Sachverhalt:
Bündnis 90 / Die Grüne erkundigt sich in einer Anfrage nach der Raumluftsituation in Gebäuden des Rhein-Kreises Neuss, welche wie folgt beantwortet wird:
Zu 1.:
Welche Maßnahmen und Kontrollen
unternimmt die Verwaltung in ihren kreiseigenen Gebäuden, um den
Gesundheitsschutz für die sich darin aufhaltenden Kinder, MitarbeiterInnen und
BürgerInnen zu gewährleisten?
Das Gesundheitsamt führt keine
systematischen Kontrollen der kreiseigenen Gebäude auf evtl.
Schadstoffbelastungen durch.
Im Rahmen der hygienischen Überprüfungen von Gemeinschaftseinrichtungen
(Einrichtungen in denen vorwiegend Jugendliche, Kinder usw. betreut werden),
die auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes beziehungsweise des Gesetzes
über den öffentlichen Gesundheitsdienst ÖGDG durchgeführt werden, wird auf
Auffälligkeiten geachtet, die zu Befindlichkeitsstörungen oder
Gesundheitsschäden führen können, wie beispielsweise auffällige Gerüche oder
Schimmelbewuchs. Ferner werden die LeiterInnen der Einrichtungen befragt, ob
Anhaltspunkte für Gesundheitsstörungen bei Aufenthalt in den Räumen vorliegen.
1990 wurden die kreiseigenen Schulen und Kindergärten im Auftrag des
Hochbauamtes in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt durch das Hygieneinstitut
Gelsenkirchen im Hinblick auf Innenraumbelastungen begutachtet. Nach einer
ausführlichen Begehung des Gebäudes zur Identifizierung eventueller Quellen von
Schadstoffbelastungen wurden Materialproben bzw. Raumluftproben entnommen,
untersucht und anschließend bewertet. Gravierende Schadstoffbelastungen, die zu
größeren Sanierungsmaßnahmen geführt hätten, sind dabei nicht festgestellt
worden.
Besonders hervorzuheben ist folgender Fall:
Aus dem BBZ Grevenbroich auf der Bergheimer Straße kam es Mitte der 90-iger
Jahre häufiger zu Beschwerden seitens der Lehrerschaft über
Geruchsbelästigungen und Befindlichkeitsstörungen (Müdigkeit, Augenreizung) bei
Aufenthalt in verschiedenen Räumen. Daraufhin wurden wiederholte Begehungen und
auch Probenahmen auf diverse Raumluftschadstoffe (flüchtige organische
Verbindungen, Formaldehyd, Schimmelpilze) durchgeführt, jedoch ohne konkretes
Ergebnis. Vor rund 5 Jahren hatte sich dann die Schulleitung an das
Gesundheitsamt gewandt, nachdem einige Lehrer des Kollegiums an verschiedenen
Krebsarten erkrankt waren. In den Folgejahren wurden umfangreiche
Untersuchungen durch das Hygieneinstitut Gelsenkirchen und das Bremer
Umweltinstitut durchgeführt. Das ganze Vorhaben wurde begleitet durch den
Toxikologen Prof. Dr. Ewers vom Hygieneinstitut Gelsenkirchen.
Kurz zusammengefasst wurden diverse Schadstoffbelastungen in einzelnen Räumen
festgestellt, jedoch in einer Größenordnung, die kein erhöhtes
Gesundheitsrisiko erwarten ließ. Ein Zusammenhang mit den Krebserkrankungen der
Lehrer war mit großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
Dennoch hat eine der betroffenen Lehrerinnen Klage beim Verwaltungsgericht
eingereicht. Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen.
Zu 2.:
Sind der Verwaltung Fälle in
kreiseigenen Gebäuden (Kindergärten, Schulen, Bürogebäuden, Sporthallen etc.)
bekannt, in denen es gehäuft zu gesundheitlichen Belastungen im Sinne eines
"Sick-Building-Syndroms" gekommen ist, also beispielsweise zu
Geruchsbelästigungen, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, allergischen
Reaktionen, Asthma, Pilzsporen, MCS (Multiple Chemical Sensivity = Vielfache
Chemikalienunverträglichkeit)? Falls ja, welche?
Aktuell sind dem Gesundheitsamt keine Fälle in kreiseigenen Gebäuden
bekannt, in denen es zu Befindlichkeitsstörungen oder anderweitigen
gesundheitlichen Störungen kommt.
Zum erwähnten "Sick-Building-Syndrom" (SBS) sei ausgeführt, dass es
sich hierbei nicht um ein medizinisches Syndrom im eigentlichen Sinne handelt.
Vielmehr steht der Begriff für einen Komplex unspezifischer bzw. kausal nicht
zuzuordnender Symptome wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten,
Depressionen, Antriebslosigkeit, Schleimhautreizungen, Juckreiz, Hautrötungen,
Brennen, Juckreiz usw. Derzeit besteht in der wissenschaftlichen Literatur
weitgehender Konsens dahingehend, dass dieser Begriff nur dann verwendet werden
soll, wenn gleichzeitig mehrere Bewohner oder Beschäftigte (mind. 20 bis 30 %)
unspezifische Beschwerden im Sinne des SBS angeben. Aktuelle Beschwerdefälle
aus kreiseigenen Gebäuden, die diesen Vorgaben entsprechen, sind nicht bekannt.
Bei der MCS (Multiple Chemical Sensivity) handelt es sich um eine
pathophysiologisch nicht geklärte Überempfindlichkeit gegenüber chemischen
Belastungen verschiedenster Art mit niedrigsten Konzentrationsschwellen. Es
gibt jedoch derzeit keine eindeutigen klinischen Nachweise oder experimentelle
Belege für die Existenz des MCS. Im Zusammenhang mit Gebäuden des Rhein-Kreises
Neuss ist kein einziger Fall bekannt.
Zu 3.:
Welche Vorgaben/Kriterien hat die Verwaltung bei der Beschaffung
von Baustoffen zu beachten?
Bei Bauprodukten/Baustoffen handelt es sich definitionsgemäß um Produkte, die hergestellt werden, um dauerhaft in Bauwerken zu verbleiben. Entsprechend vielfältig sind die Produktgruppen und Produkte. Sie können aus natürlichen oder künstlichen Werkstoffen oder aus einer Kombination dieser beiden Arten bestehen.
Zu den natürlichen Werkstoffen gehören beispielsweise Sand, Kies, Naturstein, Holz und Kork, zu den künstlichen Bauprodukten anorganische Materialien wie Zement, Beton, Glas und Keramik sowie eine Vielzahl organisch synthetisch hergestellter Werkstoffe, insbesondere Kunststoffe und Kunstharze.
Eine Kombination liegt beispielsweise bei Holzwerkstoffen vor, die Holz und synthetische Kleber enthalten oder auch bei Korkfertigparkett, das meist eine synthetische Beschichtung trägt. Sogar in den auf den ersten Blick rein anorganischen Produkten können geringe Mengen organischer Hilfsstoffe sein. Beispielsweise kann Porenbeton organische Hydrophobierungsmittel zur Verbesserung der Feuchtebeständigkeit enthalten.
Europaweit sind etwa 20.000 verschiedene Materialien und Produkte auf dem Markt, die für die Errichtung von Gebäuden verwendet werden.
Grundlage für die Kriterien/Vorgaben für Baustoffe und Bauprodukte ist die europäische Bauproduktenrichtlinie und das deutsche Bauproduktengesetz.
Die europäische Bauproduktenrichtlinie stammt aus dem Jahre 1988 und definiert 6 Ziele:
Mechanische Festigkeit und Standsicherheit
Brandschutz
Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz
Nutzungssicherheit
Schallschutz
Energieeinsparung und Wärmeschutz
Harmonisierte europäische Produktnormen und Zulassungen legen detailliert fest, welche Kriterien Bauprodukte einhalten müssen, um diese 6 wesentlichen Anforderungen zu erfüllen. Erfüllt ein Bauprodukt diese Anforderungen und sind die Nachweise für alle relevanten EG-Richtlinien erbracht, so darf der Hersteller das Produkt mit CE (für Conformité Européene, europäische Konformität) kennzeichnen.
Erst mit dieser Kennzeichnung darf er es dann in den Verkehr bringen.
Das Bauproduktengesetz vom August 1992 setzte die europäische Bauproduktenrichtlinie in deutsches Recht um. Die zurzeit gültige Fassung ist die Fassung vom Mai 2004. Da in Deutschland das Baurecht im Hoheitsbereich der einzelnen Bundesländer liegt, musste die Musterbauordnung angepasst werden. Die Musterbauordnung ist die Vorlage für die einzelnen Landesbauordnungen der Bundesländer. Sie legt fest, wie die Verwendbarkeit der mit CE Kennzeichnungen in Verkehr gebrachten Bauprodukte sicher zu stellen ist.
Eine weitere Prüfung bzw. Zertifizierung von Bauprodukten und Baustoffen wird über das so genannte Ü-Zeichen gekennzeichnet.
Nur Bauprodukte, die den in Bauregellisten bekannt gemachten technischen Regeln entsprechen, dürfen verwendet werden. Dies wird über die technischen Baubestimmungen durch die Landesbauordnungen der jeweiligen Bundesländer geregelt. Das Deutsche Institut für Bautechnik hat die Aufgabe, die technischen Regeln für Bauprodukte und Bauarten aufzustellen und im Einvernehmen mit den Obersten Bauaufsichtsbehörden der Länder bekannt zu machen. Anerkannte Prüf- und Zertifizierungsstellen übernehmen die Prüfung und die Bestätigung der Übereinstimmung.
Die Umsetzung der wesentlichen Anforderung Nr. 3 „Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz“ nimmt in wissenschaftlicher Hinsicht das Umweltbundesamt wahr. Das Umweltbundesamt arbeitet im Bereich der Normung von Bauprodukten in verschiedenen nationalen und europäischen Gremien mit und ist damit in Deutschland neben dem Deutschen Institut für Bautechnik derzeit die einzige wissenschaftliche Fachbehörde, die die Belange des Schutzes von Umwelt und Gesundheit systematisch vertritt.
Um die Beurteilungskriterien zu vereinheitlichen und eine verbindliche öffentlich rechtliche Grundlage für die Bewertung von Emissionen aus Bauprodukten zu schaffen, wurde 1997 der Ausschuss für die gesundheitliche Bewertung von Bauprodukten AgBB gegründet, dessen Geschäftsstelle beim Umweltbundesamt angesiedelt ist. Dieser Ausschuss hat ein Schema für die Beurteilung von Emissionen entwickelt.
Das AgBB-Schema ist Bestandteil der Grundsätze für die gesundheitliche Bewertung von Bauprodukten in Innenräumen, die die Grundlage für die Zulassung von Bauprodukten durch das derzeit zuständige Deutsche Institut für Bautechnik sind. Im Rahmen dieser Zulassungsgrundsätze erfolgte die Notifizierung des AgBB-Schemas im Jahre 2005, und zwar ohne Beanstandung durch die Europäische Kommission.
An dem zusätzlichen Hinweis am Übereinstimmungszeichen für Bauprodukte (Ü-Zeichen) „emissionsgeprüft nach DIBt-Grundsätzen“ ist zu erkennen, dass eine Untersuchung gemäß AgBB-Schema erfolgt ist. Das erste Bauprodukt, welches das dafür zuständige Deutsche Institut für Bautechnik im Jahre 2005 zuließ, war ein textiler Bodenbelag. Inzwischen hat das Institut mit Emissionsprüfung z. B. Kautschuk, PVC und Linoleumbodenbeläge sowie Laminatböden zugelassen. Weitere Bauprodukte sollen und werden folgen. Der Hersteller muss bei seinen Produkten im Falle der erteilten Zulassung das Ü-Zeichen mit dem Hinweis „emissionsgeprüft nach DIBt-Grundsätzen“ entweder auf dem Produkt, der Verpackung oder dem Beipackzettel anbringen. Die zugelassenen Bauprodukte sind auf der Internetseite www.dibt.de veröffentlicht.
Zu 4.:
Welche weitergehenden Maßnahmen zu Erkennung, Vermeidung und
Verringerung von insbesondere baustoffgebundener Schadstoffquellen in der
Innenraumluft der Gebäuderäume plant die Verwaltung?
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die verwendeten Baustoffe in Innenräumen nur wenig Anlass zu einer Überprüfung der Raumluft bei allen kreiseigenen Gebäuden notwendig machte (s. auch Antwort auf Frage Nr. 1).
Allen Hinweisen aus dem Nutzerkreis ist die Verwaltung umgehend nachgegangen und hat entsprechende Raumluftmessungen entweder selber durchgeführt bzw. die Unterstützung entsprechender Fachinstitute angefordert.
Bei allen Überprüfungen wurde keine Überschreitung der zulässigen Grenzwerte festgestellt.
Vor diesem Hintergrund ist aus Sicht der Verwaltung keine systematische Erfassung eventueller Auffälligkeiten erforderlich.
Die Verwaltung wird weiterhin bemüht sein, nur Bauprodukte
und Baustoffe einzusetzen, die den entsprechenden gesetzlichen Kriterien
entsprechen.