Sachverhalt:
Die enorme Arbeitsbelastung in den
Ausländerbehörden ist seit geraumer Zeit bekannt und wird schon länger
öffentlich diskutiert. Der Deutsche Landkreistag hat in Stellungnahmen zu
gesetzlichen Änderungen oder neuen Gesetzesvorhaben immer wieder auf die
tatsächliche Situation der Ausländerbehörden hingewiesen.
Die Thematik wurde von einer aktuell von der
Bertelsmann Stiftung veröffentlichte Studie unter dem Titel „An den Grenzen?
Ausländerbehörden zwischen Anspruch und Alltag“ aufgegriffen. Dabei wird nicht
nur der Zustand aus Sicht der Behörden und der betroffenen Menschen beleuchtet,
sondern es werden auch die Gründe und Ursachen, die zu einer strukturellen
Überlastung geführt haben, dezidiert und zutreffend dargelegt. Der Bericht ist
dieser Vorlage beigefügt.
Neben sukzessiv steigende Flüchtlingszahlen,
die eine stetige Arbeitsverdichtung in den Ausländerbehörden nach sich ziehen,
gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Sondereffekte, die sich massiv
auf die Arbeit der Ausländerbehörden ausgewirkt haben und zu einer enormen
kurzfristig anschwellenden Mehrbelastung geführt haben.
Zu nennen sind hier der Brexit, durch den
zahlreiche britische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger den Status eines
„EU-Bürgers“ verloren haben und somit einen neuen Aufenthaltsstatus benötigten.
Die Corona-Pandemie hat die Arbeit der
Ausländerbehörden durch das Erfordernis persönlicher Vorsprachen vor große
Herausforderungen gestellt. Während andere Ausländerbehörden in dieser Phase
den Publikumsverkehr eingestellt haben, hat die Ausländerbehörde des Kreises
weiterhin Öffnungszeiten angeboten. Dennoch kam es nach Auslaufen der Pandemie
zu teilweise erheblichen Nachholeffekten, u.a. durch die wieder gegebene
Möglichkeit von Auslandsreisen. Viele türkische Staatsbürger, die wieder in ihr
Heimatland reisen wollten, benötigten vorab entsprechende Unterlagen und
Ausweise und somit einen Termin bei der Ausländerbehörde.
Im Februar 2022 startete Russland seinen
Angriffskrieg gegen die Ukraine. In der Folge haben mehrere tausend Menschen
aus der Ukraine im Rhein-Kreis Neuss Schutz gesucht. Hierzu wird im Folgenden
noch berichtet.
Am 31.12.2022 ist das Gesetz zur Einführung
eines Chancen-Aufenthaltsrechts in Kraft getreten. Hierdurch haben mehr als 895 Menschen im Zuständigkeitsbereich der
Ausländerbehörde des Rhein-Kreises Neuss die Möglichkeit, einen entsprechenden
Antrag zu stellen. Mehr als 600 Personen haben
bislang davon Gebrauch gemacht.
Am 06. Februar 2023 erschütterte ein
verheerendes Erdbeben Teile der Türkei und Syriens. Die Ausländerämter wurden
durch das Land gebeten, Verpflichtungserklärungen mit Priorität zu bearbeiten,
damit Opfer des Erdbebens schnell durch Verwandte nach Deutschland eingeladen
werden konnten.
Zu den einzelnen Fragen der Fraktionen der SPD und
Bündnis 90 / Die Grünen nimmt die Verwaltung wie folgt Stellung:
Wie viele Beratungstermine hat die
Ausländerbehörde des Kreises bislang in 2023 durchgeführt und wie lange betrug
die durchschnittliche Wartezeit auf einen Termin?
Die Wartezeiten auf einen Termin sind in der
Vergangenheit nicht erfasst worden. Die Termine wurden manuell von den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf Basis von eingehenden Mails oder
telefonischen Terminanfragen vergeben, so dass es keine strukturiert
auswertbaren Daten dazu gab.
Zu den aktuellen Wartezeiten werden in der
entsprechenden Fragestellung weiter unten Erläuterungen gegeben.
Über wie viele Planstellen verfügt die
Ausländerbehörde und wie viele dieser Stellen sind derzeit vakant oder stehen
aus anderen Gründen nicht zur Verfügung?
Nach dem aktuellen Geschäftsverteilungsplan
der Kreisverwaltung sind für die Ausländerbehörde 24,4 Vollzeitstellen
vorgesehen, die von insgesamt 28 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt
sind.
In diesem Pool ist eine Stelle enthalten,
die durch das Land NRW durch das Projekt KIM – Baustein 3 gefördert wird.
Im Jahr 2023 wurden 2 Vollzeitstellen
zusätzlich - befristet - eingerichtet und besetzt, um den neuen Servicepoint zu
verstärken und um die Aufgaben nach dem Chancenaufenthaltsgesetz wahrnehmen zu
können.
Derzeit sind 2 Stellen vakant, wobei für
eine dieser Stellen bereits ein Auswahlverfahren zur Wiederbesetzung
erfolgreich durchgeführt wurde. Eine Teilzeitstelle ist jüngst frei geworden
ist, da sich die Verwaltung vor Ablauf der arbeitsrechtlichen Probezeit von
einer Kraft getrennt hat.
Auf Basis der im Jahr 2013 mit der Stadt
Grevenbroich abgeschlossenen interkommunalen Vereinbarung refinanziert die
Stadt Grevenbroich derzeit 2,5 Vollzeitäquivalente für die vollumfängliche
Aufgabenwahrnehmung durch das Kreisausländeramt. Diesem Stellenanteil, der im
Jahr 2019 zuletzt angepasst worden ist, lagen 2019 rund 10.500 Ausländer
zugrunde, die in Grevenbroich lebten. Aufgrund der stetig gestiegenen Zahl von
Ausländern (rund 12.000 Personen Mitte November 2023) und durch den Zuwachs von
Aufgaben scheint es zwingend erforderlich, diesen Wert im Jahr 2024 erneut zu
überprüfen, um ggf. einen höheren Stellenanteil von der Stadt Grevenbroich
refinanziert zu bekommen
Der allgemeine Fachkräftemangel macht es
auch im öffentlichen Dienst immer schwerer, geeignete Kräfte zu rekrutieren. Im
Bericht der Bertelsmann Stiftung wird hierzu das Beispiel der Stadt Stuttgart
angeführt, die von 84,86 Stellen 26,33 Stellen nicht besetzen konnte.
Fast alle neu gewonnenen Kräfte für die
Ausländerbehörde des Rhein-Kreises Neuss sind Quereinsteiger, was im Rahmen der
Einarbeitung einen zusätzlichen Zeitansatz erforderlich macht. Allerdings
konnten mehrere Kräfte mit Migrationshintergrund für die Ausländerbehörde
gewonnen werden, die in ihrem Heimatland juristische Ausbildungen und
Tätigkeiten innehatten. Kräfte mit Migrationshintergrund sind darüber hinaus
sehr hilfreich, um oftmals vorhandene Sprachbarrieren zu den ausländischen
Bürgerinnen und Bürgern zu überwinden.
Die Komplexität des Ausländerrechts macht
eine sehr lange Begleitung und Einarbeitung neuer Kräfte erforderlich. Somit
kostet jeder Personalwechsel Zeitressourcen für die Einarbeitung, die für die
originäre Aufgabenwahrnehmung temporär nicht zur Verfügung stehen.
Für wie viele Fälle ist ein*e Mitarbeiter*in
der Ausländerbehörde verantwortlich und wie lang beträgt die durchschnittliche
Bearbeitungszeit? Wie viele Überstunden haben die Mitarbeiter*innen geleistet
und wie viele Entlastungsanzeigen wurden in 2023 gestellt? Gibt es eine erhöhte
Personalfluktuation und wie ist diese ggf. zu erklären?
Eine Gegenüberstellung der Anzahl der
„Fälle“ zur Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kann nicht pauschal
erfolgen. Dies trifft auch auf die Frage nach der durchschnittlichen
Bearbeitungszeit zu.
Zunächst müssen die sehr heterogenen
Aufgabenbereiche des Kreisausländeramtes dargestellt werden.
Das Kreisausländeramt besteht derzeit aus
vier verschiedenen Arbeitsbereichen:
- Für Flüchtlinge aus der Ukraine besteht
seit Beginn des Flüchtlingszustroms durch den russischen Angriffskrieg ein
gesonderter Prozess. Aktuell leben mehr als
2.500 Flüchtlinge aus der Ukraine im Zuständigkeitsbereich der
Ausländerbehörde. Hierfür ist derzeit ein Mitarbeiter (0,5 Vollzeitstelle)
eingesetzt. Die Gesamtzahl der ukrainischen Flüchtlinge ist relativ
stabil, es gibt jedoch nach wie vor Wegzüge und neu hinzukommende
Menschen.
- Der Arbeitsbereich „Asyl“ umfasst 7 Kräfte (6 Vollzeitstellen) und betreut rund 5.800 Menschen.
- Der Bereich „Allgemeines
Ausländerrecht“ umfasst 11 Kräfte (10,2 Vollzeitstellen) und betreut rund 27.000 Menschen. Dabei ist zu beachten, dass
z.B. ein EU-Bürger erheblich seltener den Bedarf nach einem Termin im
Ausländeramt aufweist, als z.B. eine aus der Türkei stammende Person.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass auch deutsche Staatsbürger Termine beim Ausländeramt wahrnehmen, z.B. zur Beantragung einer Verpflichtungserklärung, um eine Person aus dem Ausland nach Deutschland einladen zu können. - Der Bereich „Rückkehrmanagement“
umfasst 4 Kräfte (4 Vollzeitstellen) und betreut den Personenkreis von mehr als 750 Menschen, deren Asylantrag durch
das zuständige Bundesamt abgelehnt wurde. Des Weiteren ist hier die
Verknüpfung zum Chancenaufenthaltsrecht angesiedelt.
Die Verwaltung weist darauf hin, dass im
Gegensatz zu vielen anderen Ausländerbehörden, der Bereich der „Einbürgerung“
organisatorisch und mit entsprechend eigenem Personalansatz innerhalb des Amtes
für Sicherheit und Ordnung bei der Abteilung 32.1 angesiedelt ist. Insoweit
müssen bei einem sinnvollen Vergleich der Vollzeitäquivalente des
Kreisausländeramtes mit den Personalwerten anderer Ausländerbehörden auch die
Aufgabenbereiche gegenübergestellt werden.
Die Bearbeitungszeit eines Falles innerhalb
der Termine ist extrem unterschiedlich und hängt von der benötigten
Dienstleistung ab. So dauert die Ausgabe eines elektronischen Aufenthaltstitels
nur wenige Minuten, während der Antrag auf eine
Niederlassungserlaubnis mit ca. 45 Minuten pro Person (d.h. bei
mehrköpfigen Familien bis zu zwei oder mehr Stunden) in Anspruch nimmt. Termine
werden an allen Werktagen vormittags und donnerstags auch am Nachmittag
angeboten.
Die Überstunden der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Kreisausländeramtes bewegen sich in den - auf Grundlage der
zwischen dem Dienstherren und der Personalvertretung abgeschlossenen
Dienstvereinbarung – für die Kreisverwaltung vorgegebenen Grenzen. Die
Überstundenkonten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weisen somit im
Vergleich zu anderen Organisationseinheiten der Kreisverwaltung keine
Besonderheit auf.
Die Verwaltung geht davon aus, dass sich die
Frage nach „Entlastungsanzeigen“ auf den arbeitsrechtlichen Begriff der
„Überlastungsanzeigen“ bezieht. Formelle Überlastungsanzeigen wurden weder im
Jahr 2023 noch in den Vorjahren gestellt.
Ende 2022 hat eine Kraft nach erfolgreichem
Aufstiegslehrgang die Ausländerbehörde verlassen und ist zur Stadt Neuss
gewechselt, wo sie wohnhaft sind.
Eine weitere Teilzeitkraft ist Ende 2022
nach erfolgreichem Aufstiegslehrgang zu einem anderen Dienstherrn gewechselt.
Anfang 2023 hat eine Mitarbeiterin das
Ausländeramt verlassen und ist zur Stadt Neuss gewechselt, wo sie wohnhaft ist.
Anfang 20223 ist ein Mitarbeiter nach
erfolgreichem Aufstiegslehrgang zu einer rund 40 km entfernten
Gebietskörperschaft gewechselt, in der er wohnhaft ist.
Eine Mitarbeiterin hat nach Rückkehr aus der
Elternzeit die Ausländerbehörde verlassen.
Zwei Kräfte sind im ersten bzw. im zweiten
Quartal 2023 zu anderen Dienstherren gewechselt.
Eine Kraft, die der Ausländerbehörde nach
Abschluss der Ausbildung zugewiesen worden ist, hat nach 2 Monaten zu einem
anderen Dienstherrn gewechselt.
Eine Mitarbeiterin ist Mitte 20223 zu einem
Landesministerium gewechselt, ein weiterer Mitarbeiter ist durch Erreichen der
Altersgrenze aus dem Dienst ausgeschieden.
Ein Mitarbeiter ist Ende 2023 zu einer rund
50 km entfernten Gebietskörperschaft gewechselt, in der er wohnhaft ist, eine
Mitarbeiterin hat sich erfolgreich auf eine ausgeschriebene Stelle innerhalb
der Kreisverwaltung beworben.
Wie viele Fiktionsbescheinigungen
(vorläufiges Aufenthaltsrecht) wurden in diesem Jahr bislang ausgestellt?
Bis zum 17.11.2023 hat die
Ausländerbehörde des Kreises insgesamt 3.178 Fiktionsbescheinigungen
ausgestellt. Die Fiktionsbescheinigung ist ein Hilfsmittel, wenn z.B. im Rahmen
des Vorsprachetermins nicht alle Unterlagen vorgelegt werden. Durch die
Fiktionsbescheinigung erhält der Ausländer die Möglichkeit, innerhalb deren
Geltungsdauer die erforderlichen Unterlagen für die finale Entscheidung der
Ausländerbehörde beizubringen. Zu den fehlenden Unterlagen gehören leider auch
oftmals die Ergebnisse der gesetzlich vorgeschriebenen „Sicherheitsrechtlichen
Abfrage“. Hier sind die Beteiligten auf die Rückübersendung von Unterlagen
durch die zu beteiligenden Sicherheitsbehörden angewiesen, was derzeit oftmals
längere Zeit benötigt.
Das Ausstellen von Fiktionsbescheinigungen
vermeidet in vielen Fällen erhebliche Rechtsnachteile für die betroffenen Menschen.
Hier ist insbesondere der drohende Verlust eines Arbeitsplatzes zu nennen, was
durch eine Fiktionsbescheinigung abgewandt werden kann. Viele Unternehmen und
Firmen stehen in solchen Fällen im Kontakt zur Ausländerbehörde. Handelt es
sich um Fälle, in denen ein Online-Termin gebucht wurde, die Wartezeit bis zum
Termin jedoch zu einem Konflikt im Hinblick auf die Arbeitserlaubnis und damit
zum Verlust eines Arbeitsplatzes führt, wird den betroffenen Menschen ein
kurzfristiger Termin zur Erlangung der Fiktionsbescheinigung durch das
Ausländeramt ermöglicht.
Auch der Zugang zum Arbeitsmarkt wird durch
das Ausländeramt mittels Fiktionsbescheinigungen ermöglicht, bis alle
Voraussetzungen gegeben sind, um final über einen Aufenthaltsstatus entscheiden
zu können.
Welche (kurzfristigen) Maßnahmen wurden von
Seiten der Kreisverwaltung eingeleitet, um die Situation in der
Ausländerbehörde zu verbessern?
Im Bereich der kurzfristigen Maßnahmen hat
die Kreisverwaltung wiederholt auf plötzlich auftretende Zusatzbelastungen
reagiert. Wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die
Ukraine wurde ein komplettes Team aus zusätzlich gewonnen Kräften aufgestellt,
um die schnelle Registrierung und vorgeschriebene erkennungsdienstliche
Behandlung der geflüchteten Menschen sicherzustellen. Durch diese Maßnahme
wurde das „Stammausländeramt“ bei der Bewältigung dieses neuen Flüchtlingsstrom
maßgeblich unterstützt.
Die Effizienz dieses kurzfristig und
zusätzlich etablierten Prozesses zeigte sich an der Tatsache, dass im Vergleich
zu anderen Gebietskörperschaften sehr schnell die Voraussetzungen geschaffen
waren, um im Interesse der kreisangehörigen Kommunen den Rechtskreiswechsel der
Menschen in das SGB II zu vollziehen, insbesondere aber auch um den betroffenen
Menschen durch Aushändigung eines Aufenthaltstitels sowohl das subjektive
Gefühl eines gesicherten Aufenthaltes zu geben und ihnen eine Arbeitsaufnahme
zu ermöglichen.
Um die erkennungsdienstliche Behandlung
sicherzustellen, wurden Kräfte aus der gesamten Kreisverwaltung temporär
zusammengezogen und auch an den Wochenenden gearbeitet.
Ähnlich flexibel hat die Ausländerbehörde
durch den Einsatz von Ausbildungskräften der Kreisverwaltung reagiert, um
Verpflichtungserklärungen ausstellen zu können, die es Opfern des Erdbebens in
der Türkei und Syrien ermöglichte, bei Verwandten in Deutschland Zuflucht zu
suchen.
Den strukturellen Problemen, die sehr viele
Ausländerbehörden in Deutschland betreffen, kann mit derartigen, kurzfristigen
Maßnahmen jedoch nicht begegnet werden. Hierzu ist es erforderlich, eine
mittel- und langfristige Strategie zu erarbeiten, darauf aufbauend zielführende
Maßnahmen und Projekte zu entwickeln und diese dann in die Umsetzung zu
bringen. Diese Arbeiten laufen nunmehr seit rund einem Jahr. Leider benötigten
derartige Maßnahmen jedoch auch immer Zeit, bis sie ihre Wirkung entfalten,
ihre Ziele erreichen und letztlich spürbare Entlastungen bringen. Im Folgenden
sollen die wesentlichen Maßnahmen erläutert werden.
Die Schaffung eines Servicepoints im
Erdgeschoss des Kreishochhauses in Grevenbroich hat das Ziel, die Situation im
Eingangsbereich der Ausländerbehörde im 1. OG zu beruhigen, den Menschen einen
angemessenen Wartebereich zur Verfügung zu stellen und kleinere Terminanliegen
schon im Erdgeschoss bearbeiten zu können. Die baulichen Gegebenheiten, die
nicht kurzfristig maßgeblich verändert werden können, setzen bei diesem Projekt
gewisse Grenzen. Der Servicepoint hat im Sommer seine Arbeit aufgenommen und
war eine Voraussetzung dafür, den sich durch das Online-Terminvergabesystem
veränderten Weg der Bürgerinnen und Bürger bei der Wahrnehmung von Terminen
realisieren zu können. Für die personelle Besetzung des Servicepoint hat die
Kreisverwaltung zusätzliche Personalressourcen zur Verfügung gestellt.
Die Einführung des
Online-Terminvergabesystems hat das wesentliche Ziel, die Ebene der
Sachbearbeitung zu entlasten. In der Vergangenheit mussten die rund 10.000
Termine pro Jahr entweder per Mail oder per Telefon vereinbart werden, was erhebliche
Zeitressourcen gebunden hat, die für die eigentliche Sachbearbeitung nicht zur
Verfügung standen. Mittel- und langfristig soll das Online-Verfahren, nach
Bewältigung der naturgemäß mit Schwierigkeiten behafteten
Implementierungsphase, diese Zeitressource nutzbar machen, indem die Buchung
des Termins als solche bei den Bürgerinnen und Bürgern liegt und keinen aktiven
Dialog mit der Sachbearbeitung voraussetzt. Derartige Terminvergabesysteme sind
inzwischen bei vielen Ausländerbehörden im Einsatz.
Mit der Planung des Systems der
Online-Terminvergabe wurde Ende des Jahres 2022 begonnen. Die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter haben an der Entwicklung durch eine Arbeitsgruppe maßgeblich
mitwirken und sich beteiligen können.
Die Verwaltung plant weitere Maßnahmen, um
die tägliche Sachbearbeitung zu vereinfachen und eine Entlastung
herbeizuführen. Hierbei ist insbesondere die Umstellung der Prozesse auf eine
digitale Fallakte im Fokus, was mit der Notwendigkeit einhergehen wird, den
Bestand von derzeit rund 36.000 laufenden Papierakten
digitalisieren zu lassen. Das Fachamt hat im Zuge der im Sommer diesen
Jahren begonnen Haushaltsaufstellung für das Jahr 2024 entsprechende Mittel
beantragt. Eine solche Umstellung bedingt jedoch auch die Umstellung vieler
alltäglicher Abläufe, zum Beispiel bzgl. der in den Publikumsterminen
vorzulegenden Unterlagen. Vorausgesetzt, die erforderlichen Haushaltsmittel
werden durch den Kreistag bereitgestellt, soll die Maßnahme daher in Form eines
Projektes angegangen werden.
Ein Wegfall der Papierakten würde von
zahlreichen Arbeitsschritten entlasten (Akten holen, Akten abhängen, Akten für
Gerichte einscannen, Akten für Prozessbevollmächtigte kopieren, bei Zuzügen in
das Kreisgebiet digitale Akten wieder ausdrucken), die in ihrer Gesamtheit
erhebliche Kapazitäten der Sachbearbeitung binden. Darüber hinaus wird das
mobile Arbeiten gestärkt und es werden Raumressourcen im Ausländeramt frei, die
für zusätzliche Arbeitsplätze im Publikumsverkehr genutzt werden könnten.
Flankierende Maßnahmen zur Verbesserung der
Situation des Ausländeramtes sind eine Verbesserung der Zusammenarbeit mit den
kommunalen Sozialämtern und zum Jobcenter. Hier hat Dezernat III und die
Leitungsebene des Amtes 32 an diversen Besprechungen und Treffen teilgenommen, um
Kommunikation und Informationsfluss zu verbessern und ein gegenseitiges
Verständnis für die Erfordernisse und Vorgaben der einzelnen Akteure zu
entwickeln.
Entscheidend für die Entwicklung der
Situation im Kreisausländeramt des Rhein-Kreises Neuss wird aus Sicht der
Verwaltung jedoch letztlich sein, ob der Flüchtlingszustrom in die
kreisangehörigen Kommunen weiterhin auf hohem oder gar noch steigendem Niveau
stattfinden wird, ob es weiterhin neue Vorgaben des Bundes geben wird, die
zusätzliche neue Aufgaben für die Ausländerbehörden generieren und ob es
tatsächlich zum Abbau bürokratischer Hürden und Vorgaben kommen wird. Ein
Beispiel hierfür ist der längst überfällige Versandt von elektronischen
Aufenthaltstiteln durch die Bundesdruckerei unmittelbar an die Antragsteller.
Was im Schwerbehindertenrecht seit Jahren erfolgreich praktiziert wird, war
bislang im Ausländerrecht undenkbar. Müssten die ausländischen Bürgerinnen und
Bürger nicht mehr mühsam einen persönlichen Vorsprachetermin zur Abholung der elektronischen
Karte beim Kreisausländeramt benötigen, würden rund mehrere hundert Termine pro
Jahr schlichtweg überflüssig.
Die Entwicklungen der letzten Jahre haben
wesentlich zur aktuellen Lage der Ausländerbehörden in Deutschland beigetragen,
die aus Sicht der Verwaltung weder den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, noch
den ausländischen Bürgerinnen und Bürgern länger zugemutet werden können. Der
Rhein-Kreis Neuss kann sich glücklich schätzen, dass sich die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Ausländerbehörde Tag für Tag den enormen Herausforderungen
stellen und derartig bemüht sind, den Menschen zu helfen und die
rechtsstaatliche Ordnung aufrecht zu erhalten.
Das Kernproblem für die aktuelle Situation
der Ausländerbehörde ist nicht eine falsche Organisationsstruktur oder
suboptimale Abläufe - dann wären nicht flächendeckend im gesamten Bundesgebiet
die Ausländerbehörden überlastet - sondern eine Schieflage von Anspruch und
Wirklichkeit, die sich zu einem strukturellen Problem ausgeweitet hat. Die
Legislative muss die reale Situation der Exekutive mehr in den Fokus nehmen,.
Das Gesamtsystem kann keinen Erfolg haben, wenn den staatlichen Organen der
Exekutive die Umsetzung unter den real gegebenen Voraussetzungen nicht mehr
gelingen kann.
Liegen der Kreisverwaltung Daten zu den o.g.
Fragen seitens der Städte Neuss und Dormagen vor, die die Aufgaben der
Ausländerbehörde selbst wahrnehmen? Wie gestaltet sich die dortige Situation?
Der Leiter des Kreisausländeramtes steht im
Tagesgeschäft in einem guten Austausch mit den Ausländerbehörden der Städte
Neuss und Dormagen. Valide und für eine Berichterstattung der Kreisverwaltung
im Kreisausschuss geeignete Daten liegen nicht vor.
Die Aufgabenwahrnehmung für die
Kreisverwaltung ist in einigen Punkten deutlich schwieriger und langwieriger,
als die Ausführung der gleichen Aufgabe bei den kreisangehörigen Kommunen. Bei
diesen ist innerhalb der Behörde eine unmittelbare Zusammenarbeit mit dem
Einwohnermeldeamt und, soweit bei den einzelnen Menschen erforderlich, mit dem
Sozialamt möglich. Ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus den 6 anderen
Kreiskommunen müssen Termine beim Kreisausländeramt und den kommunalen
Dienststellen getrennt und häufig zeitlich gestaffelt wahrnehmen. Die
Datenschutzrechtlichen Vorgaben erschweren darüber hinaus schnelle
Informationsweitergaben zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften (und auch
dem Jobcenter) zum Teil erheblich, was sich wiederum auf Bearbeitungs- oder
Genehmigungsdauern nachteilig auswirkt und dazu führt, dass Vorgänge mehrfach
angepackt werden müssen.
Welche Wartezeiten ergeben sich zurzeit für
die einzelnen Anliegen bei der Online-Terminbeantragung?
Die Wartezeiten sind abhängig
von den „Sachgebieten“. Die erste Aufteilung erfolgt in die Bereiche „Asyl“ und
„Allgemeines Ausländerrecht“. Diese Bereiche sind dann anhand der
Anfangsbuchstaben der Nachnamen der Bürgerinnen und Bürger auf die einzelnen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilt. Die Wartezeit auf einen Termin
beträgt abhängig vom Sachgebiet zwischen 4 und 6 Monaten.
Die derzeit laufende Implementierung einer
Online-Terminvergabe stellt, auch vor dem Hintergrund der ohnehin hohen
Arbeitsbelastung, eine große Herausforderung dar. Sehr viele Prozesse mussten
verändert und angepasst werden. Bei der Planung der Einführung des neuen
Systems ergab sich die Notwendigkeit der Umstellung zu bestimmten Stichtagen:
die Buchungen über das Online-Tool waren ab dem 03.07.2023 möglich, die
Wahrnehmung von online gebuchten Terminen begann am 16.10.2023. In der
Zwischenzeit wurden alle Termine abgearbeitet, die vor dem 03.07.2023 per Mail
oder Telefon an das Ausländeramt herangetragen worden waren. Durch den
Einmaleffekt der Umstellung hat sich der Vorlauf für Termine nach Wahrnehmung
der Verwaltung verlängert. Mittel- und langfristig müsste sich hier wieder eine
Reduzierung von Wartezeiten ergeben, sobald sich das neue Verfahren
eingependelt hat. Darüber hinaus sollte auch die Entlastung der Mitarbeiter
durch den Onlineterminkalender zu einem größeren Angebot an Terminen führen. Die
Verwaltung wird diese Entwicklung aufmerksam beobachten.
Für das letzte Quartal 2023 sind
mehr als 2.500 im Online-Terminkalender gebucht.
Erste Auswertungen haben ergeben, dass rund
15% der online gebuchten Termine ohne Stornierung oder Absage durch die
Bürgerinnen und Bürger nicht wahrgenommen worden sind. Leider hat dieses
Verhalten nachteilige Auswirkungen auf das Gesamtsystem, da die entsprechende
Ressource nicht für andere Menschen zur Verfügung steht. Naturgemäß muss eine
gewisse Ausfallquote, z.B. wegen Krankheit, einkalkuliert werden, jedoch
erscheint der festgestellte Prozentsatz leider sehr hoch.
Des Weiteren musste die Verwaltung
feststellen, dass Bürgerinnen und Bürger Termine bewusst falsch gebucht haben.
So wurden falsche Dienstleistungen ausgewählt, um einen früheren Termin zu
erhalten (z.B. die Buchung der Abholung eines elektronischen Aufenthaltstitels
mit dem Zeitansatz 15 Minuten, obwohl dann vor Ort ein Antrag auf
Niederlassungserlaubnis, der einen Zeitansatz von 45 Minuten benötigt, gestellt
wurde). Hierdurch entstehen vor Ort Konflikte und zeitraubende Diskussionen,
was wiederum den Beginn der nachfolgend gebuchten Termine verzögert.
In anderen Fällen wurden mehrere Termine
gleichzeitig gebucht: ein Ehepaar hatte insgesamt 10 Termine für die gewünschte
Dienstleistung gebucht, eine sechsköpfige Familie buchte insgesamt 17 (!)
Termine für 6 Personen. Derartiges Verhalten führt dazu, dass die überbuchten
Zeitslots für andere Personen nicht verfügbar sind. Die Verwaltung erfasst
derartige Fehlentwicklungen systematisch und prüft, wie im Backend des
Online-Kalenders technisch gegengesteuert werden kann, um Fehler oder auch
gezielten Missbrauch zu verhindern.
Sofern derartige Fälle auffallen, werden die
nicht tatsächlich erforderlichen Termine zwar durch die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Ausländeramtes storniert, temporär ist jedoch die Ressource für
die Nutzung durch andere Menschen blockiert.
Welche Möglichkeiten sieht die Verwaltung
durch eine (temporäre) Übertragung von Teilkompetenzen an die kreisangehörigen
Kommunen eine Reduzierung der langen Wartezeiten zu erreichen? Dieses sollte
natürlich nur in Abstimmung mit den Kommunen erfolgen.
Es gibt keine Überlegungen zur Übertragung
von Teilkompetenzen an die kreisangehörigen Kommunen. Auch die
Ausländerbehörden der Städte Neuss und Dormagen arbeiten unter einer sehr hohen
Belastung und müssen die steigenden Zahlen an Ausländern in den Ämtern
bewerkstelligen. Der Rhein-Kreis Neuss erfüllt seine ihm übertragenen
Pflichtaufgaben. Dazu zählt auch die Aufgabe der Ausländerbehörde.
Mittelfristig werden die Wartezeiten wieder sinken.