Betreff
Jahresbericht "Behandlung im Voraus planen"
Vorlage
50/3597/XVII/2023
Art
Beschlussvorlage

Beschlussempfehlung:

Der Kreistag beschließt auf Empfehlung des Ausschusses für Soziales und Wohnen folgende Punkte:

 

1.    Der Rhein-Kreis Neuss bekräftigt seine Unterstützung des Projektes einer regionalen Implementierung von „Behandlung im Voraus planen“ mindestens bis zum Ablauf der derzeit vorgesehenen Projektlaufzeit bis zum 31.12.2026.

 

2.    Auf Grundlage der Schilderungen und der im Rahmen der Implementierung gewonnenen Erkenntnisse wird der Kreiszuschuss für das 2023 auf 101.453,84 Euro erhöht. Für die Folgejahre sollen die insbesondere aufgrund tariflicher Anpassungen entstehen Kostensteigerungen ebenfalls berücksichtigt werden. Hierzu wird in der Sitzung des Ausschusses für Soziales und Wohnen am 1. Februar 2024 eine aktuelle Kostenprognose vorgelegt.

 


Sachverhalt:

In der Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses am 11.09.2019 hat die Verwaltung ein Konzept zur regionalen Implementierung von „Behandlung im Voraus planen (BVP)“ im Rahmen eines Pilotprojektes vorgelegt. Der Ausschuss hat in der vorgenannten Sitzung den Beschluss gefasst, das Projekt finanziell zu fördern.

 

Über die Fortschritte des Projektes, die erreichten Ziele und die gewonnenen Erfahrungen hat die mit der Umsetzung beauftragte Technologiezentrum Glehn GmbH (TZG) gemäß den Nebenbestimmungen des Zuwendungsbescheids regelmäßig im Ausschuss für Soziales und Wohnen zu berichten. Dies erfolgt im Rahmen der Ausschusssitzung durch den Projektkoordinator Herrn Andreas Gerdes.

 

I. Sachstand der Aufbauarbeit

1. Aufbau der Koordinierungsstelle am TZG

 

Auf Grundlage des Kreistagsbeschlusses zur Förderung der regionalen Implementierung von BVP wurde durch das Kreissozialamt am 20.11.2019 ein entsprechender Förderbescheid an die Technologiezentrum Glehn GmbH (TZG) erstellt. Das TZG konnte als Kooperationspartner gewonnen werden und fungiert seither als Koordinierungsstelle für BVP im Rhein-Kreis Neuss.

2. Teilnahme von Einrichtungen am Projekt

 

Im nächsten Schritt wurden Anfang 2020 schriftliche Kooperationsvereinbarungen zwischen dem TZG und zunächst vier ausgewählten stationären Pflegeeinrichtungen abgeschlossen. Mittlerweile sind insgesamt 11 Einrichtungen angebunden. Zwei weitere Einrichtungen starten zum Januar 2024, hierfür wird auch eine neue BVP-Gesprächsbegleiterin eingestellt.

 

Ab Januar 2024 wird somit voraussichtlich in 14 der 47 vollstationären Altenpflegeinrichtungen im RKN das Konzept von BVP umgesetzt. Dies entspricht 30%. Der bundesweite Durchschnitt der Umsetzung von GVP nach §132g SGB V liegt zzt. bei ca. 17%.

 

Außerdem stehen zwei Einrichtungen auf der konkreten Interessentenliste, die im Laufe des Jahres 2024 angebunden werden könnten. Den weiteren interessierten Einrichtungen sind Perspektiven eröffnet, um dem Projekt sukzessive beizutreten. Diese zeitliche Staffelung ist erforderlich und im Konzept vorgesehen, um den Aufwand der Implementierungsphasen in den einzelnen Einrichtungen angemessen durch die Koordinierungsstelle begleiten zu können.

 

Auf Basis der Kooperationsvereinbarungen wurden Arbeitsverträge mit vier für BVP qualifizierten Gesprächsbegleitern abgeschlossen, die die operative Aufgabenwahrnehmung sicherstellen können. Insgesamt stehen seither 2,20 Vollzeitstellen für die Gesprächsbegleitung zur Verfügung.

 

3. Vereinbarung mit dem zuständigen Landesverband der Pflegekassen

 

Bei der Knappschaft Bochum, dem für das Gebiet des Rhein-Kreises Neuss zuständigen Landesverband der Pflegekasse, wurde für die o.g. Einrichtungen eine Vereinbarung nach §

132g SGB V beantragt. Die erforderlichen Unterlagen wurden zur Verfügung gestellt. Erst Mitte 2020 wurde seitens der Landesverbände der Pflegekassen die erforderliche Vereinbarung unterzeichnet. Diese ist Voraussetzung für die Zahlbarmachung der den Pflegeeinrichtungen zustehenden Leistungen durch die Pflegekassen. Das TZG erhielt somit über einen längeren Zeitraum de facto keine Zahlungseingänge. Mittlerweile laufen die Zahlungen durch die Kassen reibungslos.

Ab dem 01.10.2021 wurden die Vergütungsvereinbarung nach entsprechenden Verhandlungen zwischen TZG und der Knappschaft Bochum angepasst, um die tarifbedingten Lohnkostensteigerungen abzubilden. Die nächste Verhandlungsrunde wurde durch das TZG im Sommer 2022 mittels eines entsprechenden Antrags an die Knappschaft Bochum eingeleitet. In diesem Jahr hat ebenfalls ein unterjähriger Austausch zwischen Knappschaft, TZG und den Pflegeeinrichtungen stattgefunden, sodass auch hier ein deutlicher Fortschritt in der Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen festgestellt werden kann.

 

II. Erfahrungen mit dem Projekt

1. Corona

 

Während der ersten Monate des Projektes, die für den Aufbau von Strukturen entscheidend sind, begann die Corona-Pandemie. Diese hatte massiven Einfluss auf die Projektarbeit, da in den Einrichtungen der Pflege, den Krankenhäusern, den Arztpraxen und im Rettungsdienst alle Ressourcen für die Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie gebündelt werden mussten.

 

Vor dem Hintergrund der coronabedingten Belastung des Pflegesektors mussten alle Überlegungen zur Einbindung weiterer Einrichtungen in das Projekt verschoben werden.

 

Daher muss im Ergebnis festgehalten werden, dass die Auswirkungen der Coronalage das Projekt in seiner Zielsetzung einer regionalen Vernetzung und im Aufbau von Strukturen während der Jahre 2020 und 2021 massiv beeinträchtigt und eingebremst haben. Aufgrund dessen wurde der Projektzeitraum bereits im vergangenen Jahr bis Ende 2026 verlängert.

2. Erfahrungen der beteiligten Pflegeeinrichtungen

 

Glücklicherweise konnte die operative Arbeit der Gesprächsbegleiter in den bereits am Projekt teilnehmenden Einrichtungen auch während der Pandemie fortgeführt und zwischen den Hochphasen der Pandemie immer wieder weiter vorangebracht werden. Hiermit ging die Aufbauarbeit von Strukturen und Prozessen in den beteiligten Pflegeeinrichtungen einher.

 

In einer Informationsveranstaltung für alle interessierten Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe, die am 01.02.2022 auf Einladung der WTG-Behörde in digitalem Format stattgefunden hat, haben die seinerzeit fünf beteiligten Pflegeeinrichtungen ihre Erfahrungen mit der Implementierung von BVP geschildert. Diese Schilderungen von Einrichtungsleitungen, Pflegekräften und Kräften der Sozialen Dienste waren beeindruckend.

Die von BVP angedachten Verbesserungspotentiale sowie die im Konzept benannten Zielsetzungen für das Zustandekommen von validen Vorausverfügungen wurden erkennbar in einem relevanten Ausmaß erreicht. Die professionelle Arbeit der Gesprächsbegleiter, die gemäß den Vorgaben von BVP qualifiziert sind, wurde durch die Einrichtungsvertreter klar bestätigt. Somit wurde deutlich, dass das erarbeitete und zugrundeliegende Konzept auf dem richtigen Weg ist.

 

Seither haben – wie bereits oben beschrieben - immer mehr Pflegeeinrichtungen ihre Bereitschaft und ihr Interesse mitgeteilt, dem Projekt beizutreten bzw. sind diesem bereits beigetreten. 

 

3. Einbezug von Menschen mit Behinderung / Einrichtungen der Eingliederungshilfe

 

Seitens der Eingliederungshilfe besteht ebenfalls großes Interesse an einer Teilhabemöglichkeit. Daher wurde bereits im vergangenen Jahr eine Aufstockung um 0,2 Vollzeitäquivalente bewilligt, um die Einrichtungen der Eingliederungshilfe anbinden zu können. 

 

Am 29. November 2022 hat das erste Treffen des Arbeitskreises „ACP in der Eingliederungshilfe“, wozu alle Verantwortlichen der vollstationären Behinderteneinrichtungen geladen wurden, stattgefunden. Bisher hat es drei Arbeitstreffen gegeben.

Die Treffen werden durch den BVP-Koordinator Andreas Gerdes geplant und begleitet, unterstützt von Prof. in der Schmitten (Uni-Essen) und Angela Fuchs (Uni-Düsseldorf).

Die Gesundheitliche Versorgungsplanung nach §132g wird in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe bisher lediglich vereinzelt und dann mit eigenen Konzepten umgesetzt. Das Konzept BVP ist dort noch unbekannt.

Die Strukturen und das Verständnis von ACP (Advanced Care Planning) in der Eingliederungshilfe ist gänzlich anders als in der Altenpflege. So ist ein Beziehungsaufbau und das beidseitige Verständnis in den Treffen zzt. der größte Arbeitsinhalt.

 

Derzeit wächst ein Bewusstsein und ein Erkennen der Chance von ACP und die Notwendigkeit gemeinsamer Dokumente (z.B. Notfallbogen). Im Rahmen des letzten Arbeitstreffens wurde auch die Möglichkeit der Schulung von BVP-Gesprächsbegleitern speziell für die Eingliederungshilfe und die Unterstützung der Implementierung von BVP durch das TZG angeboten.

 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Arbeitskreis „ACP in der Eingliederungshilfe“ mittlerweile eine feste und tragfähige Größe im RKN geworden ist und die Implementierung von BVP auch hier stetig voranschreitet.

 

4. Erfahrungen des TZG

 

Der Aufbau der formell erforderlichen Strukturen, z.B. der Verträge und Vereinbarungen, ist abgeschlossen und bildet eine solide Grundlage für die weitere Arbeit.

Das TZG bietet einen guten Rahmen, um auch weiterhin als Koordinierungsstelle zu fungieren.

Die Kreisverwaltung hat unter Beteiligung von Prof. in der Schmitten (Forschungsschwerpunkt Advance Care Planning, Universitätskliniken Düsseldorf / Essen) am 08.08.2023 eine Prüfung der Ein- und Ausgaben beim TZG vorgenommen. Unregelmäßigkeiten wurden dabei nicht festgestellt. Das TZG bewirtschaftet und verwendet die zur Verfügung stehenden Mittel ordnungsgemäß.

 

Der Rhein-Kreis Neuss ist eine der wenigen Regionen in Deutschland, die im Rahmen eines Pilotprojektes versuchen, eine regionale Implementierung von BVP so aufzubauen, dass langfristig eine gesicherte Finanzierung über die den Pflegeeinrichtungen zustehende Finanzierung auf Basis des § 132g SGB V entsteht. Gleichzeitig werden durch die Bildung eines zentralen BVP-Gesprächsbegleiter-Teams am TZG („Pool-Lösung“) strukturelle Voraussetzungen für die perspektivisch dringend wünschenswerte Ausweitung dieser Leistung erstmals geschaffen.

 

Die bisherigen Erfahrungen des TZGs zeigen allerdings, dass trotz Ausschöpfung der gesetzlichen Finanzierung und unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Erhöhung des Kreiszuschusses im vergangenen Jahr weiterhin ungedeckte Kosten entstehend.

Dies ist insbesondere auf die Tarifsteigerungen zurückzuführen, die bisher pauschal mit 2,5% Steigerung pro Jahr veranschlagt wurden, sich de facto aber für das Jahr 2023 auf 6% und für das kommende Jahr 2024 auf 7% belaufen (werden).

 

Außerdem wurde bei der Anpassung des Zuschusses zur Erhöhung des Stellenanteils des BVP-Koordinators von 50% auf 70% keine übliche Anpassung der jährlichen Overhead-Kosten berücksichtigt. Hier wurde stattdessen weiterhin mit einem Stellenanteil von 50% kalkuliert.

Es bleibt abzuwarten, ob sich das derzeitige Delta mit zunehmender Dauer des Pilotprojektes verkleinert, sobald mehr Einrichtungen in das Projekt einsteigen und somit mehr Einnahmen durch die steigenden Pflegekassenleistungen zu verzeichnen sind. Nach momentanem Stand ist vorerst davon auszugehen, dass das Projekt auch bei einer etwaigen Fortsetzung über die momentan bewilligte Projektphase hinaus von einer Finanzierung Dritter abhängig bleiben wird. Dies kann allerdings erst gegen Ende der Projektlaufzeit genau evaluiert werden.

 

Die vorgenannten Aspekte aus der praktischen Umsetzung des Konzeptes sind neben den inhaltlichen Erkenntnissen wichtige Erfahrungen für Umsetzungsvorhaben einer regionalen Implementierung von BVP. Das Team der wissenschaftlichen Projektbegleitung um Prof. in

der Schmitten hat die Aufgabe übernommen, diese Erkenntnisse und Erfahrungen dem zuständigen Bundesgesundheitsministerium sowie dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung zu schildern, damit ggf. eine Anpassung der bundesgesetzlichen Regelung im Hinblick auf eine erforderliche Regelfinanzierung erfolgen kann. 

 

Kostenkalkulation aus dem Jahr 2022 für das Jahr 2023:

 


 

Aktuelle Kostenkalkulation für das Jahr 2023:

 

5. Weiterführung des Projektes

 

Die Kreisverwaltung, das TZG und die beteiligten Pflegeeinrichtungen sind darin einig, dass das Projekt inhaltlich den richtigen Weg beschreitet und daher fortgesetzt wird. Um einen erfolgreichen Projektverlauf sicherzustellen und die gewünschten Ergebnisse liefern zu können, regt die Verwaltung daher an, dass der Ausschuss für Soziales und Wohnen dem nachfolgenden Beschlussvorschlag folgen möge.