Betreff
Situation der Ausländerbehörde des Rhein-Kreises Neuss - Anfrage der Fraktionen SPD und Bündnis 90 / Die Grünen vom 09.11.2023
Vorlage
32/3602/XVII/2023
Art
Anfrage

Sachverhalt:

 

Die enorme Arbeitsbelastung in den Ausländerbehörden ist seit geraumer Zeit bekannt und wird schon länger öffentlich diskutiert. Der Deutsche Landkreistag hat in Stellungnahmen zu gesetzlichen Änderungen oder neuen Gesetzesvorhaben immer wieder auf die tatsächliche Situation der Ausländerbehörden hingewiesen.

Die Thematik wurde von einer aktuell von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichte Studie unter dem Titel „An den Grenzen? Ausländerbehörden zwischen Anspruch und Alltag“ aufgegriffen. Dabei wird nicht nur der Zustand aus Sicht der Behörden und der betroffenen Menschen beleuchtet, sondern es werden auch die Gründe und Ursachen, die zu einer strukturellen Überlastung geführt haben, dezidiert und zutreffend dargelegt. Der Bericht ist dieser Vorlage beigefügt.

Neben sukzessiv steigende Flüchtlingszahlen, die eine stetige Arbeitsverdichtung in den Ausländerbehörden nach sich ziehen, gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Sondereffekte, die sich massiv auf die Arbeit der Ausländerbehörden ausgewirkt haben und zu einer enormen kurzfristig anschwellenden Mehrbelastung geführt haben.

Zu nennen sind hier der Brexit, durch den zahlreiche britische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger den Status eines „EU-Bürgers“ verloren haben und somit einen neuen Aufenthaltsstatus benötigten.

Die Corona-Pandemie hat die Arbeit der Ausländerbehörden durch das Erfordernis persönlicher Vorsprachen vor große Herausforderungen gestellt. Während andere Ausländerbehörden in dieser Phase den Publikumsverkehr eingestellt haben, hat die Ausländerbehörde des Kreises weiterhin Öffnungszeiten angeboten. Dennoch kam es nach Auslaufen der Pandemie zu teilweise erheblichen Nachholeffekten, u.a. durch die wieder gegebene Möglichkeit von Auslandsreisen. Viele türkische Staatsbürger, die wieder in ihr Heimatland reisen wollten, benötigten vorab entsprechende Unterlagen und Ausweise und somit einen Termin bei der Ausländerbehörde.

Im Februar 2022 startete Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. In der Folge haben mehrere tausend Menschen aus der Ukraine im Rhein-Kreis Neuss Schutz gesucht. Hierzu wird im Folgenden noch berichtet.

Am 31.12.2022 ist das Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts in Kraft getreten. Hierdurch haben mehr als 895 Menschen im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde des Rhein-Kreises Neuss die Möglichkeit, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Mehr als 600 Personen haben bislang davon Gebrauch gemacht.

Am 06. Februar 2023 erschütterte ein verheerendes Erdbeben Teile der Türkei und Syriens. Die Ausländerämter wurden durch das Land gebeten, Verpflichtungserklärungen mit Priorität zu bearbeiten, damit Opfer des Erdbebens schnell durch Verwandte nach Deutschland eingeladen werden konnten.

 

 

Zu den einzelnen Fragen der Fraktionen der SPD und Bündnis 90 / Die Grünen nimmt die Verwaltung wie folgt Stellung:

 

Wie viele Beratungstermine hat die Ausländerbehörde des Kreises bislang in 2023 durchgeführt und wie lange betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen Termin?

Die Wartezeiten auf einen Termin sind in der Vergangenheit nicht erfasst worden. Die Termine wurden manuell von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf Basis von eingehenden Mails oder telefonischen Terminanfragen vergeben, so dass es keine strukturiert auswertbaren Daten dazu gab.

Zu den aktuellen Wartezeiten werden in der entsprechenden Fragestellung weiter unten Erläuterungen gegeben.

 

Über wie viele Planstellen verfügt die Ausländerbehörde und wie viele dieser Stellen sind derzeit vakant oder stehen aus anderen Gründen nicht zur Verfügung?

Nach dem aktuellen Geschäftsverteilungsplan der Kreisverwaltung sind für die Ausländerbehörde 24,4 Vollzeitstellen vorgesehen, die von insgesamt 28 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt sind.

In diesem Pool ist eine Stelle enthalten, die durch das Land NRW durch das Projekt KIM – Baustein 3 gefördert wird.

Im Jahr 2023 wurden 2 Vollzeitstellen zusätzlich - befristet - eingerichtet und besetzt, um den neuen Servicepoint zu verstärken und um die Aufgaben nach dem Chancenaufenthaltsgesetz wahrnehmen zu können.

Derzeit sind 2 Stellen vakant, wobei für eine dieser Stellen bereits ein Auswahlverfahren zur Wiederbesetzung erfolgreich durchgeführt wurde. Eine Teilzeitstelle ist jüngst frei geworden ist, da sich die Verwaltung vor Ablauf der arbeitsrechtlichen Probezeit von einer Kraft getrennt hat.

Auf Basis der im Jahr 2013 mit der Stadt Grevenbroich abgeschlossenen interkommunalen Vereinbarung refinanziert die Stadt Grevenbroich derzeit 2,5 Vollzeitäquivalente für die vollumfängliche Aufgabenwahrnehmung durch das Kreisausländeramt. Diesem Stellenanteil, der im Jahr 2019 zuletzt angepasst worden ist, lagen 2019 rund 10.500 Ausländer zugrunde, die in Grevenbroich lebten. Aufgrund der stetig gestiegenen Zahl von Ausländern (rund 12.000 Personen Mitte November 2023) und durch den Zuwachs von Aufgaben scheint es zwingend erforderlich, diesen Wert im Jahr 2024 erneut zu überprüfen, um ggf. einen höheren Stellenanteil von der Stadt Grevenbroich refinanziert zu bekommen

 

Der allgemeine Fachkräftemangel macht es auch im öffentlichen Dienst immer schwerer, geeignete Kräfte zu rekrutieren. Im Bericht der Bertelsmann Stiftung wird hierzu das Beispiel der Stadt Stuttgart angeführt, die von 84,86 Stellen 26,33 Stellen nicht besetzen konnte.

Fast alle neu gewonnenen Kräfte für die Ausländerbehörde des Rhein-Kreises Neuss sind Quereinsteiger, was im Rahmen der Einarbeitung einen zusätzlichen Zeitansatz erforderlich macht. Allerdings konnten mehrere Kräfte mit Migrationshintergrund für die Ausländerbehörde gewonnen werden, die in ihrem Heimatland juristische Ausbildungen und Tätigkeiten innehatten. Kräfte mit Migrationshintergrund sind darüber hinaus sehr hilfreich, um oftmals vorhandene Sprachbarrieren zu den ausländischen Bürgerinnen und Bürgern zu überwinden.

Die Komplexität des Ausländerrechts macht eine sehr lange Begleitung und Einarbeitung neuer Kräfte erforderlich. Somit kostet jeder Personalwechsel Zeitressourcen für die Einarbeitung, die für die originäre Aufgabenwahrnehmung temporär nicht zur Verfügung stehen.

 

Für wie viele Fälle ist ein*e Mitarbeiter*in der Ausländerbehörde verantwortlich und wie lang beträgt die durchschnittliche Bearbeitungszeit? Wie viele Überstunden haben die Mitarbeiter*innen geleistet und wie viele Entlastungsanzeigen wurden in 2023 gestellt? Gibt es eine erhöhte Personalfluktuation und wie ist diese ggf. zu erklären?

Eine Gegenüberstellung der Anzahl der „Fälle“ zur Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kann nicht pauschal erfolgen. Dies trifft auch auf die Frage nach der durchschnittlichen Bearbeitungszeit zu.

Zunächst müssen die sehr heterogenen Aufgabenbereiche des Kreisausländeramtes dargestellt werden.

Das Kreisausländeramt besteht derzeit aus vier verschiedenen Arbeitsbereichen:

  1. Für Flüchtlinge aus der Ukraine besteht seit Beginn des Flüchtlingszustroms durch den russischen Angriffskrieg ein gesonderter Prozess. Aktuell leben mehr als 2.500 Flüchtlinge aus der Ukraine im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde. Hierfür ist derzeit ein Mitarbeiter (0,5 Vollzeitstelle) eingesetzt. Die Gesamtzahl der ukrainischen Flüchtlinge ist relativ stabil, es gibt jedoch nach wie vor Wegzüge und neu hinzukommende Menschen.
  2. Der Arbeitsbereich „Asyl“ umfasst 7 Kräfte (6 Vollzeitstellen) und betreut rund 5.800 Menschen.
  3. Der Bereich „Allgemeines Ausländerrecht“ umfasst 11 Kräfte (10,2 Vollzeitstellen) und betreut rund 27.000 Menschen. Dabei ist zu beachten, dass z.B. ein EU-Bürger erheblich seltener den Bedarf nach einem Termin im Ausländeramt aufweist, als z.B. eine aus der Türkei stammende Person.
    Darüber hinaus ist zu beachten, dass auch deutsche Staatsbürger Termine beim Ausländeramt wahrnehmen, z.B. zur Beantragung einer Verpflichtungserklärung, um eine Person aus dem Ausland nach Deutschland einladen zu können.
  4. Der Bereich „Rückkehrmanagement“ umfasst 4 Kräfte (4 Vollzeitstellen) und betreut den Personenkreis von mehr als 750 Menschen, deren Asylantrag durch das zuständige Bundesamt abgelehnt wurde. Des Weiteren ist hier die Verknüpfung zum Chancenaufenthaltsrecht angesiedelt.

 

Die Verwaltung weist darauf hin, dass im Gegensatz zu vielen anderen Ausländerbehörden, der Bereich der „Einbürgerung“ organisatorisch und mit entsprechend eigenem Personalansatz innerhalb des Amtes für Sicherheit und Ordnung bei der Abteilung 32.1 angesiedelt ist. Insoweit müssen bei einem sinnvollen Vergleich der Vollzeitäquivalente des Kreisausländeramtes mit den Personalwerten anderer Ausländerbehörden auch die Aufgabenbereiche gegenübergestellt werden.

 

Die Bearbeitungszeit eines Falles innerhalb der Termine ist extrem unterschiedlich und hängt von der benötigten Dienstleistung ab. So dauert die Ausgabe eines elektronischen Aufenthaltstitels nur wenige Minuten, während der Antrag auf eine Niederlassungserlaubnis mit ca. 45 Minuten pro Person (d.h. bei mehrköpfigen Familien bis zu zwei oder mehr Stunden) in Anspruch nimmt. Termine werden an allen Werktagen vormittags und donnerstags auch am Nachmittag angeboten.

 

Die Überstunden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kreisausländeramtes bewegen sich in den - auf Grundlage der zwischen dem Dienstherren und der Personalvertretung abgeschlossenen Dienstvereinbarung – für die Kreisverwaltung vorgegebenen Grenzen. Die Überstundenkonten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weisen somit im Vergleich zu anderen Organisationseinheiten der Kreisverwaltung keine Besonderheit auf.

 

Die Verwaltung geht davon aus, dass sich die Frage nach „Entlastungsanzeigen“ auf den arbeitsrechtlichen Begriff der „Überlastungsanzeigen“ bezieht. Formelle Überlastungsanzeigen wurden weder im Jahr 2023 noch in den Vorjahren gestellt.

 

Ende 2022 hat eine Kraft nach erfolgreichem Aufstiegslehrgang die Ausländerbehörde verlassen und ist zur Stadt Neuss gewechselt, wo sie wohnhaft sind.

Eine weitere Teilzeitkraft ist Ende 2022 nach erfolgreichem Aufstiegslehrgang zu einem anderen Dienstherrn gewechselt.

Anfang 2023 hat eine Mitarbeiterin das Ausländeramt verlassen und ist zur Stadt Neuss gewechselt, wo sie wohnhaft ist.

Anfang 20223 ist ein Mitarbeiter nach erfolgreichem Aufstiegslehrgang zu einer rund 40 km entfernten Gebietskörperschaft gewechselt, in der er wohnhaft ist.

Eine Mitarbeiterin hat nach Rückkehr aus der Elternzeit die Ausländerbehörde verlassen.

Zwei Kräfte sind im ersten bzw. im zweiten Quartal 2023 zu anderen Dienstherren gewechselt.

Eine Kraft, die der Ausländerbehörde nach Abschluss der Ausbildung zugewiesen worden ist, hat nach 2 Monaten zu einem anderen Dienstherrn gewechselt.

Eine Mitarbeiterin ist Mitte 20223 zu einem Landesministerium gewechselt, ein weiterer Mitarbeiter ist durch Erreichen der Altersgrenze aus dem Dienst ausgeschieden.

Ein Mitarbeiter ist Ende 2023 zu einer rund 50 km entfernten Gebietskörperschaft gewechselt, in der er wohnhaft ist, eine Mitarbeiterin hat sich erfolgreich auf eine ausgeschriebene Stelle innerhalb der Kreisverwaltung beworben.

 

Wie viele Fiktionsbescheinigungen (vorläufiges Aufenthaltsrecht) wurden in diesem Jahr bislang ausgestellt?

Bis zum 17.11.2023 hat die Ausländerbehörde des Kreises insgesamt 3.178 Fiktionsbescheinigungen ausgestellt. Die Fiktionsbescheinigung ist ein Hilfsmittel, wenn z.B. im Rahmen des Vorsprachetermins nicht alle Unterlagen vorgelegt werden. Durch die Fiktionsbescheinigung erhält der Ausländer die Möglichkeit, innerhalb deren Geltungsdauer die erforderlichen Unterlagen für die finale Entscheidung der Ausländerbehörde beizubringen. Zu den fehlenden Unterlagen gehören leider auch oftmals die Ergebnisse der gesetzlich vorgeschriebenen „Sicherheitsrechtlichen Abfrage“. Hier sind die Beteiligten auf die Rückübersendung von Unterlagen durch die zu beteiligenden Sicherheitsbehörden angewiesen, was derzeit oftmals längere Zeit benötigt.

Das Ausstellen von Fiktionsbescheinigungen vermeidet in vielen Fällen erhebliche Rechtsnachteile für die betroffenen Menschen. Hier ist insbesondere der drohende Verlust eines Arbeitsplatzes zu nennen, was durch eine Fiktionsbescheinigung abgewandt werden kann. Viele Unternehmen und Firmen stehen in solchen Fällen im Kontakt zur Ausländerbehörde. Handelt es sich um Fälle, in denen ein Online-Termin gebucht wurde, die Wartezeit bis zum Termin jedoch zu einem Konflikt im Hinblick auf die Arbeitserlaubnis und damit zum Verlust eines Arbeitsplatzes führt, wird den betroffenen Menschen ein kurzfristiger Termin zur Erlangung der Fiktionsbescheinigung durch das Ausländeramt ermöglicht.

Auch der Zugang zum Arbeitsmarkt wird durch das Ausländeramt mittels Fiktionsbescheinigungen ermöglicht, bis alle Voraussetzungen gegeben sind, um final über einen Aufenthaltsstatus entscheiden zu können.

 

Welche (kurzfristigen) Maßnahmen wurden von Seiten der Kreisverwaltung eingeleitet, um die Situation in der Ausländerbehörde zu verbessern?

Im Bereich der kurzfristigen Maßnahmen hat die Kreisverwaltung wiederholt auf plötzlich auftretende Zusatzbelastungen reagiert. Wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurde ein komplettes Team aus zusätzlich gewonnen Kräften aufgestellt, um die schnelle Registrierung und vorgeschriebene erkennungsdienstliche Behandlung der geflüchteten Menschen sicherzustellen. Durch diese Maßnahme wurde das „Stammausländeramt“ bei der Bewältigung dieses neuen Flüchtlingsstrom maßgeblich unterstützt.

Die Effizienz dieses kurzfristig und zusätzlich etablierten Prozesses zeigte sich an der Tatsache, dass im Vergleich zu anderen Gebietskörperschaften sehr schnell die Voraussetzungen geschaffen waren, um im Interesse der kreisangehörigen Kommunen den Rechtskreiswechsel der Menschen in das SGB II zu vollziehen, insbesondere aber auch um den betroffenen Menschen durch Aushändigung eines Aufenthaltstitels sowohl das subjektive Gefühl eines gesicherten Aufenthaltes zu geben und ihnen eine Arbeitsaufnahme zu ermöglichen.

Um die erkennungsdienstliche Behandlung sicherzustellen, wurden Kräfte aus der gesamten Kreisverwaltung temporär zusammengezogen und auch an den Wochenenden gearbeitet.

Ähnlich flexibel hat die Ausländerbehörde durch den Einsatz von Ausbildungskräften der Kreisverwaltung reagiert, um Verpflichtungserklärungen ausstellen zu können, die es Opfern des Erdbebens in der Türkei und Syrien ermöglichte, bei Verwandten in Deutschland Zuflucht zu suchen.

 

Den strukturellen Problemen, die sehr viele Ausländerbehörden in Deutschland betreffen, kann mit derartigen, kurzfristigen Maßnahmen jedoch nicht begegnet werden. Hierzu ist es erforderlich, eine mittel- und langfristige Strategie zu erarbeiten, darauf aufbauend zielführende Maßnahmen und Projekte zu entwickeln und diese dann in die Umsetzung zu bringen. Diese Arbeiten laufen nunmehr seit rund einem Jahr. Leider benötigten derartige Maßnahmen jedoch auch immer Zeit, bis sie ihre Wirkung entfalten, ihre Ziele erreichen und letztlich spürbare Entlastungen bringen. Im Folgenden sollen die wesentlichen Maßnahmen erläutert werden.

Die Schaffung eines Servicepoints im Erdgeschoss des Kreishochhauses in Grevenbroich hat das Ziel, die Situation im Eingangsbereich der Ausländerbehörde im 1. OG zu beruhigen, den Menschen einen angemessenen Wartebereich zur Verfügung zu stellen und kleinere Terminanliegen schon im Erdgeschoss bearbeiten zu können. Die baulichen Gegebenheiten, die nicht kurzfristig maßgeblich verändert werden können, setzen bei diesem Projekt gewisse Grenzen. Der Servicepoint hat im Sommer seine Arbeit aufgenommen und war eine Voraussetzung dafür, den sich durch das Online-Terminvergabesystem veränderten Weg der Bürgerinnen und Bürger bei der Wahrnehmung von Terminen realisieren zu können. Für die personelle Besetzung des Servicepoint hat die Kreisverwaltung zusätzliche Personalressourcen zur Verfügung gestellt.

Die Einführung des Online-Terminvergabesystems hat das wesentliche Ziel, die Ebene der Sachbearbeitung zu entlasten. In der Vergangenheit mussten die rund 10.000 Termine pro Jahr entweder per Mail oder per Telefon vereinbart werden, was erhebliche Zeitressourcen gebunden hat, die für die eigentliche Sachbearbeitung nicht zur Verfügung standen. Mittel- und langfristig soll das Online-Verfahren, nach Bewältigung der naturgemäß mit Schwierigkeiten behafteten Implementierungsphase, diese Zeitressource nutzbar machen, indem die Buchung des Termins als solche bei den Bürgerinnen und Bürgern liegt und keinen aktiven Dialog mit der Sachbearbeitung voraussetzt. Derartige Terminvergabesysteme sind inzwischen bei vielen Ausländerbehörden im Einsatz.

Mit der Planung des Systems der Online-Terminvergabe wurde Ende des Jahres 2022 begonnen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben an der Entwicklung durch eine Arbeitsgruppe maßgeblich mitwirken und sich beteiligen können.

 

Die Verwaltung plant weitere Maßnahmen, um die tägliche Sachbearbeitung zu vereinfachen und eine Entlastung herbeizuführen. Hierbei ist insbesondere die Umstellung der Prozesse auf eine digitale Fallakte im Fokus, was mit der Notwendigkeit einhergehen wird, den Bestand von derzeit rund 36.000 laufenden Papierakten digitalisieren zu lassen. Das Fachamt hat im Zuge der im Sommer diesen Jahren begonnen Haushaltsaufstellung für das Jahr 2024 entsprechende Mittel beantragt. Eine solche Umstellung bedingt jedoch auch die Umstellung vieler alltäglicher Abläufe, zum Beispiel bzgl. der in den Publikumsterminen vorzulegenden Unterlagen. Vorausgesetzt, die erforderlichen Haushaltsmittel werden durch den Kreistag bereitgestellt, soll die Maßnahme daher in Form eines Projektes angegangen werden.

Ein Wegfall der Papierakten würde von zahlreichen Arbeitsschritten entlasten (Akten holen, Akten abhängen, Akten für Gerichte einscannen, Akten für Prozessbevollmächtigte kopieren, bei Zuzügen in das Kreisgebiet digitale Akten wieder ausdrucken), die in ihrer Gesamtheit erhebliche Kapazitäten der Sachbearbeitung binden. Darüber hinaus wird das mobile Arbeiten gestärkt und es werden Raumressourcen im Ausländeramt frei, die für zusätzliche Arbeitsplätze im Publikumsverkehr genutzt werden könnten.

Flankierende Maßnahmen zur Verbesserung der Situation des Ausländeramtes sind eine Verbesserung der Zusammenarbeit mit den kommunalen Sozialämtern und zum Jobcenter. Hier hat Dezernat III und die Leitungsebene des Amtes 32 an diversen Besprechungen und Treffen teilgenommen, um Kommunikation und Informationsfluss zu verbessern und ein gegenseitiges Verständnis für die Erfordernisse und Vorgaben der einzelnen Akteure zu entwickeln.

 

Entscheidend für die Entwicklung der Situation im Kreisausländeramt des Rhein-Kreises Neuss wird aus Sicht der Verwaltung jedoch letztlich sein, ob der Flüchtlingszustrom in die kreisangehörigen Kommunen weiterhin auf hohem oder gar noch steigendem Niveau stattfinden wird, ob es weiterhin neue Vorgaben des Bundes geben wird, die zusätzliche neue Aufgaben für die Ausländerbehörden generieren und ob es tatsächlich zum Abbau bürokratischer Hürden und Vorgaben kommen wird. Ein Beispiel hierfür ist der längst überfällige Versandt von elektronischen Aufenthaltstiteln durch die Bundesdruckerei unmittelbar an die Antragsteller. Was im Schwerbehindertenrecht seit Jahren erfolgreich praktiziert wird, war bislang im Ausländerrecht undenkbar. Müssten die ausländischen Bürgerinnen und Bürger nicht mehr mühsam einen persönlichen Vorsprachetermin zur Abholung der elektronischen Karte beim Kreisausländeramt benötigen, würden rund mehrere hundert Termine pro Jahr schlichtweg überflüssig.

Die Entwicklungen der letzten Jahre haben wesentlich zur aktuellen Lage der Ausländerbehörden in Deutschland beigetragen, die aus Sicht der Verwaltung weder den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, noch den ausländischen Bürgerinnen und Bürgern länger zugemutet werden können. Der Rhein-Kreis Neuss kann sich glücklich schätzen, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde Tag für Tag den enormen Herausforderungen stellen und derartig bemüht sind, den Menschen zu helfen und die rechtsstaatliche Ordnung aufrecht zu erhalten.

Das Kernproblem für die aktuelle Situation der Ausländerbehörde ist nicht eine falsche Organisationsstruktur oder suboptimale Abläufe - dann wären nicht flächendeckend im gesamten Bundesgebiet die Ausländerbehörden überlastet - sondern eine Schieflage von Anspruch und Wirklichkeit, die sich zu einem strukturellen Problem ausgeweitet hat. Die Legislative muss die reale Situation der Exekutive mehr in den Fokus nehmen,. Das Gesamtsystem kann keinen Erfolg haben, wenn den staatlichen Organen der Exekutive die Umsetzung unter den real gegebenen Voraussetzungen nicht mehr gelingen kann.

 

Liegen der Kreisverwaltung Daten zu den o.g. Fragen seitens der Städte Neuss und Dormagen vor, die die Aufgaben der Ausländerbehörde selbst wahrnehmen? Wie gestaltet sich die dortige Situation?

Der Leiter des Kreisausländeramtes steht im Tagesgeschäft in einem guten Austausch mit den Ausländerbehörden der Städte Neuss und Dormagen. Valide und für eine Berichterstattung der Kreisverwaltung im Kreisausschuss geeignete Daten liegen nicht vor.

Die Aufgabenwahrnehmung für die Kreisverwaltung ist in einigen Punkten deutlich schwieriger und langwieriger, als die Ausführung der gleichen Aufgabe bei den kreisangehörigen Kommunen. Bei diesen ist innerhalb der Behörde eine unmittelbare Zusammenarbeit mit dem Einwohnermeldeamt und, soweit bei den einzelnen Menschen erforderlich, mit dem Sozialamt möglich. Ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus den 6 anderen Kreiskommunen müssen Termine beim Kreisausländeramt und den kommunalen Dienststellen getrennt und häufig zeitlich gestaffelt wahrnehmen. Die Datenschutzrechtlichen Vorgaben erschweren darüber hinaus schnelle Informationsweitergaben zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften (und auch dem Jobcenter) zum Teil erheblich, was sich wiederum auf Bearbeitungs- oder Genehmigungsdauern nachteilig auswirkt und dazu führt, dass Vorgänge mehrfach angepackt werden müssen.

 

Welche Wartezeiten ergeben sich zurzeit für die einzelnen Anliegen bei der Online-Terminbeantragung?

Die Wartezeiten sind abhängig von den „Sachgebieten“. Die erste Aufteilung erfolgt in die Bereiche „Asyl“ und „Allgemeines Ausländerrecht“. Diese Bereiche sind dann anhand der Anfangsbuchstaben der Nachnamen der Bürgerinnen und Bürger auf die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilt. Die Wartezeit auf einen Termin beträgt abhängig vom Sachgebiet zwischen 4 und 6 Monaten.

Die derzeit laufende Implementierung einer Online-Terminvergabe stellt, auch vor dem Hintergrund der ohnehin hohen Arbeitsbelastung, eine große Herausforderung dar. Sehr viele Prozesse mussten verändert und angepasst werden. Bei der Planung der Einführung des neuen Systems ergab sich die Notwendigkeit der Umstellung zu bestimmten Stichtagen: die Buchungen über das Online-Tool waren ab dem 03.07.2023 möglich, die Wahrnehmung von online gebuchten Terminen begann am 16.10.2023. In der Zwischenzeit wurden alle Termine abgearbeitet, die vor dem 03.07.2023 per Mail oder Telefon an das Ausländeramt herangetragen worden waren. Durch den Einmaleffekt der Umstellung hat sich der Vorlauf für Termine nach Wahrnehmung der Verwaltung verlängert. Mittel- und langfristig müsste sich hier wieder eine Reduzierung von Wartezeiten ergeben, sobald sich das neue Verfahren eingependelt hat. Darüber hinaus sollte auch die Entlastung der Mitarbeiter durch den Onlineterminkalender zu einem größeren Angebot an Terminen führen. Die Verwaltung wird diese Entwicklung aufmerksam beobachten.

Für das letzte Quartal 2023 sind mehr als 2.500 im Online-Terminkalender gebucht.

Erste Auswertungen haben ergeben, dass rund 15% der online gebuchten Termine ohne Stornierung oder Absage durch die Bürgerinnen und Bürger nicht wahrgenommen worden sind. Leider hat dieses Verhalten nachteilige Auswirkungen auf das Gesamtsystem, da die entsprechende Ressource nicht für andere Menschen zur Verfügung steht. Naturgemäß muss eine gewisse Ausfallquote, z.B. wegen Krankheit, einkalkuliert werden, jedoch erscheint der festgestellte Prozentsatz leider sehr hoch.

Des Weiteren musste die Verwaltung feststellen, dass Bürgerinnen und Bürger Termine bewusst falsch gebucht haben. So wurden falsche Dienstleistungen ausgewählt, um einen früheren Termin zu erhalten (z.B. die Buchung der Abholung eines elektronischen Aufenthaltstitels mit dem Zeitansatz 15 Minuten, obwohl dann vor Ort ein Antrag auf Niederlassungserlaubnis, der einen Zeitansatz von 45 Minuten benötigt, gestellt wurde). Hierdurch entstehen vor Ort Konflikte und zeitraubende Diskussionen, was wiederum den Beginn der nachfolgend gebuchten Termine verzögert.

In anderen Fällen wurden mehrere Termine gleichzeitig gebucht: ein Ehepaar hatte insgesamt 10 Termine für die gewünschte Dienstleistung gebucht, eine sechsköpfige Familie buchte insgesamt 17 (!) Termine für 6 Personen. Derartiges Verhalten führt dazu, dass die überbuchten Zeitslots für andere Personen nicht verfügbar sind. Die Verwaltung erfasst derartige Fehlentwicklungen systematisch und prüft, wie im Backend des Online-Kalenders technisch gegengesteuert werden kann, um Fehler oder auch gezielten Missbrauch zu verhindern.

Sofern derartige Fälle auffallen, werden die nicht tatsächlich erforderlichen Termine zwar durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausländeramtes storniert, temporär ist jedoch die Ressource für die Nutzung durch andere Menschen blockiert.

 

Welche Möglichkeiten sieht die Verwaltung durch eine (temporäre) Übertragung von Teilkompetenzen an die kreisangehörigen Kommunen eine Reduzierung der langen Wartezeiten zu erreichen? Dieses sollte natürlich nur in Abstimmung mit den Kommunen erfolgen.

Es gibt keine Überlegungen zur Übertragung von Teilkompetenzen an die kreisangehörigen Kommunen. Auch die Ausländerbehörden der Städte Neuss und Dormagen arbeiten unter einer sehr hohen Belastung und müssen die steigenden Zahlen an Ausländern in den Ämtern bewerkstelligen. Der Rhein-Kreis Neuss erfüllt seine ihm übertragenen Pflichtaufgaben. Dazu zählt auch die Aufgabe der Ausländerbehörde. Mittelfristig werden die Wartezeiten wieder sinken.