Betreff
Bericht zur Situation der Insekten im Rhein-Kreis Neuss
Vorlage
68/2354/XVI/2017
Aktenzeichen
68.4-01.10/XVI/11
Art
Bericht

Sachverhalt:

Mit Anfrage vom 10.11.2017 hat die Kreistagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen zwei Fragen zum Rückgang der Insekten an den Landrat gerichtet. Die Anfrage ist als Anlage beigefügt.

 

Es wird vorausgesetzt, dass mit der bezeichneten Studie des Entomologischen Vereins Krefeld e. V. die Studie „Ermittlung der Biomassen flugaktiver Insekten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch mit Malaise Fallen in den Jahren 1989 und 2013“ angesprochen ist.

Deren Zusammenfassung ist als Anlage beigefügt. Sie ist unter

http://www.entomologica.org/publikationen-frameset.htm

auf der Internet-Seite des Entomologischen Vereins abrufbar.

 

Weitere Informationen können der Antwort der Bundesregierung (Drs. 18/13142) auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lemke, Ebner, Höhn und weiterer Abgeordneter der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN (Drs. 18/12859) entnommen werden. Die Beantwortung ist ebenfalls als Anlage beigefügt.

 

Die Gründe des Rückgangs der Insekten sind sicherlich vielfältig und nicht auf einen oder wenige Faktoren zu beschränken. Die Bundesregierung hat verschiedene Studien in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse Ende 2017 bzw. 2018 erwartet werden. Hier ist auch eine Gefährdungsursachenanalyse erfasst (s. Ziff. 22 ff der Antwort der Bundesregierung).

 

Unabhängig vom Verlauf und den Ergebnissen der genannten großräumigen Studien können Maßnahmen, die den Insektenpopulationen förderlich sind, auch auf Ebene des Rhein-Kreises Neuss und der kreisangehörigen Kommunen durchgeführt werden.

 

Die Fragen im Einzelnen werden seitens der Unteren Naturschutzbehörde in Abstimmung mit dem Amt für Entwicklungs- und Landschaftsplanung, der Kreisforstdienststelle und der Biologischen Station im Rhein-Kreis Neuss e. V. im Lichte dessen wie folgt beantwortet:

 

1)    Wie hat sich die Situation der Insekten im Rhein-Kreis Neuss im Untersuchungszeitraum der o. g. Studie entwickelt?

 

Die Entwicklung der Insekten im Rhein-Kreis Neuss ist wegen fehlender systematischer Untersuchungen nicht abschließend zu beurteilen. Für den Untersuchungsstandort im Rhein-Kreis Neuss liegt nach Mitteilung der Biologischen Station die Entwicklung im Trend der besagten Studie, zeigt also einen mittleren Rückgang zwischen 74,8 und 78,5 % über den Zeitraum von 27 Jahren. Dabei bildet der Fallen-Standort im Naturschutzgebiet „Die Spey“ (Stadt Krefeld, Stadt Meerbusch) einen zentralen Teil der Studie.

Die ersten Untersuchungen mit Malaise Fallen wurden im Jahr 1990 durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Natur am Niederrhein zwischen 1993 und 95 veröffentlicht (Schwan et al. 1993). Später wurden die Untersuchungen wiederholt.

Im Rhein-Kreis Neuss wurde ein weiterer Standort im Zonser Grind jedoch nur in 2016 und 2017 beprobt, bisher aber noch nicht ausgewertet. Hier wurde ein Sonderstandort untersucht, der wegen des Artenspektrums interessant sein könnte.

 

In einem zurückliegenden Vergleich der Tagfalter in den Kreisen Neuß und Grevenbroich 1910 und dem Rhein-Kreis Neuss 2010 hatte der Vorsitzende des Naturschutzbeirates, Herr Rainer Lechner, festgestellt, dass von damals noch 64 Arten nur noch 27 gefunden werden konnten.

 

2)    Welche Maßnahmen ergreift der Rhein-Kreis Neuss konkret, um dem festgestellten Insektensterben entgegenzuwirken?

 

Es ist seit jeher das Ziel des Rhein-Kreises Neuss als Selbstverwaltungskörperschaft und Träger der Landschaftsplanung und der Unteren Naturschutzbehörde, die Artenvielfalt im Rahmen der dazu zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu fördern.

 

·                Eingriffsregelung nach BNatSchG / LNatSchG

 

Im Rahmen der Kompensation von Eingriffe in Natur und Landschaft (§§ 14 ff BNatSchG, §§ 30 ff LNatSchG NRW) wurden und werden durch die Untere Naturschutzbehörde Kompensationsmaßnahmen (Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen) auch als extensive Wiesen und Weiden angelegt, soweit dies mit der funktionalen Zuordnung zur Eingriffswirkung vereinbar ist. Hierbei wird möglichst regionales Saatgut (Niederrheinisches Tiefland) verwendet, in einzelnen Fällen auch autochthones Saatgut. So entstehen vielfältige, artenreiche Wiesen, Streuobstwiesen, Blühstreifen, Randstreifen usw., die Insekten Lebens- und Nahrungsraum bieten. Von Bedeutung ist hierbei auch, dass Mahdvorgaben die Entwicklungsstadien von Insekten berücksichtigen. So ist z. B. für das Tagpfauenauge eine späte Mahd (Oktober) bei Brennesselbeständen überlebenswichtig.

 

Im Fall der Freiflächen-Photovoltaikanlage Gohr-Broich sind die umfangreichen Flächen unter und zwischen den Modulen als extensive, artenreiche Wiese angelegt worden (max. 2-malige jährliche Mahd). Ihre Entwicklung wird beobachtet. Zudem sollen hier noch weitere Kompensationsflächen in diesem Sinne als externe Kompensationsflächen angelegt werden.

 

Großen Wert legt die Untere Naturschutzbehörde im Rahmen der Eingriffsregelung auch auf die Entsiegelung nicht mehr genutzter versiegelter Flächen.

 

Bei Nachtbaustellen, die der Beurteilung durch die Untere Naturschutzbehörde unterliegen, wird regelmäßig eine insektenfreundliche Beleuchtung und eine Reduzierung auf das unbedingt erforderliche Maß gefordert, ebenso bei dauerhaften Beleuchtungseinrichtungen.

 

·                Landschaftsplanung

 

Die fünf rechtskräftigen Landschaftspläne des Rhein-Kreises Neuss sehen eine Vielzahl von Schutzfestsetzungen für besonders geschützte Gebiete und Objekte sowie Entwicklungs- und Pflegemaßnahmen vor. Während die Schutzfestsetzungen als Ge- und Verbote z. B. für Naturschutzgebiete unmittelbare Wirkung entfalten und Zuwiderhandlungen als Ordnungswidrigkeiten bzw. Straftaten geahndet werden können, werden die landschaftlichen Entwicklungs- und Pflegemaßnahmen sukzessive auf der Grundlage zumeist von vertraglichen Vereinbarungen mit Eigentümern und Nutzungsberechtigten umgesetzt.

 

Besondere Bedeutung für Insekten haben die in den Landschaftsplänen festgesetzten Schutzgebiete mit sog. Offenlandbiotopen wie der Uedesheimer Rheinbogen, Teile des Wahler Berges, des Zonser Grindes und der Ilvericher Altrheinschlinge.

Für die genannten Schutzgebiete, die gleichzeitig Teile des europäischen Naturschutznetzes Natura 2000 nach der Richtlinie 92/43/EWH (FFH-RL) sind, werden Maßnahmenkonzepte zur Entwicklung des guten ökologischen Zustands der Gebiete erstellt. Ein wesentlicher Bestandteil sind dabei Maßnahmen zur Entwicklung der Offenlandbiotope wie Grünlandgesellschaften, Magerrasen und Röhrichte als Lebensräume einer vielfältigen Flora und Insektenfauna. So wird z. B. einzigartige Insektenfauna der Binnendüne Wahler Berg durch gezielte Maßnahmen zur Offenhaltung der Düne, u. a. durch Schafbeweidung, erhalten und gefördert.

Ein weiteres Beispiel zur Förderung der Insekten sind Maßnahmen im Naturschutz- und FFH-Gebiet Zonser Grind, welche die Freistellung der wertvollen Grünlandflächen und Magerrasen als Lebensräume einer artenreichen und spezialisierten Insektenfauna zum Ziel haben.

 

Weitere festgesetzte Maßnahmen der Landschaftspläne zur Förderung der Insektenfauna sind z. B. verbreiterte Wegeraine an grünen Wirtschaftswegen und Brachflächen zur natürlichen Entwicklung bzw. zur Offenhaltung im Wege festgelegter Pflegemaßnahmen.

 

·                Förderprogramme

 

Das Kreiskulturlandschaftsprogramm bietet eine große Zahl von Möglichkeiten der Förderung einer naturschutzgerechten Bewirtschaftung von Flächen, auch als Lebensräume für Insekten. Hierzu zählen insbesondere

 

- die naturschutzgerechte Bewirtschaftung von Grünland,

- Erhaltung, Pflege und Anlage von extensiven Streuobstwiesen,

- Erhaltung, Anlage und Pflege von Hecken, Feldgehölzen und Kopfbäumen.

 

Ziel des Kulturlandschaftsprogramms des Rhein-Kreises Neuss ist daher, in Übereinstimmung mit den Landschaftsplänen und zur Umsetzung der im Regionalplan genannten Ziele die für den Naturhaushalt bedeutsamen Grünland- und Saumbiotope zu erhalten und zu entwickeln. Auf der Grundlage des Kreiskulturlandschaftsprogramms können Maßnahmen zur Erhaltung, Entwicklung und Pflege einer vielfältigen und artenreichen Kulturlandschaft gefördert werden.

Zuwendungsempfänger sind vornehmlich Landwirtinnen und Landwirte, die ihre Flächen innerhalb der Gebietskulisse des Kreiskulturlandschaftsprogramms bewirtschaften. So werden z. B. als Grünlandflächen im Naturschutz- und FFH-Gebiet Uedesheimer Rheinbogen über den Vertragsnaturschutz extensiv, insbesondere als Glatthaferwiesen, bewirtschaftet. Hier kommt der Rhein-Kreis Neuss seiner besonderen europäischen Verantwortung zum Schutz dieser gefährdeten Grünlandgesellschaften und der an sie gebundenen typischen Insektenfauna nach.

 

·                Allgemeiner und besonderer Artenschutz

 

Der Rhein-Kreis Neuss führt gemeinsam mit der Biologischen Station Artenschutzkonzepte für die europäisch geschützten (FFH-RL) Insektenarten Ameisenbläuling (Tagfalter) und Eremitenkäfer (Baumhöhlen bewohnender Käfer, Urwaldrelikt) durch

 

Nach dem BNatSchG (§ 39 Abs. 5) ist die Vernichtung der nicht bewirtschaften Flächen (z. B. Wegeraine, Brachen) verboten. Zuwiderhandlungen (z. B. Anwendung von Herbiziden, Abbrennen, Umpflügen) werden seitens der Unteren Naturschutzbehörde bzw. seitens des Direktors der Landwirtschaftskammer NRW (Pflanzenschutzrecht) als Ordnungswidrigkeit verfolgt. Verstöße gegen die Pflichten landwirtschaftlicher Betriebe können zudem zu einer Kürzung der Direktzahlungen führen.

 

·                Aufforstungen

 

Bei der Waldbewirtschaftung gibt es verschiedene Möglichkeiten, Insekten zu fördern und ihnen Lebensraum und Nahrung zu bieten. Bei der Anlage neuer Waldflächen durch die Kreisforstdienststelle wird z. B. zu benachbarten landwirtschaftlich genutzten Flächen ein Streifen von 6 - 10 m Breite mit heimischen, standortgerechten Sträuchern bepflanzt. Insbesondere die hier vorkommenden Weidenarten sind für das Überleben von Insekten im Frühjahr von entscheidender Bedeutung. Vorgelagert bleibt ein weiterer Streifen von  5 m Breite als Krautsaum unbepflanzt. Bei entsprechender Flächengröße kommen weitere Freiflächen im Inneren des Bestandes hinzu. Diese Flächen sollen sich durch Unterlassung einer Nutzung natürlich entwickeln und somit, neben Insekten, auch z. B. Vögeln und Kleinsäugern eine Lebensgrundlage geben.

 

Als weitere, waldbauliche Maßnahme wird bei der naturnahen Bewirtschaftung des Kreiswaldes besonderer Wert auf das Belassen von stehendem und liegendem Totholz aller Stärkeklassen gelegt. Regelmäßige Durchforstungen erhalten und fördern u. a. lichtbedürftige Blütenpflanzen in den Wäldern.

 

Mit Ausnahme der Bekämpfung des Riesenbärenklaus (Herkulesstaude) finden chemische Pflanzenschutzmittel im Kreiswald keine Verwendung.

·                Sonstiges

 

Es wird versucht, nicht mehr genutzte Flächen als offene Sukzessionsstandorte zu erhalten. So wurde einer kreisangehörigen Gemeinde im Rahmen ihres Wirtschaftswegeprogramms angeboten, nicht mehr benötigte Wirtschaftswege nicht in die umliegenden landwirtschaftlich genutzten Flächen zu integrieren, sondern diese als Sonderstandorte zu belassen.

 

Hochwertige temporäre Lebensräume für Insekten stellen auch die großen, im Vorfeld des Tagebaus liegenden und noch nicht abgegrabenen Flächen dar. Hier kann ein großer Artenreichtum nachgewiesen werden. Dies gilt auch für die nicht zur landwirtschaftlichen Nutzung rekultivierten Flächen nach der Rekultivierung.

 

Auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, den Landwirtschaftsverbänden in NRW und der Landwirtschaftskammer NRW wurde auf Kreisebene ein Runder Tisch Artenvielfalt in der Agrarlandschaft gegründet. Ihm gehören unter Leitung der Unteren Naturschutzbehörde die Mitglieder des Naturschutzbeirates, Vertreter der Landwirtschaftskammer und des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes (Kreisbauernschaft) an. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich bislang dreimal im Anschluss an eine Sitzung des Naturschutzbeirates getroffen (vgl. Session, letzte Sitzungen des Naturschutzbeirates). Hierbei wurden eine Vielzahl von Informationen ausgetauscht und die Problematik des Rückgangs der der Offenlandarten diskutiert. Eine konkret Maßnahme, allerdings zur Förderung der Lebensräume einer Vogelart, wurde seitens des Amtes für Entwicklungs- und Landschaftsplanung gemeinsam mit der Kreisstelle der Landwirtschaftskammer NRW in Angriff genommen.

 

Auf einen Vorschlag einer Arbeitsgruppe des Naturschutzbeirates wurden mehrere Abschnitte von Banketten an Kreisstraßen einer modifizierten Mahd unterzogen. Die sich dort entwickelnden Pflanzenbestände wurden dankenswerter Weise von einem Mitglied des Naturschutzbeirates erstkartiert. Die Maßnahme wird weitergeführt. Bei artenreichen Straßenbanketten ist allerdings zu beachten, dass schnell fahrende Fahrzeuge, insbesondere Lkw, eine erhebliche Gefahr für dort anstehende Insekten mit sich bringen (Druck- und Sogwirkung).

 

Die Förderung der Artenvielfalt ist auch verfolgtes Ziel des Gemeinschaftswerkes Natur und Umwelt Rhein-Kreis Neuss e. V. (NUN), in dem der Rhein-Kreis Neuss Mitglied ist. So wurden u. a. die Offenland-Arten durch die Förderung mehrjähriger Blühstreifen mit Schwarzbrachen in den Räumen Dormagen und Rommerskirchen in Zusammenarbeit mit dem Hegering Dormagen der Kreisjägerschaft Neuss e. V. gestützt, die Kosten der Anpflanzung von Wildobst-Bäumen in der freien Landschaft übernommen, Lehrbienenstände und ein Schulungs- und Schleuderraum eines Imkervereins gefördert, die Anlage von Streuobstwiesen unterstützt und Zuschüsse zu den Kosten unterschiedlichster Landschaftspflegegeräte für die Naturschutzvereinigungen zur Pflege offener Landschaftsräume gewährt.

Auch die Ersterfassung der „Insektenfauna der Stromtal-Halbtrockenrasen, blütenreichen Glatthaferwiesen sowie der trockenen Sandflächen im Naturschutzgebiet / FFH-Gebiet Zonser Grind im Rhein-Kreis Neuss“ 2016 / 2017 (s. o. zu 1.) wurde seitens des Gemeinschaftswerkes durch Übernahme von 30 % der entstehenden Kosten gefördert.