Beschlussvorschlag:
Der Sozial- und Gesundheitsausschuss nimmt den Bericht zur Kenntnis.
Sachverhalt:
Um die Pflege weiterzuentwickeln und die Unterstützung für Pflegebedürftige, Angehörige und Pflegekräfte auszuweiten, ist zum 01. Januar 2015 das Erste Pflegestärkungsgesetz (PSG I) eingeführt worden. Hierüber wurde in der Sitzung am 20.11.2014, TOP 3, informiert.
Mit der Verabschiedung des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) durch das Bundeskabinett am 12. August 2015 wurde zudem die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines neuen Begutachtungsverfahrens auf den Weg gebracht.
Der Deutsche Bundestag hat am 25.09.2015 den Gesetzesentwurf zum PSG II in Erster Lesung beraten. Die 2./3. Lesung des Gesetzes erfolgte am 13.11.2015. Das nun beschlossene Gesetz wird 2016 in Kraft treten und ab 2017 wirken. Ab dann sollen die Fähigkeiten und Beeinträchtigungen pflegebedürftiger Menschen besser als bisher erfasst werden. So wird es ermöglicht, Pflegebedürftige individueller zu versorgen und ihre Selbständigkeit nachhaltig zu stärken. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Ansprüchen von Menschen mit Demenz.
Künftig wird es anstelle der drei Pflegestufen
fünf Pflegegrade geben. Bei der Begutachtung werden die Beeinträchtigungen der
Selbständigkeit oder der Fähigkeiten der Menschen in sechs verschiedenen
Bereichen beurteilt:
- Mobilität:
(körperliche Beweglichkeit, zum Beispiel morgens aufstehen vom Bett und
ins Badezimmer gehen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen)
- Kognitive
und kommunikative Fähigkeiten (verstehen und reden: zum Beispiel
Orientierung über Ort und Zeit, Sachverhalte und begreifen, erkennen von
Risiken, andere Menschen im Gespräch verstehen)
- Verhaltensweisen
und psychische Problemlagen (zum Beispiel Unruhe in der Nacht oder Ängste
und Aggressionen, die für sich und andere belastend sind, Abwehr
pflegerischer Maßnahmen)
- Selbstversorgung
(zum Beispiel sich selbstständig waschen und ankleiden, essen und trinken,
selbständige Benutzung der Toilette)
- Bewältigung
von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten
Anforderungen und Belastungen (zum Beispiel die Fähigkeit haben die
Medikamente selbst einnehmen zu können, die Blutzuckermessung selbst
durchzuführen und deuten zu können oder gut mit einer Prothese oder dem
Rollator zurecht zu kommen, den Arzt selbständig aufsuchen zu können)
- Gestaltung
des Alltagslebens und sozialer Kontakte (zum Beispiel die Fähigkeit haben
den Tagesablauf selbständig zu gestalten, mit anderen Menschen in direkten
Kontakte zu treten oder die Skatrunde ohne Hilfe zu besuchen)
Der Gutachter
oder die Gutachterin des Medizinischen Dienstes wird den Grad der
Selbständigkeit und den Grad oder Umfang der Beeinträchtigung der
Selbständigkeit oder der Fähigkeiten diagnostizieren.
Bei der Festlegung des Pflegegrades fließen die zuvor genannten Module in
unterschiedlicher Wertigkeit bzw. Prozentsätzen ein.
Der Pflegegrad
wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments
ermittelt.
Pflegegrad 1:
geringe Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 2:
erhebliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 3:
schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 4:
schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 5:
schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit mit besonderen Anforderungen an
die pflegerische Versorgung
Bei
pflegebedürftigen Kindern wird der Pflegegrad durch einen Vergleich der
Beeinträchtigungen ihrer Selbständigkeit und ihrer Fähigkeitsstörungen mit
altersentsprechend entwickelten Kindern ermittelt.
Erst aufgrund
einer Gesamtbewertung aller Fähigkeiten und Beeinträchtigungen erfolgt die Einstufung
in einen der fünf Pflegegrade. Alle, die bisher eine Pflegestufe haben oder bei
denen eine erhebliche Beeinträchtigung der Kompetenz, ihren Alltag selbständig
zu leben, festgestellt wurde, werden automatisch in einen der neuen Pflegegrade
übergeleitet.
Minuten spielen
in der neuen Begutachtung und damit für die Einstufung keine Rolle mehr.
Stattdessen werden den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen mit den
Pflegestärkungsgesetzen I und II mehr Möglichkeiten
gegeben, mit den Leistungen der Pflegeversicherung entsprechend ihren Wünschen
und ihrer Lebenssituation umzugehen.
Das PSG II ist
die weitreichendste Reform seit Einführung der Pflegeversicherung. Es verändert
das Pflegesystem für alle Beteiligten grundlegend, aber auch bei Kommunen, Pflegekassen, Dienstleister
und Heimbetreibernommt es zu Neuerungen.
Es ist deshalb
folgerichtig, das der Gesetzgeber allen Beteiligten ein Jahr Zeit lässt, sich
auf die Anwendung des PSG II einzustellen und die praktischen Auswirkungen, und
anderem
-
im Verhältnis zum SGB XII – Sozialhilfe,
-
auf die Finanzierungsströme bei stationärer
Pflege,
-
auf die Pflegedokumentation,
-
auf den Personalschlüssel,
-
beim Pflege-TÜV und
-
auf Beratungsstrukturen,
zu gestalten.
Das Pflegestärkungsgesetz II ist, so auch
das Bundesministerium für Gesundheit, „somit eine große planerische und
organisatorische Herausforderung, die von vielen gemeinsam gemeistert werden
muss. Es ist ein Kraftakt, der 2017 in eine individuellere Begutachtung und
passgenauere Pflegeleistungen münden wird.“