Sachverhalt:
Die
Kreistagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Ausschussvorsitzende Frau Brand
gebeten, den als Anlage beigefügten
Antrag vom 4. Juni 2020 auf die Tagesordnung des Sozial- und
Gesundheitsausschusses am 15. Juni 2020 zu setzen.
Mit dem Antrag soll die Kreisverwaltung beauftragt werden, in
Zusammenarbeit mit den Kommunen systematisch Erfahrungen und Erkenntnisse aus
der Corona-Pandemie im Bereich bürgerschaftlichen Engagements zu erfassen.
Dadurch soll erreicht werden, dass Stärken weiter ausgebaut und verstetigt,
eventuelle Schwächen und Unterstützungsbedarfe erfasst sowie Strategien und
Perspektiven erkannt werden, um notwendige Veränderungen einzuleiten.
Die Verwaltung nimmt zu dem Antrag wie folgt Stellung:
Während der bisherigen CoviD19-Lage hat das Kreisgesundheitsamt fast
4.000 Menschen vorübergehend unter Quarantäne stellen müssen. Die Menschen
durften ihre privaten Wohnräume quasi nicht verlassen, in manchen Fällen für
mehr als 2 Wochen. Der Rhein-Kreis Neuss hat bereits in einer frühen Phase der
Lage ein Konzept verabschiedet und umgesetzt, damit unter Quarantäne gestellte
Personen im Bedarfsfall Hilfe und Unterstützung erhalten: sei es die Erledigung
von Einkäufen, sei es das Ausführen eines Hundes oder ein vergleichbarer Bedarf.
Bislang wurden diese Hilfeleistungen von 38 Menschen angefragt. Im
Umkehrschluss bedeutet dies, dass die weit überwiegende Mehrheit der von einer
Quarantäne betroffenen Personen alle notwendigen Hilfen aus dem familiären oder
sozialen Umfeld erhalten haben muss.
Die durch die Kreisverwaltung entwickelten Hilfsangebote und Maßnahmen sowie
die im Rahmen ihrer Umsetzung und Inanspruchnahme gewonnenen Erfahrungen werden
- auch mit Blick auf die Zukunft - nachfolgend im Einzelnen dargestellt:
1. Hilfsangebote und Maßnahmen im Bereich
bürgerschaftlichen Engagements
1.1 Online Portal für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer
Seit dem 19.03.2020 bietet der Rhein-Kreis Neuss ein Online-Portal an,
über das sich ehrenamtliche Helferinnen und Helfer melden können, um in Zeiten
der Corona Krise andere im Kreisgebiet zu unterstützen. In dem Formular können
die Hilfsangebote
·
Versorgung
mit Lebensmitteln,
·
telefonische
Kontaktaufnahme,
·
medizinische
/ gesundheitliche Unterstützung
·
pflegerische
Unterstützung und
·
sonstige
Hilfsangebote
ausgewählt werden.
Personen, die haushaltsnahe Dienstleistungen wie Einkaufsdienste
anbieten, werden an die Wohlfahrtsverbände[1]
vermittelt. Diese koordinieren die Einsätze der Freiwilligen. Zum Zeitpunkt der
Einrichtung des Online-Portals lieferten die Wohlfahrtsverbände bereits
Care-Pakete für in Quarantäne befindliche Personen. Dabei teilten sich die
Verbände das Kreisgebiet auf: Der Caritasverband übt diese Tätigkeit in
Dormagen, Grevenbroich, Rommerskirchen und Kaarst aus und die Diakonie in
Jüchen, Korschenbroich, Meerbusch und Neuss. Auch die Daten der Freiwilligen
für die pflegerische Unterstützung wurden an die Wohlfahrtsverbände zwecks
Vermittlung weitergegeben.
Bis zum 18.05.2020 gingen insgesamt 172 Meldungen über das Portal ein.
Kommune |
ehrenamtliche Meldungen |
Dormagen |
19 |
Grevenbroich |
23 |
Jüchen |
7 |
Kaarst |
10 |
Korschenbroich |
11 |
Meerbusch |
21 |
Neuss |
65 |
Rommerskirchen |
1 |
außerhalb
RKN |
15 |
insgesamt |
172 |
*Bei den Meldungen sind Mehrfachnennungen der Hilfsangebote möglich.
Angebote
in % |
Versorgung mit Lebensmitteln |
telefonische Kontaktaufnahme |
medizinische / gesundheitliche Unterstützung |
pflegerische Unterstützung |
sonstiges |
72 % |
53 % |
26 % |
19 % |
38 % |
Die Personen, die eine medizinische / gesundheitliche Unterstützung
anbieten, wurden in eine Datenbank für die Gestellung von Personal für das
geplante Behelfskrankenhaus aufgenommen. Neben den über das Ehrenamtsportal
gemeldeten Personen wurden weitere 35 Freiwillige in einen Personalpool
aufgenommen, die dem Rhein-Kreis Neuss ihre Hilfe über andere Kanäle, bspw.
Mail, angeboten haben.
Bei einer potentiellen zweiten Viruswelle kann auf die bisher erhobenen
Daten der Freiwilligen zurückgegriffen werden.
Auf der Internetseite des Kreises wurde zusätzlich auf die Plattformen
für Saisonarbeit und Erntehelfer sowie für Beschäftigungssuchende auf die
Bundesagentur für Arbeit verwiesen.
1.2 Online-Portal für Hilfesuchende
Am 24.03.2020 ging auch ein Online-Portal für Hilfesuchende online.
Hier können in Quarantäne befindliche oder zu Risikogruppen gehörende Menschen
ihre Bedarfe anmelden. Bisher gingen über dieses Portal zwei Hilfegesuche ein.
Daneben bestand für genannten Personenkreis die Möglichkeit, telefonisch Hilfe
im Alltag anzufordern. Bis zum 04.06.2020 konnten 38 dieser Personen über die
ebenfalls in die Öffentlichkeit kommunizierte Rufnummer 02181 601 5738 Hilfe
bzw. Unterstützung vermittelt werden.
Kommune |
Anzahl der Hilfesuchenden |
Dormagen |
3 |
Grevenbroich |
12 |
Jüchen |
1 |
Kaarst |
4 |
Korschenbroich |
1 |
Meerbusch |
3 |
Neuss |
14 |
Rommerskirchen |
0 |
insgesamt |
38 |
Davon wurden folgende Hilfsangebote ersucht:
Versorgung mit Lebensmitteln |
pflegerische Unterstützung |
Hund ausführen |
33 |
4 |
1 |
1.3 Finanzielle Unterstützung von Freiwilligen-Organisationen
Das Land Nordrhein-Westfalen stellt zur Unterstützung ehrenamtlicher
Aktivitäten zur Bewältigung der Folgen der Corona-Krise über eine Million Euro
bereit. Damit sollen insbesondere die Arbeit und Hilfsangebote der
Freiwilligenagenturen, Nachbarschafts-initiativen und Vereine vor Ort
unterstützt werden, damit diese ihre Aktionen vor allem für Seniorinnen und
Senioren, erkrankte und in Quarantäne befindliche Menschen einfacher oder
besser umsetzen können. Dem Rhein-Kreis Neuss stehen hierfür 25.000 Euro zur
Verfügung. Die Mittel sollen mit möglichst wenig bürokratischem Aufwand zur
Verfügung gestellt werden.
Je Organisation/Institution werden maximal 200 Euro ausgeschüttet, um
möglichst viele Förderfähige zu unterstützen. Anträge können bis zum 05.07.2020
unter http://rkn.nrw/uea eingereicht werden.
Förderfähige Auslagen sind z. B.:
•
Material
für das Nähen von Behelfsmasken (u. a. Anschaffung oder Anmietung von
Nähmaschinen, Stoff, Nähgarn, Befestigungsbänder, etc.)
•
Anschaffung/Kauf
von Schutzbekleidung (Handschuhe, Mundschutz, Desinfektionsmittel)
•
Einrichtung
von Videokonferenzen (Lizenzgebühren), Website-Gestaltung, Hosting
•
Erstattung
von Fahrtkosten bei Nutzung von PKWs und Lieferwagen oder des ÖPNVs
•
Öffentlichkeitsarbeit
Am 26.05.2020 machte der Rhein-Kreis Neuss diese Aktion publik. Darüber
hinaus wurden die kreisangehörigen Städte und Gemeinde, sowie
Wohlfahrtsverbände, Kirchen und andere anerkannte Religionsgemeinschaften hierüber
informiert, verbunden mit der Bitte auf diese Fördermöglichkeit bei ihren
Untergliederungen hinzuweisen.
2. Erfahrungsberichte zu Hilfsangeboten
Mit der
Vermittlung der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer war in Person eine der
beiden Pflegesachverständigen des Kreissozialamtes betraut. Zu ihrem
Aufgabenbereich zählten:
1.
Vermitteln von Einkaufshilfen inklusive der Weitergabe von
Kontaktdaten der ehrenamtlichen Kräfte, die sich über die Hotline angeboten
haben, zu helfen
2.
Vermitteln von Hilfe für Menschen, die zuhause pflegerische
Unterstützung benötigen
3.
Eine Bedarfserhebung für die Station UA: Was wird benötigt, falls
der Rhein- Kreis Neuss sich entscheidet, die Station zu öffnen?
Ausgehend von den im Antrag aufgeführten Leitfragen hat die
Kollegin ihre im Rahmen dieser drei Aufgabenbereiche gesammelten Erfahrungen
aus persönlicher Sicht dargestellt:
2.1 Einkaufshilfe
1. Was lief gut, wo gibt es
Optimierungsbedarf?
Die Zusammenarbeit
der beteiligten Ämter der Kreisverwaltung untereinander ist sehr gut gelaufen. Die
Wohlfahrtsverbände CaritasSozialdienste Rhein-Kreis Neuss GmbH und Diakonie
Rhein-Kreis Neuss haben sich das Kreisgebiet räumlich aufgeteilt, um die Hilfe
effizienter zu gestalten. Die Inanspruchnahme der durch den Kreis vermittelten
ehrenamtlichen Kräfte sei jeweils unterschiedlich hoch ausgefallen. Die Caritas
hat von den vermittelten Ehrenamtlern drei Personen eingesetzt, bei der
Diakonie waren sechs durch den Kreis vermittelte Personen im Einsatz. Zur
ergänzenden Unterstützung und Vorbeugung von Versorgungslücken im Bereich
„Einkaufshilfe“ ist die Pflegesachverständige für die betroffenen Städte auf
ehrenamtliche Gruppen zugegangen.
Hervorzuheben ist
das große ehrenamtliche Engagement. Binnen kurzer Zeit gab es kreisweit
Gruppen, die ehrenamtlich Einkäufe erledigt haben und zwar meist binnen 24 h.
Das hat den Menschen, die plötzlich unter Quarantäne standen, sehr geholfen.
Dabei haben viele Gruppen ihr Angebot auf ältere Menschen generell erweitert,
damit diese erst gar nicht der Gefahr einer Infektion beim Einkauf ausgesetzt
sind. Beispiel: „keincoronafürdieoma“- dort engagiert sich unter anderem auch eine
Mitarbeiterin des Kreisordnungsamtes.
2. Welche Erkenntnisse können
daraus für die Zukunft gewonnen werden?
Als erste
Erkenntnis nennt die Pflegesachverständige, dass die frühe und konsequente
Entscheidung, im Rhein- Kreis Neuss Dinge zu organisieren und vorzubereiten,
allen Beteiligten geholfen habe, als es dann „losging“. Dadurch habe der Kreis
in manchen Bereichen einen „Vorsprung“ zu anderen Kreisen und kreisfreien
Städten gehabt, der sich ausgezahlt hat.
Die zweite
Erkenntnis ist, dass es eine hohe Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung gab. Die
geringe Zahl an Einkaufsanfragen zeigt, dass vielen Personen, die sich in
Quarantäne befunden haben, innerhalb der Nachbarschaft geholfen wurde.
Für ihren Bereich könne
die Organisation auch in der Zukunft so Bestand haben.
3. Wo kann und muss auf kommunaler
Ebene ein Beitrag geleistet werden?
Auf Kreisebene nennt sie die Bereiche wie dargestellt, in
denen die Kreisverwaltung bereits tätig geworden ist. Einen darüber
hinausgehenden Handlungsbedarf habe sie nicht erkennen können.
2.2 Hilfe für pflegebedürftige Personen und deren Angehörige
1. Was lief gut, wo gibt es
Optimierungsbedarf?
Die Zusammenarbeit
mit den zwei eingesetzten Ehrenamtlern sei sehr gut gelaufen. Aktuell ist kein
Einsatz mehr erforderlich. Sie habe stets eine zeitnahe Rückmeldung erhalten,
wenn sie um Unterstützung angefragt habe. Die betreuten Personen hätten ihr
ebenfalls ein positives Feedback gegeben, dass die ehrenamtlichen Kräfte
zuverlässig, pünktlich, höflich etc. waren.
2. Welche Erkenntnisse können
daraus für die Zukunft gewonnen werden?
Wie oben erwähnt,
gibt es eine hohe Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. Am Anfang der Pandemie
gab es einige Anfragen, in denen es um eine pflegerische Unterstützung ging.
Teilweise haben ambulante Pflegedienste ihre Versorgung auch bei
Verdachtsfällen eingestellt, mit der Begründung, nicht über entsprechende
Schutzausrüstung zu verfügen. Ungeachtet der Tatsache, dass dies aus
vertragsrechtlichen Gründen nicht so ohne weiteres geht, war es ein Problem,
mit dem die Betroffenen erstmal alleine da standen.
Nach ihrer
Einschätzung sollte den ambulanten Pflegediensten auferlegt werden, zukünftig
ein gewisses Kontingent an Schutzausrüstung vorzuhalten, welches über den
Versorgungsvertrag refinanziert werden könne. Die WTG-Behörde des Kreises wurde
hierüber informiert und wird diesen Vorschlag prüfen und weiterverfolgen.
Aktuell erhalten alle Anbieter entsprechende Materialien über den Rhein-Kreis
Neuss, doch es sei die ureigene Aufgabe der einzelnen Anbieter, sich
entsprechend auszustatten und zwar zukünftig bevor es Lieferengpässe
gibt.
Teilweise fielen
Pflegepersonen aus, weil sie erkrankt oder unter Quarantäne standen und die
Pflege neu organisiert werden musste. Hier kamen die ehrenamtlichen Kräfte in
den Einsatz.
Für ihren Bereich könne
die Organisation auch in der Zukunft so Bestand haben.
3. Wo kann und muss auf kommunaler
Ebene ein Beitrag geleistet werden?
Wie dargestellt.
2.3 Station UA
Für den Fall, dass die Versorgung von Menschen in
häuslicher Quarantäne über Familienangehörige, Freunde oder nachbarschaftliche
Hilfe an ihre Grenzen stößt, hat der Rhein-Kreis Neus im Rahmen der
Vorausplanung zur Bewältigung der CoVid19-Pandemie eine Reihe von Konzepten zur
Unterstützung der Bevölkerung erstellt. Hierzu zählt u.a. die Station UA, die
der Rhein-Kreis Neuss für diesen Personenkreis in Kooperation mit dem
Rheinlandklinikum Neuss Krankenhaus Grevenbroich und dem Malteser Hilfsdienst (Belegung
durch maximal 34 Personen) eingerichtet hat. In diesem Zusammenhang wurde
frühzeitig ein Zuweisungskonzept entwickelt, welches für den Bedarfsfall zur
Verfügung gestanden hätte. Aufgrund der moderaten Infektionsrate im Rhein-
Kreis Neuss ist die Station UA nie zum Einsatz gekommen.
1. Was lief gut, wo gibt es
Optimierungsbedarf?
Die Zusammenarbeit
mit dem Malteser Hilfsdienst ist sehr gut gelaufen.
2. Welche Erkenntnisse können
daraus für die Zukunft gewonnen werden?
Siehe oben.
3. Wo kann und muss auf kommunaler
Ebene ein Beitrag geleistet werden?
Siehe Antwort zu Frage
2.
3. Konzeptentwicklung
Für die Entwicklung konkreter Quartiers- oder Nachbarschaftskonzepte
sieht die Kreisverwaltung nach wie vor die Zuständigkeit bei den
kreisangehörigen Kommunen, auch für den Fall von Krisen oder außergewöhnlichen
Ereignissen. Konzepte, die in den urbanen Strukturen der Stadt Neuss
funktionieren, können für das ländlich geprägte Rommerskirchen unwirksam sein.
Des Weiteren benötigen die Konzepte „Macher“ und „Kümmerer“ vor Ort und sind
auch aus diesem Grund oft schwer übertragbar.
Hinzu kommt, dass größere oder langandauernde Krisenlagen in der
Vielzahl der denkbaren Szenarien kaum vorhersehbar sind, was selbst für die
staatlichen und professionellen Akteure im Krisenmanagement und im
Bevölkerungsschutz konkrete Vorausplanungen nahezu unmöglich macht. Dies gilt
umso mehr für den Einsatz ehrenamtlicher Kräfte oder von Spontanhelfern.
Wichtig ist, dass dieses Potential als mögliche Hilfsquelle gesehen und
beachtet wird. Der Krisenstab des Rhein-Kreises Neuss hat sich in mehreren
Übungen speziell mit diesem Thema auseinandergesetzt und hätte auf die gewonnen
Erkenntnisse und Kontakte auch in der derzeitigen Lage beim Aufbau eines
Behelfskrankenhauses zurückgreifen können. Hierzu wird auf die Tischvorlage zur
Sondersitzung des Kreisausschusses am 06.05.2020 verwiesen.
[1] Hintergrund der Entscheidung mit den Wohlfahrtsverbänden zu kooperieren war, keine neue, zusätzliche Struktur zu schaffen. Vielmehr sollte auf bereits vorhandene Ansprechpartner zurückgegriffen werden.