Betreff
Antrag der Kreistagsfraktion UWG/Die Aktive vom 09.10.2019 zum Thema "Grundsicherungsrelevanter Mietspiegel"
Vorlage
010/3525/XVI/2019
Art
Antrag

Sachverhalt:

Der vorgelegte Antrag enthält die Aussage, der grundsicherungsrelevante Mietspiegel sei unverantwortlich gegenüber hilfebedürftigen Bürgern und impliziert somit, dass zu den Mietobergrenzen kein Wohnraum gefunden werden könne.

Dass es unmöglich wäre, innerhalb des Mietspiegels Wohnraum zu erhalten, wird aber schon dadurch widerlegt, dass über neunzig Prozent der um die 15.000 Bedarfsgemeinschaften in diesem Rahmen Wohnraum bewohnen.

Wer trotz Mitwirkung nach einer Aufforderung zur Suche preiswerteren Wohnraums keinen findet, dem werden auch über sechs Monate hinaus die tatsächlichen Mietkosten erstattet.

 

1.           Ausgangslage

Am 02.10.2019 sind zwei Urteile des Sozialgerichts Düsseldorf zu den Az.: S 29 AS 4533/17 und S 29 AS 1037/18 ergangen, die unter anderem die Frage nach der Angemessenheit der Mietkosten der Kläger und damit die Berücksichtigungsfähigkeit der Mietkosten im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zum Gegenstand haben. Geklagt hatte eine Bedarfsgemeinschaft bestehend aus drei Personen. Streitgegenständlich sind die Zeiträume 02/2016 bis 01/2017 sowie 08/2017 bis 01/2018. Im Zeitraum 02/2016 bis 01/2017 wohnte die Bedarfsgemeinschaft in Kaarst, im Zeitraum 08/2017 bis 01/2018 wohnte die Bedarfsgemeinschaft in Neuss, so dass die für die jeweilige Kommune als angemessen ermittelten Kosten der Unterkunft auf dem Prüfstand standen. Die Angemessenheitsgrenzen zur Ermittlung der erstattungsfähigen Kosten der Unterkunft basieren auf so genannten schlüssigen Konzepten. Mit der Erstellung eines solchen Konzeptes hat der Rhein-Kreis Neuss nach ordnungsgemäß durchgeführtem Vergabeverfahren das Unternehmen Analyse & Konzepte beauftragt. Die Konzepte sollen in regelmäßigen Abständen überprüft und ggf. fortgeschrieben werden. Bisher erfolgte im Rhein-Kreis Neuss keine Fortschreibung, sondern jeweils eine Neuerhebung. Streitgegenständlich waren die Konzepte aus den Jahren 2014 und 2016. Hiernach ist bereits ein neues Konzept (2018) erstellt worden, welches die Grundlage für die derzeitig seit dem 01.02.2019 anzusetzenden angemessenen Kosten der Unterkunft bildet. Die Überprüfung dieses Konzeptes steht wiederum zum Ende diesen Jahres / Anfang nächsten Jahres an.

In Fällen, in denen die Schlüssigkeit eines solchen Konzeptes verneint wird, wird den Betroffenen ein Betrag in Höhe des Wohngeldbetrages zuzüglich eines 10%igen Zuschlages zugesprochen, wenn die dem Konzept zugrundeliegenden Daten nicht mehr vorliegen, um damit einen nach den Vorstellungen des Gerichts in dem betroffenen Fall angemessenen Mietwert zu ermitteln oder wenn es für weit zurückliegende Zeiträume unverhältnismäßig aufwändig wäre, diesen Wert zu ermitteln. Dies ist vorliegend erfolgt. Vor diesem Hintergrund hat das Gericht sowohl für den Zeitraum, in dem die streitgegenständliche Bedarfsgemeinschaft in Kaarst gewohnt hat als auch für den Zeitraum, in welchem die Bedarfsgemeinschaft in Neuss gewohnt hat, diese oberste Kappungsgrenze, nämlich einen monatlichen Betrag in Höhe von EUR 764,50 ausgeurteilt. Da die Urteilsbegründungen noch nicht vorliegen, können noch keine Ausführungen dazu gemacht werden, weshalb die Wohngeldwerte zzgl. Zuschlag in den am 02.10.2019 entschiedenen Fällen angewandt wurden. Eine Aussage des Gerichts darüber, welcher Wert als angemessen angesehen wird, ist mithin nicht getroffen worden.

Kritisiert wurde durch das Gericht – soweit bisher bekannt -, dass die zugrundeliegenden schlüssigen Konzepte aus Sicht des Gerichts nicht auf repräsentativen Daten basieren. Es sei nicht der gesamte Wohnungsmarkt repräsentiert. Vielmehr seien besonders viele Daten aus dem mittleren und einfachen Wohnungssegment einbezogen worden. Guter bzw. gehobener Wohnstandard wäre demnach in der Datengrundlage unterrepräsentiert.

 

2.           Konkrete Anforderungen an ein schlüssiges Konzept

Seitens des Bundessozialgerichts wird eine

 

„systematische Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall“ (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 zum Az.:  B 4 AS 18/09 R)

 

vorgegeben. Der beauftragte Dienstleister hat die hierfür erforderlichen belastbaren Zahlen und Daten erhoben.

Das Bundessozialgericht hat als Mindestvoraussetzungen an die Schlüssigkeit eines solchen Konzepts folgende Kriterien festgelegt:

 

-Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

-Es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung (Differenzierung nach Standard der Wohnungen, nach Wohnungsgröße, etc.),

-Angaben über den Beobachtungszeitraum,

-Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen),

-Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,

-Validität der Datenerhebung,

-Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und

-Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)

Der seitens des Rhein-Kreises Neuss beauftragte Dienstleister hat die Angemessenheitsgrenzen anhand dieser Vorgaben ermittelt. Da die Urteilsgründe bisher nicht bekannt sind, können keine Ausführungen dazu gemacht werden, inwiefern das Sozialgericht das zugrunde gelegte Konzept des Rhein-Kreises Neuss als nicht schlüssig ansieht.

 

3.           Bisherige gerichtliche Beurteilungen der Konzepte von Analyse & Konzepte / anderer Dienstleister

Gegenwärtig liegen seitens des Sozialgerichts Düsseldorf sowohl bestätigende Urteile bezogen auf die oben genannten Konzepte vor als auch Urteile, die die Konzepte als nicht schlüssig zurückweisen. Im Gegensatz zur 29. Kammer wurde zuletzt in einem Verfahren vor der 35. Kammer das schlüssige Konzept des Rhein-Kreises Neuss bestätigt. Darüber hinaus hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf das Solinger Konzept von Analyse & Konzepte für schlüssig erachtet (S 12 AS 4887/15).

Im Hochsauerlandkreis, in Aachen und in Minden-Lübbecke werden Verfahren angewandt – ebenfalls entwickelt von Analyse & Konzepte -, welche dem des Rhein-Kreises Neuss stark ähneln. Diese Konzepte wurden zweitinstanzlich vom LSG NRW bestätigt. Nach einem vorgenommenen Vergleich kann sogar angenommen werden, dass sowohl aus dem hiesigen Vorgängerkonzept als auch aus dem aktuellen Konzept unter Berücksichtigung unserer Anteilswerte bezogen auf die einzelnen Teilsegmente des Wohnungsmarktes eine größere Repräsentativität des Gesamtwohnungsmarktes abgeleitet werden kann.

Zudem liegen sogar Entscheidungen des BSG vor, welcher das zugrunde gelegte Verfahren von Analyse & Konzepte nicht beanstandet hat. Die Urteile fielen zwar aus Gründen im Zusammenhang mit der Vergleichsraumbildung im Ergebnis nicht bestätigend aus, jedoch wurde die Repräsentativität nicht bemängelt. In den Urteilen des Sozialgerichts vom 02.10.2019 wurde die Vergleichsraumbildung nicht bemängelt.

Ebenfalls am 02.10.2019 hat das Sozialgericht Düsseldorf über Fälle aus Solingen und Remscheid entschieden. Solingen tendiert dazu, gegen das Urteil Berufung einzulegen.

Im Remscheider Fall ist wegen des zu geringen Streitwertes eine Berufung nicht möglich. Es handelte sich nach Auskunft aus Remscheid um das erste Urteil gegen das dortige schlüssige Konzept. Grundsätzlich wird das Remscheider schlüssige Konzept von dort auch für schlüssig erachtet. Das Urteil vom 02.10.2019 wird als Einzelfall angesehen. In Remscheid werden daher bis auf weiteres die aktuell gültigen Richtlinien in der Fallbearbeitung sowie in der Widerspruchs- und Klagebearbeitung angewendet.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Konzepte anderer Anbieter ebenfalls von dem Sozialgericht Düsseldorf von derselben Kammer und demselben Richter als nicht schlüssig verworfen wurden. So wurde in 5 Fällen am 19.03.2019 das von dem Unternehmen Empirica erstellte Konzept als nicht schlüssig verworfen (Az.: S 29 AS 840/17; S 29 AS 1734/16; S 29 AS 4623/16; S 29 4648/17; S 29 AS 4963/16). Nach telefonischer Auskunft des Sozialgerichts ist in all diesen Verfahren Berufung eingelegt worden.

 

4.           Weitere Entscheidungskriterien bei der Beurteilung der Angemessenheit der KdU

Parallel zur Berücksichtigung der durch das schlüssige Konzept ermittelten angemessenen KdU wird in jedem Einzelfall eine Zumutbarkeitsprüfung durchgeführt. Hierbei werden individuelle Umstände geprüft. So gibt es Fälle, in denen höhere KdU als die angemessenen akzeptiert werden, wenn es einem Betroffenen etwa aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar ist, in eine andere, günstigere Unterkunft umzuziehen. Weitere Gründe können auch Alleinerziehung, die Betreuungssituation, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit sein.

Darüber hinaus werden höhere als die angemessenen KdU erstattet, wenn der Betroffene nachweisen kann, dass keine günstigere Wohnung angemietet werden kann, weil sie nicht zur Verfügung steht. Eine Absenkung erfolgt in diesem Fall nur, wenn das Jobcenter das Gegenteil beweisen kann.

 

5.           Auswirkungen der Urteile vom 02.10.2019

 

a)           Rechtliche Auswirkungen

Die aus den Urteilen zu ziehenden Konsequenzen sind grundsätzlich abhängig von der Urteilsbegründung, welche derzeit noch nicht vorliegt.

Der Rhein-Kreis Neuss behält sich vor, gegen die Urteile Berufung einzulegen. Auch vor dem Hintergrund, dass es sich um eine erstinstanzliche Entscheidung eines Gerichts handelt, welches unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Schlüssigkeit des im Kreisgebiet angewandten Konzepts vertritt, schätzt der Kreis die Erfolgsaussichten für ein Berufungsverfahren grundsätzlich positiv ein. Dies auch insbesondere unter Berücksichtigung der bisher bekannten bestätigenden Urteile des LSG NRW bezogen auf Konzepte, die von Analyse & Konzepte erarbeitet wurden.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die Urteile vom 02.10.2019 ausschließlich auf die Konzepte aus den Jahren 2014 und 2016 beziehen. Das derzeit aktuelle Konzept war nicht streitgegenständlich. Dennoch wird ohnehin grundsätzlich die Entwicklung in der Rechtsprechung permanent beobachtet, so dass etwaige von dem jeweils aktuellen Konzept abweichenden Entwicklungen gegebenenfalls berücksichtigt und das Konzept zu gegebener Zeit entsprechend optimiert werden kann.

 

b)           Personenkreisbezogene Auswirkungen

Bei beiden Urteilen handelte es sich um ein und dieselbe 3-Personen-Bedarfsgemeinschaft, so dass ohne Prüfung der Urteilsgründe nicht eingeschätzt werden kann, ob und inwieweit sich diese Urteile auch auf andere Bedarfsgemeinschaften auswirken könnten.

 

c)           Kostenbezogene Auswirkungen

Betroffen sind ausschließlich die Fälle, in denen die tatsächlichen Mietkosten die seitens des Kreises auf der Grundlage des schlüssigen Konzeptes angesetzte Mietobergrenze übersteigen. Die genaue Anzahl der betroffenen Fälle kann nicht ermittelt werden,  der prozentuale Anteil wird aber als gering eingestuft.
Auch diesbezüglich sind konkretere Einschätzungen allerdings erst nach Überprüfung der Urteilsgründe möglich.

 

d)           Auswirkungen auf die Fallbearbeitung

Der Rhein-Kreis Neuss hat bei der Erstellung des schlüssigen Konzeptes in Zusammenarbeit mit dem beauftragten Dienstleister sämtliche höchstrichterlichen Vorgaben beachtet und diesen Rechnung getragen. Der Rhein-Kreis Neuss ist daher von der Rechtmäßigkeit des erarbeiteten schlüssigen Konzeptes überzeugt. Daher wird die aktuelle Sachbearbeitung der Fälle, in denen die angemessenen Mietobergrenzen heranzuziehen sind, bis auf weiteres weiterhin so erfolgen wie bisher. Auch in Bezug auf etwaige Klageverfahren besteht bisher kein begründeter Anlass, von der bisherigen Verfahrensweise abzuweichen.

Betroffene Leistungsberechtigte haben die Möglichkeit, bereits beschiedene Anträge durch einen Überprüfungsantrag überprüfen zu lassen. Dies könnte zu einem höheren Arbeitsaufkommen bei den zuständigen Sachbearbeitern führen. Vor dem Hintergrund des oben bereits genannten prozentualen Anteils der Fälle, die für einen Überprüfungsantrag in diesem Zusammenhang überhaupt in Frage kommen könnten, ist das Jobcenter dieser Herausforderung gewachsen.