Betreff
Mikroschadstoffe und Mikroplastik in den Gewässern des Rhein-Kreises Neuss
Vorlage
68/3707/XVI/2020
Art
Bericht

Sachverhalt:

In der 16. Sitzung des Planungs- und Umweltausschusses am 01.07.2019 wurde anlässlich der Anfrage der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vom 19.06.2019 zu Eliminationsmaßnahmen von Mikroschadstoffen berichtet. Die Anfrage bezieht sich auf die aktuelle Belastung der heimischen Oberflächengewässer mit Mikroschadstoffen wie Mikroplastik und Medikamentenrückständen im Rhein-Kreis Neuss sowie die Belastung in den vergangenen 10 Jahren. Des Weiteren wird nach konkreten Maßnahmen der Kreisverwaltung zur Verringerung dieser Belastungen gefragt. Zudem wird gefragt, wie die Kreisverwaltung Konzepte zur Vorklärung an den Quellen bewertet, wie sie etwa im Einzugsverband der Emschergenossenschaft/dem Lippeverband praktiziert werden.

Für die o. g. Sitzung wurde von der Verwaltung aufgrund des kurzen Zeitfensters und ihrer Komplexität ein Überblick über die Thematik im Rahmen einer Tischvorlage gegeben. Zuletzt in der Sitzung des Ausschusses am 21.11.2019 wurde von Seiten der Ausschussmitglieder der Wunsch geäußert, das Thema zu vertiefen und ausgewiesene Experten für Fachvorträge für die Sitzung am 30.01.2020 zu gewinnen.

Vorträge in der Sitzung

Der Vortrag von Herrn Dr.- Ing. Issa Nafo – Leiter der Abteilung Entwicklung und Management von Förderprojekten von Emschergenossenschaft und Lippeverband „Arzneimittelrückstände in Gewässern – Maßnahmen an der Quelle“ befasst sich im Wesentlichen mit folgenden Themenblöcken:

-       Minimierung des Eintrags von Arzneimittelrückständen durch Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung und Dienstleistern im Gesundheitswesen
sowie

-       Behandlung von Abwasser aus Krankenhäusern.

Herr Professor Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Heinrich Schäfer- Bereichsleiter Abwassertechnik beim Erftverband und ständiger Vertreter des Vorstands des Erftverbandes befasst sich mit dem Thema „Mikroschadstoffe und Mikroplastik aus wasserwirtschaftlicher Sicht – künftige Strategien“.
Im Rahmen des Vortrages wird Prof. Schäfer auch zur Belastung der in der Zuständigkeit des Erftverbandes liegenden Oberflächengewässer mit Mikroschadstoffen informieren.

Die bisherigen Ausführungen der Verwaltung werden wie folgt ergänzt:

Mikroplastik

Mikroplastik wird aufgrund anderer Stoffeigenschaften bzw. gesonderten Minderungsansätzen nicht gemeinsam mit den Mikroschadstoffen betrachtet. Für Mikroplastik gibt es bislang keine einheitliche Definition. „Mikro“ hat sich für Partikel kleiner 5 mm durchgesetzt. Es handelt sich um viele Arten von Kunststoffen, unterschiedlich große und verschieden geformte Teilchen, die beim primären Mikroplastik bereits so produziert und Produkten zugesetzt werden (z. B. Kosmetika, Lacke, Schleifmittel) oder beim sekundären Mikroplastik durch den Zerfall größerer Plastikteile entstehen bzw. als Fasern z. B. aus Textilien stammen.

Hinsichtlich der Mikroplastikbelastung der Gewässer fehlen bislang vereinheitlichte, genormte Analyse- und Monitoringverfahren, Beurteilungsgrundlagen und gesetzliche Regelungen. Ein kontinuierliches und flächendeckendes Messprogramm wird daher noch nicht für sinnvoll erachtet. Untersuchungen auf Mikroplastik erfolgen bislang nur im Rahmen von Forschungsprojekten. Es wird auf die Antwort der Landesregierung NRW auf eine große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Landtagsdrucksache 17/8021) „Wasser in NRW nachhaltig nutzen und Schützen!“ hingewiesen. Sie kann auf der Internetseite des Landtags NRW unter https://www.land-tag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-8021.pdf abgerufen werden.

Von den zur Belastung von Gewässern mit Mikroplastik durchgeführten Untersuchungsprojekten ist die länderübergreifende Untersuchung „Mikroplastik in Binnengewässern Süd- und Westdeutschlands“, an der Nordrhein-Westfalen beteiligt war, zu nennen. In den bislang vorliegenden Ergebnissen zu Kunststoffpartikeln in der oberflächennahen Wasserphase wurden auch im Rhein auf Höhe Düsseldorf und in den Kläranlagenabläufen der Kläranlagen Düsseldorf-Süd und Neuss-Ost Kunststoffpartikel nachgewiesen. Das Projekt kommt u. a. zum Ergebnis, dass von einer zivilisatorischen Grundlast in den Gewässern ausgegangen werden kann.

 

Mikroschadstoffe

Eine vollständige Beurteilung der Gewässersituation im Hinblick auf Mikroschadstoffe wird durch das Problem der Stoffvielfalt erschwert, so dass eine Eingrenzung der Betrachtung auf einige wenige Beispielsubstanzen erforderlich ist. In Anlehnung an die o. g. Anfrage vom 19.06.2019 schlägt die Verwaltung vor, Arzneimittelstoffe in den Fokus der Betrachtungen zu stellen.

Beurteilungsgrundlagen

Untersuchungen der Gewässer erfolgen einerseits im landesweiten Monitoring im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) durch das LANUV, andererseits im Rahmen von Projekten zur Klärung bestimmter Fragestellungen. , wie z. B. die Spurenstoffagenda Erft des Erftverbandes.

Grundsätzlich ist bei der Betrachtung von Untersuchungsergebnissen von Fließgewässern festzustellen, dass es sich um eine Momentaufnahme aus der fließenden Welle handelt. In Abhängigkeit von den Eintragsquellen, der Wasserführung des Gewässers und damit auch gleichzeitig der Verdünnung eingetragener Stoffe im Gewässer kann die Belastungssituation im Zeitverlauf kurzfristig erheblich schwanken. Die Untersuchungen im Rahmen des Monitorings des Landes finden an den gemäß Wasserrahmenrichtlinie berichtspflichtigen Gewässern in 3-jährigen Zyklen statt. An der Mehrzahl der Gewässer erfolgen pro 3-Jahrszeitraum 4 Untersuchungen. Es finden jedoch nicht an allen beprobten Gewässern Untersuchungen auf Mikroschadstoffe statt bzw. die Zahl der untersuchten Einzelstoffe ist begrenzt. An größeren Gewässern wie der Erft werden an sog. Überblicksmessstellen 13 Untersuchungen pro Untersuchungszyklus auf eine größere Anzahl ausgewählter Mikroschadstoffe durchgeführt.

Als Beurteilungsmaßstab für die Fragestellung der Belastung eines Gewässers dient jedoch nicht allein der positive Nachweis eines Stoffes im Gewässer, sondern es werden bestimmte Qualitätskriterien als Norm festgelegt. Gesetzlich geregelt sind in der Oberflächengewässerverordnung 118 Stoffe, für die Umweltqualitätsnormen – als Jahresdurchschnitt der Messungen bzw. zulässige Höchstkonzentrationen - festgelegt sind. Ein Großteil der so geregelten Stoffe kann zu den Mikroschadstoffen gezählt werden. Arzneimittelrückstände sind bislang nicht gesetzlich geregelt. Auf der Grundlage dieser Umweltqualitätsnormen wird der chemische und ökologische Zustand der berichtspflichtigen Gewässer gemäß WRRL ermittelt. Bei Überschreitungen der gesetzlich geregelten Umweltqualitätsnormen sind Maßnahmen zur Reduzierung der Einträge vorzusehen. Gesetzlich nicht geregelte Mikroschadstoffe werden an Hand ökotoxikologisch abgeleiteter Orientierungswerte oder – sofern noch keine Einschätzung vorliegt – an Hand von  Vorsorgewerten beurteilt.

Belastungssituation der Oberflächengewässer im Rhein-Kreis Neuss

Für die im Verbandsgebiet des Erftverbands befindlichen Fließgewässer wird im Rahmen des Vortrags von Herrn Prof. Schäfer auf die Belastungssituation mit Mikroschadstoffen eingegangen.

An den außerhalb des Verbandsgebiets liegenden Fließgewässern wurden im Rahmen des landesweiten Wasserrahmenrichtlinien-Monitorings im Zeitraum 2009 bis 2019 keine Untersuchungen auf Substanzen aus den Stoffgruppen der Arzneimittelstoffe, Kontrastmittel und Pflanzenschutzmittel durchgeführt.

Maßnahmen zur Verringerung der Belastung

Maßnahmen zur Verringerung des Eintrags in die Gewässer sind aufgrund der Stoffvielfalt, des unterschiedlichen Anfalls- und Eintragsorts sowie der konkreten Belastungssituation der Gewässer vielfältig. Es gibt keine allgemeingültigen Lösungen für die gesamte Schadstoffproblematik. Bei der Wahl der geeigneten Maßnahmen kommt deren Wirksamkeit und den damit verbundenen Kosten eine wesentliche Rolle zu. Wie bereits für die Sitzung am 01.07.2019 ausgeführt, wurde auf Bundesebene eine Mikroschadstoffminderungsstrategie eingeführt, die auf 3 Säulen mit Maßnahmen beruht.

Quellenorientierte Maßnahmen bei Produzenten und Anwendern einschließlich informatorischer Maßnahmen ermöglichen eine flächendeckende Minderung der Belastung. Dazu zählen auch die Information und Sensibilisierung des Verbrauchers und von Fachkreisen.

Teilweise können dezentrale Maßnahmen zur Erfassung und Behandlung von besonders belasteten Abwasserteilströmen wie beispielsweise aus Krankenhäusern vor allem in Einzugsgebieten von hoch belasteten Gewässern einen Beitrag leisten. Dies ist jedoch einzelfallabhängig. Im Falle der Arzneimittelwirkstoffe ist zu bedenken, dass die Mehrzahl der Wirkstoffeinträge in die Kanalisation flächendeckend aus Haushalten stammt. Untersuchungen zufolge werden beispielsweise 95 % der verschreibungspflichtigen Diclofenac-haltigen Schmerzmittelpräparate über den Einzelhandel an Privatverbraucher abgegeben, nur 5 % über Krankenhäuser. Hinzu kommt, dass der Anteil von Krankenhausabwässern an der Jahresabwassermenge der dazugehörigen kommunalen Kläranlagen gering ist, i. d. R. weniger als 1 % beträgt. Demzufolge ist die Wirksamkeit der Behandlung von Krankenhausabwässern stark von den Verhältnissen im Einzelfall (Größe der Einrichtung im Vergleich zum gesamten Einzugsgebiet der kommunalen Kläranlage, Höhe des Verbrauchs bestimmter Arzneimittel, Mischwasserentlastungen ins Gewässer etc.) abhängig und bedarf grundsätzlich einer Einzelfallprüfung.
Im Rhein-Kreis Neuss gibt es 10 Kliniken, darunter 5 Akutkrankenhäuser. Die Untere Wasserbehörde wird die Kliniken anschreiben, um Informationen zum Sachstand möglicher Minderungsmaßnahmen zu erhalten.

Als weitere Maßnahmengruppe stehen nachgeschaltete Maßnahmen („End-of-pipe“) in Kläranlagen und im Kanalnetz als zusätzliche Reinigungsmaßnahmen zur Eintragsminderung in die Gewässer zur Verfügung. Die Reinigungsleistung verschiedener Anlagentypen ist jedoch auch stark von der Art des Mikroschadstoffs und auch der weiteren Zusammensetzung des Abwassers abhängig. Auch hier gibt es keine allgemeingültigen Lösungen, die Machbarkeit ist im Einzelfall zu untersuchen.

Dies alles verdeutlicht, dass es keine Generallösungen gibt. Der Begriff Mikroschadstoff ist ein Sammelbegriff. Die gegebene Stoffvielfalt erfordert stoffbezogene Lösungen. Vielfach ist die Kombination verschiedener Maßnahmen unter Beteiligung aller Akteure (Konsumenten, Produzenten, Wasserwirtschaft) für eine ausreichende Emissionsminderung in die Gewässer erforderlich wie auch weitere legislative Änderungen. Ergebnisse werden nicht kurzfristig erzielbar sein.

Die Verwaltung gibt zu bedenken, dass das Thema „Mikroschadstoffe sowie Mikroplastik“ sehr umfassend ist. Obwohl das Thema die Fachwelt, Politiker und die Bevölkerung gleichermaßen  erreicht hat,  stecken die für einen Vollzug notwendigen Grundlagen sprichwörtlich noch in den Anfängen. Das von der Verwaltung im Rahmen der Ausschusssitzung am 01.07.2019 gezogene Zwischenfazit ist nach wie vor aktuell. So ist es kein Zufall, dass Maßnahmen und Investitionen mit dem Ziel der Minderung beziehungsweise Eliminierung von Mikroschadstoffen aus dem Abwasser weitestgehend im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsprojekten erfolgen, die in einem erheblichen Umfang mit öffentlichen Fördermitteln unterstützt werden.
Auch die Stadt Neuss- InfraStruktur Neuss – hat für die Kläranlage Neuss-Ost eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, um die Einbindung einer Anlage zur Spurenstoffelimination mittels Aktivkohle in die Abwasserfiltration der Kläranlage näher zu betrachten. Die Machbarkeitsstudie wurde im November 2013 mit Fördermitteln des Landes NRW erstellt. Letztlich hat sich die Stadt gegen die Umsetzung von machbaren Maßnahmen entschieden, weil rechtliche Grundlagen mit verbindlichen Regelungen fehlten.
Zu berücksichtigen ist auch, dass weitergehende Anforderungen bei Indirekteinleitern wie z.B. Krankenhäusern eine Weiterentwicklung bzw. Erarbeitung von entsprechenden Anhängen zur Abwasserverordnung des Bundes voraussetzen.