Sachverhalt:
Das Projekt „Unterstützung der
Arbeitsmarktintegration von zugewanderten Menschen insbesondere aus
Südosteuropa, Mittel- und Osteuropa“, kurz „REACT SOE“, des Ministeriums für
Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW) wurde
vom Kommunalen Integrationszentrum des Rhein-Kreises Neuss koordiniert und
umgesetzt. Das Projekt war auf ein Jahr befristet und wurde aus Mitteln des
Landes und des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Am 15.03.2022 wurde
der Antrag auf die REACT SOE-Förderung eingereicht. Aufgrund der Genehmigung
eines vorzeitigen Maßnahmenbeginns konnte das Projekt am 01.04.2022 starten,
obwohl der Rhein-Kreis Neuss den Zuwendungsbescheid zur REACT SOE-Förderung
nach langer Bearbeitungsdauer erst am 21.02.2023 erhalten hat. Die Förderung
umfasste für den gesamten Durchführungszeitraum eine Personalstelle im Umfang
von 1,0 VZÄ.
Im Jahr 2022 wurde die Maßnahme durchgehend
mit jeweils einer 0,5 VZÄ-Stelle durch die AWO Bezirksverband Niederrhein e. V.
gemeinsam mit der AWO Rhein-Kreis Neuss e. V. (Start 25.04.2022) in enger und
erfolgreicher Kooperation mit der Diakonie Rhein-Kreis Neuss e. V. (Start
01.04.2022) an den Standorten Neuss, Grevenbroich und Dormagen umgesetzt. Im
Jahr 2023 wurde die Maßnahme mit der 0,5 VZÄ-Stelle beim AWO Bezirksverband
Niederrhein e. V. bis zum 31.03.2023 fortgesetzt. Dabei wurde die
Beratungsarbeit wie folgt aufgeteilt: Diakonie und AWO bedienten mit einer
Beratungsstelle gemeinsam einen Standort in der Stadt Neuss, die Diakonie bot
zusätzlich eine Beratungsstelle in Dormagen an und die AWO eine weitere
Beratungsstelle in Grevenbroich. Beide Verbände verfügten bereits über
notwendige Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Arbeit mit der Zielgruppe und
über entsprechende Beratungsstrukturen unter anderem in Dormagen, Grevenbroich
und Neuss.
Ziel der Förderung im Rhein-Kreis Neuss war
es, eine niederschwellige, kultursensible und multiprofessionelle Anlaufstelle
einzurichten, um die Arbeitsmarktintegration von Eingewanderten aus Südost-,
Mittel und Osteuropa, insbesondere aus Rumänien und Bulgarien, im Rhein Kreis
Neuss zu fördern und den negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die
Zielgruppe entgegenwirken zu können. Ziel der Beratungs- und Begleitungsarbeit
sollte sein, Vertrauen zur Zielgruppe aufzubauen und diese in allen
arbeitsmarktspezifischen Fragen, einschließlich der Aufklärung und
Sensibilisierung zu ausbeuterischen Praktiken, sowie flankierenden
Lebensbereichen, wie Qualifizierung und Kompetenzfeststellung, Wohnen, Sprache,
Gesundheit, Sprachmittlung oder anderen einzelfallbezogenen Themen zu beraten
und zu begleiten. Ergänzend dazu sollte das Angebot auch eine aufsuchende
Sozialarbeit umfassen, um den Zugang zur Zielgruppe zu erhalten, die oft schwer
zu erreichen ist. Des Weiteren sollte die interkommunale Zusammenarbeit
intensiviert und die notwendige, am individuellen Bedarf der Zielgruppe
ausgerichtete, Beratungsarbeit ausgebaut werden.
Die Umsetzung des Projektes wurde auf die
im Rhein-Kreis Neuss lebende Personengruppe aus Südosteuropa, Mittel- und
Osteuropa (SOE) ausgelegt. Dazu gehörten insbesondere eingewanderte Menschen
aus Bulgarien (vor allem türkischstämmige Bulgarinnen und Bulgaren), Ungarn,
Rumänien, Polen, Serbien, Nordmazedonien und dem Kosovo. Aufgrund einer
zwischenzeitlichen entsprechenden Erweiterung und Öffnung des Förderprogramms
durch das MAGS umfasste die Zielgruppe auch einen hohen Anteil an Ratsuchenden
aus der Ukraine. Zu den weiteren Netzwerkpartnern gehörten Jugendeinrichtungen,
Schulsozialarbeiter und Streetworker. Die Beratung konnte in acht Sprachen
erfolgen.
Das Beratungsangebot wurde an allen
Beratungsstandorten intensiv von den umsetzenden Trägern beworben, um ein
erstes Netzwerk aufzubauen und die Zielgruppe zu erreichen.
So wurde zu den verschiedensten
Institutionen, Organisationen und Einrichtungen Kontakt aufgenommen. Hierzu
zählten z. B. Migrationsberatungsstellen, Flüchtlingsberatungsstellen,
Schuldnerberatungsstellen, Beratungsstelle Arbeit der Diakonie, Caritas und
Jugendmigrationsdienste, Behörden wie das Sozialamt, Agentur für Arbeit,
Jobcenter, Kommunales Integrationszentrum, Integrationsämter der Städte Neuss
und Dormagen, das Bürgeramt in Neuss aber auch weitere Akteure wie die AWO, das
Willy Könen Bildungswerk in Grevenbroich und Neuss (BAMF Sprachkursträger),
Beratungs- und Begegnungszentren des AWO Ortsvereins Neuss (u. a. das AWO Café
Miteinander Neuss und der AWO Further Hof Neuss), das Familienbüro
Grevenbroich, Grundschulen in Grevenbroich, das Technologiezentrum Glehn, das
Ukraine Café Grevenbroich-Südstadt, der Interkulturelle Frauentreff in
Grevenbroich, das Vernetzungstreffen Grevenbroich „Netzwerk für
Geflüchtetenhilfe“ des Deutschen Roten Kreuzes Grevenbroich und weitere.
In Bezug auf die Vermittlung in Ausbildung
und Arbeit wurde neben der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter eng mit
Partnern und Projekten, wie der IHK-Ausbildung, dem IHK-Projekt „Valikom
Transfer“ oder der St. Augustinus Gruppe gearbeitet.
Um die Zielgruppe zu erreichen, wurde das
Projekt zusätzlich auf der Jobmesse Neuss, die vom Jobcenter Rhein-Kreis Neuss
in Kooperation mit dem Weiterbildungsverband Mittlerer Niederrhein organisiert
wurde, dem Fest der Kulturen in Neuss am 24.09.2022, dem Erlebnismarkt / der
Jobmesse in Grevenbroich am 25.09.2022 und dem Stadtfest Grevenbroich „Sport
verbindet“ am 27.08.2022 einem breiten Kreis an Interessierten bekannt gemacht.
Um das Projekt bestmöglich bewerben zu
können, wurde ein gemeinsamer Flyer entwickelt, der in den genannten Netzwerken
verteilt wurde. Ebenso wurden die Flyer in den Sozialräumen der potentiellen
Zielgruppe verteilt oder die Zielgruppe wurde in den bekannten Wohnquartieren
angesprochen. Darüber hinaus wurde eine Pressemitteilung zum Projekt veröffentlicht
und mit einem Artikel im Newsletter des Kommunalen Integrationszentrums auf das
Angebot aufmerksam gemacht.
Durch die starke Zunahme an ukrainischen
Flüchtlingen haben sich in den Städten Neuss und Dormagen Netzwerke, wie der
„Runde Tisch Ukraine“ entwickelt, an denen verschiedene Vereine und
Institutionen, Ämter und Ehrenamtliche vertreten waren, um das Beratungs- und
Hilfsangebot für ukrainische Flüchtlinge zu koordinieren. An diesen
Vernetzungstreffen waren die Projektmitarbeitenden ebenfalls vertreten.
In dem Durchführungszeitraum wurden von den
beiden Trägern insgesamt 161 Personen aus den folgenden Ländern beraten:
Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Nordmazedonien, Serbien, Ukraine, Polen und
Kroatien. Von diesen Personen konnten 18 erfolgreich in Ausbildung und Arbeit
vermittelt werden, 93 Personen konnten in weitere Qualifizierungsangebote, wie
Integrationskurse oder Sprachkurse vermittelt werden und mit weiteren vier
Personen wurde eine Kompetenzfeststellung durchgeführt. Die Ratsuchenden wurden
je nach Bedarfslage beraten. Der Unterstützungsbedarf lag vorwiegend in den
Bereichen arbeitsmarktspezifischer (einschließlich ausbeuterischer Praktiken)
oder sozialrechtlicher Fragen, der beruflichen Entwicklung,
migrationsspezifischen Fragen und der Sprachförderung. Darüber hinaus wurden
die Teilnehmenden in weiteren Lebensbereichen, wie Qualifizierung, Wohnen,
Sprache oder anderen einzelfallbezogenen Themen beraten und bei der Integration
in den deutschen Arbeitsmarkt begleitet.
Die meisten Ratsuchenden waren motiviert,
in den deutschen Arbeitsmarkt integriert zu werden und wurden folglich bei
Anträgen auf Anerkennung von Berufsabschlüssen sowie bei der Berufswahl und
Erstellung von Bewerbungsunterlagen unterstützt.
Im Laufe der Beratungsarbeit, der
intensiven Netzwerkarbeit und mit dem Aufbau von Vertrauen zeigte sich, dass
mehr und mehr Personen von einer Komm-Struktur angesprochen wurden. Ratsuchende
haben das Projekt und die Beratung innerhalb der eigenen Peer-Group
weiterempfohlen, was erheblich zu einem besseren Verständnis der
Beratungsarbeit und zu einer Akzeptanz bei der Zielgruppe führte. Dies hatte zu
Folge, dass zum Ende des Projektes immer mehr Beratungsanfragen vorlagen.
Insgesamt konnte im Durchführungszeitraum
das Beratungsangebot sehr gut etabliert und ein wichtiger Zugang zur Zielgruppe
erreicht werden. Dabei zeigte sich jedoch, dass der Aufbau des Vertrauens
insbesondere zur Zielgruppe der Rumänen und Bulgaren schwierig
war. So konnte zwar ein Zugang zur Zielgruppe über die intensive Netzwerkarbeit
erreicht werden, der Aufbau des Vertrauens bei der Zielgruppe benötigte jedoch
deutlich mehr Zeit. Durch schlechte Erfahrungen oder mangelhafte Kenntnisse der
Strukturen bzw. der Gesetze in Deutschland, aber auch durch fehlende Strukturen
einer Migrantenselbstorganisation vor Ort, war die Zielgruppe anfangs sehr
misstrauisch.
Ebenso zeigte sich, dass ein Teil der
Zielgruppe schwer Hilfsangebote annehmen konnte und die eigene Wahrnehmung oft
nicht mit der Lebenswirklichkeit übereinstimmte. Falsche Erwartungen der
Ratsuchenden an die Beratung standen möglichen Lösungsansätzen im Wege, insbesondere was die Anerkennung von im Ausland
erworbenen Abschlüssen oder Qualifizierungen betrifft. So konnten z. B. die
hohen Erwartungen ukrainischer Geflüchteter an eine schnelle Vermittlung in
Beschäftigung nicht erfüllt werden, da aufgrund ihres kurzen Aufenthalts in
Deutschland und der geringen Deutschkenntnisse keine befriedigenden Jobangebote
gemacht werden konnten.
Vielen Projektteilnehmenden mit
problematischen Wohnbedingungen, wie dem Mangel an Privatsphäre in den
städtischen Unterkünften und einem erschwerten Zugang zum privaten
Wohnungsmarkt, konnte aufgrund des mangelnden Angebotes von verfügbarem
Wohnraum wenig bis keine Hilfe angeboten werden. Dadurch waren die Ressourcen
zur Selbstbefähigung der Teilnehmenden eingeschränkt.
Über die gesamte Laufzeit zeigte sich eine
sehr gute und effiziente Zusammenarbeit der umsetzenden Träger untereinander
aber auch in der Zusammenarbeit mit dem Kommunalen Integrationszentrum. Durch
regelmäßige gemeinsame Sitzungen konnten Fragen und Absprachen direkt
thematisiert werden.
Im Laufe der Durchführung des Projektes
zeigte sich, dass die spezifische Zielgruppe einen sehr hohen Beratungsbedarf
aufweist, gleichzeitig jedoch ein Mangel an spezialisierten Anlaufstellen
besteht. Daher konnte trotz des lobenswerten Projektcharakters aufgrund der
kurzen Laufzeit oftmals nur ein kurzzeitiger Mehrwert für die Zielgruppe
erreicht werden.
Allerdings konnten mit dem Auslaufen des
Projektes einige der Beratenen in die Strukturen des Kommunalen
Integrationsmanagements (KIM) überführt werden oder es wurden weitere
Anlaufstellen benannt.