Sachverhalt:
Mit Anfrage vom 5. April 2011 hat die CDU und FDP Kreistagsfraktion um Auskunft über den Stand des U3-Ausbaus im gesamten Rhein-Kreis Neuss gebeten. Insbesondere wird eine Aussage gewünscht, ob und inwieweit der Ausbau von U3 Plätzen aufgrund fehlender Mittel aus dem Landeshaushalt nicht zeitgerecht erfolgen kann und welche Maßnahmen der Kreis eventuell ergreifen kann.
Hierzu wird wie folgt Stellung genommen:
A)
Die Entwicklung des Rechtsanspruchs auf Förderung
in Tageseinrichtungen in Kindertagespflege.
Erstmals mit Art. 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) vom 26. Juni 1990 wurde in § 24 des VIII. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) geregelt, dass alle Kinder, für deren Wohl eine Förderung in Tageseinrichtungen oder in Tagespflege erforderlich ist, eine entsprechende Hilfe erhalten sollten. Den Ländern wurde die Aufgabe übertragen, die Verwirklichung dieses Grundsatzes zu regeln und für einen bedarfsgerechten Ausbau Sorge zu tragen.
Mit der Nachfolgeregelung des § 24 SGB VIII wurde 1992 für Kinder vom vollendeten 3. Lebensjahr an ein Anspruch auf den Besuch eines Kindergartens nach Maßgabe des Landesrechtes geschaffen. Für Kinder im Alter unter drei Jahren und Kinder im schulpflichtigen Alter waren nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen und, soweit für das Wohl des Kindes erforderlich, Tagespflegeplätze vorzuhalten.
Das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene „Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsausbaugesetz – TAG)“ vom 27. Dezember 2004 ergänzte § 24 SGB VIII dahingehend, dass für Kinder unter drei Jahren unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. im Fall von erwerbstätigen Erziehungsberechtigten) Plätze in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege vorzuhalten waren (TAG Ausbauquote).
Im Jahr 2007 haben sich Bund und Länder beim „Krippengipfel“ darauf verständigt, dass auch Kinder unter drei Jahren ab dem Kindergartenjahr 01.08.2013 einen unbeschränkten und allgemeinen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung bzw. in einer Kindertagespflege haben sollen. Die für diesen Ausbau erforderlichen Investitionskosten wurden mit 4 Mrd. € ermittelt, wobei der Bund den Ländern eine Finanzierung in Höhe von 2,15 Mrd. € zusagte.
Mit dem „Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz – KiFöG)“ vom 10. Dezember 2008 hat der Deutsche Bundestag und der Deutsche Bundesrat die Ergebnisse des Krippengipfels umgesetzt und § 24 Abs. 3 SGB VIII erweitert (Kifög Ausbauquote). Zum 01.08.2013 wird § 24 folgende Fassung haben:
„§ 24 Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege
(1) Ein Kind, das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist in einer Einrichtung oder in Kindertagespflege zu fördern, wenn
1. Diese Leistung für seine Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit geboten ist oder
2. Die Erziehungsberechtigten
a) einer Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder Arbeit suchend sind,
b) sich in einer beruflichen Bildungsmaßnahme, in der Schulausbildung oder Hochschulausbildung befinden oder
c) Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne des II. Buches erhalten.
Lebt das Kind nur mit einem Erziehungsberechtigten zusammen, so tritt diese Person an die Stelle der Erziehungsberechtigten. Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich nach dem individuellen Bedarf.
(2) Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(3) Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagesplätzen zur Verfügung steht. Das Kind kann bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in Kindertagespflege gefördert werden.
(4) Für Kinder im schulpflichtigen Alter ist ein bedarfsgerechtes Angebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Absatz 1 Satz 3 und Absatz 3 Satz 3 gelten entsprechend.
(5) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die von ihnen beauftragen Stellen sind verpflichtet, Eltern oder Elternteile, die Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 in Anspruch nehmen wollen, über das Platzangebot im örtlichen Einzugsbereich und die pädagogische Konzeption der Einrichtungen zu informieren und sie bei der Auswahl zu beraten. Landesrecht kann bestimmen, dass die erziehungsberechtigten Personen den zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die beauftragte Stelle innerhalb einer bestimmten Frist vor der beabsichtigten Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis setzen.
(6) Weitergehendes Landerecht bleibt unberührt.“
B)
Zuständigkeiten
a) Zuständigkeit für den Ausbau der U3-Plätze in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege
Die bis zum Jahr 2008 geltende bundesrechtliche Regelung, mit der die Städte und Kreise zu den örtlichen Trägern der Jugendhilfe bestimmt wurden, wurde mit dem Kinderförderungsgesetz vom 10. Dezember 2000 im Zusammenhang mit der Föderalismusdebatte aufgehoben. Am 22. Oktober 2008 verabschiedete der Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen in zweiter Lesung das Gesetz zur Änderung des AG-KJHG, mit der die Zuständigkeit der Trägerschaft der öffentlichen Jugendhilfe auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen wurde. Mit Urteil vom 12. Oktober 2010 hat der Verfassungsgerichtshof von Nordrhein-Westfalen festgestellt, dass der Ausbau der U3-Betreuung eine neue Aufgabe darstellt, die vom Land Nordrhein-Westfalen auf die Kommunen übertragen worden ist, und an deren Kosten sich das Land im Rahmen des Konnexitätsprinzips von Artikel 78 Abs. 3 Satz 2 zweite Alternative Landesverfassung Nordrhein-Westfalen angemessen zu beteiligen hat.
b) Zuständigkeiten innerhalb des Rhein-Kreises Neuss
Nach Maßgabe des Ausführungsgesetzes zum KJHG sind folgende Gebietskörperschaften Träger der öffentlichen Jugendhilfe:
Rhein-Kreis Neuss für Korschenbroich, Jüchen, Rommerskirchen
Stadt Neuss für Neuss
Stadt Grevenbroich für Grevenbroich
Stadt Dormagen für Dormagen
Stadt Kaarst für Kaarst
Stadt Meerbusch für Meerbusch
Verbindliche und vollständige Antworten auf die Anfrage der CDU und FDP Kreistagsfraktion können von Seiten des Rhein-Kreises Neuss derzeit nur für die Stadt Korschenbroich, die Gemeinde Jüchen und die Gemeinde Rommerskirchen gegeben werden. Die Jugendämter der Städte und Gemeinden sind gebeten worden, für ihren Zuständigkeitsbereich ebenfalls Aussagen zu treffen. Sobald diese Informationen vorliegen, wird der Kreisausschuss hierüber unterrichtet werden.
C)
Ausbau der Plätze in Tageseinrichtungen
und in Kindertagespflege
Im Land Nordrhein-Westfalen konnte die TAG Ausbauquote von 17 % mit 76.595 Plätzen in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege für Kinder unter drei Jahren zu Beginn des Kindergartenjahres 2010/2011 erreicht werden. Dem Rhein-Kreis Neuss ist es gelungen, zum 31.12.2011 einen Ausbauzustand zu erreichen, der deutlich über der Quote des Landes Nordrhein-Westfalen liegt. Zum 31.12.2011 konnte folgender Zwischenstand festgestellt werden:
Gebietskörperschaft |
Anzahl der Plätze in
Tagesein- richtungen und in
Kindertagespflege |
Quote |
Soll Plätze nach KiFöG Ausbau |
Korschenbroich |
215 |
30,9 % |
222 |
Jüchen |
134 |
26,4 % |
165 |
Rommerskirchen |
85 |
27,6 % |
102 |
Gesamt |
434 |
499 |
Für das Land Nordrhein-Westfalen und den gesamten Rhein-Kreis Neuss wird für den Ausbauzustand der Plätze in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege auf Anlage 1 verwiesen.
D) Weiterer Ausbauschritt
Für die Stadt Korschenbroich, die Gemeinde Jüchen und die Gemeinde Rommerskirchen sind folgende weitere Ausbauschritte für ein bedarfsgerechtes Angebot von Plätzen in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege geplant:
In Korschenbroich:
a) Städtische Kindertageseinrichtung am Hallenbad (in 2012) 8 Plätze
b) Städtische Kindertageseinrichtung auf den Kempen (in 2012) 4 Plätze
c) Katholischer Kindergarten Korschenbroich (in 2012) 6 Plätze
d) Katholischer Kindergarten Glehn (in 2013) 4 Plätze
e) Städtische Kindertageseinrichtung Schulstraße (in 2013) 8 Plätze
f) Städtische Kindertageseinrichtung Pestalozzistraße (in 2013) 16 Plätze
In Jüchen:
a) Neu Garzweiler (in 2012) 8 Plätze
b) Katholische Kirchengemeinde Otzenrath (in 2012) 12 Plätze
c) Katholische Kirchengemeinde Jüchen (in 2013) 6 Plätze
In Rommerskirchen:
Mit Abschluss der Baumaßnahmen Kommunale Kindertageseinrichtung 15 Plätze
Frixheimer Straße sowie der kath. Kindergärten in Rommerskirchen und
Sinsteden kann noch
in diesem Jahr in Rommerskirchen ein bedarfs-
gerechtes Angebot geschaffen werden.
E) Finanzierung
des Ausbaus
Die Finanzierung
des U3 Ausbaus wurde dadurch erschwert, dass im Landtag des Landes
Nordrhein-Westfalen für gültige bzw. verfassungsgemäße Haushalte in den Jahren
2010 und 2012 keine Mehrheit gefunden wurde. In diesen Jahren sind deshalb im
Wesentlichen Landesmittel an die Städte und Gemeinden im Rhein-Kreis Neuss erst
jeweils zum Ende eines Kalenderjahres bewilligt worden. Im Haushaltsjahr 2011
hat die Landesregierung keine Bundesmittel für den U3 Ausbau an das
Landesjugendamt bzw. die örtlichen Jugendämter weitergeleitet.
Folgende Bewilligungen für den U3 Ausbau sind im Rhein-Kreis Neuss erteilt
worden:
Gebietskörperschaft |
2010 |
2011 einschließlich VE |
2012 einschließlich VE |
|||
|
Bundesmittel |
Landesmittel |
Bundesmittel |
Landesmittel |
Bundesmittel |
Landesmittel |
Rhein-Kreis Neuss |
270.435 |
522.792 |
--- |
616.329 |
287.346 |
325.659 |
Stadt Neuss |
1.418.347 |
704.071 |
797.947 |
|||
Stadt Grevenbroich |
552.165 |
251.975 |
285.571 |
|||
Stadt Dormagen |
616.854 |
279.411 |
316.666 |
|||
Stadt Meerbusch |
551.526 |
253.193 |
286.952 |
|||
Stadt Kaarst |
396.208 |
174.462 |
197.723 |
Soweit der Rhein-Kreis Neuss für die Stadt Korschenbroich und die Gemeinde Jüchen bis zum 01.08.2012 weitere Fördermittel in Höhe von 900.000,00 € erhält, kann der bedarfsgerechte U3 Ausbau bis zum 01.08.2013 gesichert werden.
F)
Sicherstellung des Rechtsanspruches bei
Ausbleiben von Fördermitteln
Auch bei Ausbleiben von Fördermitteln wird sich der
Rhein-Kreis bemühen, für die Städte Korschenbroich, Jüchen und Rommerskirchen
den Rechtsanspruch tatsächlich zu erfüllen. Soweit es zu dieser Situation
kommen sollte, wird das Jugendamt des Rhein-Kreises Neuss in Zusammenarbeit mit
dem Landkreistag das Land bzw. das Landesjugendamt bitten, vorübergehend und
befristet höhere Gruppenstärken in den Kindertageseinrichtungen zuzulassen und verträgliche
altersgemischte Strukturen zu tolerieren. Auch wird versucht werden, in diesem
Fall die Kindertagespflege noch stärker auszubauen.
Eine Kostenbeteiligung des Landes könnte über das im Landtag zu beschließende
Belastungsausgleichsgesetz erfolgen, dessen Entwurf zwischen den kommunalen
Spitzenverbänden und der Landesregierung ausgehandelt wurde. Sollte der Landtag
das Gesetz nicht beschließen, wird der Rhein-Kreis Neuss den
Verfassungsgerichthof von NRW in Zusammenarbeit mit dem Landkreistag und den
klagenden Kommunen bitten, sein Konnexitätsurteil vom 12. Oktober 2010 zu
vollstrecken.