aber klar verfehlt.

Positiv ist, dass die Regelung zur sachlichen Zuständigkeit, nach der die heutigen Träger der Eingliederungshilfe zuständig bleiben sollten, bis die Länder neue Träger bestimmt haben, gestrichen ist. Bis 31.12.2017 müssen die Länder den Träger der Eingliederungshilfe bestimmen.

Zu kritisieren ist, dass weitere Leistungsausweitungen aufgenommen wurden. Besonders problematisch ist eine neue Regelung zur Berücksichtigung von Wünschen der Leistungsberechtigten beim Wohnen, die zusätzlich zu den bestehenden Leistungsausweitungen eine weitere Kostendynamik auslösen kann.

Zum 01.01.2017 treten erste Leistungsverbesserungen in der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Kraft. Maßgeblich ist das Recht jetzt von einem personenzentrierten Ansatz geprägt, d. h. es kommt nicht mehr darauf an, in welcher Wohnform der behinderte Mensch lebt. Leistungen zum Lebensunterhalt werden von Fachleistungen getrennt.

Die grundlegenden Änderungen in Teil 1 des SGB IX, die für alle Rehabilitationsträger gelten, und die Änderungen im Vertragsrecht treten zum 01.01.2018 in Kraft, die neue Eingliederungshilfe zum 01.01.2020.

Länder und Kommunen sehen große Risiken im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen der geplanten Neuregelungen im Bundesteilhabegesetz für ihre Haushalte insbesondere auch vor dem Hintergrund von zusätzlichen Leistungserweiterungen. Hierdurch wären die Ziele des Bundesteilhabegesetzes, die 2012 zwischen Bund und Ländern im Rahmen des Fiskalpaktes vereinbart wurden, erheblich gefährdet.

Die vom Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf geforderte gesetzliche Kostenübernahmeregelung des Bundes bezüglich der durch das Bundesteilhabegesetz für die Kommunen und Länder entstehenden Mehrkosten fehlt nach wie vor.

Ab 2017 wird die Evaluation unterschiedlicher Regelungen, insbesondere der Finanzfolgen und der Formulierung zum leistungsberechtigen Personenkreis erfolgen. Besonders zu betrachten sind:

-     die verbesserte Einkommens-und Vermögensanrechnung,

-     die Einführung des Budgets für Arbeit und der anderen Leistungsanbieter,

-     neue Leistungskataloge für die soziale Teilhabe und die Teilhabe an Bildung,

-     die Trennung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den Leistungen zum Lebensunterhalt,

-     die Einführung eines trägerübergreifenden Teilhabeplanverfahrens sowie

-     die Einführung von Frauenbeauftragten in den Werkstätten für behinderte Menschen

Die Forderung der Länder an den Bund, die durch das Bundesteilhabegesetz ausgelösten Mehrkosten vollständig zu übernehmen, hat der Bund zurückgewiesen. Die Entwicklung der Ausgaben und Einnahmen wird evaluiert, ohne dass klar wäre, was aus den Ergebnissen der Evaluation folgen soll. Zu den zuletzt genannten Leistungsverbesserungen beim Schonvermögen sowie beim Arbeitsförderungsgeld hat der Bundestag zwei Erstattungsregelungen aufgenommen, mit denen der Bund in den Jahren 2017 bis 2025 einen Teil der Mehrausgaben übernimmt, §§ 136, 136a SGB XII. Diese komplexen Regelungen werden noch näher zu prüfen sein.

Die heutige Definition des leistungsberechtigen Personenkreises in § 53 SGB XII gilt bis zum Jahresende 2022 fort. Ab dem Jahr 2023 ist eine neue gesetzliche Definition vorgesehen, die auf eine Einschränkung der Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft in erheblichem Maße abstellt (Artikel 25a BTHG). Dabei soll die für die Art der Behinderung typisierende notwendige Unterstützung in den bekannten neun Lebensbereichen maßgebend sein. Die vormalige Beschränkung auf fünf bzw. drei Lebensbereiche unterbleibt. In den Jahren 2019 und 2020 erfolgt eine Evaluation dieser Definition, so dass bis zum Jahr 2023 gesetzgeberische Korrekturen erfolgen können.

Es bleibt beim Gleichrang im Verhältnis zwischen Eingliederungshilfe und Pflege. Die Eingliederungshilfe umfasst stationär und ambulant die Pflegeleistungen. Im häuslichen Bereich wird der sogenannte Lebenslagenansatz aufgegriffen: Die Eingliederungshilfe greift nur, wenn der Leistungsberechtigte vor Vollendung des für die Regelaltersgrenze maßgeblichen Lebensjahres Eingliederungshilfe erhalten hat (§ 103 SGB IX). Die Beschränkung der Leistungen der Pflegekasse in stationären Behinderteneinrichtungen (§ 43a SGB XI) bleibt bestehen.

Bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Leistung sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände einschließlich der gewünschten Wohnform angemessen zu berücksichtigen. Kommt danach ein Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen in Betracht, ist dieser Wohnform der Vorzug zu geben, wenn dies von der leistungsberechtigten Person gewünscht wird. Soweit es gewünscht ist, sind die im Zusammenhang mit dem Wohnen stehenden Assistenzleistungen im Bereich der Gestaltung sozialer Beziehungen und der persönlichen Lebensplanung nicht gemeinsam zu erbringen (§ 104 Abs. 3 SGB IX). Diese Neuregelung ist problematisch. Zwar steht die Berücksichtigung der Wünsche unter der Voraussetzung, dass die Wohnform angemessen ist; dies schließt die Prüfung der Kosten ein. Gleichwohl können die offenen Formulierungen eine neue Kostenwelle bei der in der gewünschten Wohnform zu leistenden Eingliederungshilfe auslösen.

Die Leistungen zur Bildung werden nicht nur im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, sondern auch zum Besuch weiterführender Schulen gewährt (§ 112 SGB IX). Damit wird die Eingliederungshilfe weiter zum Ausfallbürgen ausgebaut, anstatt dass die vorrangig verantwortliche Schule in die Pflicht genommen würde.

Das für Werkstattbeschäftigte gezahlte Arbeitsförderungsgeld wird auf monatlich 52 € verdoppelt. (§ 59 SGB IX) Das Schonvermögen wird beim Bezug anderer Leistungen wie der Hilfe zum Lebensunterhalt, der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder der Hilfe zur Pflege von derzeit 2.600 € auf 5.000 € erhöht.

Im Vorgriff auf das Inkrafttreten der Neuregelung der Eingliederungshilfe im SGB IX gilt gem. § 60a SGB XII für Personen, die Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, ab 01.01.2017 ein zusätzlicher Vermögensfreibetrag von 25.000 € zur Sicherstellung einer angemessenen Lebensführung und einer angemessenen Alterssicherung.

Dieser zusätzliche Vermögensfreibetrag ergänzt die bisherige Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 SGB XII.

Der Einsatz oder die Verwertung eines solchen Vermögens stellt für die Betroffenen und für die unterhaltsberechtigten Angehörigen mithin stets eine Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII dar. Das im Rahmen dessen schon bisher geschützte Vermögen ist nicht auf den pauschalierten Betrag von 25.000 Euro anzurechnen.

Gem. § 66a SGB XII wird für Personen, die Leistungen der Hilfe zur Pflege erhalten, ebenfalls ein zusätzlicher Vermögensfreibetrag von 25.000 €zur Sicherstellung einer angemessenen Lebensführung und einer angemessenen Alterssicherung eingeführt, wenn dieses Vermögen ganz oder überwiegend als Einkommen aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit (also durch eigenen Arbeitseinsatz) im Zeitraum des Leistungsbezuges erworben wurde. Vermögen aus anderen Quellen, etwa aus Unterhalt, Rente oder aus vor dem Leistungsbezug erworbenen Einkommen, wird vom Vermögensfreibetrag nicht umfasst.

Für Personen, die Leistungen der Hilfe zur Pflege erhalten, ist ein Betrag in Höhe von 40 Prozent des Einkommens aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten abzusetzen, höchstens jedoch 65 Prozent der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII. Für Personen, die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen erhalten, gilt Satz 1 bis zum 31. Dezember 2019 entsprechend.

Von dem Freibetrag profitieren nicht nur die Betroffenen, sondern mittelbar auch die Angehörigen nach § 19 Abs. 3 SGB XII, denn bei der Berechnung der Einkommensgrenze nach § 85 SGB XII bleibt das Einkommen des behinderten oder des pflegebedürftigen Partners in Höhe des Freilassungsbetrags zukünftig außer Betracht.

Für Personen, die sowohl die Voraussetzungen eines Einkommensfreibetrags im Rahmen des § 82 Abs. 3 SGB XII als auch im Rahmen des § 82 Abs. 3a SGB XII erfüllen, findet die jeweils im Einzelfall für den Leistungsberechtigten günstigere Regelung Anwendung.

Einkommen aus anderen Quellen, etwa aus Unterhalt oder Rente, werden nicht privilegiert.

Auch das Schwerbehindertenrecht und die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden weiterentwickelt. Alternativen zur Beschäftigung in der WfbM sollen durch andere Anbieter geschaffen werden. Es wird ein Budget für Arbeit als unbefristeten Lohnkostenzuschuss für Arbeitgeber geben.