Sitzung: 26.10.2023 Planungs-, Klimaschutz- und Umweltausschuss
Vorlage: 68/3354/XVII/2023
Protokoll:
Herr Wegkamp vom beauftragten
Gutachterbüro pbo Ingenieurgesellschaft mbH, Aachen, informiert zunächst über die Ausgangssituation in Sachen „Wertstoffsortier- und
Abfallbehandlungsanlage, kurz WSAA“. Er erinnert, dass sein Büro nach Kreistagsbeschluss
vom 14.06.2023 beauftragt worden sei, eine Vorplanung für zwei mögliche
Varianten der zukünftigen abfallwirtschaftlichen Tätigkeit im Bereich der WSAA
durchzuführen. Dabei handle es sich zum einen um einen Neubau mit
Wertstoffsortierung und zum anderen um einen reinen Umschlag zur
Müllverbrennungsanlage. Herr Wegkamp betont, dass mit dieser Vorplanung
eine Grundlage für eine finale Entscheidung geschaffen worden sei.
Er verweist darauf, dass in der WSAA immer schon die Metalle aus dem Restmüll
aussortiert worden seien. Dies werde bei der Variante „Neubau mit
Wertstoffsortierung“ zukünftig auch so bleiben. Das neue Kernelement sei
allerdings das zusätzliche Aussortieren der Kunststofffraktion. Herr Wegkamp zählt die Aufgaben der Vorplanung
auf. So seien vor allem
- die Varianten
weiter ausgearbeitet worden,
- Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen
und detaillierte Kostenschätzungen durchgeführt,
- infrage kommende
Fördermittel identifiziert,
- Möglichkeiten der
Kunststoffverwertung eruiert,
- das Abfallartenspektrum
analysiert und nicht zuletzt
- das Tragwerk der
Rottehalle geprüft worden.
Herr Wegkamp informiert, dass sich eine Fördermaßnahme aus der „Nationale
Klimaschutzinitiative“ als passend herauskristallisiert habe. Aus diesem
Fördertopf werden kommunale Projekte bei der Abfallentsorgung zur
Energieeffizienz- und dem Ressourcenschutz gefördert. Er informiert über die
Förderbedingungen und sieht gute Möglichkeiten, dass auch der Rhein-Kreis Neuss
in den Genuss von Fördergeldern gelangen könne. Einen Nachteil bei der Variante
„Neubau mit Wertstoffsortierung“ dürfe allerdings nicht verschwiegen werden.
Betriebe, die an ihrem Standort durch Einsparmaßnahmen oder durch Umstellung
auf erneuerbare Energien Treibhausgase (THG) auf direktem Wege einsparen, werden
fördermäßig bevorzugt. Durch das reine Aussortieren der Kunststoffe am Standort
WSAA sei dies nicht der Fall, weil THG durch das vorhergehende Aussortieren der
Kunststoffe erst am Ort der Verbrennung eingespart werde. Herr Wegkamp
berichtet über die kürzlich durchgeführte Abfallanalyse und stellt die ersten
Zwischenergebnisse vor:
- Der Anteil an
Kunststoffen im Restabfall liege mit ca. 16 % deutlich über den bisherigen
Annahmen,
- großtechnisch sei
ein Anteil von 14 % als Mischkunststofffraktion ermittelt worden,
- nach Aussortieren
der Verunreinigungen verbleiben 8,5 % sortierte Kunststoffe aus dem
Restmüll.
Mengenmäßig an erste Stelle stehen im Rhein-Kreis Neuss jedoch die
organischen Abfälle im Restabfall. Herr Wegkamp informiert über die
unlängst durchgeführte Tragwerksüberprüfung. Da ein anderes
Ingenieurunternehmen beauftragt worden sei, verfüge der Kreis nun über ein
Zweitgutachten. Die Ausführungen des Erstgutachters seien in diesem
Zweitgutachten bestätigt worden. Derzeit drohen keine Gefahren, weil die
gravierendsten Mängel bereits behoben worden seien. Durch dieses neue Gutachten
habe man nun wieder 2-3 Jahre Zeit gewonnen, danach seien aber sehr
kostspielige Arbeiten am Dach, bei der Wandverkleidung und beim
Korrosionsschutz des Tragwerks fällig.
Im Gegensatz zur Rottehalle weisen Biofilter- und Verladehalle insgesamt
nur einen geringen Sanierungsbedarf auf. Die Biofilterhalle stünde daher für
eine Umnutzung zur Verfügung. Hier böte sich die zukünftige Behandlung der
Papier-, Pappe- und Kartonagenfraktion (PPK) an. Herr
Wegkamp betont, dass
durch Umbau der Biofilterhalle im Vergleich zu einem Neubau ca. 1,6 Mio. €
eingespart werden können.
Zur Umschlaghalle verweist er auf neue, detailliertere Ergebnisse.
Demnach steigen hier die Umbaukosten von 5 Mio. € auf 8,4 Mio. €. Und ob das
jetzige Dach der Umschlaghalle überhaupt für eine Photovoltaikanlage geeignet
sei, sei bis dato noch unklar. Ein kompletter Neubau dagegen würde 9,4 Mio. €
kosten. Da ein Neubau besser an die betrieblichen Erfordernisse angepasst und
langlebiger sei und in den Folgejahren weniger Reparatur- und Wartungskosten
verursache, sei rein betriebswirtschaftlich betrachtet ein Neubau
vorzuziehen.
Herr Wegkamp informiert, dass auch
die detailliertere Betrachtung der Kosten für die Variante „Neubau mit
Wertstoffsortierung“ eine neue Kostenschätzung nach sich ziehe. Aktueller
Stand: Ca. 20 Mio. € statt 23,6 Mio. €. Hauptursache dafür sei eine alternative
Maschinenausstattung.
Bei den Behandlungskosten pro t Abfall gebe es allerdings zwei große
Fragezeichen. Zum einen sei es zurzeit unmöglich vorauszusagen, ob in Zukunft
für die aussortierten Kunststoffe ein Erlös erzielt werden könne oder ob wie
aktuell eine Zuzahlung geleistet werden müsse. Zum anderen werden die
Verbrennungskosten stetig steigen, insbesondere, weil ab 2024 pro t CO2
zunehmend spürbare Kosten entstehen werden. Herr
Wegkamp informiert, dass
1 t Abfall bei der Verbrennung ca. 1 t CO2 erzeuge. Die Kosten beim
CO2-Zertifikathandel in 2024 in Höhe von 40 € pro t CO2
werden jährlich weiter ansteigen und 2026 Kosten in Höhe von bis 65 € erzeugen.
Das Verbrennen von Kunststoffen erzeuge 2,7 t CO2 pro t. Kunststoffe
im Restmüll werden wg. der wesentlich höheren THG- Emissionen die
Verbrennungskosten somit stark erhöhen. Die Betreiber von MVA sparen somit beim
Kauf von CO2-Zertifikaten, wenn sie angeben, dass die angenommenen
Restabfälle praktisch kunststofffrei seien. Bislang gebe es jedoch leider noch
keine gesetzlichen Regelungen, dass diese Kostenersparnis weitergegeben werden
müsse. Gebe es diese gesetzliche Vorgabe, würde der Verbrennungspreis in 2026
statt bei 136 € pro t bei lediglich 123 € liegen, alleine wg. der CO2 Abgabe.
Diese Problematik stelle insbesondere für die Entwicklung der Abfallgebühren
eine Kernfrage dar.
Herr Wegkamp fasst abschießend zusammen, dass die beiden Hauptfragen in Sachen „zukünftige
Abfallgebühren“,
- wie entwickelt
sich der Kunststoffmarkt und
- wie drastisch
werden die Verbrennungspreise ansteigen,
aktuell nicht eindeutig beantwortet werden können.
Herr Lambertz von der Firma TOMRA betont,
dass TOMRA weltweit agiere und über 5.000 Mitarbeiter beschäftige. Der
Schwerpunkt der Tätigkeiten liege im Recyclingbereich. So sei TOMRA
spezialisiert auf Sortiertechniken und Wertstoffsortierung, stelle z. B. Rücknahmeautomaten für Pfand-Leergut her. Ein
neues Geschäftsfeld bilde das Kunststoffrecycling. Herr Lambertz führt
aus, dass einerseits ca. 20 Mio. t Kunststoffe in Europa pro Jahr durch
Verbrennung und Deponierung dem Recyclingmarkt entzogen werden, anderseits die
Nachfrage nach recycelten Kunststoffen stetig ansteige. Eine Ursache: Immer
mehr Markenhersteller haben zugesagt, den Anteil an Recyclaten in ihren
Verpackungen zu erhöhen. Auch nehme aus der Petro-Chemie die Nachfrage nach
Kunststoffabfällen zu. Herr Lambertz informiert, dass TOMRA aus diesen
Gründen plane, noch in 2024 eine Anlage in Viersen zu bauen, in denen
Mischkunststoffe aus dem Restmüll behandelt und in die verschiedenen
Kunststoffarten sortenrein separiert werden. Geplanter Umsatz: jährlich 80.000
t. Das Investitionsvolumen: 50 bis 60 Mio. €. Er ergänzt, dass es bereits jetzt
eine Vielzahl an renommierten Interessenten, also Abnehmer für die
aufbereiteten Kunststoffe gebe.
TOMRA kalkuliere mit einer Zuzahlung in Höhe von 40-60 € pro t
Mischkunststoff, da der Kunststoffmarkt zurzeit sehr schwach sei, dieses sich
aber bereits im nächsten Jahr wieder ändern könne. Herr Lambertz fügt
hinzu, dass ein weiteres und wesentlich größeres Projekt in Planung sei,
diesmal in Zusammenarbeit mit einem petrochemischen Unternehmen. Die
Größenordnung hier: 300.000 t pro Jahr. Er hoffe, dass aufgrund geringerer
spezifischer Produktionskosten in einer solch großen Anlage dann keine
Zuzahlung mehr nötig sei.
Herr Lambertz verweist auf weitere, interessante Zusatzinformationen zu den Mischkunststoffen
im Restmüll, auf die er aber aus Zeitgründen in diesem Vortrag nicht mehr
eingehen werde.
(Anmerkung der Schriftführung: Der komplette Vortrag von Herrn Lambertz
ist auf der Homepage des Rhein-Kreises Neuss abgelegt. Pfad: Verwaltung und
Politik/ Politik und Wahlen/ Bürgerinfoportal/ Planungs- Klima- und
Umweltausschuss/ 26.10.2023)
Vorsitzender Herr Markert betont, dass nun viele wichtige Informationen vorliegen, um im Kreistag die
richtige Entscheidung treffen zu können. Herr Küpper
fasst zusammen, dass der Kreis seit der letzten Sitzung des Planungs-,
Klima- und Umweltausschusses eine Vielzahl der Fragestellungen durch die
beauftragte Vorplanung beantwortet habe. Er fragt, ob beim reinen Umschlag noch
Diskussionsbedarf bestehe, in Sachen Neubau der Halle oder Umbau/ Sanierung. Kreisdirektor
Brügge berichtet von der Firma Neste aus Düsseldorf, die mittels Pyrolyse
aus Mischkunststoffen Öl herstellen wollen. Vorsitzender
Herr Markert ergänzt,
dass die Firma AET AG die Ausgangsstoffe aus den Kunststoffabfällen
zurückgewinnen könne.
Herr Lambertz informiert, dass sich
inzwischen etliche renommierte Firmen mit dem chemischen Recycling von
Kunststoffen beschäftigen. Viele können allerdings nur sortenreine Kunststoffarten
verarbeiten, keine Mischkunststoffe.
Herr Wappenschmidt fragt, ob durch die Vorplanung weiterhin nur zwei Varianten in Frage kommen.
Er betont, dass die Klärung der Fördergeldfrage eine Entscheidungsfindung sehr
erleichtern würde. Herr Wappenschmidt erkundigt sich, ob die WSAA
nachgerüstet werden könne, z. B., um zukünftig Mischkunststoffe vor Ort in die
verschiedenen Sorten zu trennen. Herr Wegkamp
bejaht dies, ein weitere Sortierstufe könne später hinzugefügt werden.
Aktuell sei dies nicht vorgesehen, da dies wg. der relativ geringen Menge an
Mischkunststoff unwirtschaftlich sei. Er betont, dass auch nach der
detaillierten Vorplanung die beiden ausgewählten Varianten weiterhin an Nr. 1
und Nr. 2 stehen. Herr Wegkamp sagt, dass bis zum Termin der
Entscheidung definitiv mit keiner Fördergeldzusage gerechnet werden könne. Er
biete an, eine Projektskizze zusammenzustellen. Bescheiden Fördergeldgeber
solch eine Skizze positiv, habe man im Regelfall eine 90-prozentige Sicherheit,
auch wirklich gefördert zu werden, allerdings keine 100 Prozent. Danach könne
dann der eigentliche Antrag gestellt werden, der dann vom Fördergeldgeber
intensiv geprüft werde. Alles in allem dauert solch ein Prozedere in der Regel
länger als ein Jahr. Herr Wegkamp betont, dass eine zeitnahe
Entscheidungsfindung somit ohne Fördergeldplanung erfolgen müsse.
Frau Hugo-Wissemann tendiert zur Variante
„Neubau und Wertstoffsortierung“, zum einen aus Klimaschutzgründen und zum
anderen wg. der drastisch steigenden Verbrennungskosten. Sie betont, dass sich
ihre Fraktion bei der Umschlagvariante für einen Neubau entscheiden würde. Herr
Ackburally erkundigt sich zu den Lagerkapazitäten. Herr Lambertz
sieht diesbezüglich keine Probleme, da alle Akteure an langfristigen Verträgen
interessiert seien. Herr Küpper fasst zusammen, dass wichtige Zahlen
noch fehlen, vor allem Wirtschaftlichkeits- und Gegenrechnungen zu folgenden
Schwerpunktkomplexen:
- höhere
Investitionen bei der Kunststoffseparation,
- Zuzahlung bei der
Abgabe der Mischkunststoffe und
- steigende
Verbrennungskosten
Herr Küpper sagt zu, diese Zahlen gemeinsam mit pbo zu eruieren und frühzeitig vor der
finalen Entscheidungsfindung dem Ausschuss zur Verfügung zu stellen. Er betont,
dass das Warten auf eine Förderzusage zu einer nicht unwesentlichen
Zeitverzögerung führen könne und verweist auf die Restlaufzeit der WSAA.
Herr Küpper betont, dass es bei der Variante „reiner Umschlag“ sehr
hilfreich sei, zeitnah zu entscheiden, ob Umbau/
Sanierung und Neubau weiterhin parallel geprüft werden sollen oder ob
einvernehmlich eine Entscheidung für das Eine oder das Andere getroffen werden
könne.
Vorsitzender Herr Markert sagt, dass aus
seiner Sicht die Präferenz für einen Neubau, die Frau Hugo-Wissemann hier im
Ausschuss begründet habe, für ihn nachvollziehbar sei, wolle aber einer
Entscheidung seiner Fraktion damit nicht vorgreifen. Er verweist noch mal auf
die Bitte von Herrn Küpper, bei einer Entscheidung in Sachen Umbau/ Sanierung
bzw. Neubau die Verwaltung zeitnah zu informieren.